LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 21.08.2015 Datum des Originals: 20.08.2015/Ausgegeben: 26.08.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 14 der Fraktion der CDU Drucksache 16/8472 Gezielte Förderung nicht nur bei Mädchen - Lebenslagen von Jungen stärker in den Fokus nehmen! Das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Große Anfrage 14 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Staatskanzlei, dem Ministerium für Schule und Weiterbildung, dem Finanzministerium, dem Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales, dem Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz, dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung, dem Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter und dem Ministerium für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 2 Vorbemerkung der Großen Anfrage Jungenarbeit und Jungenpädagogik sind als pädagogische Arbeit mit männlichen Kindern und Jugendlichen unter dem Fokus der Besonderheiten der Zielgruppe zu verstehen und im Sinne einer Querschnittsaufgabe „Geschlechterbezogene Pädagogik“ seit Anfang der 1990er Jahre im SGB VIII § 9 Abs. 3 rechtlich verankert. Sie hat zum Ziel, die geschlechtsbezogenen Spezifika männlicher Entwicklung zu analysieren sowie Ressourcen, Teilhabemöglichkeiten und Bewältigungsstrategien von Jungen geschlechterbezogen zu reflektieren und Rahmenbedingungen für ein gelingendes Aufwachsen von Jungen zu befördern. Rückblickend lässt sich feststellen, dass trotz erster Entwicklungen in der Praxis bereits Mitte /Ende der 1980er Jahre der formulierte Auftrag zur geschlechterbezogenen Pädagogik zunächst vorwiegend durch Mädchenarbeit wahrgenommen und umgesetzt wurde. Erst seit der Jahrtausendwende stehen Jungen stärker im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Allerdings ist diese Thematik häufig begleitet von grundsätzlichen Vorannahmen über Jungen als benachteiligtes oder bevorzugtes Geschlecht. Dies erschwert eine unvoreingenommene Analyse männlicher Lebenswelten und eine entsprechende Gestaltung pädagogischer Maßnahmen und Angebote. Hierdurch bleibt zum Teil offen, ob die geschlechterbezogene pädagogische Arbeit mit Jungen gesellschaftlich breit getragen wird und in Folge auch in pädagogischer Praxis und Forschung immer noch ein Randdasein führt. Zudem ist zu fragen , ob die Lebenswelt von „Jungen/jungen, aber auch erwachsenen Männern,“ in anderen gesellschaftlichen Bereichen wie z.B. Kultur, Wirtschaft, Glaube oder Gesundheit in vollem Umfang wahrgenommen und ressortspezifisch und geschlechtsbewusst reflektiert wird. Entsprechend fehlt es an jungen- und männerbezogenen Politikansätzen. Die nachfolgenden Fragen sollen zur Klärung des aktuellen Status Quo zur Jungenarbeit und Jungenpädagogik mit Blick auf verschiedene Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe sowie im Kontext von Schule beitragen und Impulse für weitere gesellschaftliche Bereiche liefern. Teilweise werden auch Fragen zu Mädchen gestellt, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Geschlechtern erkennen und erklären zu können. Sie sollen somit Anregungen zur weitergehenden Diskussion über die Lebenslagen von Jungen in der Altersgruppe von 0 bis 27 Jahren zulassen. Grundlegend sei vorangestellt, dass Jungenpädagogik Jungen mit Blick auf ihre Vielfalt betrachtet – z.B. hinsichtlich individueller Identitäten, schicht- und milieuspezifischer Zugehörigkeiten , besonderer Förderbedarfe u.v.m. Es gilt die Perspektive auf die Vielfalt von Jungensein und Jungenleben und gleichermaßen auf nach wie vor wirksame Geschlechterdifferenzen zu stärken. Zudem gilt es, den Fokus – über das Geschlecht hinaus – auf weitere sozialwissenschaftlichen Analysekategorien, wie z.B. sozialer Status oder Herkunft, zu erweitern , um im Wechselspiel einen genaueren Blick auf spezifische Bedarfe zu lenken. Anliegen der vorliegenden Anfrage ist es daher, die Berücksichtigung von Jungen in ihren jeweiligen Lebenskontexten zu fördern. Jedoch sind in dieser Perspektive Jungenarbeit und Jungenpädagogik aufgefordert, im Kontext mit Mädchenarbeit und Mädchenpädagogik betrachtet zu werden. Es geht nicht alleine um ein Mehr von Jungenarbeit und Jungenpädagogik , sondern um ein Mehr von geschlechterbezogener Reflexion der verschiedenen gesellschaftlichen relevanten Maßnahmen und Angebote, das hier mit Fokus auf Jungen angefragt und ausdifferenziert wird. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 3 Vorbemerkung der Landesregierung Zur Förderung der Entwicklung und Bildung junger Menschen und zur Sicherung möglichst guter Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ist es in allen pädagogischen Settings erforderlich , die jeweils spezifischen Wünsche, Bedürfnisse und Förderbedarfe junger Menschen zu erkennen und zur Grundlage des pädagogischen Handelns zu machen. Dies spielt insbesondere eine Rolle mit Blick auf die großen Bildungssysteme für Kinder und Jugendliche: Kindertageseinrichtungen, Jugendarbeit und Jugendhilfe, Schule. Ein wesentlicher, die Persönlichkeit prägender und in der pädagogischen Förderung relevanter Aspekt ist dabei das Geschlecht – das biologische sowie das soziale. Daher bezieht jedwede gelingende pädagogische Arbeit auch das Geschlecht als prägendes Element in die Konzeptionierung und Durchführung von pädagogischer Arbeit ein. Für die Kinder- und Jugendhilfe wurde die Berücksichtigung der Geschlechterdifferenz mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz von 1990 (SGB VIII) als Standard für die pädagogische Arbeit normiert. In § 9 Ziffer 3 wird festgelegt, dass bei der Ausgestaltung der Leistungen nach dem SGB VIII die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen sind. Damit erhielt die insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren entwickelte geschlechtsspezifische Sichtweise im pädagogischen Handeln eine gesetzliche Grundlage. So wurde auch die gesetzliche Voraussetzung geschaffen, in der Breite der Kinder- und Jugendhilfe entsprechende Angebote zu entwickeln und umzusetzen. Im Bereich der Kindertageseinrichtungen und frühkindlichen Bildung und Betreuung sind Partizipation und Teilhabe von Jungen und Mädchen inzwischen selbstverständlich zu einem anerkannten pädagogischen Standard geworden und dieser wird vor Ort praktiziert. Dabei sind Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechtersensibilität ein unverzichtbarer und komplexer Bestandteil der Pädagogik. Denn gerade auch vor dem Hintergrund der Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für die Ein- und Zweijährigen und der Tatsache, dass Kinder heute zunehmend immer früher und in der Regel damit auch länger ein Angebot der Kindertagesbetreuung nutzen, ist noch stärker als bislang zu berücksichtigen, dass das Weltbild der Kinder in den frühen Lebensjahren durch vorgelebte Rollenbilder geprägt wird. Eine geschlechterbewusste Pädagogik unterstützt Kinder dabei, einengende Geschlechterbilder zu erweitern, unterschiedlichen Interessen neugierig nachzugehen und vielfältige, geschlechterunabhängige Kompetenzen zu erwerben. Von besonderer Wichtigkeit ist auch, dass Kinder eine Geschlechtsidentität entwickeln, mit der sie sich wohlfühlen und die auf Gleichberechtigung und Gleichachtung basiert. Vor diesem Hintergrund sind die pädagogischen Fachkräfte im Rahmen ihrer pädagogischen Arbeit gehalten eine gendersensible Haltung einzunehmen und über Genderkompetenzen zu verfügen. Partizipation und gesellschaftliche Teilhabe von Jungen und Mädchen sowie geschlechtersensible Pädagogik sind als Querschnittsthemen in den Bildungsgrundsätzen „Mehr Chancen durch Bildung von Anfang an – Grundsätze zur Bildungsförderung für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Kindertageseinrichtungen und Schulen im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen“ strukturell und konzeptionell verankert. Im Bereich der Jugendarbeit war die Diskussion zunächst geprägt durch eine stärkere Berücksichtigung auch von Mädchen in allen Angeboten der Jugendarbeit. Dem lag die Annahme zugrunde, dass Mädchen zwar grundsätzlich Zugang zu allen Angeboten der Jugendarbeit haben, diese aber in bestimmten Bereichen, wie z.B. in der offenen Jugendarbeit unterrepräsentiert waren, da keine spezifischen Zugänge für Mädchen entlang ihrer Interessenlagen und Bedürfnisse geschaffen wurden. In NRW ist es zunächst mit der Reform des damaligen Landesjugendplans im Jahr 1999 gelungen, die fachliche Debatte zur Notwendigkeit geschlechterdifferenzierter Angebote zu beleben, in deren Ergebnis sich die Angebote erheblich verändert haben. Dies war nicht zuletzt auch dem Wirken von drei unterschiedlich LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 4 ausgerichteten Fachstellen der Mädchenarbeit zu verdanken, die mit Förderung des Landes wesentliche fachpolitische Impulse setzen konnten und die über ihre Beratungsangebote andere Träger bei der Entwicklung entsprechender Angebote unterstützten und unterstützen. In den späten 1990er Jahren veränderte sich der Blickwinkel geschlechtsspezifischer Jugendarbeit insoweit als nun auch die Bedürfnislagen und Interessen von Jungen stärker in den Fokus der Wahrnehmung traten. Die Diskussion darüber, ob es auch mit Blick auf Jungen einer veränderten Herangehensweise in der Jugendarbeit bedürfe, wurde geführt und letztlich bejaht. Ab 2002 wurde daher bei der LAG Jungenarbeit NRW, einem Zusammenschluss der Fachkräfte, Träger, Institutionen und Arbeitskreise der Jungenarbeit, eine Fachstelle Jungenarbeit gefördert. Diese hatte und hat die Aufgabe, den fachpolitischen Diskurs voranzutreiben und Träger bei der Entwicklung entsprechender Angebote zu beraten. Darüber hinaus wurde zur weiteren Unterstützung auch der Jungenarbeit im Jahr 2005 die damalige Fachstelle Mädchenarbeit des FUMA e.V. zur Fachstelle „Gender“ weiterentwickelt und ihre Förderung ausgebaut, so dass entsprechende personale Kompetenzen auch im Bereich Jungenarbeit geschaffen werden konnten. Schließlich wurde auf Anregung und mit Unterstützung der Landesregierung in den Jahren 2007–2010 die Landesinitiative Jungenarbeit durch die FUMA-Fachstelle Gender und die LAG Jungenarbeit durchgeführt. Ziel dieser Initiative war es, im Bereich der Jugendarbeit, der Schulen und in der Öffentlichkeit einen realistischeren Blick auf Jungen zu befördern, der nicht in erster Linie problemorientiert geprägt ist. Darüber hinaus war mit der Initiative das Ziel verbunden, neue Angebote für Jungen in der Jugendarbeit zu entwickeln, in der Fläche bekannt zu machen und in der Praxis zu verankern. Mit Auslaufen der Initiative wurde diese Arbeit in die Fachtätigkeit der Fachstelle Gender integriert. NRW gilt heute als das Bundesland, das am klarsten und prägnantesten auf geschlechterdifferenzierte und unterschiedliche sexuelle Identitäten berücksichtigende Zugänge zu und Inhalte von pädagogischen Angeboten in der Kinder- und Jugendarbeit setzt. Gerade mit Blick auf die Jungenarbeit ist es in den vergangenen zehn Jahren gelungen, die Praxis der Jugendarbeit deutlich weiterzuentwickeln. Im Bereich der Schulen gab die Koedukationsdebatte der 1980er Jahre Anstöße zu einer Vielzahl von Forschungsprojekten zu Fragen geschlechterbezogener Pädagogik und Didaktik . Nach der zunächst fokussierten Verbesserung der fächer- und abschlussbezogenen Entwicklungschancen von Mädchen richtete sich alsbald die Aufmerksamkeit auf eine Stärkung der kognitiven und sozialen Kompetenz von Jungen. Die Ergebnisse der Untersuchungen fanden zum Teil unmittelbaren Niederschlag, z.B. in den Lehrplanrichtlinien und Vorgaben zur Schulbuchprüfung, in Fachtagungen, Fortbildungen und Handreichungen. Es entwickelte sich der Leitgedanke der sogenannten reflexiven (= reflektierten) Koedukation , nach der alle pädagogischen Gestaltungssituationen daraufhin zu überprüfen sind, ob sie eine kritische Auseinandersetzung mit Geschlechterfragen fördern und Impulse geben für ein Aufbrechen stereotyper Zuschreibungen und Erwartungshaltungen. Seit der Jahrtausendwende ist die Ausrichtung des geschlechtersensiblen Arbeitens mit Kindern und Jugendlichen substanziell weiter entwickelt worden. Untersuchungen belegen, dass die Unterschiede innerhalb der Geschlechter zum Teil größer sind als zwischen den Geschlechtern , und dass der Indikator „Geschlecht“ oftmals in einem Komplex mehrerer Merkmale zum Tragen kommt. „Die Jungen“ und „die Mädchen“ als homogene Gruppen mit jeweils gleichen Interessen und Bedürfnissen existieren faktisch nicht. Im aktuellen Unterricht ist deshalb darauf zu achten, dass Geschlechterdifferenzierungen nicht selbst zu einer Reproduktion und Verstetigung von Geschlechterstereotypisierungen und damit verbundenen Einschränkungen führen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 5 Die im Schulgesetz zugrunde gelegte Koedukation versteht sich damit als das gemeinsame, geschlechtersensible Unterrichten und Erziehen von Jungen und Mädchen. Der Blick der Lehrkraft auf mögliche geschlechtsbedingte Anforderungen oder notwendige Ausgleiche ist insofern ein Diagnoseinstrument, das nicht unbedingt zu sichtbar geschlechterdifferenzierenden Maßnahmen führen muss. Der Geschlechteraspekt ist somit eine Perspektive der individuellen Förderung: Das einzelne Mädchen und der einzelne Junge wird in seiner ihm eigenen Persönlichkeit, Lern- und Lebenslage in den Blick genommen. Dieses Prinzip prägt maßgeblich den Bildungsauftrag von Schule und berücksichtigt auch den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Beseitigung geschlechtsbezogener Benachteiligungen (Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz; § 2 Abs. 7 Satz 2 Schulgesetz ). Geschlechtersensibles Unterrichten, Erziehen und Fördern heißt in der schulischen Praxis, dass Stärken gefördert werden und an Schwächen gearbeitet wird – losgelöst von tradierten Rollenmustern. Insgesamt kann die Landesregierung bilanzierend festhalten, dass in pädagogischen Strukturen und Konzepten der Kinder- und Jugendhilfe und der Schule – aber auch darüber hinaus – die Jungenarbeit und Mädchenarbeit und eine geschlechterbewusste Pädagogik gut verankert sind. Nach wie vor ist NRW das Land mit der am stärksten ausgeprägten Landschaft geschlechtersensibler Angebote. Für die Landesregierung ist dies kein Grund innezuhalten , sondern weiterer Ansporn dafür, die geschlechtersensible Ausrichtung der pädagogischen Settings weiter zu verbessern, um damit Mädchen und Jungen noch besser fördern zu können. I. PARTIZIPATION UND TEILHABE Vorbemerkung der Großen Anfrage Jungen wünschen sich gesellschaftliche Teilhabe und wollen Verantwortung übernehmen. Hierfür sind eine breite Praxis anerkannter Partizipation sowie weitergehende Diskussionen über bereits vorhandene, jedoch nur bedingt anerkannte Engagementformen von Jungen und bezüglich geschlechterbezogener Partizipationshindernisse notwendig. Zudem stellt sich die Frage, welche Maßnahmen geeignet sind, die gesellschaftliche Teilhabe von Jungen zu fördern und zu unterstützen. 1. Inwieweit sind Partizipation und Teilhabe von Jungen (und Mädchen) als Querschnittsthemen und -fragen in den verschiedenen Institutionen (Kindertageseinrichtungen , Hilfen zur Erziehung, Offene Kinder- und Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit , Schule/Ganztag, Sportvereinen) strukturell als auch konzeptionell verankert und werden praktiziert? Die Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist ein im Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) verankertes Grundprinzip der Kinder- und Jugendhilfe. Dieses wird in § 5 Abs. 1 als Wunsch- und Wahlrecht sowie in § 8 Abs. 1 als Beteiligungsrecht normiert. Insoweit zieht sich die Partizipation von jungen Menschen als Grundprinzip durch die Konzeptionen, Strukturen und die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe. In Nordrhein-Westfalen sind die Beteiligungsrechte von Kindern und Jugendlichen zudem im Kinder- und Jugendförderungsgesetz (KJFöG) rechtlich festgeschrieben. Vor gut zehn Jahren – im Jahr 2004 – wurden hier die Mitbestimmungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendli- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 6 che deutlich erweitert. Unter anderem wurde festgelegt, dass junge Menschen an allen ihre Interessen berührenden Planungen, Entscheidungen und Maßnahmen angemessen zu beteiligen sind, z.B. mit Blick auf das Wohnumfeld, den Verkehr und die öffentliche Einrichtungen . § 6 Abs. 3 des KJFöG regelt auch landesrechtlich eigenständige Beteiligungstatbestände, die über die bundesgesetzlichen Regelungen des SGB VIII hinausgehen. Der Absatz sichert Kindern und Jugendlichen zu, in Planungen auf Landesebene beteiligt zu werden, und zwar auch in anderen Politikfeldern als der Jugendhilfe. Das ist in Deutschland einmalig. Er gewährt Kindern und Jugendlichen jedoch keinen individuellen Rechtsanspruch. In den nordrhein-westfälischen Kommunen gibt es derzeit rund 80 Kinder- und Jugendgremien , die häufig durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der jeweiligen Jugendämter (mit unterschiedlichem Ressourceneinsatz) betreut werden. Die Kinder- und Jugendgremien sind meist als Parlamente, Räte oder Foren organisiert. In ihnen engagieren sich junge Mandatsträgerinnen und -träger für Kinder- und Jugendthemen in ihrer Kommune. Sie befassen sich mit allen Themenbereichen, die sie für besonders wichtig erachten: z.B. Fragen der Gestaltung des lokalen Nahraums aus der Sicht von Kindern und Jugendlichen, des Zusammenlebens von Generationen und Nationalitäten, der Gewalt- und Drogenproblematik, des Schutzes der Umwelt, der Beachtung von Grundrechten, sozialer Gerechtigkeit. Zur besseren Vernetzung der Fachkräfte untereinander findet jährlich ein Fachkräfteworkshop statt; darüber hinaus werden im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport seit mehr als zehn Jahren regelmäßig Fachgespräche mit den Fachkräften durchgeführt. Das Land unterstützt die Weiterentwicklung entsprechender partizipativer Konzepte, die auch die unterschiedlichen Interessenlagen von Mädchen und Jungen berücksichtigen, seit dem 01.01.2014 durch die Förderung der Servicestelle Jugendbeteiligung, die beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe, Landesjugendamt, angesiedelt ist und die Kommunen, Träger und interessierte junge Menschen berät. Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans "Für ein kindergerechtes Deutschland 2005-2010" wurden von einem Expertenkreis aus Verbänden, Wissenschaft und Politik Qualitätsstandards für die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen für die Praxisfelder Kindertageseinrichtungen , Schule, Kommune, Kinder- und Jugendarbeit und Erzieherische Hilfen entwickelt und im Jahr 2010 vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend veröffentlicht . An der Entwicklung der Qualitätsstandards hat sich die Landesregierung NRW beteiligt . Der Landesjugendring NRW hat diese Qualitätsstandards um den Bereich „Jugendverbandsarbeit “ erweitert. Partizipationsprojekte der Träger der Jugendhilfe, die immer aktive Beteiligungsprozesse von Jungen und Mädchen zum Ziel haben, werden aus Mitteln des Kinder- und Jugendförderplans (KJFP) des Landes NRW unterstützt (Position 1.2.4 „Stark durch Beteiligung – Jugendliche aktiv und direkt an politischen und gesellschaftlichen Prozessen beteiligen“). Bei der Neuaufstellung des Kinder- und Jugendförderplans im Jahr 2013 wurden diese Fördermittel um 400.000 € auf 1 Mio. € jährlich erhöht. Damit die Kinder sich besser über ihre Rechte informieren können, gibt das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport seit 1999 gemeinsam mit der "National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland" die Broschüre "Kinder haben Rechte! Die UN-Kinderrechtskonvention" heraus. Diese Broschüre, in der der Text der Konvention "kindgerecht" übersetzt ist, wird insbesondere in Kindertageseinrichtungen, Schulen aber auch in Jugendeinrichtungen als Anschauungs- und Informationsmaterial rege genutzt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 7 In den unterschiedlichen Bereichen der Jugendarbeit, die vom Land infrastrukturell gefördert werden, sind die Prinzipien Partizipation und Geschlechterreflexion wesentliche Handlungsmerkmale der pädagogischen Arbeit. Im Bereich der offenen Jugendarbeit ist die Partizipation an der Gestaltung der Angebote unterschiedlich ausgeprägt. Diese Differenzierungen ergeben sich aus den konkreten Bedingungen vor Ort und der Schwerpunktsetzung der Jugendämter im Rahmen der örtlichen Jugendhilfeplanung bzw. im Rahmen der örtlichen Kinder- und Jugendförderpläne. Grundsätzlich kann man jedoch festhalten, dass die Partizipation von Jungen – rein quantitativ betrachtet – in diesem Feld der Jugendarbeit stärker ausgeprägt ist als die von Mädchen. Nach der Strukturdatenerhebung im Bereich der Offenen Jugendarbeit sind etwa zwei Drittel der Stammbesucher in den Einrichtungen Jungen. Die Jugendverbandsarbeit ist als Form der Selbstorganisation von Jugendlichen im Kern ohnehin partizipativ und selbstbestimmt angelegt. Mädchen und Jungen partizipieren in etwa zu gleichen Teilen an den unterschiedlichen Angeboten (siehe Materialien des Wirksamkeitsdialogs zur Jugendverbandsarbeit unter www.ljr-nrw.de). Zudem ist die geschlechtsreflektierte Arbeit mit Mädchen und Jungen auch im Bereich der Jugendverbandsarbeit pädagogisch fest verankert und findet u.a. auch Ausdruck in Quotenregelungen zur Besetzung von Wahlfunktionen in Jugendverbänden und im Landesjugendring. Darüber hinaus hat der Landesjugendring mit seinem Projekt "umdenken_jungdenken" die fachpolitische Diskussion um eine stärkere Beteiligung junger Menschen an der Gestaltung von Politik vorangetrieben. Auch hier spielen geschlechtersensible Aspekte eine wichtige Rolle. Auch bei den Hilfen zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII) ist die Beteiligung junger Menschen festgelegt. Sie ergeben sich allgemein aus den Regelungen zur Mitwirkung und zum Hilfeplan (§ 36 SGB VIII) sowie aus den speziellen Regelungen für die Heimunterbringung, die vorsehen, dass in entsprechenden Einrichtungen geeignete Verfahren zur Beteiligung sowie Beschwerdemöglichkeiten gegeben sein müssen (§ 45 Abs. 2, Ziffer 3 SGB VIII). Soweit es allgemein die Angebote der Hilfen zur Erziehung betrifft, liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse zur Praxis vor, da diese in alleiniger Zuständigkeit der örtlichen Jugendämter gestaltet werden. Bezogen auf die Regelungen zur Heimunterbringung prüfen die Landesjugendämter im Rahmen der Erteilung von Betriebsgenehmigungen das Vorliegen entsprechender Konzepte. Um die Träger im Hinblick auf diese Frage weiter zu sensibilisieren haben die beiden Landesjugendämter mit Förderung des Landes eine zweitägige Impulsveranstaltung zur Entwicklung entsprechender Strukturen für die Träger durchgeführt (Juni 2015). Partizipation und Teilhabe von Jungen und Mädchen ist in nordrhein-westfälischen Kindertageseinrichtungen inzwischen ganz selbstverständlich zu einem anerkannten pädagogischen Standard geworden und wird vor Ort praktiziert. Die Themen Partizipation und Gesellschaftliche Teilhabe sind als Leitziele und Querschnittsthemen in den Bildungsgrundsätzen „Mehr Chancen durch Bildung von Anfang an – Entwurf Grundsätze zur Bildungsförderung für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Kindertageseinrichtungen und Schulen Im Primarbereich in Nordrhein -Westfalen“ strukturell und konzeptionell verankert. Aufgabe von Schule ist es, das Recht der jungen Menschen auf Bildung, Erziehung und individuelle Förderung zu verwirklichen, den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter zu achten und bestehende Nachteile abzubauen. Junge Menschen sollen in der Schule lernen, verantwortlich am sozialen und gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Diesem Anspruch stellen sich die Schulen im Ganztag in besonderer Weise, indem sie gemeinsam mit verschiedenen Trägern, insbesondere der Jugendhilfe und der Kulturellen Bildung, ein vielfältiges Lernangebot im Ganztag gestalten. Gerade in diesen Angeboten spielen geschlechtersensible Aspekte eine große Rolle. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 8 Im Zusammenhang mit dem Geschlecht zeigen sich in der Schule sowohl auf der Leistungsebene als auch im schulischen Miteinander besondere Ressourcen. Darunter fallen beispielsweise Durchsetzungsvermögen, Empathie, Suchen nach eigenen Lösungswegen, Kreativität , die Fähigkeit sich auf Regeln einzulassen, Kooperation, Abgrenzungsvermögen, sprachliche bzw. mathematisch-naturwissenschaftliche Fähigkeiten, Humor, Interessenvertretung , Solidarität, Selbstbewusstsein, Kritikfähigkeit, besonderes Interesse und Vorerfahrungen an/in Technik, Lesen, Ballsport, ästhetischen Sportarten, kreativem Gestalten, Mathematik , Physik, Chemie, und ähnliches. Bei all diesen Themen können statistisch gesehen ungleiche Verteilungen nach Geschlecht vorliegen. Es gibt keine homogene „Jungen-“ oder „Mädchengruppe“. Diese Art von Zuschreibung (bildlich oder sprachlich) ist für die Sozialisation , d.h. für die individuelle Identitätsfindung von Jungen oder Mädchen eher problematisch. Denn sie schreibt Deutungs- und Verhaltensmuster fest. Gerade für Heranwachsende ist es jedoch wichtig, als „richtig“ anerkannt zu werden. So entsteht ein Prozess, in dem Rollenmuster verengt werden, der Anreize setzt, bestimmte eigene Potenziale besonders auszubilden und dabei andere zu vernachlässigen oder zu verwerfen. Schule muss daher solche geschlechtsbezogenen Zuschreibungen selbst unterlassen und – wenn sie von den jungen Menschen eingebracht werden – diese Zuschreibungen in Frage stellen, um individuelle Entwicklungswege zu befördern. Diese Aufgabe bleibt eine ständige Herausforderung für die Schule, d.h. die dort erziehenden und bildenden Fachkräfte (im Ganztag), aber auch die Eltern. Denn auch in der außerschulischen Lebens- und in der Arbeitswelt begegnen jungen Menschen wirkmächtige geschlechtsstereotype Bilder, Deutungs- und Handlungsmuster. 2. Mit welchen Maßnahmen – zum Beispiel im Rahmen des Programms „Kein Kind zurücklassen!“ – unterstützt die Landesregierung gezielt die gesellschaftliche Teilhabe von Jungen? Das Modellvorhaben der Landesregierung und der Bertelsmann-Stiftung „Kein Kind zurücklassen ! Kommunen in NRW beugen vor“ wird gegenwärtig in 18 Modellkommunen durchgeführt und evaluiert. Das federführende Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Trägerschaft für den kommunalen Begleitprozess an das „Institut für soziale Arbeit“ vergeben, das zu diesem Zweck eine Landeskoordinierungsstelle eingerichtet hat. Zentrales Thema des kommunalen Begleitprozesses durch die Landeskoordinierungsstelle ist der Aufbau von Präventionsketten in den jeweiligen Modellkommunen. Die Landeskoordinierungsstelle berät und begleitet die Modellkommunen bei der jeweiligen örtlichen Umsetzung der Präventionsziele, organisiert einen themenbezogenen interkommunalen Austausch und entwickelt in Zusammenarbeit mit den Modellkommunen die örtlichen Präventionsansätze weiter. Schwerpunkte sind dabei auf organisatorischer Ebene die dezernats-, ämter- und trägerübergreifende Zusammenarbeit, die kindgerechte Organisation von Übergängen, Aufbau und Qualitätsentwicklung von Netzwerken, die Analyse der örtlichen Präventionsinfrastruktur in der Jugend- und Familienhilfe sowie ihre Optimierung unter Einbeziehung vor allem der Bereiche Gesundheit, Bildung, Stadtentwicklung und Soziales. „Kein Kind zurücklassen“ führt keine einzelnen direkten Maßnahmen mit Kindern und Jugendlichen durch. Die Durchführung von Maßnahmen obliegt den örtlichen Trägern der öffentlichen Jugendhilfe (Jugendämter). Die Landesregierung geht davon aus, dass die Jugendämter die bundes- und landesgesetzlichen Vorgaben bei der Umsetzung von Maßnahmen beachten. Hierzu gehören auch die Bestimmungen zur Beachtung der Geschlechterdifferenz und zur Beteiligung von jungen Menschen. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 9 3. Welche konkreten Erkenntnisse liegen darüber vor? Das Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“ wird gegenwärtig in Verantwortung der Bertelsmann-Stiftung evaluiert. In Teilbereichen der Evaluation (z.B. im Modul Familienbefragung) sind auch geschlechtsspezifische Ergebnisse zu erwarten . Die Bertelsmann-Stiftung hat die Veröffentlichung der Ergebnisse für die 2. Jahreshälfte 2015 angekündigt. 4. Wie wird die Auseinandersetzung mit Partizipationshindernissen, "Misserfolgen" sowie besonderen Herausforderungen in den verschiedenen Institutionen gefördert und umgesetzt? Partizipation und Teilhabe von Jungen und Mädchen sind als Querschnittsthemen rechtlich festgeschrieben und in der Praxis der in Frage 1 genannten Einrichtungen verankert. Aus diesem Grund findet auch eine Auseinandersetzung mit Strukturen, Verfahren, rechtlichen Rahmenbedingungen etc. statt, die einer umfassenden Beteiligungsmöglichkeit für Jungen und Mädchen ggf. entgegenstehen oder Beteiligungsprojekte oder -verfahren scheitern lassen könnten. Diese konstruktive Auseinandersetzung mit Gelingen und Misslingen wird von der Landesregierung auch im Sinne einer Qualitätsentwicklung bei Beteiligungsprojekten und -prozessen aktiv befördert. Mit den Bildungsgrundsätzen NRW „Mehr Chancen durch Bildung von Anfang an – Entwurf Grundsätze zur Bildungsförderung für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Kindertageseinrichtungen und Schulen im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen“ haben die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege eine Handlungsempfehlung , wie wichtig Basiskompetenzen für die weitere Entwicklung des Kindes sind. Hierbei geht es um die Entwicklung von individuellen Fähigkeiten sowohl im Sinne einer freien Persönlichkeitsentfaltung als auch im Sinne der Aneignung von spezifischen Fähigkeiten. Die Basiskompetenzen ermöglichen dem Kind mit sich selbst, mit Anderen und mit den Dingen und Phänomenen der Welt zurechtzukommen, in unterschiedlichen Situationen (auch bei Misserfolgen) handlungsfähig zu sein und dabei Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu entwickeln. Eine wesentliche Kompetenz ist dabei die Selbstkompetenz, die in den Kindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflege gefördert wird. Unter Selbstkompetenz wird ein positives Selbstkonzept, Selbstständigkeit und Eigeninitiative verstanden. Die pädagogischen Fachkräfte stärken und fördern das Kind dabei, die Fähigkeit und Bereitschaft für sich selbstverantwortlich handeln zu können sowie das Handeln anderer reflektieren zu können. Die Förderung von Selbstkompetenz trägt wesentlich zu einer kontinuierlichen Weiterentwicklung der eigenen Handlungsfähigkeit bei und befähigt das Kind selbst in schwierigen Situationen auf eigene Fähigkeiten zu vertrauen. Diese Handlungsfähigkeit wird in den Kitas gestärkt, indem das Kind Aufgaben eigenverantwortlich übernehmen kann und Verantwortung für Aktivitäten übertragen bekommt. Um riskante Lebenslagen und Belastungen bewältigen zu können und in schwierigen Situationen handlungsfähig zu bleiben, braucht das Kind eine starke Widerstandsfähigkeit (Resilienz), ein Vertrauen in sich selbst und die Bereitschaft, sich neuen Anforderungen zu stellen. Das Kind soll dabei durch erwachsene Bezugspersonen Unterstützung erfahren, damit es die Herausforderungen annehmen kann und lernt, mit möglicher Frustration umgehen zu können . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 10 Dem Leitgedanken folgend, dass die Schulen in Nordrhein-Westfalen Orte sein sollen, an denen Demokratie gelernt und gelebt wird, haben zahlreiche Schulen vielfältige Formen der Teilhabe in Unterricht und Schulleben entwickelt, um Kinder und Jugendliche zu beteiligen und somit auch deren Auseinandersetzung mit etwaigen Partizipationshindernissen zu fördern . Welche Formen besonders geeignet sein können und was für die erfolgreiche Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Ganztagsschule zu berücksichtigen ist, dazu hat die Serviceagentur „Ganztägig lernen in NRW“ im Jahr 2014 die über 100-seitige Broschüre „Partizipation von Schülerinnen und Schülern im GanzTag“ vorgelegt. Neben den Rechten und Instrumenten der Schülervertretung können Formen der Beteiligung und Mitverantwortung z.B. sein: regelmäßige Klassenrats-Sitzungen, in denen die Schülerinnen und Schüler sich darin üben, Regeln für ein faires Miteinander gemeinsam auszuhandeln und durchzusetzen , Sozialpraktika über ein Schulhalbjahr in den 7.-10. Klassen, Präsentation von Unterrichtsergebnissen (wöchentlich/ monatlich/ anlassbezogen) auf Jahrgangs- oder Schulebene oder bei außerschulischen Partnern, Freiarbeit, Wochenplanarbeit, Gruppenarbeit, kooperatives Lernen. (Link: http://www.ganztag-nrw.de/movies/GanzTag%20Bd27_web.pdf) Schließlich unterstützt die durch das Land geförderte Servicestelle Kinder- und Jugendbeteiligung beim LWL-Landesjugendamt in Münster seit dem 01.01.2014 Kinder und Jugendliche konkret dabei, ihre Beteiligungsmöglichkeiten vor Ort wahrzunehmen bzw. zu verbessern. Die Servicestelle entwickelt Angebote für ganz Nordrhein-Westfalen und ist Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, die sich in Entscheidungsprozesse auf kommunaler Ebene einbringen sowie für freie und öffentliche Träger, die sich hier engagieren wollen. Die Servicestelle sammelt, dokumentiert und verbreitet neue Modelle und Praxisansätze der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Nicht zuletzt unterstützt sie die Arbeit des Kinder- und Jugendrat (KiJuRat) NRW, der sich als landesweite Vertretung der Kinder- und Jugendgremien in Nordrhein -Westfalen versteht. 5. Partizipation und Teilhabe lassen sich nicht allein auf der Ebene von Strukturen, Ressourcen und Konzepten absichern. Was unternimmt die Landesregierung, um verlässliche und verbindliche Beziehungsangebote von Erwachsenen an Jungen (und Mädchen) zu schaffen, die angemessen Zeit, Raum und Sicherheit bieten für die gemeinsame Entwicklung partizipativer Praxen? Die Förderung von Teilhabe und Partizipation von Kindern und Jugendlichen und das Schaffen verlässlicher und verbindlicher Beziehungsangebote von Erwachsenen an Jungen (und Mädchen) gehören zu den konstitutiven Elementen der Kinder- und Jugendarbeit. In den Antworten auf die Fragen 1 und 4 wurde dies bereits ausführlich dargelegt. Hierauf wird verwiesen . Mit der 2. Revisionsstufe wurde im Kinderbildungsgesetz (KiBiz) für den Elementarbereich ein Bildungsverständnis verankert, das die Stärken der Kinder zum Ausgangspunkt ihrer alltagsintegrierten, ganzheitlichen Förderung macht. Ziel der Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsarbeit in der Kindertageseinrichtung und in der Kindertagespflege ist, das Kind (Jungen und Mädchen) in der Entwicklung seiner Persönlichkeit individuell, ganzheitlich und ressourcenorientiert herauszufordern und zu fördern. In den Antworten auf die Fragen 1 und 4 wurde dies bereits ausführlich dargestellt. Hierauf wird verwiesen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 11 In vielen Schulen beteiligen sich Lehrende und Lernende an bundes- bzw. landesweiten Initiativen wie „Demokratisch handeln“, „Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage“ oder setzen das Konzept „Erinnern für die Zukunft“ um. Erfolgskriterien dieser Gelegenheitsstrukturen sind dabei die Qualität und Ernsthaftigkeit der Teilhabechancen und Beteiligungsmöglichkeiten für junge Menschen und mit jungen Menschen. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 1 und 4 verwiesen. 6. Über welche konkreten Kapitel bzw. Titel erfolgt in den Einzelplänen des Landeshaushaltes 2015 die Förderung von Jungenarbeit? Das Kriterium „Förderung von Jungenarbeit" wird in nahezu allen Einzelplänen des Haushalts des Landes NRW erfasst, da es sich um eine sogenannte Querschnittsaufgabe handelt . Daher wird dies in den jeweiligen Einzelplänen nicht gesondert ausgewiesen. Somit liegen keine Daten darüber vor, in welchem Umfang eine entsprechende Förderung erfolgt. Für den Bereich der Schulen wird beispielhaft verwiesen auf die Antworten zu den Fragen 7, 11, 15, 19 und 35. Lediglich im Kinder- und Jugendförderplan des Landes ist die Förderung von Jungenarbeit explizit als Ziel festgehalten. Die Förderung erfolgt aus den Titeln 633 61 und 684 61 in Kapitel 040 des Einzelplans 07. II. BILDUNG UND BERATUNG Schule/Ganztag Vorbemerkung der Großen Anfrage Der gesellschaftliche Druck auf das Schulsystem – und teilweise auch auf die Freizeit – wirkt sich auf die Schülerinnen und Schüler aus. Sie müssen auf die gegebene Verdichtung und Beschleunigung reagieren. Hierdurch führen der Schulbesuch wie auch Freizeitverpflichtungen vielfach zu einer dauerhaften Stressbelastung – verbunden mit Selektionsgefahren im Hinblick auf individuelle Teilhabe und Entwicklungsmöglichkeiten. Auch hat sich die Situation in den Elternhäusern gewandelt: Originär elterliche Aufgaben werden heute vielfach in die Schulen/den Ganztag hineinverlagert. Schulen sind somit nicht nur Bildungsorte, sondern sie tragen zunehmende erzieherische Verantwortung. 7. Was unternimmt die Landesregierung, um Jungen gute, „jungen- und differenzgerechte “ Zugänge zu Bildung zu ermöglichen? Das Land ermöglicht allen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu bestmöglichen Bildungsabschlüssen . Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf seine wirtschaftliche Lage und Herkunft und sein Geschlecht ein Recht auf schulische Bildung, Erziehung und individuelle Förderung. Dieses Recht wird nach Maßgabe des Schulgesetzes für das Land Nordrhein -Westfalen gewährleistet. Die Schule achtet den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. Die Mädchen- und Jungenförderung erfolgt in Nordrhein-Westfalen innerhalb der individuellen Förderung, mittels derer jedes Kind mit all seinen Potenzialen und Talenten gefördert wird. Unterrichtsangebote berücksichtigen Unterschiede der Kinder bezüglich ihrer Vorkenntnisse , ihrer Sprachherkunft, ihres kulturellen Hintergrunds, ihres Lernstils, ihrer motiva- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 12 tionalen Lernbedingungen und ihres Geschlechts. Die Kategorie Geschlecht ist in diesem Zusammenhang nur ein Merkmal des Kindes neben zahlreichen anderen. Diese Grundsätze sind in den Richtlinien und Lehrplänen aller Schulform und Schulstufen verankert. Bereits der Elementar- und Primarbereich berücksichtigen beim Zugang zu Bildung die Wirkungen tradierter geschlechtsstereotyper Rollenmuster und Erwartungshaltungen , die Mädchen und Jungen schon bei ihrem Eintritt in die Schule entwickelt haben können . Deshalb legt die Grundschule ihre Arbeit als eine gezielte Mädchen- und Jungenförderung im Sinne der reflexiven Koedukation an. Es werden Lernarrangements geschaffen, in denen die Wissens- und Kompetenzvermittlung geeignet ist, evtl. bestehende Benachteiligungen zu beseitigen und Defizite auszugleichen. Für den Bereich der non-formalen Bildung ist mit Blick auf die Angebote und Maßnahmen der Kinder- und Jugendarbeit durch freie oder öffentliche Träger der Kinder- und Jugendhilfe festzuhalten, dass hier nach § 4 Kinder- und Jugendförderungsgesetz (KJFöG NRW) für die Träger die Verpflichtung besteht, „unterschiedliche Lebensentwürfe, sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten“ als gleichberechtigt anzuerkennen. Damit sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass Zugänge zu den Bildungsangeboten der Kinder- und Jugendarbeit mit Blick auf geschlechterbezogene Differenzen von Jungen und Mädchen in reflektierter Weise ermöglicht werden. In ihrer Antwort (Landtags-Drs. 16/7280) auf die Kleine Anfrage 2763 (Landtags-Drs. 16/6983) hat die Landesregierung darüber hinaus differenziert Maßnahmen zur Jungenförderung dargestellt, die dazu beitragen jungen- und differenzgerechte Zugänge zu Bildung zu ermöglichen. 8. Bereits die IGLU-Studie 2006 hat festgestellt, dass Jungen bei gleichen Kompetenzen tendenziell schlechter bewertet werden als Mädchen. Welche Schlüsse hat die Landesregierung hieraus gezogen und welche Bedeutung wird diesen Ergebnissen bei der Schulentwicklung beigemessen? Im Rahmen der Schul- und Unterrichtsentwicklung finden an Schulen geschlechtersensible individuelle Förderung und daraus resultierende systemische Maßnahmen zur Ausrichtung der pädagogischen Arbeit der Lehrkräfte statt. In den Richtlinien und Lehrplänen für die Grundschule in Nordrhein-Westfalen ist im Bereich der reflexiven Koedukation festgelegt, dass die Lehrkräfte Lernarrangements schaffen, in denen die Wissens- und Kompetenzvermittlung geeignet ist, evtl. bestehende Benachteiligungen zu beseitigen und Defizite auszugleichen . Ziel ist es, auf diese Weise den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, grundsätzliches Vertrauen in die eigene Stärke und Lernfähigkeit zu entwickeln. Die Kenntnis von Unterschieden in den Kompetenzprofilen von Jungen und Mädchen führt zur Sensibilisierung der Lehrkräfte, zur Weiterentwicklung deren Unterrichts und zur schulinternen Vereinbarung, Konzeptionierung und Durchführung gezielter Maßnahmen einer differenzierten Mädchen- und Jungenförderung. Im Rahmen der Schulentwicklung berücksichtigen schulinterne Konzepte (z.B. Leistungskonzept, Förderkonzept) immer auch den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter. Das Leistungskonzept, das auch im Rahmen der landesweiten Qualitätsanalyse vorzulegen ist, beinhaltet eine transparente und konkretisierende Darstellung von Leistungserwartungen und Leistungsbewertung und ist so auszurichten , dass es eine objektive Bewertung von Schülerleistungen gewährleistet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 13 9. Ebenso zeigen Studien, dass Jungen über deutlich geringere Lesekompetenz und geringeres Leseengagement verfügen. Gibt es wissenschaftliche Untersuchungen und /oder Erfahrungen in Nordrhein- Westfalen zu Projekten, Angeboten, Maßnahmen, die diesbezüglich einen Fokus setzen? Welche Konsequenzen lassen sich hieraus für eine Förderung von Lesekompetenz und Leseengagement von Jungen formulieren, die in die Breite gehen? Die durch empirische Studien belegten deutlichen Genderunterschiede im Bereich Lesen betreffen die Lesequantität, Lektürepräferenzen und die Lesekompetenz. Die jüngste OECD- Auswertung von PISA-Daten (März 2015) stellt fest, dass „15-jährige Mädchen gleichaltrigen Jungen gegenüber einen erheblichen Lesekompetenzvorsprung [haben], der bei digitalen Texten aber geringer ausfällt. In der Altersgruppe 16-29 Jahre sind laut der Erhebung über die Kompetenzen Erwachsener (PIAAC) keine nennenswerten geschlechtsspezifischen Unterschiede beim Lesen digitaler Texte festzustellen. (…) Wenn Jungen zu Männern heranwachsen , erwerben sie mit der Zeit im Beruf und im Leben insgesamt einen Teil der Lesekompetenz , die sie in der Schule nicht erworben haben.“ Wissenschaftliche Untersuchungen wie die Studie „Vorlesen im Kinderalltag“ der Stiftung Lesen, die die Lesesozialisation von Jungen analysiert hat, zeigen, dass die Lesesozialisation stark geprägt ist von den Rollenvorstellungen der Eltern. Jungen wachsen in einem Umfeld auf, in dem Lesen überwiegend weiblich geprägt ist. In der Familie lesen Mütter häufiger vor als Väter. Frauen lesen auch im klassischen Sinne häufiger Bücher als Männer. Zum geschlechterspezifischen Medienverhalten, das Kinder bei den Eltern beobachten, kommt das zur Verfügung stehende Medienangebot hinzu, welches die Bedürfnisse und Interessen von Jungen bedienen und eine Vielfalt von Rollenvorbildern in der Kinder- und Jugendliteratur bieten muss. Eine gendersensible Angebotsentwicklung – häufig spezifische Leseförderprogramme für Jungen – ist daher in Nordrhein-Westfalen seit vielen Jahren auch ein Thema in der Kooperation von Bibliotheken und Schulen. Beispiele dafür sind besonders gekennzeichnete Medienbestände, die Förderung männlicher Lesevorbilder oder die Ermittlung von spezifischen Leseinteressen von Jungen. Als eine unterstützende Maßnahme zur Förderung männlicher Lesevorbilder in NRW ist auch das Projekt der Stiftung Lesen „Mein Papa liest vor…“ zu nennen (unter Schirmherrschaft von Wirtschaftsminister Garrelt Duin und Schulministerin Sylvia Löhrmann), bei dem es um die Lesesozialisation im Elternhaus geht. Ein weiterer Schwerpunkt ist die gendersensible Reflexion von Leseförderangeboten der Schulen und die Entwicklung von schulischen Leseförderkonzepten, die unterschiedliche Präferenzen , Gewohnheiten, Stärken und Interessen von Jungen stärker als bislang aufgreifen und erweitern. Die aktuell im Auftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung von der Medienberatung NRW angebotene und gemeinsam mit der TU Dortmund entwickelte Qualifizierung „Experten für das Lesen“ für Lehrkräfte legt einen besonderen Schwerpunkt im Bereich Leseförderung mit digitalen Medien. 10. Welche Maßnahmen will die Landesregierung ergreifen, um einseitig geschlechtsspezifischen Zuschreibungen in Schulbüchern und Lehrmaterial entgegen zu wirken? Schulbücher und andere Lernmittel dürfen nur zugelassen werden, wenn sie den Richtlinien, Rahmenvorgaben und Lehrplänen entsprechen und kein diskriminierendes Verständnis fördern (§§ 29, 30 Schulgesetz). Für die einzelnen Lernmittel wird im Rahmen des Lernmittelzu- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 14 lassungsverfahrens die Übereinstimmung mit den Inhalten dieser Unterrichtsvorgaben überprüft . Die Landesregierung hat für die Schulen in Nordrhein-Westfalen verbindliche Kernlehrpläne eingeführt. Diese sind ein wesentliches Element eines zeitgemäßen umfassenden Gesamtkonzepts für die Entwicklung und Sicherung der Qualität schulischer Arbeit. Für diese neue Form kompetenzorientierter Unterrichtsvorgaben wurden auch von der Kultusministerkonferenz länderübergreifende Bildungsstandards vorgelegt. In den Richtlinien, Rahmenvorgaben und Kernlehrplänen sind deutliche Vorgaben zur Berücksichtigung der Geschlechtergerechtigkeit und einer geschlechtersensiblen Bildung und Erziehung festgelegt. Diese finden anhand von Gutachtenformularen z. B. in den Bereichen Berufsorientierung oder Werteerziehung Berücksichtigung. 11. Inwieweit werden Schulen und Lehrkräfte darin unterstützt, sich im Bereich Jungenarbeit strukturell, konzeptionell und professionell weiter zu entwickeln? Welche Institutionen und Vernetzungsstrukturen werden hierfür genutzt? Wie werden Qualitätsstandards abgesichert? In Nordrhein-Westfalen ist eine geschlechtersensible schulische Bildung, die Jungen und Mädchen jenseits tradierter geschlechtsbezogener Rollenzuschreibungen individuell fördert, strukturell und systematisch angelegt. Eine ausführliche Darstellung der systematischen Verankerung findet sich im Ressortbericht des Ministeriums für Schule und Weiterbildung an den Ausschuss für Schule und Weiterbildung vom 18.11.2014 zur Umsetzung des Gender- Mainstreaming-Ansatzes (Vorlage Drs. 16/2465). So sind zum Beispiel Kenntnisse einer geschlechtersensiblen, reflektierten Koedukation verbindlich in die Ausbildung der Lehrkräfte einbezogen. Richtlinien und Lehrpläne greifen – auch im Rahmen der Neuausrichtung als kompetenzorientierte Kernlehrpläne – Gender- Aspekte in der Inhalts- bzw. Kompetenzbeschreibung auf. Der Referenzrahmen Schulqualität – ein Projekt der Qualitäts- und Unterstützungs-Agentur – Landesinstitut für Schule (QUA- LiS NRW) im Auftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung – zeigt in fünf Inhaltsbereichen anhand von Kriterien und aufschließenden Aussagen auf, was in zentralen Inhaltsfeldern und Dimensionen unter guter Schulqualität verstanden wird, und macht in seinen aufschließenden Aussagen dabei auch die Aspekte einer geschlechtersensiblen Bildung und Förderung in Schule deutlich. Zurzeit wird in QUA-LiS ein Online-Unterstützungsportal zum Referenzrahmen Schulqualität entwickelt, das die Lehrkräfte auch mit praxisorientiert aufbereiteten Materialien zu den Geschlechteraspekten unterstützen wird. Fortbildung begleitet Schulen in ihren Entwicklungsprozessen und erweitert die professionelle Kompetenz des Schulpersonals (Lehrkräfte, pädagogische und sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Schulleitungen) für ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag. Fortbildung unterstützt insbesondere die professionelle Weiterentwicklung im Bereich der geschlechtersensiblen Didaktik, Methodik und Schulentwicklung. Der Grundlagenerlass zur Fort- und Weiterbildung (BASS 20–22 Nr. 8) verlangt in Abschnitt 1.1 die Weiterentwicklung der Gender-Kompetenz des Schulpersonals. Diese Weiterentwicklung ist vom jeweiligen Kollegium im Schulprogramm als Fortbildungselement zu verankern. Bei Bedarf kann hier ein Schwerpunkt auf Jungenförderung gelegt werden. Hilfestellung zum Thema bieten – neben freien Anbietern – die bei den staatlichen Schulämtern gebildeten Kompetenzteams. Ein ausdrücklicher Auftrag der dort tätigen Moderatorinnen und Moderatoren ist die Unterstützung im Umgang mit „Gender“, also der Geschlechtererziehung . Schwerpunkt des Einsatzes der Moderationsteams, die dieses Thema bedienen, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 15 kann die Schulentwicklungsberatung zum Thema Gender, die Begleitung diesbezüglicher fachlicher oder fächerübergreifender Unterrichtsfragen, die Medien- und Lernmittelberatung sowie die Hilfe bei der Unterstützung durch andere Partner sein. „Gender-Kompetenz“ ist eine Standardanforderung an Moderatorinnen und Moderatoren. Die Kompetenzteams arbeiten wissenschaftsbasiert und entwickeln bedarfsgerecht Fortbildungsmodule , die von den Schulen nachgefragt werden können. Beispielhaft können genannt werden: Kompetenzzentrum (KT) Rhein-Erft-Kreis, Bonn, Euskirchen: „Reflexive Koedukation “, KT Rhein-Sieg: „Geschlechtsspezifische Aufgabenfelder der schulischen Medienpädagogik “, KT Recklinghausen: „Jungen lesen anders“, KT Leverkusen: „Ansätze einer Jungen- und Mädchenförderung“. Innerhalb der einzelnen Schule kann auch die Ansprechpartnerin für Gleichstellungsfragen – neben ihren Aufgaben der gleichstellungsrechtlichen Beteiligung – pädagogische Impulse an das Kollegium für die Beschäftigung mit Fragen der Jungen- und Mädchenförderung geben. 12. Welche Qualifizierungen und Fortbildungen sowie Beratungsangebote zu jungenspezifischen Themen gibt es für Schulen und Lehrkräfte sowie an Schulen tätige (sozialpädagogische) Fachkräfte? Wie werden diese in Anspruch genommen? Auf die Antwort zu Frage 11 wird verwiesen. Über den Umfang der Inanspruchnahme der einzelnen Angebote liegen der Landesregierung keine Daten vor. 13. Jungen sind in einem erhöhten Maße von Selektionsprozessen in die jeweils nächstniedrigere Schule (Qualifikationsniveau) und von Schulversagen betroffen . Was unternimmt die Landesregierung, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken und Konzepte einer inklusiven Pädagogik und Bildung, die auch Jungen entgegenkommt, zu fördern? In der 14. Legislaturperiode wurde die damalige Landesregierung in dem vom Landtag beschlossenen Antrag „Jungen fördern – ohne Mädchen zu benachteiligen – Durch individuelle Förderung die Geschlechtergerechtigkeit in der Schule weiter verbessern“ (Landtags- Drs.14/4488) aufgefordert, ein Maßnahmenbündel zur individuellen und gezielten Förderung in der Grundschule sowie in den weiterführenden Schulen zu entwickeln, das Jungen und Mädchen unter Berücksichtigung ihres individuellen Potenzials stärker differenziert fördert und so die Grundlage für eine Verbesserung der Geschlechtergerechtigkeit in der Schule bilden kann. In ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage 2763 (Landtags-Drs.16/7280) stellt die Landesregierung detailliert die von ihr umgesetzten Maßnahmen zur Erreichung dieses Zieles dar, auf die an dieser Stelle verwiesen wird. Die dort genannten Maßnahmen tragen maßgeblich dazu bei, Schulversagen sowie Abschulungen in die jeweils nächstniedrigere Schulform sowohl von Jungen als auch von Mädchen entgegenzuwirken. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 16 14. Inwieweit wird den Bedarfen von Jungen in den jetzt geplanten Gesetzen zur sozialen Inklusion und zur Kulturförderung Rechnung getragen? Der Referentenentwurf eines Ersten allgemeinen Gesetzes zur Stärkung der Sozialen Inklusion in Nordrhein-Westfalen verankert Grundsätze zur Förderung inklusiver Lebensverhältnisse aller Menschen mit Behinderung und damit auch der von Jungen mit Behinderung. Das am 24.12.2014 in Kraft getretene Kulturfördergesetz (KFG) legt in § 4 Abs. 3 einen Schwerpunkt auf die Förderung der kreativen Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen. Sie sollen die Möglichkeit haben, ihre Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeit, ihren ästhetischen Eigensinn und ihre künstlerischen Talente zu erproben und weiterzuentwickeln. Es verpflichtet weiterhin, dass bei der Erarbeitung entsprechender kultureller Bildungsangebote nach § 5 Abs. 3 KFG grundsätzlich auf die Eignung geachtet werden soll, auch Menschen zu erreichen, die aufgrund ihrer Herkunft, ihres Alters, ihres Geschlechts oder aufgrund einer Behinderung bisher nicht oder in nicht hinreichendem Maß am kulturellen Leben teilhaben können. 15. Wie erklärt die Landesregierung die „Überrepräsentanz“ von Jungen in Schulen mit besonderem Förderbedarf und bei „Sitzenbleibern“? Ist das Thema in der Auseinandersetzung rund um die Schulentwicklung? Zudem stammen 9 von 10 Jungen mit besonderem Förderbedarf aus sogenannten „bildungsfernen“ Milieus. Was konkret unternimmt die Landesregierung diesbezüglich, um Jungen hier bessere Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten? Der Begriff „besonderer Förderbedarf“ ist wissenschaftlich nicht eindeutig definiert. Einigkeit besteht darüber, dass es sich dabei um einen individuellen Förderbedarf handelt, auf den die Schule mit darauf abgestellten individuellen Maßnahmen und Angeboten reagiert. Dieser „besondere Förderbedarf“ ist nicht gleichzusetzen mit einem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung gemäß Ausbildungsordnung Sonderpädagogische Förderung (AO-SF). Daraus folgt, dass die Gruppe der Schülerinnen und Schüler mit besonderem Förderbedarf im Sinne der Fragestellung keine klar definierte Gruppe ist, der Schülerinnen und Schüler anhand eindeutiger Kriterien zugeordnet werden könnten. Nach den Amtlichen Schuldaten des Schuljahres 2014/15 kann der Anteil der Klassenwiederholungen , differenziert nach Geschlecht, der nachstehenden Tabelle entnommen werden. Schulform Wiederholerquote Mädchen Wiederholerquote Jungen Grundschule 0,4% 0,4% Hauptschule 6,1% 6,3% Realschule 2,7% 4,1% Sekundarschule 0,9% 1,6% Gemeinschaftsschule 0,3% 0,4% Gesamtschule (Sek. I) 1,0% 1,2% Gymnasium (Sek. I) 0,9% 1,9% Die Gründe für die in der Regel bei den Jungen höheren Wiederholerquoten sind vielschichtig . Internationale Studien zeigen, dass eine Reihe von Faktoren Einfluss auf individuelle Bildungslaufbahnen nehmen. Dazu zählt auch der sozio-kulturelle Hintergrund. Diesem ist zur Vermeidung möglicher Benachteiligungen besondere Aufmerksamkeit zu widmen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 17 Mit 3.828 Stellen (Schuljahr 2015/16) zum Ausgleich für Unterrichtsmehrbedarf für durchgängige Sprachbildung, Sprachförderung und interkulturelle Schul- und Unterrichtsentwicklung zur Integration durch Bildung unterstützt die Landesregierung Schulen aller Schulformen . Im Mittelpunkt vieler schulischer Maßnahmen und Angebote zur individuellen Förderung steht der Erwerb von Basiskompetenzen, insbesondere in der Schulsprache Deutsch. An zahlreichen Hauptschulen sind unterstützend Moderatorinnen und Moderatoren der örtlichen Kompetenzteams für Fortbildung als sogenannte SprachFörderCoaches im Einsatz, die die Schulen bei der Entwicklung eines ganzheitlichen Konzepts zur durchgängigen Sprachbildung beraten. An vielen Schulen werden in diesem Kontext auch besondere Angebote für die Förderung von Jungen entwickelt. Insofern ist die systematische Förderung von Jungen Teil der Schul- und Unterrichtsentwicklung. Auch mithilfe des Vorhabens „Bildung durch Sprache und Schrift“ (BiSS) soll langfristig die durchgängige Sprachbildung gefördert werden. Im Rahmen eines fünfjährigen Programms werden die in den Bundesländern eingeführten Angebote zur Sprachförderung, Sprachdiagnostik und Leseförderung für Kinder und Jugendliche im Hinblick auf ihre Wirksamkeit und Effizienz wissenschaftlich überprüft und weiterentwickelt. Dafür arbeiten Verbünde aus Kindertageseinrichtungen und Schulen eng zusammen, setzen abgestimmte Maßnahmen der Sprachbildung und Sprachförderung um und tauschen ihre Erfahrungen darüber aus. Das Ganze wird wissenschaftlich ausgestaltet und koordiniert von einem Trägerkonsortium, das den am Programm Beteiligten ein Beratungs- und Unterstützungssystem zur Verfügung stellt. 16. Aufgrund der im Vergleich zu Mädchen im Durchschnitt eher schlechteren Abschlüsse kann es für Jungen zukünftig vermehrt zu Schwierigkeiten bzgl. der Realisierung von Berufswünschen kommen, insbesondere mit Blick auf zulassungsbeschränkte Studienfächer (NC) und Ausbildungsplätze mit hohen Anforderungen . Was unternimmt die Landesregierung, um Jungen diesbezüglich weitere Perspektiven zu eröffnen? Nach den aktuellen Angaben des statistischen Bundesamtes sind männliche Studierende in Nordrhein-Westfalen nicht unterrepräsentiert; sowohl bei den Studienanfängern als auch bei den Studierenden sind männliche Studierende leicht in der Überzahl. Mit der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) ist ein geschlechtersensibles Gesamtsystem des Übergangs von der Schule in den Beruf eingeführt worden, das die Belange beider Geschlechter berücksichtigt. Das geltende Hochschulzulassungsrecht bietet keine Grundlage, um einen Bewerber aufgrund seines Geschlechts bevorzugt zuzulassen. Das Hochschulzulassungsgesetz und die Vergabeverordnung kennen sowohl für die Studiengänge im bundesweiten Vergabeverfahren (Medizin und Pharmazie) als auch im sog. Orts-NC-Verfahren Quoten und Rangfolgen für besondere Bewerbergruppen; hierzu gehören beispielweise ausländische Staatsangehörige und Fälle außergewöhnlicher Härte. Außerdem besteht ausnahmsweise die nachträgliche Notenverbesserung des Abiturzeugnisses beispielsweise bei einer Erkrankung während der Abiturphase, wenn nachgewiesen wird, dass der Bewerber unter normalen Umständen eine bessere Durchschnittsnote erzielt hätte. Eine Änderung des Hochschulzulassungsrechts mit dem Ziel, den Anteil von Studierenden des jeweils in einem bestimmten Studiengang unterrepräsentierten Geschlechts zu heben, verstößt in zulassungsbeschränkten Studiengängen gegen den Gleichheitsgrundsatz und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 18 das Recht auf freie Berufswahl. Inwieweit das Geschlecht überhaupt ein Anknüpfungspunkt für Zulassungsentscheidungen im Studium sein kann, ist sehr fraglich. Es entspricht nicht der Grundkonzeption des Hochschulzulassungsrechts und seiner auf einzelne, kleine Fallgruppen ausgerichteten Sonderbestimmungen, pauschal eine auf einem persönlichen Merkmal wie dem Geschlecht beruhende statistisch geringere formale Qualifikation – eine schlechtere Abiturnote – zu kompensieren. Der Einführung einer Geschlechterquote bei Studiengängen steht nicht nur entgegen, dass in großem Maßstab das Leistungsprinzip ausgehebelt würde. Sie wäre in Bezug auf das zu erreichende Ziel ungeeignet, wenn das Ungleichgewicht der Geschlechter auf ein geringeres Interesse der Bewerber und damit nicht auf eine schlechtere Durchschnittsnote zurückzuführen ist. Darüber hinaus sinkt die Zahl der Studiengänge mit einer Zulassungsbeschränkung; im Studienjahr 2015/2016 werden voraussichtlich rund 52 Prozent der angebotenen Studiengänge der Erstausbildung an Universitäten und Fachhochschulen des Landes zulassungsfrei sein. 17. Das für beide Geschlechter beliebteste Schulfach ist Sport. Insbesondere für Jungen ist der Sport zentrales Medium des Selbstausdrucks und der Kommunikation . Gleichzeitig wird das körperlich expressive Verhalten von Jungen in pädagogischen Kontexten häufig als störend eingestuft und entsprechend sanktioniert . Welche Maßnahmen gibt es bzw. plant die Landesregierung, um Schule als Lernund Lebensraum so zu gestalten, dass dem Schulsport und den Bewegungsbedürfnissen junger Menschen – insbesondere von Jungen – mehr Raum gegeben wird? Bewegung, Spiel und Sport gehören zu den häufigsten und wichtigsten Aktivitäten von Jungen und Mädchen. Sie bieten daher auch in besonderer Weise Ansatzpunkte einer spezifischen Jungenförderung. Diese ist ein Baustein des Schulsports. Die Jungenförderung basiert u. a. auf den Rahmenvorgaben für den Schulsport. Diese weisen pädagogische Perspektiven und Bewegungsbereiche aus, die für die unterschiedliche Planung und Gestaltung des Sportunterrichts Orientierungen und konkrete Hinweise für eine geschlechtersensible Ausgestaltung des Sportunterrichts geben. Ergänzend werden im Schulsportportal www.schulsport-nrw.de Praxishilfen für Lehrkräfte angeboten. Im Informationsfeld „Fortbildung“ ist auf der Startseite die Handreichung Reflexive Koedukation im Sportunterricht zu finden (http://www.schulsportnrw .de/info/03_fortbildung/jumaedschulsport/JunMaeindex.html). Sie enthält ein Konzept für eine geschlechtersensible Erziehung und Bildung im Sportunterricht und gibt fachpädagogische und fachdidaktische Begründungen für eine Auswahl der für die reflexive Koedukation besonders bedeutsamen Praxisbereiche. Diese Handreichung wird durch eine Vielzahl von Praxisbespielen und Vorlagen ergänzt, z. B. über Projektbeschreibungen wie „Konfliktbewältigung (Rücksicht macht Schule)“. Sie beinhaltet u. a. eine Maßnahme für Jahrgangsstufe 6: "Junge – Mädchen: Wer hat es besser?". In Kooperation mit der Sportjugend Nordrhein-Westfalen wurden vom Landessportbund die „Handreichung für die Reflektierende Jungenarbeit im Sport“ (http://www.wir-imsport .de/templates/dokukategorien/dokumanagement/psdoc/file/84/27_8Doku_E3fb89f1fd31 3c.pdf) erstellt sowie Bildungsveranstaltungen, in denen der jungenbewusste Ansatz umgesetzt wurde, im Rahmen der „Sportlichen Erlebniswoche für Jungen“ dokumentiert. Diese Handreichung und weitere Berichte über Projekte und Maßnahmen in der Jungenarbeit des LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 19 Landessportbundes NRW sind im Internet zu finden (http://www.wir-imsport .de/templates/sportjugend/show.php3?id=351&nodeid). Im Rahmen der Landesinitiative "Fit durch die Schule" in Kooperation mit der AOK Rheinland /HH werden aktuell folgende Projekte unterstützt und gefördert: Hauptschule Alstaden Oberhausen: „Fußball – Fit und Fair durch den Alltag“ Gesamtschule Kaiserplatz Krefeld: „Jungen ertanzen sich die Umgebung der Schule und ihnen unbekannte Orte der Stadt“ Robert-Schumann-Europaschule Willich: „Gesundheits- und Gewaltprävention/ Ich- Stärkung“ Private kath. Förderschule im Hermann-Josef-Haus Urft: „Vogel fliegt, Fisch schwimmt, Mensch läuft – Laufen als Grundlage vieler Sportarten“ Europaschule Herzogenrath: "Starke Jungs erkennen und überwinden Grenzen – Wer Respekt gibt, bekommt Respekt zurück! – Maßnahmen zur Förderung von Körpererfahrung , Selbstvertrauen und Konfliktfähigkeit bei Jungen von zehn bis dreizehn “ Georg Forster-Gymnasium Kamp-Lintfort: „Martial Arts Coaching – der Weg zum friedvollen Krieger“ Eduard-Mörike-Schule Köln „Aufbau eines Kanuteams, das mit jüngeren Schülern Wasseraktivitäten durchführen kann“ Außerdem hat Schulministerin Sylvia Löhrmann die Schirmherrschaft im Kölner Projekt „kicken & lesen" übernommen. 18. Das „Nicht-Funktionieren“ von Jungen im Schulsystem wird zunehmend pathologisiert (siehe deutlicher Anstieg von ADHS- und Asperger Syndrom- Diagnostiken). Welche Maßnahmen sind im Kontext von Schule und im Gesundheitswesen geplant , um dieser Entwicklung entgegen zu wirken? Zu der These einer zunehmenden Pathologisierung insbesondere in Bezug auf ADHS- und ASS-Diagnostiken im Schulsystem liegen der Landesregierung keine Statistiken vor. Diagnostik in schulischen Kontexten bezieht sich auf pädagogische Diagnostik, die – in Abgrenzung zur medizinischen Diagnostik – im Kern dazu dient, Lernausgangslagen bezogen auf die pädagogische Arbeit im Unterricht zu beschreiben und entsprechende individuelle Unterstützungsempfehlungen für den Unterricht zu vereinbaren. Im Schulbereich werden – wenn solche Auffälligkeiten beschrieben worden sind – pädagogische Lösungen gesucht, die sich insbesondere in unterrichtsimmanenten Maßnahmen widerspiegeln (beispielhaft sind hier individuelle didaktisch-methodische Strukturierungshilfen, reizarme Lernumgebung, Timeout -Sequenzen, klare Verhaltensregeln zu nennen). Daten zur medizinischen Versorgung der oben genannten Diagnosen werden in der Antwort auf Frage 54 dargestellt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 20 19. Didaktisch und konzeptionell flexiblere Schulen tragen dazu bei, dass die vielfältigen Ressourcen von Jungen (und Mädchen) zum Tragen kommen können. Welche Angebote, Maßnahmen, Versuche, innovativen Schulkonzepte gibt es aktuell, in denen non-formale Bildung stärker anerkannt wird? Kompetenzorientierte Lehrpläne und deren Umsetzung in schulinterne Curricula lassen selbständigen Schulen einen breiten Spielraum, sowohl in der Gestaltung von Lernphasen und - methoden wie auch in Leistungsüberprüfungen genderspezifische Gesichtspunkte zu berücksichtigen . So sind z.B. differenzierte Auswahl von Lektüren sowie variierende Überprüfungsformate , die den Stärken der Geschlechter in gleichberechtigter Weise Rechnung tragen , im Rahmen der Kernlehrpläne möglich. Ebenfalls gibt es Erfahrungen mit phasenweise geschlechtergetrenntem Unterrichten im Wahlpflichtbereich der Sekundarstufe I sowie im Sport. Die neue Lehrplangeneration ermöglicht also innovative Konzepte vor Ort, die allerdings nicht zentral vorgegeben werden. Die Würdigung außerschulischer Leistungen ist ein wesentliches Element zur Stärkung der Anerkennungskultur und Teil der Empfehlungen des Runden Tisches zu G8/G9. Die Ausbildungs - und Prüfungsordnungen für die Sekundarstufe I und II setzen hierfür den erforderlichen Rahmen. Non-formale Bildung ist in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen zwölf Jahren insbesondere durch den Auf- und Ausbau von Ganztagsschulen sowohl im Primar- als auch Sekundarbereich stärker anerkannt worden. In den außerunterrichtlichen Angeboten der Ganztagsschulen erhalten die Jungen und Mädchen eine sehr breite Palette von Möglichkeiten, eigenen Interessen nachzugehen bzw. neue zu entdecken, Sport zu treiben, kulturelle Bildungsangebote wahrzunehmen, mit neuen Sprachen in Berührung zu kommen. In der offenen Ganztagsschule im Primarbereich sind die Träger der außerunterrichtlichen Angebote der Ganztagsschule zu über 80 Prozent anerkannte Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Die Kinder- und Jugendhilfe ist ein Vermittlungsort non-formaler Bildung. Die Angebote dieser Träger im Ganztag orientieren sich an den Interessen der Jungen und Mädchen, ermöglichen ihre Beteiligung und regen Selbstbildungsprozesse an. Schulen, die sich im Primarund Sekundarbereich zu Ganztagsschulen weiterentwickeln, werden somit zu Bildungsorten und Lernwelten für Jungen und Mädchen, an denen non-formale Bildung per se stärker anerkannt wird. Über den Aspekt des Ganztagsausbaus hinaus, der in Nordrhein-Westfalen in der Regel mit der Einbeziehung außerschulischer Bildungspartner einhergeht, ist die Entwicklung von Regionalen Bildungsnetzwerken und kommunalen oder lokalen Bildungslandschaften in Nordrhein -Westfalen für die Frage der Stärkung non-formaler Bildungsprozesse für Jungen und Mädchen von hoher Bedeutung. Das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport fördert über den Kinder- und Jugendförderplan Projekte der Kinder- und Jugendarbeit in kommunalen Bildungslandschaften. Dadurch werden non-formale Angebote von offenen Einrichtungen, von Jugendverbänden und anderen Trägern der Jugendarbeit stärker mit dem formellen Bildungsbereich vor Ort vernetzt. Ziel dabei ist die umfassende Förderung gelingender Bildungsbiografien von Kindern und Jugendlichen. Schließlich haben der Bund und die Länder im Jahr 2013 den gemeinsamen Beschluss zur Einführung des Deutschen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (DQR) gefasst. In diesen wurden bereits formale Qualifikationen des deutschen Bildungssystems eingeordnet. Es sollen zukünftig auch Lernergebnisse aus dem non-formalen Bereich in den DQR einbezogen werden. Die Landesregierung bringt sich in diesen Prozess ein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 21 20. Schule ist nicht nur Ort formaler Bildung und Wissensvermittlung, sondern auch demokratischer Erziehung. Welche Konzepte partizipativer Mitentwicklung von Schule durch Jungen (und Mädchen) werden erprobt und/oder weiterentwickelt? Werden diesbezüglich derzeit landesweite Konzepte umgesetzt und evaluiert? Demokratiebildung ist Aufgabe in allen Fächern. Die Landesregierung ermutigt alle Schulen, alle Lehr- und Fachkräfte in den Schulen und alle, die gerne mit Schulen zusammenarbeiten möchten, ihre Ideen in die Entwicklung einer demokratisch-kulturellen Schul- und Unterrichtsentwicklung einzubringen. Demokratische Bildung geschieht in allen Zusammenhängen, in denen Demokratie, Bildung für nachhaltige Entwicklung, soziales und gemeinsames Lernen, Geschlechtergerechtigkeit, Erinnerungskultur oder auch Inklusion und Integration im weitesten Sinne eine Rolle spielen. Die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern in der Schule ist nur ein – wenn auch ein wesentlicher – Baustein für eine demokratische Schulkultur. Demokratische Schulkultur bedeutet mehr als nur die Wahl von Klassen- und Schulsprecherinnen und -sprechern. Schulen der Zukunft sind demokratische Schulen, in denen Partizipation und Engagement für Menschenrechte , Freiheit, Demokratie und nachhaltige Entwicklung Lehrplan, Unterricht, Projekte und Schulkultur prägen. Dies wird auch im für alle Schulen verbindlichen Referenzrahmen Schulqualität ausdrücklich formuliert. Die Landesregierung fördert und unterstützt mehrere Programme, Projekte und Initiativen zur historisch-politischen Bildung: Landeskampagne „Schule der Zukunft - Bildung für Nachhaltigkeit“ Förderprogramm „demokratisch handeln“, Wettbewerb „Jugend debattiert“, Buddy e. V. (Kinderrechte), Service-learning „sozial genial“, „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie“, die Bildungspartnerschaften „Gedenkstätte-Schule“ sowie „Archiv-Schule“ „Europaschulen“. In allen diesen Programmen werden Formen der Partizipation, auch im Hinblick auf die besonderen Interessen und Beteiligungsmöglichkeiten von Mädchen und Jungen konzipiert und erprobt. In Vorbereitung ist auch eine eigenständige Fortbildungsmaßnahme mit dem Titel „Schulkultur entwickeln – Demokratie gestalten“, die sich an dem Referenzrahmen Schulqualität und den genannten Projekten orientiert. 21. Wie bewertet die Landesregierung Ansätze und Konzepte zur Frage der Umsetzung geschlechterbezogener Schulkonzeptionen (u.a. – evtl. auch teilweise – geschlechtshomogene Jungenklassen oder Unterrichtsgestaltung)? Nach dem Willen des Gesetzgebers werden Jungen und Mädchen in nordrheinwestfälischen Schulen in der Regel gemeinsam unterrichtet (Koedukation, § 2 SchulG). Der Grundsatz der Koedukation ist danach als Regel aufgestellt. Dies lässt es zu, dass abweichend einzelne Schulen als Mädchen- oder Jungenschulen geführt werden können. Außer- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 22 dem besteht die Möglichkeit, Mädchen und Jungen zeitweise auch getrennt in einzelnen Unterrichtsbereichen zu unterrichten. In der schulpädagogischen Forschung wird über Vorzüge und Nachteile geschlechtergetrennten Unterrichts (Monoedukation) nach wie vor kontrovers diskutiert, und es hat sich bislang keine einheitliche und unangefochtene Lehrauffassung über ihre pädagogische Wertigkeit herausgebildet (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.01.2013 - 6 C 6/12 - RN 32, hier zu monoedukativen Schulen). Die Herausforderung von geschlechterbezogenen Schulkonzeptionen bzw. geschlechtersensiblen unterrichtlichen Settings besteht darin, der einengenden Manifestation von Geschlechterrollen von „typisch weiblich“ und „typisch männlich“ entgegenzuwirken, ohne durch Inhalte und / oder Methoden diese Prägungen erst bewusst herzustellen oder zu verfestigen und insofern die Geschlechterdifferenzen zu betonen. Eine rein organisatorische Trennung von Mädchen und Jungen (Mono-Edukation) oder ein Lernmittelangebot, das an angenommenen Interessen „der“ Jungen (bzw. „der“ Mädchen) ansetzt, bietet insofern noch keine Gewähr dafür, dass Geschlechterstereotype nicht reproduziert und verstetigt werden. Damit einhergehen muss eine kritische Reflexion aller eingesetzten didaktischen Mittel sowie der Haltung der Lehrpersonen in Bezug auf ihre Vorbildfunktion für das Rollenbild von Mann bzw. Frau, um die Vielgestaltigkeit der Vorstellungen darüber zu erweitern, was als männlich (oder weiblich) akzeptiert wird. 22. Der Anteil männlicher Lehrkräfte ist in den letzten Jahren in allen Schulformen zurückgegangen und wird vermutlich noch weiter zurückgehen. Ohne dass bewusst Jungen benachteiligt werden, kann eine solche Entwicklung aber dazu führen, dass die Institution Schule von Jungen als eher weiblich konnotiert betrachtet wird. Möglicherweise hemmt das die eigene Bildungsaspiration. Auch kann es sein, dass sich institutionelle Umgangsformen und Selbstverständnisse so verändern, dass sie eher dem Verhalten von Mädchen als dem von Jungen entsprechen. Welche Bestrebungen unternimmt die Landesregierung, um den Anteil männlicher Lehrkräfte und Fachkräfte im Schulwesen zu erhöhen? Welche konkreten Ansätze gibt es bereits für diese Legislaturperiode? Das Ministerium für Schule und Weiterbildung betreibt seit Jahren eine spezifische Lehrkräftewerbung , die u.a. auch auf die Thematik der Erhöhung des Anteils männlicher Lehrkräfte insbesondere an Grundschulen verweist. Unterstützt wird die Werbung mit einschlägigen Materialien (internetgestützte Informationen, Imagefilm, Broschüre und weitere Printmaterialien ), durch Messeauftritte (z.B. Abi-Messe, Einstieg, bonding, didacta, Jobmesse Dortmund) und Veranstaltungen. Einen besonderen Schwerpunkt der Lehrkräftewerbung bildet das Lehramt an Berufskollegs. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung hat mit Unterstützung des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung, den Vertretern von Spitzenverbänden der Wirtschaft , den Lehrerverbänden der Berufskollegs und interessierten Hochschulen des Landes die gemeinsame Initiative „TeachFuture“ – Zukunftsberuf Lehrer/in am Berufskolleg“ ins Leben gerufen. Bestandteil dieser Bemühungen sind auch Aspekte der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. An den Universitätsstandorten Aachen, Münster, Paderborn, Siegen und Wuppertal werden jährlich gemeinsam mit den Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung, den Bezirksregierungen und den regionalen Berufskollegs Aktionstage mit enger persönlicher Ansprache und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 23 praxisorientierter Beratung für Oberstufenschülerinnen und Oberstufenschüler sowie Studieninteressierte durchgeführt. Am 15.06.2015 wurde das Landesprüfungsamt für Lehrämter an Schulen in Dortmund als landesweite zentrale Anlaufstelle für Fragen zum Lehrerberuf an Berufskollegs etabliert. Durch die Konzentration von Wissen und Kompetenzen soll die Beratungsqualität deutlich gesteigert werden. Kinder- und Jugendhilfe/Beratung Vorbemerkung der Großen Anfrage Im Kontext von Bildung ist es notwendig, auch über Planung und Durchführung von Angeboten an dritten Bildungs- und Lernorten, also der außerfamilialen und außerschulischen nonformalen Bildung (jugendkulturelle Arbeit, Offene Kinder- und Jugendarbeit, Jugendverbandsarbeit , Sportvereine) und Beratung nachzudenken. 23. Eine zentrale Möglichkeit der Steuerung bietet der Kinder- und Jugendförderplan NRW. Es stellt sich die Frage, inwieweit dieser geschlechterbezogen mit Blick auf Jungen als auch auf Mädchen „aufgestellt“ ist. Welche Projekte gibt es außerhalb von Pos. 5.1 und 5.2, in denen eine geschlechtsspezifische Perspektive auf Jungen als Qualitätsmerkmal benannt ist bzw. welche Projekte sind diesbezüglich geplant? Wie bereits in der Vorbemerkung ausgeführt ist die geschlechterdifferenzierte Betrachtung in der Jugendarbeit ein zentrales Merkmal und gesetzlich normiert. Dies gilt auch für den Kinder - und Jugendförderplan des Landes, der auf diesen gesetzlichen Grundlagen fußt. Auch hier ist geregelt, dass die Angebote die unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse von Mädchen und Jungen berücksichtigen müssen. Insoweit ist der Kinder- und Jugendförderplan des Landes Nordrhein-Westfalen geschlechterbezogen „aufgestellt". Dies findet seinen Ausdruck auch darin, dass die Landesjugendämter als Bewilligungsbehörden für die Förderung aus dem Kinder- und Jugendförderplan bei Projektanträgen grundsätzlich „Geschlechtsspezifik " als ein Qualitätskriterium bei der Antragsprüfung bewerten. Dies geht in die Bewilligungsentscheidung ein. Da jedoch dabei nicht nach „Jungen" und „Mädchen" differenziert wird, ist eine flächendeckende Auswertung über alle Projektanträge nicht möglich, die eine vollständige Beantwortung des zweiten Teils der Frage zulässt. Aufgrund der Projekttitel sind lediglich einige Projekte für das Jahr 2014 eindeutig identifizierbar . Im Einzelnen sind dies (Pos. 4.2.1): Verbund Sozialtherapeutischer Einrichtungen e.V. o „Gewaltprävention durch Kampfesspiele mit Jungen“ o „Gewaltprävention durch Kampfesspiele mit Jungen in der Johannesschule MS-Hiltrup“ Durchführungszeitraum 01.09. – 07.12.2014 o „Gewaltprävention durch Kampfesspiele mit Jungen in der Johannesschule MS-Hiltrup“ Durchführungszeitaum 02.06. – 04.07.2014 o „Gewaltprävention durch Kampfesspiele mit Jungen in der Marienschule in MS-Hiltrup“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 24 o „Gewaltprävention durch Kampfesspiele mit Jungen in der Hauptschule in MS-Wolbeck“ AWO Bezirk Westl. Westfalen e.V. o „Wilde Jungs – ein präventives Coolnesstraining für Jungs“ o „Bleib locker! Coolnesstraining für Jungen von 6 bis 10 Jahren“ Verein für Jugendheime e.V. o „Echte Kerle! Hilfestellung zum verantwortlichen Handeln“ Darüber hinaus sind insgesamt 58 Projekte in der Position 5.2 bekannt, die sich ausdrücklich auf Jungen beziehen. 24. Eine besondere Bedeutung kommt bereits jetzt der kompetenten Nutzung von Medien (gleichermaßen als Konsument, als auch als Produzierende) zu. Diskutiert wird auch, ob intensive Mediennutzung zu negativen Schulleistungen führt. Welche Ansätze, Konzepte, Maßnahmen werden angestrebt und/oder bereits umgesetzt, um die Medienkompetenz von Jungen, pädagogischen Fachkräften und Eltern weiterzuentwickeln und zu stärken? Welche Rolle spielt hier die Elternarbeit? Medien sind gesellschaftliche Realität und fester Bestandteil der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen. Der Erwerb von Medienkompetenz ist eine wichtige Voraussetzung für einen selbstbestimmten, eigenverantwortlichen Umgang mit Medien und für gesellschaftliche Teilhabe. Kinder und Jugendliche müssen die Kompetenz entwickeln, altersgemäße Medien in einem altersgerechten Umfang zu nutzen. Die Vermittlung von Medienkompetenz als Basiskompetenz beginnt daher bereits mit der Förderung von Kindern in Kindertageseinrichtungen . Der Bildungsbereich Medien ist Bestandteil der Bildungs- und Erziehungsarbeit in nordrhein -westfälischen Kindertageseinrichtungen und Gegenstand ihrer pädagogischen Konzeptionen . Der Grundstein für den Medienumgang der Kinder wird allerdings in der Familie gelegt . Die pädagogischen Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen können Väter und Mütter dabei unterstützen, nicht nur ihren Kindern in Sachen Medienkompetenz zur Seite zu stehen, sondern auch selbst kompetent und bewusst mit Medien umzugehen. Die Landesanstalt für Medien in Nordrhein-Westfalen trägt mit Fortbildungsangeboten, Fachtagungen und entsprechenden Publikationen zur Erweiterung der Medienkompetenz der pädagogischen Fachkräfte im Elementarbereich bei. Die hierbei erworbenen fundierten Kenntnisse und Handlungskompetenzen werden in der Regel für die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit den Eltern genutzt. Für Kinder und Jugendliche im Schulalter bietet der Medienpass NRW, eine Initiative der Landesregierung, der Landesanstalt für Medien und der Medienberatung NRW, ein systematisches , kompetenzorientiertes Angebot mit Lehrplanbezug in vier aufeinander aufbauenden Altersstufen von der Grundschule bis zu Klasse 9/10 an (https://www.medienpass.nrw.de/de). Der Kompetenzrahmen beschreibt, über welche Fähigkeiten Kinder und Jugendliche, Jungen und Mädchen gleichermaßen, je nach Alter verfügen sollten: „Bedienen und Anwenden“ beschreibt die technische Fähigkeit, Medien sinnvoll einzusetzen , und ist die Voraussetzung jeder aktiven und passiven Mediennutzung. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 25 „Informieren und Recherchieren“ umfasst die sinnvolle und zielgerichtete Nutzung digitaler wie analoger Quellen sowie die kritische Bewertung von Informationen. „Kommunizieren und Kooperieren“ heißt, Regeln für eine sichere und zielgerichtete Kommunikation zu beherrschen und Medien zur Zusammenarbeit zu nutzen. „Produzieren und Präsentieren“ bedeutet, mediale Gestaltungsmöglichkeiten zu kennen und kreativ bei der Planung und Realisierung eines Medienprodukts einzusetzen . „Analysieren und Reflektieren“ umfasst einerseits das Wissen um die wirtschaftliche, politische und kulturelle Bedeutung von Medien, andererseits die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Medienverhalten Jeder an der Initiative teilnehmende Schüler bzw. jede teilnehmende Schülerin erhält einen „Medienpass“ – ein Dokument, mit dem teilnehmenden Kinder und Jugendlichen die erworbenen Kompetenzen bestätigt werden. Im Lehrplan-Kompass bekommen Lehrerinnen und Lehrer Orientierung und Empfehlungen, wie sie Medienkompetenz-Themen in die Lehrpläne und den Unterricht integrieren können. Hier finden sich auch Hinweise auf geeignete Unterrichtsmaterialien, gute Werkzeuge oder hilfreiche Links. Über den Medienpass hinaus bieten die 53 Kompetenzteams für Lehrerfortbildung das Fortbildungsprogramm „Lernmittel- und Medienberatung“ an. Das Fortbildungsprogramm enthält das Modul „Grundlagen zur verantwortungsvollen und rechtsicheren Nutzung digitaler Medien “ mit den Bausteinen: Grundkenntnisse von Jugendmedienschutz, Datenschutz, Urheberrecht, Lizenzformen und Persönlichkeitsrechten Sachgerechter Umgang mit Sozialen Netzwerken Erprobung von Unterrichtseinheiten zur verantwortungsvollen und rechtsicheren Teilhabe der Schülerinnen und Schüler an der Mediengesellschaft Unterstützung bei der Zusammenarbeit mit Eltern Nutzung externer Expertise Nach der Abstimmung des Fortbildungsprogramms mit den Hauptpersonalräten aller Schulformen ist das Angebot am 19.03.2015 in Kraft gesetzt worden und deckt mit seinen sechs Modulen alle bekannten Fortbildungsbedarfe der Schulen ab. Aus den Begleituntersuchungen zur Ganztagsschule in NRW ist bekannt, dass Medienangebote im außerunterrichtlichen Bereich der fast 3.000 Offenen Ganztagsschulen im Primarbereich eine wichtige Rolle spielen. In den vielfältigen Angeboten auch außerschulischer Partner besteht für Jungen und Mädchen die Chance, ihre Kompetenz im Umgang mit Medien weiterzuentwickeln. Im „Qualitätsrahmen zur Qualifizierung, Fort- und Weiterbildung von Personal in Ganztagsschulen und Ganztagsangeboten“, den die Landesregierung bereits im Jahr 2009 mit den Landesorganisationen der Weiterbildung in NRW vereinbart hat, ist Medienkompetenz überdies als ein zentraler Bestandteil der Qualifizierungsangebote für Lehrkräfte und weitere pädagogische Fachkräfte in Ganztagsschulen benannt. Darüber hinaus unterstützt die Landesregierung landesweite Träger der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit (u.a. LAG Kunst und Medien) dabei, im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit Qualifizierungsan- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 26 gebote für pädagogische Fachkräfte, Lehrerinnen und Lehrer sowie insbesondere auch Kinder , Jugendliche und junge Erwachsene durchzuführen. Fachkräfte der Jugendhilfe, die im Offenen Ganztag oder in Angeboten der Offenen Kinderund Jugendarbeit im Rahmen des „Medienpass NRW“ wirken, werden seit 2012 von der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, Landesstelle NRW e.V. (AJS) innerhalb der Weiterbildungsreihe „Medien passen immer“ in praktischer Medienarbeit auch zu Themen des sozialen Lernens im Schnittstellenbereich zum Kinder- und Jugendschutz weitergebildet. Durch dieses Angebot wurden bislang über 200 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren qualifiziert . Seit 2009 bietet das Projekt „Eltern-Medien-Jugendschutz“ der AJS Weiterbildungsangebote für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe. Hierbei werden Fachkräfte der Kinderund Jugendarbeit qualifiziert Elternabende durchzuführen, Mütter und Väter im pädagogischen Alltag zu beraten, „Tür-und-Angel"–Gespräche zu führen und Projekte der Elternarbeit zu initiieren. Bislang wurden 150 Teilnehmende zur Fachkraft für medienpädagogische Elternarbeit qualifiziert. Insgesamt fördert das Land die Jugendmedienarbeit über den Kinder- und Jugendförderplan mit jährlich 1,2 Mio. €. Durch die Bereitstellung dieser Mittel ist der Zugang zu medienpädagogischen Angeboten seit 2010 ausgebaut worden, da die Mittel für diesen Bereich mehr als verdoppelt wurden. Die Mittel dienen der Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen – Jungen wie Mädchen –, der Beratungsarbeit mit den Eltern und der Qualifizierung von Trägern. 25. Über „klassische Kinder- und Jugendförderung“ hinausgehend: Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um den Anteil männlicher Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Frühpädagogik zu erhöhen? Wie wird sichergestellt, dass männliche Erzieher im Alltag zu sämtlichen Aufgaben in Kindertageseinrichtungen diskriminierungsfrei zugelassen werden? Um den Anteil männlicher Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen und Frühpädagogik zu erhöhen, wurden die Zugangsmöglichkeiten zu den entsprechenden Ausbildungsgängen an den Fachschulen für Sozialpädagogik und den Fachschulen für Heilerziehungspflege erweitert . Waren bisher ausschließlich Erstqualifikationen aus dem Bereich des Sozial- und Gesundheitswesen als Zugangsvoraussetzungen genannt, wurden die Zugangsvoraussetzungen um andere berufliche Bereiche, wie beispielsweise technische Berufe erweitert, um gezielt männliche Fachkräfte auf diese Bildungsoptionen hinzuweisen. Im Elementarbereich ist die Pädagogik der Geschlechtergerechtigkeit und Geschlechtersensibilität ein unverzichtbares und komplexes Thema. Vor diesem Hintergrund ist das Thema in den Bildungsgrundsätzen „Mehr Chancen durch Bildung von Anfang an – Entwurf Grundsätze zur Bildungsförderung für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Kindertageseinrichtungen und Schulen Im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen“ konzeptionell verankert. Die Einstellung von Personal liegt in der Gesamtverantwortung des Trägers einer Kindertageseinrichtung . Hierbei hat er zu berücksichtigen, dass bei der Auswahl und Einstellung von neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rahmen einer guten Erziehungs- und Bildungspartnerschaft die Eltern mit einbezogen werden. Generell gilt, dass es eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, veraltete und überholte Rollenbilder zu überwinden und Vorurteile abzubauen. Gute Beispiele für Männer, die eine Bereicherung im Alltag der Kindertageseinrichtung darstellen, können hier helfen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 27 26. Werden Kindertageseinrichtungen und Fachkräfte darin unterstützt, sich im Bereich der Jungenarbeit strukturell, konzeptionell und professionell weiter zu entwickeln ? Welche Institutionen und Vernetzungsstrukturen werden hierfür genutzt? Wie werden Qualitätsstandards abgesichert? Geschlechterbewusste Pädagogik ist ein Schlüssel für Bildungsprozesse und gehört zu dem eigenständigen Bildungs- und Erziehungsauftrag der Kitas. Grundlage dafür ist die Entwicklung der Genderkompetenz der pädagogischen Fachkräfte. Im Kinderbildungsgesetz NRW (KiBiz) ist verankert, dass die Umsetzung des Bildungs-, Erziehungs - und Betreuungsauftrages eine ständige Fortbildung der mit dem Auftrag betrauten Personen erfordert. Zur Sicherung und Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit in den Kitas ist auch eine kontinuierliche Evaluierung erforderlich Konzeptionell und strukturell sind hierfür die Träger der Kindertageseinrichtungen im Rahmen ihrer Gesamtverantwortung zuständig . Die Träger bzw. Verbände bedienen sich dabei geeigneter Fortbildungseinrichtungen , die ein umfangreiches und vielfältiges Angebot der Fort- und Weiterbildung für pädagogische Kräfte der Kindertagesbetreuung vorhalten. Eine besondere Qualität dieser Fortbildungsmaßnahmen wird durch die enge Verzahnung mit der von den Verbänden angebotenen Fachberatung der Kindertageseinrichtungen sichergestellt. 27. Welche Qualifizierungen und Fortbildungen sowie Beratungsangebote zu jungenspezifischen Themen für Kindertageseinrichtungen und die dort tätigen Fachkräfte gibt es? Wie werden diese in Anspruch genommen? Im Bereich der Kindertagesbetreuung bieten Fortbildungseinrichtungen für pädagogische Kräfte ein umfangreiches und vielfältiges Angebot der Fort- und Weiterbildung an, das auch jungenspezifische Themenbereiche umfasst. Beispielhaft seien hier Angebote der beiden Landesjugendämter wie „Gendersensible Arbeit in der Kita“, „Sexualpädagogische Grundlagen in Kindertageseinrichtungen“, „Jungen - und Mädchenarbeit“ genannt. Generell werden diese Fortbildungsangebote gut angenommen. Auch steht die FUMA-Fachstelle-Gender mit ihren Beratungs- und Fortbildungsangeboten zur Verfügung. 28. Sind Angebote und Konzepte der Elternarbeit bekannt, die verstärkt den Versuch unternehmen Väter und Großväter – geschlechtsreflektierend – einzubinden? Welche Angebote sind auf Erziehungsherausforderungen von Eltern mit Zuwanderungsgeschichte ausgerichtet? Eltern sind von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Bildungsbiografie ihres Kindes. Im Kinderbildungsgesetz (KiBiz) ist geregelt, dass das pädagogische Personal in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege Eltern (Väter und Mütter) zu wichtigen Fragen der Bildung, Erziehung und Betreuung des Kindes beraten und unterstützen sollen. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Eltern ist dabei besonders wichtig und hier ist zunehmend eine stärkere Beteiligung von Vätern zu erkennen. Immer mehr Einrichtungen gehen aktiv auf Väter zu. Viele Angebote und Aktivitäten in der Kita beziehen sich thematisch auf Väter oder auch Großväter, z.B. Väter-Kind-Nachmittage, Spiele-Tage mit Großvätern und Kindern, Ausflüge mit Vätern und Kindern. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 28 Auch Kindertageseinrichtungen, die in Nordrhein-Westfalen als Familienzentren arbeiten, haben es sich zur Aufgabe gemacht, verstärkt Väter in den Blick zu nehmen und halten Angebote zur Stärkung der Kompetenz speziell von Vätern bereit. Familienzentren organisieren für Eltern und Kinder mit Migrationshintergrund eine Vielfalt von niedrigschwelligen Angeboten, die auf die besonderen Herausforderungen und Bedürfnisse dieser Familien zugeschnitten sind. Mit speziellen Veranstaltungen für Familien mit Migrationshintergrund oder interkulturell ausgerichteten Angeboten zu pädagogischen Themen sowie Sprachkursen (u.a. Rucksack und Griffbereit), Veranstaltungen zur Gesundheitsund Bewegungsförderung, Eltern-Cafés, Mutter-Kind-Gruppen oder Beratung werden Eltern mit Zuwanderungshintergrund gezielt angesprochen. Das „Elternnetzwerk NRW. Integration miteinander e.V.“ fördert beispielsweise seit einigen Jahren das Empowerment von Eltern mit Migrationshintergrund. Im Elternnetzwerk NRW engagieren sich Mütter und Väter mit Migrationshintergrund für die Verbesserung der Bildungssituation ihrer Kinder. Sie haben sich in Vereinen und Initiativen zusammengeschlossen und informieren beziehungsweise qualifizieren ihre Mitglieder in Bildungs- und Erziehungsfragen . Ihre Angebote sind darüber hinaus für alle interessierten Eltern offen. Sie ermutigen Eltern mit Migrationshintergrund ihre Kompetenz einzubringen und sich für ihre Kinder einzusetzen. Das Elternnetzwerk NRW ist ein Verbund dieser Vereine und Initiativen und macht sich mit Unterstützung der Landesregierung für die Integrationschancen der nächsten Generation stark. Im Elternnetzwerk haben sich über 200 Elternvereine zusammengeschlossen . 29. Die Kinder- und Jugendhilfe für Kinder und Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte hat besondere Herausforderungen, so z.B. aufgrund sprachlicher Defizite , Kontaktgelegenheiten zu religiös-fundamentalistischen Gruppierungen oder ein nichtaufgeklärtem Rollenbild der Herkunftsregion der Eltern oder Großeltern. Wie wird die Landesregierung dieser Herausforderung gerecht? Die Kinder- und Jugendhilfe ist im Rahmen ihres Aufgabenspektrums Ansprechpartner für alle Kinder und Jugendlichen in Nordrhein-Westfalen. Dies gilt für Kinder und Jugendliche ohne Zuwanderungsgeschichte ebenso selbstverständlich wie für Kinder und Jugendliche mit Zuwanderungsgeschichte. Betreuungsangebote in Kindertageseinrichtungen und in Kindertagespflege bieten in Ergänzung zur Familie die erste Möglichkeit der außerhäuslichen Bildung, Erziehung und Betreuung . Dies gilt nach der Zuweisung an eine Gemeinde im Übrigen auch für Kinder von Flüchtlingsfamilien . Kinder werden hier individuell und damit entsprechend ihrer Bedarfe gefördert. Die Förderung der sprachlichen Entwicklung, vor allem bei Kindern, die Deutsch als Zweitsprache erwerben, ist dabei integraler Bestandteil des Bildungsauftrages. Sprachförderung im Elementarbereich ist ein bildungspolitischer Schwerpunkt der Landesregierung. Mit der Neuausrichtung der Sprachförderung in Nordrhein-Westfalen wurde im Kinderbildungsgesetz geregelt, dass jedes Kind in der Kindertageseinrichtung von Anfang an kontinuierlich und unter Verwendung geeigneter Verfahren von den pädagogischen Kräften beobachtet und in seiner sprachlichen Entwicklung gefördert wird. Für die Kinder, die eine besondere Unterstützung in der deutschen Sprache benötigen, soll eine gezielte Sprachförderung nach dem individuellen Bedarf gewährleistet werden. Die Landesregierung hat in einem gemeinsamen Prozess mit den Trägern von Kindertageseinrichtungen , den Landesjugendämtern und der Wissenschaft fachliche Grundlagen einer LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 29 alltagsintegrierten Sprachbildung und Beobachtung für den Elementarbereich in Nordrhein- Westfalen erarbeitet. Sie sind abgestimmt mit den kommunalen Spitzenverbänden, den Spitzenverbänden der Freien Wohlfahrtspflege, den Kirchen sowie mit den Tagespflege-, Elternund Erzieher-/ Erzieherinnenverbänden und den Gewerkschaften. Eine an Qualitätskriterien orientierte Sprachbildung, der Einsatz von geeigneten Beobachtungsverfahren sowie gute Qualifizierungsangebote für die pädagogischen Fachkräfte und Teams aller Einrichtungen bilden die wesentlichen Säulen zur Unterstützung der Praxis. Die alltagsintegrierte Sprachbildung ist ein wesentlicher Bestandteil der Bildungsgrundsätze NRW. Ein alltagsintegriertes und ganzheitliches Bildungsverständnis schließt ebenfalls die religiöse Bildung und ethische Orientierung mit ein. Sie sind wesentliche Aspekte von Bildung und ermöglichen es, Sinnzusammenhänge zu erfassen, die das „Ganze“ der Welt erschließen und Fragen nach dem Woher, Wohin und Wozu zu beantworten. Kinder bringen Offenheit und Neugier für religiöse Fragen mit und sie haben ein Recht auf Religion und religiöse Bildung . Vor diesem Hintergrund ist das Thema Religion und Ethik ebenso ein wesentlicher Bildungsbereich in den Bildungsgrundsätzen „Mehr Chancen durch Bildung von Anfang an – Entwurf Grundsätze zur Bildungsförderung für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Kindertageseinrichtungen und Schulen im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen“. Auch in der Jugendarbeit spielt die Auseinandersetzung mit Werten und Religion eine große Rolle. Bei der Arbeit mit jungen Menschen mit Migrationshintergrund werden in der Kinderund Jugendarbeit auf allen Ebenen des Handelns demokratische Strukturen vermittelt. Ausgangspunkt ist dabei immer ein Rollenbild das verdeutlicht, dass alle Menschen gleich sind und alle einen Anspruch auf gleichberechtigte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben haben. Um Kindern und Jugendlichen einen möglichst guten Start zu ermöglichen, ist darüber hinaus die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit den Eltern ein wichtiger Baustein. Eltern mit Migrationshintergrund, die sich engagiert für die Belange ihrer Kinder einsetzen können, sind auch Vorbilder. Aus diesem Grund fördert das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales den Ansatz der interkulturellen Väterarbeit. Väter mit Migrationshintergrund in Nordrhein -Westfalen zeigen zunehmend mehr Interesse an einem veränderten Rollenverhalten bei der Kindererziehung. Durch das Empowerment von Vätern mit Migrationshintergrund werden neue Rollenbilder geschaffen. Die Väter werden zu Identifikationspersonen ihrer Kinder und unterstützen damit ihre Entwicklung. Das Ministerium für Inneres und Kommunales steht der Kinder- und Jugendhilfe und den Schulen als fachlicher Ansprechpartner bei allen Fragen im Zusammenhang mit religiösextremistischen Bestrebungen zur Seite. Mit seiner Expertise zu extremismusrelevanten Themen sensibilisiert der Verfassungsschutz NRW im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe tätige Personen über Erscheinungsformen und Gefahren religiös-extremistischer Bestrebungen in NRW sowie über Präventionsangebote des Ministeriums für Inneres und Kommunales. An den Informationsveranstaltungen und Fachtagungen zum religiösen Extremismus, die von Experten des Verfassungsschutzes NRW durchgeführt werden, nehmen auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus der Kinderund Jugendhilfe teil. Die Regionalkonferenzen in allen Regierungsbezirken zu Strategien gegen gewaltbereiten Salafismus richten sich speziell an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren aus den Bereichen Schule, Integrationsfachstellen, Polizei, Wissenschaft und auch der Kinder- und Jugendarbeit. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 30 Das vom Ministerium für Inneres und Kommunales koordinierte und finanzierte Präventionsprogramm Wegweiser gegen gewaltbereiten Salafismus bietet niedrigschwellige, lokale Beratungsangebote insbesondere für das soziale Umfeld von jungen Menschen, die erste Schritte in die salafistische Szene unternehmen. Die Wegweiser-Betreuungspersonen sind in ihrer Kommune gut vernetzt und arbeiten mit relevanten Partnerinnen und Partnern aus der Kinder- und Jugendhilfe und den örtlichen Schulen eng zusammen. Darüber hinaus führen die Betreuungspersonen Sensibilisierungsmaßnahmen mit Praxisbezug durch und erreichen auf diese Weise unter anderem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Bereich der Kinder - und Jugendarbeit. Die Wegweiser-Hotline beim Ministerium für Inneres und Kommunales, bei der man Informationen zu den Themen religiöser Extremismus und Salafismus bekommen kann, wird in der Praxis auch von Personen genutzt, die in der Kinder- und Jugendhilfe tätig sind. Das Ministerium für Inneres und Kommunales hat im Zusammenhang mit dem verstärkten Zuzug von Personen aus anderen Staaten in Ergänzung zur NRW-Initiative „Kurve kriegen“ in 2013 in Köln, Dortmund und Duisburg das kriminalpräventive Projekt „klarkommen!“ gestartet , das sich insbesondere durch kultursensible Maßnahmen und behördenübergreifende Zusammenarbeit auszeichnet. Durch gezielte Maßnahmen sollen Kinder, Jugendliche und junge Heranwachsende davon abgehalten werden, Straftaten zu begehen. Neben einer konsequenten Strafverfolgung (Repression ) geht es hier um intensive, kultursensible Prävention. Dafür stehen der Polizei für „klarkommen!“ kompetente Partnerinnen und Partner der Kinder- und Jugendhilfe zur Seite, deren Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter als pädagogische Fachkräfte sowie als Kulturund Sprachmittlerinnen und -mittler die zentralen Ansprechpersonen darstellen. Durch den eigenen kulturellen Hintergrund bringen diese Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ein besonderes Verständnis für die Bedarfslage der Zielgruppe mit, zu denen insbesondere minderjährige , unbegleitete Flüchtlinge sowie Zugewanderte aus Südosteuropa zählen. Verständigung und Verständnis spielen für die Kriminalprävention eine entscheidende Rolle. Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind mit den kulturellen Sitten und Gebräuchen der Herkunftsländer und auch mit den aktuellen Problemlagen der betroffenen Kinder und Jugendlichen und deren Familien vertraut. Durch eine intensive, aber auch individuelle Begleitung soll das Erleben und Einleben in Deutschland erleichtert und die Anbindung an das örtliche Hilfenetz gefördert werden. 30. Anfällig für die Vereinnahmung durch religiös-fundamentalistische Gruppen sind überwiegend Jungen. Was unternimmt die Landesregierung konkret zur Immunisierung von Jungen gegen religiösen Fundamentalismus? Grundsätzlich sind Jungen und Mädchen für religiösen Fundamentalismus in gleichem Maße ansprechbar. Hinsichtlich des Salafismus belegt die bisherige Auswertungs- und Präventionsarbeit des Ministeriums für Inneres und Kommunales jedoch, dass insbesondere Jungen in die salafistische Szene abrutschen. Der Verfassungsschutz NRW geht davon aus, dass etwa 90 % der Szeneangehörigen männlich sind. Von den Präventionsangeboten des Ministeriums für Inneres und Kommunales, als Teil der ressortübergreifenden und auf Nachhaltigkeit setzenden Präventionsstrategie der Landesregierung, profitieren daher vor allem junge Männer. Das Ministerium für Inneres und Kommunales sensibilisiert über Erscheinungsformen und Gefahren religiös-extremistischer Überzeugungen sowie über Präventionsangebote und er- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 31 reicht mit Informationsveranstaltungen, Regionalkonferenzen und wissenschaftlichen Abhandlungen Institutionen, die in ihrer Arbeit mit jungen Menschen vielfältige Kontakte haben. Dadurch wird der Vereinnahmung vor allem junger Männer frühzeitig entgegen gewirkt. Das vom Ministerium für Inneres und Kommunales koordinierte und finanzierte Präventionsprogramm „Wegweiser“ gegen gewaltbereiten Salafismus bietet, getragen von einem lokalen Träger und örtlichen Netzwerkpartnern, eine niedrigschwellige Anlaufstelle, in der geschulte Betreuer konkrete Unterstützung für Betroffene – meist männliche Heranwachsende –, für deren Familie sowie für das persönliche Umfeld leisten. Der weitere Ausbau von „Wegweiser “ soll langfristig flächendeckend in Nordrhein-Westfalen realisiert werden. Darüber hinaus bietet das Aussteigerprogramm Islamismus des Verfassungsschutzes NRW radikalisierten, ausstiegswilligen Personen Unterstützung zur Reintegration in die Gesellschaft . Damit wird vor allem jungen Männern die Chance gegeben, mit dem religiösen Extremismus zu brechen und in die demokratische Gesellschaft zurückzukehren. Schon ab 2011 war das Ministerium für Inneres und Kommunales Kooperationspartner des dreijährigen Modellprojektes „Ibrahim trifft Abraham“, das im Rahmen von „Demokratie stärken “ durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert worden ist. Dieses Projekt richtete sich gezielt an Jungen bzw. junge Männer (mit und ohne Migrationshintergrund ) mit dem Ziel, deren Dialog- und Toleranzfähigkeit zu fördern und sie dadurch gegen islamistische Eindeutigkeitsangebote zu stärken. Neben diesen Maßnahmen wirken insbesondere die interkulturellen Ansätze in der Kinderund Jugendarbeit präventiv. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund werden in ihren Sozialräumen gefördert und gefestigt und erhalten die Chance zur gleichberechtigten Teilhabe an allen Angeboten unserer Gesellschaft. Als beispielhaftes Projekt der Landesregierung ist hier das „Projekt Ö – interkulturelle Öffnung der Jugendringe und Jugendverbände“ zu nennen. Ziel des von 2007–2010 durchgeführten Projekts war es, die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu stärken, indem langfristig die Teilhabe dieser Kinder und Jugendlichen an der Jugendverbandsarbeit verbessert und die Selbstorganisation von Vereinen junger Migrantinnen und Migranten im Sinne des Empowerment unterstützt wird. Seit Abschluss des „Projekts Ö“ wird als Anschlussprojekt beim Landesjugendring ein niedrigschwellig angelegtes Beratungsangebot mit Landesmitteln gefördert. Im Rahmen der „Kompetenzstelle Engagementförderung “ werden hier mit einer Teilstelle Beratungen für die örtlichen Stadt- und Kreisjugendringe im Hinblick auf ihre interkulturelle Öffnung, aber auch für die Vereine junger Migrantinnen und Migranten angeboten. Dieses und weitere Vorhaben tragen nachhaltig zur Demokratiebildung und Integration bei. 31. Im Kontext der Auseinandersetzung um sexuelle Gewalt hat sich wiederholt eine Unterversorgung von Jungen, die von sexueller Gewalt betroffen sind oder selber sexuell grenzverletzend agieren, mit Blick auf Beratung und Begleitung gezeigt . Was unternimmt die Landesregierung, um konkret vor Ort in den Kommunen bestehende Angebote auszuweiten, zu vernetzen und zu stärken, als auch neue Angebote zu unterstützen? Nach Auffassung der Landesregierung stehen Beratungsangebote für Jungen (und Mädchen ), die von sexualisierter Gewalt betroffen sind, grundsätzlich flächendeckend in Nordrhein -Westfalen zur Verfügung. Hier sind die Kommunen als Träger der Jugendhilfe in der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 32 Pflicht, entsprechende Angebote vorzuhalten bzw. aufzubauen. Dem kommen die Kommunen über die Angebote der Jugendämter und die Unterstützung von freien Trägern z.B. durch die geschaffenen Familien- bzw. Erziehungsberatungsstellen nach. So sind alle 268 vom Land geförderten Familienberatungsstellen in der Lage, mit ihren multiprofessionellen Fachkraftteams Opfer sexueller Gewalt zu beraten (beratende und therapeutischen Hilfen für Mädchen und Jungen; auch Krisenintervention). Darunter sind auch 18 Einrichtungen auf Kinder und Jugendliche spezialisiert, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. Sie machen auch spezielle Angebote für Jungen. Ein Beispiel ist der Verein Zartbitter in Köln, der auch Broschüren für Jungen herausgibt. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die flächendeckende Struktur von Angeboten allein nicht ausreicht. Vielmehr ist es wichtig für die betroffenen Kinder und Jugendlichen Zugangsbarrieren abzubauen und geschlechtersensible Ansprachekonzepte zu entwickeln. Um dies zu unterstützen fördert die Landesregierung die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendschutz (AJS-NRW), die auch entsprechende Fortbildungsmöglichkeiten für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe anbietet. Zur Vermeidung sexueller Gewalttaten durch Jungen hatte das Ministerium für Familie, Kinder , Jugend, Kultur und Sport im Rahmen der Landesförderung der Familienberatung in den Jahren 2001 bis 2004 modellhaft an fünf Erziehungsberatungsstellen ambulante "Erzieherische Hilfen für jugendliche Sexual(straf)täter“ gefördert. Unter dem Gesichtspunkt der Anzahl der behandelten Kinder, Jugendlichen und Heranwachsenden (330) und der Dauer der Beratungen und Behandlungen (im Mittel 12 Monate) war das Projekt erfolgreich; während der Behandlung lag die Rückfallquote bei 2,7%. Daher wurden die Stellen der beteiligten Beratungskräfte nach der Modellphase in die Landesförderung der Familienberatung übernommen . Zur Wirkungsmessung wurde im Jahr 2007 eine wissenschaftliche Nachuntersuchung durchgeführt. Danach war keiner der teilnehmenden Jugendlichen, die die Behandlung beendet hatten, rückfällig geworden. 32. Ist die Berücksichtigung geschlechterbezogener Aspekte der Lebensführung von Jungen (und Mädchen) als Qualitätsmerkmal der Kinder- und Jugendhilfe strukturell und konzeptionell verankert und spielt dieses beispielsweise im Rahmen von Zielvereinbarungen und Betriebsgenehmigungen von Jugendhilfeeinrichtungen und Beratungsstellen eine Rolle? Wenn ja, welche? Die Berücksichtigung geschlechterbezogener Aspekte der Lebensführung von Jungen (und Mädchen) ist strukturell in § 9 Nr. 3 SGB VIII – Kinder- und Jugendhilfegesetz – verankert. Danach sind die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen bei der Ausgestaltung von Leistungen und der Erfüllung von Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe zu berücksichtigen , Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern. Ebenso sieht das Dritte Gesetz zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ; Gesetz zur Förderung der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes – Kinder- und Jugendförderungsgesetz – in § 4 vor, dass die Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe die Gleichstellung von Mädchen und Jungen als durchgängiges Leitprinzip beachten. Dabei sollen sie die geschlechtsspezifischen Belange von Mädchen und Jungen berücksichtigen und zur Verbesserung ihrer Lebenslagen und zum Abbau geschlechtsspezifischer Benachteiligungen und Rollenzuschreibungen beitragen. Insoweit ist die Berücksichtigung geschlechtsbezogener Aspekte konstitutives Merkmal der Angebote der Kinder- und Jugendhilfe. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 33 Auch im Rahmen der Betriebserlaubniserteilung für Jugendhilfeeinrichtungen nach § 45 SGB VIIII spielen geschlechterbezogene Aspekte der Lebensführung von Jungen und Mädchen eine Rolle. Grundlage für die Betriebserlaubniserteilung ist u.a. das Konzept der jeweiligen Einrichtung, welches detailliert die Inhalte und Leistungen des Betreuungssettings beschreibt . Hierbei sind auch geschlechterspezifische Aspekte zu berücksichtigen. So stellt der Jugendhilfeträger in seinem Konzept dar, ob er z.B. ein koedukatives oder geschlechtshomogenes Betreuungsangebot umsetzt (z.B. Jungengruppe bzgl. sexueller Übergriffe oder Mädchengruppe aufgrund von chronischen Essstörungen). Für die Familienberatungsstellen sieht die „Richtlinie über die Gewährung von Zuwendungen zur Förderung von Familienberatungsstellen“ Konzepte und Strukturen zu geschlechterbezogenen Aspekten der Lebensführung von Jungen (und Mädchen) zwar nicht als Fördervoraussetzung vor. Gleichwohl ist die gesetzlich normierte gendergerechte Arbeit Teil des Konzepts der Familienberatungsstellen in Trägerschaft der freien Wohlfahrtspflege, der Kommunen und der Kirchen. 33. Sport ist für viele junge Menschen ein zentraler Ort der Freizeitgestaltung, der Beziehungspflege und der Selbstvergewisserung. Andererseits können im Sport auch gesundheitsschädigende Einstellungen vermittelt werden durch eine rigide Leistungsorientierung. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um Übungsleiter im Sport mit Blick auf die sozialisatorischen Aspekte des Sports für Jungen vorzubereiten? Die Landesregierung unterstützt den Landessportbund und die Sportjugend NRW bei ihren Anstrengungen zur „reflektierenden Jungenarbeit“. Jungenarbeit ist ein Handlungsfeld der Sportjugend NRW. Die Sportjugend NRW ist Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft Jungenarbeit und beteiligt sich hier aktiv an der Entwicklung und Durchführung von Konzepten zur Qualifizierung von jungen Trainern/Multiplikatoren. Die Jugendleiterinnen- und Jugendleiter - sowie Übungsleiterinnen- und Übungsleiter-Ausbildung der Sportorganisationen berücksichtigt eine geschlechtsbewusste Pädagogik und greift dabei auch auf Lehrmaterialien zurück , die zur Übungsarbeit mit Jungen entwickelt wurden. In den Schulen – so auch den Sportschulen in NRW – sind Themen wie „ Leistungssteigerung im Sport durch gesundheitsschädliche und unerlaubte Mittel“ curricular verankert. Übungsleiterinnen und Übungsleiter sowie Trainerinnen und Trainer werden durch die Sportfachverbände aus- und fortgebildet und für den angesprochenen Themenbereich sensibilisiert . Ausbildung und Beruf 34. Aspekte von Ausbildung und Beruf werden schon frühzeitig im Kontext von Schule bedeutsam. Diese greifen für bestimmte Gruppen letztlich zu spät, da hier zentrale Weichen bereits gestellt sind. Welche Bemühungen gibt es, um bereits frühzeitig und kontinuierlich geschlechterbezogene Angebote zur Zukunfts- und Lebensorientierung und -planung mit Jungen (und Mädchen) zu installieren? Siehe hierzu die Ausführungen zu den Fragen 16, 39 und 64. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 34 35. Die größte Gruppe der Schüler, die entweder keinen Schulabschluss erreichen, keine Ausbildung anstreben oder eine angefangene Berufsausbildung abbrechen , ist die Gruppe der Jungen mit Zuwanderungsgeschichte. Welche konkreten Programme oder Maßnahmen sind auf diese Zielgruppe ausgerichtet ? Die Kausalität geschlechtsbezogener Benachteiligungen ist stets im Kontext weiterer möglicher Diskriminierungsmerkmale zu analysieren. Wie bereits das Gutachten zum Ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung (2011) ausweist, bewirken gerade bei der Gruppe der männlichen Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte vorrangig die sozioökonomischen Verhältnisse und die Bildungsferne der Eltern (damit einhergehend bestimmte Vorstellungen von Männlichkeit) ungünstige Bildungsverläufe (so auch Berufsbildungsbericht 2014, Fußnote Seite 54). Für Jugendliche ohne Schulabschluss und ohne Ausbildungsverhältnis bestehen schulische Angebote in Form des Berufsorientierungsjahres, des Berufsgrundschuljahres , der Klassen für Schülerinnen und Schüler ohne Ausbildungsverhältnis und der internationalen Förderklassen. Grundlage der Unterrichtsgestaltung sind die Zielsetzungen in der gemeinsamen Vorgabe aller Bildungsgänge am Berufskolleg, wie u.a. „Wertschätzung der Vielfalt und Verschiedenheit in der Bildung (Inklusion); Entfaltung und Nutzung der individuellen Chancen und Begabungen (Individuelle Förderung); Sensibilisierung für die Wirkungen tradierter männlicher und weiblicher Rollenprägungen und die Entwicklung alternativer Verhaltensweisen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern (Gender Mainstreaming)“. Entsprechend dem Prinzip der reflexiven Koedukation richtet sich das Unterrichtssetting nach den Maßgaben der Rahmenstundentafeln (APO BK - Anlage A) gleichermaßen an Jungen und Mädchen. Eine spezifische Ansprache männlicher Jugendlicher mit Migrationshintergrund – etwa in Form geschlechtshomogener Lerngruppen oder gesonderten Unterrichtsstoffs – würde aus pädagogischer Sicht die Gefahr einer Stigmatisierung bzw. Diskriminierung in sich bergen und wird daher nicht generell empfohlen. Die schulische Förderung der Selbstreflexionsfähigkeit von Jungen mit Migrationshintergrund in Bezug auf geschlechtsbezogene Ungleichheiten kann mit didaktischen Mitteln implizit bearbeitet werden; sie erfordert nicht zwingend und nicht in jedem Fall eine sichtbare Intervention der Lehrkraft. Für Jungen mit Zuwanderungsgeschichte gibt es darüber hinaus spezielle Landesprogramme , die den Fokus auf diese Klientel legen. Zur Aufgabe der Kommunalen Integrationszentren gehört die Beratung von Schulen, Schulämtern, Studienseminaren und kooperierenden Institutionen, Fortbildungen für das gesamte pädagogische Fachpersonal, auch im Ganztag, Begleitung von Schulen bei ihrem Prozess der interkulturellen Öffnung, die Weitervermittlung und Verbreitung guter Praxis, die Entwicklung geeigneter Lehr- und Lernmaterialien. Auch im Übergang Schule und Beruf entwickeln die Kommunalen Integrationszentren Konzepte und Programme, um die Regelsysteme für die Bedarfe von Jungen mit Migrationshintergrund zu öffnen, damit jeder Jugendliche die gleichen Chancen erhält. Hier wird auf Landesebene auch stark mit den anderen Strukturen der Übergangsysteme zusammengearbeitet, wie z.B. die Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss" oder die Jugendmigrationsdienste. Die aus Mitteln des Kinder- und Jugendförderplans NRW geförderten Angebote der Jugendsozialarbeit gem. § 13 SGB VIII wie Beratungsstellen, Jugendwerkstätten und Angebote zur Vermeidung schulischen Scheiterns richten sich auch an jungen Menschen mit Migrationshintergrund , die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind. Das Angebot der Jugendwerkstatt ist Teil der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“. Die pädagogischen Fachkräfte in der Jugendwerkstatt ermitteln mit den jungen Menschen individuelle Förderbedarfe und Förderziele und erstellen mit jedem und jeder Jugendlichen eine ein- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 35 vernehmliche verbindliche Förderplanung. Dezidiert auf homogene Gruppen der Jungen mit Zuwanderungsgeschichte zugeschnittene Angebote sind auf Grund der Flexibilität und immanenten Individualität der Angebote nicht vorgesehen. Allerdings können Gruppen anlassbezogen geschlechtsspezifisch getrennt werden, wenn die jungen Menschen dies wünschen und/oder Fachkräfte es als erforderlich ansehen. Dies kann z.B. in Angeboten der Beratungsstellen erfolgen oder im Rahmen der Arbeit von Jugendwerkstätten, wenn – im Hinblick auf mögliche Berufswünsche oder Ausbildungsberufe – Themen wie Rollenverständnisse und Rollenerwartungen thematisiert werden. Zusätzlich gibt es Programme wie z.B. das Projekt „Mein Beruf. Meine Zukunft“, in dem durch das Empowerment von Migrantenselbstorganisationen Jugendliche und Eltern mit Migrationshintergrund informiert werden. Das Projekt hat das Ziel, Eltern und Jugendliche aus Zuwanderungsfamilien über Bildungs-, Berufsabschlüsse und das deutsche Bildungssystem aufzuklären. 36. Inwieweit ist bei bestehenden Maßnahmen konzeptionell berücksichtigt, dass diese über Fragen der beruflichen Orientierung und Integration hinausreichen müssen und jungen-spezifische Belange und Aspekte von Gesundheit, Kultur, Migrationserfahrung, Beziehung usf. beinhalten? In allen ESF-kofinanzierten Maßnahmen bzw. bei allen Programmen und Konzepten der Landesregierung sind die Aspekte „Gender“ und „Integration“ mit berücksichtigt. Maßnahmen haben grundsätzlich ein Maßnahmenziel (z.B. Arbeitsmarktintegration, Berufsorientierung). Die benannten Aspekte (z.B. Gesundheit, Kultur, Migration) werden bei der Heranführung an das Maßnahmenziel immer in den Blick genommen. Die Integration ist zudem eine Querschnittsaufgabe der Landesregierung, die durch das Teilhabe- und Integrationsgesetz verankert worden ist. „Das Land schafft und unterstützt Strukturen und Maßnahmen zur sozialen, gesellschaftlichen und politischen Teilhabe der Menschen mit Migrationshintergrund“ (§ 3 Abs. 3). Durch die zurzeit 49 Kommunalen Integrationszentren , die landesweit eingerichtet worden sind, wird gewährleistet, dass Integration als Querschnittsthema in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen ankommt und umgesetzt wird. Bei den aus Mitteln des Kinder- und Jugendförderplans geförderten Angeboten der Jugendsozialarbeit ist, über Fragen der beruflichen Orientierung und der Förderung berufsbezogener Kompetenzen hinaus, die Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitsstabilisierung elementarer konzeptioneller Bestandteil der Arbeit. Insoweit ist die Landesregierung der Auffassung, dass durch die geschaffenen Rahmenbedingungen ein weiter Integrationsbegriff die Praxis prägt. 37. Gibt es spezielle Förderprogramme im Jugendkulturbereich, die Innovation und Selbstständigkeit begünstigen? Sind diese geschlechterbezogen reflektiert und konzipiert? Förderprogramme im Jugendkulturbereich sind per se so angelegt, dass sie Innovation und Selbstständigkeit bei jungen Menschen fördern. Im Bereich der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit nach § 10 (3) des Kinder- und Jugendförderungsgesetzes (KJFöG NRW) umfassen diese Angebote die „Förderung der Kreativität und Ästhetik im Rahmen kultureller Formen “, die u.a. „zur Entwicklung der Persönlichkeit beitragen“. Sie sind gekennzeichnet durch LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 36 freiwillige Teilnahme und zielen auf die Förderung von Eigenverantwortung und Partizipation. Angebote der kulturellen Kinder- und Jugendarbeit sind grundsätzlich zieloffen und stellen selbstorganisiertes ästhetisch-gestalterisches Handeln und Lernen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in den Vordergrund. Auch für diese Angebote der Jugendarbeit gilt die gesetzliche Bestimmung, dass sie geschlechtersensibel auszurichten sind. Das Land stellt für entsprechende Angebote jährlich über 5 Mio. € zur Verfügung. Darüber hinaus richtet sich das Landesprogramm „Kulturrucksack NRW “ mit den Partnern Landesarbeitsgemeinschaft Kulturpädagogische Dienste / Jugendkunstschulen NRW e. V. (LKD) und Landesvereinigung Kulturelle Jugendarbeit NRW e. V. (LKJ) an die Zielgruppe Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 14 Jahren. Im Jahr 2015 sind es bereits 196 Städte und Gemeinden, die sich im Kulturrucksack NRW engagieren. Auch diese Angebote sind geschlechtersensibel ausgerichtet. 38. Der BoysDay hat sich mittlerweile etabliert, es stellt sich allerdings die Frage, inwieweit die hier angestoßenen Projekte und Entwicklungen flankiert und kontinuierlich und nachhaltig begleitet werden, damit Jungen eine weitergehende Unterstützung und Anerkennung in diesen Prozessen erhalten. Welche Erfahrungen wurden in Nordrhein-Westfalen mit der Umsetzung des BoysDay bisher gemacht und welche Ergebnisse liegen vor? Gibt es Erfahrungen mit einer weitergehenden Begleitung der Praktika? Gibt es empirische abgesicherte Erkenntnisse darüber, welche Bedeutung der BoysDay für teilnehmende Jungen konkret hat und was diese benötigen, um sich in ihrer Berufswahl vielfältiger aufstellen zu können? Welche Weiterentwicklungsmöglichkeiten sieht die Landesregierung? Der Boys‘-Day ist keine Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen; für eine Evaluation der Teilnahme kann daher lediglich auf das online verfügbare Material der Geschäftsstelle zurückgegriffen werden. Nach der Statistik für die Bundesländer wurden in 2015 für Nordrhein-Westfalen insgesamt 1476 Angebote angezeigt. Wie viele Schulen (bzw. auch Schüler einzeln in Eigeninitiative) tatsächlich an dem Aktionstag Einrichtungen bzw. Unternehmen mit relevanten Berufsfeldern im Bereich Erziehung, Betreuung, Pflege besucht haben, lässt sich von hier nicht ermitteln, da den Schulen die Teilnahme am Boys‘-Day freigestellt ist und gezielte Erhebungen nicht vorgesehen sind. Aus einer bundesweiten Fragebogenaktion der Boys‘-Day-Geschäftsstelle im Jahr 2013 ergab sich u.a., dass zwei Drittel der teilnehmenden Schüler im Alter zwischen 13 und 15 Jahren war; ein Viertel von ihnen hatte Migrationshintergrund. 26 % der befragten Jungen gaben an, in dem kennengelernten neuen Beruf später arbeiten zu wollen. 14 % der befragten Unternehmen / Einrichtungen gab an, Bewerbungen von ehemaligen Boys‘-Day- Teilnehmern erhalten zu haben; 9% der Unternehmen haben solche in der Folge eingestellt. Ergebnisse einer Befragung am Boys‘-Day 2015 sollen im Herbst zur Verfügung stehen. Die eintägige Aktion einmal im Jahr kann nur eingebettet in weitergehende strukturelle und inhaltliche Angebote Wirkung entfalten für ein verändertes Berufs- und Studienwahlverhalten von Jungen (und Mädchen). Nordrhein-Westfalen hat mit dem Programm „Kein Abschluss ohne Anschluss“ und der Qualifizierungsinitiative „GenderKompetent“ den Rahmen geschaffen für eine breite Thematisierung und Bearbeitung der geschlechterstereotypen Berufs- und Studienwahl. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 37 39. Welche Maßnahmen sind ansonsten geplant, um Berufsperspektiven für Jungen zu eröffnen? Mit der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) ist ein geschlechtersensibles Gesamtsystem des Übergangs von der Schule in den Beruf eingeführt worden, das die Belange beider Geschlechter berücksichtigt. Im Handlungsfeld I (Berufs- und Studienorientierung) können insbesondere die „Praxisphasen “ (Schülerbetriebspraktika, Berufsfelderkundungstage, Langzeitpraktika) genutzt werden, um geschlechteruntypische Berufsfelder kennenzulernen und berufliche Perspektiven zu eröffnen. 40. Was unternimmt die Landesregierung, um Jugendsozialarbeit und Maßnahmen zur Berufsintegration darin zu stärken, auch Berufsfelder in ihre Maßnahmen zu integrieren, die nicht klassisch-männlich-konnotierten Berufsfeldern entsprechen und in denen Jungen/Männer bisher unterrepräsentiert sind? Die Landesregierung ist der Auffassung, dass entsprechende Berufsfelder bereits jetzt in den Angeboten der Jugendsozialarbeit, beruflichen Orientierung und Integration berücksichtigt sind. 41. Was unternimmt die Landesregierung, um erzieherische und pflegerische Berufe mit Blick auf Weiterqualifizierung, Durchlässigkeit flexibler und attraktiver zu gestalten ? Welche Möglichkeiten gibt es bereits jetzt? Wie lassen sich diese mit Blick auf die Integration von Jungen bzw. jungen Männern in erzieherische und pflegerische Berufe weiterentwickeln? Für die Berufe in der Gesundheits-, Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und der Altenpflege gibt es gesetzliche Regelungen auf Bundes- und Landesebene, die zu gestuften Bildungswegen führen: Einjährige Helfer- bzw. Assistenzausbildungen Dreijährige Ausbildungen zur Pflegefachkraft Staatlich geregelte Weiterbildungen. Eine Durchlässigkeit der Ausbildungen ist dadurch gegeben, dass sich an eine ein-jährige Ausbildung in der Gesundheits- und Krankenpflegeassistenz die dreijährige Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegefachkraft mit einer Verkürzungsmöglichkeit von bis zu einem Jahr anschließen kann. Über die tatsächliche Anzahl der Personen, die von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, liegen der Landesregierung keine Daten vor. Für die Ausbildung in der Altenpflege gibt es eine Entsprechung für die einjährige Ausbildung in der Altenpflegehilfe, an die sich die dreijährige Ausbildung zur Altenpflegefachkraft anschließen kann. Auch hier kann, je nach Ergebnis der Prüfung in der Altenpflegehilfe, die Ausbildung verkürzend auf die dreijährige Ausbildung angerechnet werden. Das Altenpflegegesetz des Bundes ermöglicht im Rahmen der Vergleichbarkeit von Ausbildungen und nach Einzelfallüberprüfung durch die Vollzugsbehörden (Bezirksregierungen) eine Verkürzungsmöglichkeit auch für Sozialassistentinnen und Sozialassistenten. Nach ei- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 38 ner Überprüfung der Ausbildungsdokumente im Rahmen der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege (2012–2015) wurde durch die Landesregierung Anfang 2015 einheitlich geregelt, dass für staatlich geprüfte Sozialassistentinnen und Sozialassistenten in Nordrhein-Westfalen, entsprechend der Altenpflegehilfeausbildung, eine Verkürzungsmöglichkeit der dreijährigen Altenpflegeausbildung um bis zu einem Jahr ermöglicht werden kann. Bei der Ausbildung „Sozialassistentin/Sozialassistent“ handelt es sich um eine zweijährige Ausbildung. Darüber hinaus hat Nordrhein-Westfalen, gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion NRW – im Rahmen der Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive Altenpflege (2012–2015) eine weitere Verkürzungsmöglichkeit der dreijährigen Altenpflegeausbildung unterstützt. So kann bei Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung nach dem SGB III die dreijährige Altenpflegeausbildung um ein Drittel verkürzt werden. Dies betrifft Personen , die im Umfang einer Vollbeschäftigung von mindestens zwei Jahren in einer Pflegeeinrichtung gemäß § 71 des Elften Buches Sozialgesetzbuch beschäftigt waren (stationäre /ambulante Pflegeeinrichtungen). Zur Feststellung bereits vorhandener Kompetenzen, die zu einer Verkürzung berechtigen, wurde in Nordrhein-Westfalen ein landesweit einheitliches und zentral durchgeführtes Kompetenzfeststellungsverfahren entwickelt. Seit Anfang des Jahres 2014 konnten rd. 50 bislang ungelernte Pflegehilfskräfte auf diesem Weg eine verkürzte Altenpflegeausbildung beginnen. Für die Berufe in der Gesundheits- und Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege gibt es darüber hinaus Weiterbildungsmöglichkeiten nach der Weiterbildungs- und Prüfungsverordnung für Pflegeberufe (WBVO-Pflege-NRW vom 15.12.2009). Für die Krankenpflegeberufe gibt es Weiterbildungen zur Fachkraft für Intensivpflege und Anästhesie, für den Operationsdienst und in der psychiatrischen Pflege. Außerdem gibt es eine Weiterbildung zur Hygienefachkraft. Angehörige des Altenpflegeberufs können sich nach der WBVO-Pflege- NRW zur Fachkraft in der psychiatrischen Pflege weiterbilden. Für die Weiterbildungen und die staatlichen Abschlussprüfungen werden insgesamt 120 Leistungspunkte nach dem European Credit Transfer System (ECTS) vergeben. Durch die Ausweisung von Leistungspunkten besteht eine Anrechnungsmöglichkeit auf weiterführende Studiengänge. Weiterführende Bachelor- und Masterstudiengänge werden u.a. in den Bereichen der Pflegeund Gesundheitswissenschaften, des Pflegemanagements sowie der Pflegepädagogik angeboten . Neben der Weiterentwicklung der bewährten Bildungswege der pflegeberuflichen Aus- und Weiterbildung übernimmt Nordrhein-Westfalen bundesweit eine Vorreiter-rolle in der Entwicklung und Erprobung dualer akademischer Ausbildungen, die zugleich die berufsrechtliche Fachkraftqualifikation und auch einen Bachelorabschluss vermitteln. Seit Einführung der entsprechenden Modellklausel in den Berufsgesetzen der Pflege- und Gesundheitsfachberufe des Bundes und der landesrechtlichen Umsetzung nach dem Gesetz über die Durchführung von Modellversuchen zur Weiterentwicklung der Berufe in der Alten- und Krankenpflege , für Hebammen, Logopäden, Ergotherapeuten und Physiotherapeuten (Modellstudiengangsgesetz für die Gesundheitsfachberufe - MStG) vom 09.02.2010 werden an sieben Hochschulstandorten elf Modellstudiengänge in den Pflege- und Gesundheitsfachberufen angeboten. An fünf der Hochschulstandorte haben Bewerberinnen und Bewerber die Möglichkeit , einen Studiengang in der Pflege zu wählen. Eine Informationsbroschüre „Hochschulische Ausbildung in den Pflege- und Gesundheitsfachberufen – Informationen-Argumente-Erfahrungen“ – steht als pdf-Datei auf den Internetseiten des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter zum Download bereit (https://broschueren.nordrheinwestfalendirekt.de/broschuerenservice/mgepa). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 39 Die Pflegeberufe bieten schon heute durch die bestehende Durchlässigkeit und die vielfältigen Weiterbildungsangebote attraktive Berufsperspektiven auch für männliche Bewerber. In den Jahren 2012 und 2013 lag der Anteil der männlichen Schüler in der Altenpflege sowie der Gesundheits- und Krankenpflege bei rd. 23 %. Tendenziell ist als Folge der Möglichkeit von hochschulischen Ausbildungen im Pflegebereich zu erwarten, dass sich mehr junge Männer / Jungen für einen Beruf in diesem Bereich interessieren. Allerdings dienen die verbesserten Akademisierungsmöglichkeiten ebenso wie die weiteren Aktivitäten zur Verbesserung der Ausbildungsbedingungen und der beruflichen Rahmenbedingungen ausdrücklich der Attraktivitätssteigerung des Berufes für männliche und weibliche Pflegekräfte bzw. Auszubildende . Eine darüber hinausgehende zielgerichtete Förderung der Berufsaufnahme männlicher Bewerber ist weder eingeführt noch geplant. Allerdings werden beispielsweise in dem von der Landesregierung geförderten Internetportal „Pflegeberufe NRW – Deine Ausbildung mit Zukunft “ männliche Bewerber explizit angesprochen und über die Berufsperspektiven in den Pflegeberufen informiert (https://www.pflegeberufe-nrw.de/ein-attraktiverarbeitsplatz /maenner-in-der-pflege/), siehe hierzu auch Antwort auf Frage 70. Die Maßnahmen zur Integration von Jungen bzw. jungen Männern in erzieherische Berufe sind bereits bei der Antwort zur Frage 25 dargestellt worden. 42. Welche Bestrebungen gibt es, um neue Methoden von Bewerbungsverfahren weiterzuentwickeln und somit Jungen (und Mädchen), die in Bewerbungsverfahren eventuell frühzeitig „ausgesiebt“ werden, zu unterstützen? Eine ausgewogene Mischung von Männern und Frauen dient nicht nur der Chancengleichheit , sondern wirkt auch positiv auf die Unternehmenskultur und das Betriebsklima und steigert die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Unternehmen. Damit Unternehmen und Arbeitgeber eine auf eine ausgewogene Vielfalt zielende Personalpolitik optimal umsetzen können, ist es in Bewerbungsverfahren im Einzelfall hilfreich und erforderlich, bewusst bestimmte Zielgruppen anzusprechen. Neue Methoden von Bewerbungsverfahren, wie beispielsweise Einstellungs- und Wissenstests oder eine innovative Gestaltung von Arbeitsproben oder Assessment-Verfahren, können in individueller Ausgestaltung hilfreich sein, eine qualifikationszentrierte Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern zu stärken. Erkenntnisse über eine systematische Diskriminierung von jungen Frauen und Männern in Bewerbungsverfahren liegen der Landesregierung nicht vor. III. SEXUELLE BILDUNG Vorbemerkung der Großen Anfrage Sexuelle Bildung bedeutet, dass Jungen dabei unterstützt werden, ihre eigene Sexualität zu entwickeln, die durch Selbstbestimmung, Freiwilligkeit, Verantwortung und Partnerschaft getragen ist. Jungen bedürfen hierfür jungengerechte Aufklärung und Beratung, die dabei unterstützt, einen positiven Zugang zu Sexualität zu ermöglichen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 40 43. Wo finden sich auf Jungen spezialisierte Ärzte und Beratungsstellen, die Jungen und Eltern mit Blick auf sexuelle Entwicklung und Geschlechtskrankheiten unter Beachtung kultureller Herkunft angemessen beraten können? Jungen oder junge Männer sollten sich bezüglich der Beratung zum Thema und der Behandlung von Geschlechtskrankheiten an einen Facharzt bzw. eine Fachärztin für Urologie oder Dermatologie (mit der Zusatzbezeichnung Andrologie) oder eine Venerologin oder einen Venerologen (Facharzt/Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten) wenden. Verschiedene Städte in Nordrhein-Westfalen bieten Ärztewegweiser für Migrantinnen und Migranten an (z.B. Krefeld, Düren). Von den Gesundheitsämtern der Kreise und kreisfreien Städte werden kostenlose und anonyme Testmöglichkeiten wie auch Beratung angeboten. Beratung bietet auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), u. a. auch eine online- und Telefonberatung. Seit 1998 umfasst das Früherkennungsprogramm für Kinder (sogenannte U-Untersuchungen) mit der J1 eine weitere Vorsorgeuntersuchung. Die Jugendgesundheitsuntersuchung (J1) wendet sich an Jugendliche – Jungen und Mädchen - im Alter von 12 bis 14 Jahren. Das Kind bzw. der oder die Jugendliche kann sich hierfür an eine Ärztin oder einen Arzt der Kinder- und Jugendmedizin oder der Allgemeinmedizin seines bzw. ihres Vertrauens wenden. Das Gespräch bleibt vertraulich; die Untersuchung unterliegt der ärztlichen Schweigepflicht, auch gegenüber den Eltern. Schwule, bisexuelle, inter* und auch trans* Jungen und Männer sowie deren Ange-hörige können sich auch an die fünf vom Land geförderten psychosozialen Beratungsstellen für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und ihre Angehörigen in NRW wenden. Alle Einrichtungen übernehmen auch eine verantwortungsvolle Lotsenfunktion. In einer krisenhaft erlebten Phase stellt sich Jugendlichen oftmals die Frage nach der eigenen sexuellen Identität . Die Beratungsstellen offerieren eine persönliche psychosoziale Beratung, begleiten die Identitätsfindung empathisch und stellen Räume für die Selbstfindung zur Verfügung. Sie unterstützen die Ratsuchenden auch dabei, ihr gesundheitliches Potential zu entwickeln. Dazu gehört auch eine adressatinnen- und adressatenorientierte, kultursensible Versorgung im Hinblick auf die Identitätsentwicklung junger Menschen, Partnerschafts- und Beziehungsfragen , Sexualberatung, Familienplanung und Erziehungsfragen. Die Einrichtungen bieten keine Psychotherapie an, sondern helfen dabei, geeignete Stellen zu finden. 44. Gibt es Auswertungen, Evaluationen zu den verschiedenen Maßnahmen der spezialisierten Beratungsstellen, die einen Fokus auf Jungen legen? Wenn ja, welche Konsequenzen folgen hieraus für die geschlechtsspezifische Ausformung der Maßnahmen und Angebote? Über die Evaluation von im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe tätigen Beratungsstellen, die einen Fokus auf Jungen legen und vor Ort tätig sind, liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Zu den Aktivitäten der Träger, die zur Jungenarbeit beraten (LAG Jungenarbeit , FUMA-Fachstelle Gender NRW, Fachstelle „Gerne anders!“, Landesfachstelle für LSBT*Jugendarbeit), finden jährliche Fachgespräche über erreichte und zukünftige Ziele und Schwerpunkte statt. Im Übrigen wird, bezogen auf spezielle Einrichtungen, die Angebote für sexuell übergriffige männliche Jugendliche machen, auf die Antwort zu Frage 50 verwiesen. Die Arbeit der landesgeförderten psychosozialen Beratungsstellen für Lesben, Schwule, Bisexuelle , Trans*, Inter* (LSBTI*) und ihre Angehörigen wird regelmäßig evaluiert. Qualitäts- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 41 merkmal dieser Beratungsstellen ist die Peer to Peer Beratung. Die Ergebnisse der Evaluation sind in die Aktualisierung der Qualitätsstandards eingeflossen. Über die nicht vom Land geförderten Beratungsstellen für die Zielgruppen LSBTI* liegen keine Auswertungen vor. 45. Inwieweit wird das Thema in Kindertageseinrichtungen und Grundschulen, Schulen und jenseits von Schulen (beispielsweise in der Jugendhilfe) aufgegriffen? Körperliches und seelisches Wohlbefinden ist eine grundlegende Voraussetzung für die Entwicklung und Bildung und ein Grundrecht von Kindern. Die Wahrnehmung des eigenen Körpers und die Erfahrungen seiner Wirksamkeit sind grundlegende Erfahrungen für jedes Kind. Mit zunehmendem Alter wird auch das Wissen über den Körperbau und seine Funktionen für Kinder interessant. Bereits im Elementarbereich können Kinder durch Angebote und Projekte zum Thema Körper Erfahrungen sammeln und Antworten auf ihre Fragen erhalten. Hierdurch bekommen sie ein differenzierteres Verständnis für ihren Körper sowie die Voraussetzungen , die eine gesunde körperliche Entwicklung ermöglichen. Das Thema Körper und Sexualität ist in der Regel in den pädagogischen Konzeptionen einer Kindertageseinrichtung enthalten und wird in den Teams der Kindertageseinrichtungen unter Einbeziehung der Eltern reflektiert und thematisiert. Das Thema sexuelle Bildung ist auch in den Bildungsgrundsätzen „Mehr Chancen durch Bildung von Anfang an – Entwurf Grundsätze zur Bildungsförderung für Kinder von 0 bis 10 Jahren in Kindertageseinrichtungen und Schulen im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen“ aufgenommen. § 33 SchulG regelt die schulische Sexualerziehung in NRW. Die 1999 erlassenen „Richtlinien für die Sexualerziehung im Land Nordrhein-Westfalen" führen diese schulgesetzliche Regelung aus und konkretisieren den Rahmen sowie die Unterrichtsinhalte. Nach den Richtlinien ist z.B. auch der Umgang mit geschlechterspezifischen Rollenbildern Gegenstand der schulischen Sexualerziehung. Schulen arbeiten in diesem Themenbereich mit externen Partnern und außerschulischen Einrichtungen zusammen. Daten und Erkenntnisse hierüber liegen der Landesregierung nicht vor. § 11 Abs. 1 SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) legt fest, dass jungen Menschen „die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen“ sind. Zu den Schwerpunkten der Jugendarbeit gehört dabei auch die gesundheitliche und kulturelle außerschulische Jugendbildung. Diese findet in NRW in offenen Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit, in Jugendverbänden und darüber hinaus statt. Die Träger der freien und öffentlichen Jugendhilfe sind nach § 4 Kinder- und Jugendförderungsgesetz (KJFöG NRW) bei den Angeboten dazu verpflichtet, „unterschiedliche Lebensentwürfe, sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Identitäten als gleichberechtigt anzuerkennen“. Vor diesem Hintergrund machen die Träger der Jugendarbeit auch Angebote für Kinder und Jugendliche zur Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität. 46. Gibt es in den Kindertageseinrichtungen sexualpädagogische Konzepte für eine angemessene körperliche Entwicklung von Kindern und bewusste Schutzkonzepte zur körperlichen und seelischen Unversehrtheit? Auf die Antwort zu Frage 45 wird verwiesen. Darüber hinaus haben Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege den gesetzlichen Schutzauftrag, der sich für alle aus dem SGBVIII ergibt. In Zusammenarbeit mit den örtlichen Jugendämtern gibt es in der Regel Vereinbarungen, in denen festgelegt wird, wie die pädagogischen Fachkräfte professionell bei Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung vorzugehen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 42 haben. Zudem gibt es trägerspezifische Konzepte, die das Thema „Kinderrechte“ und „Kinderschutz “ enthalten. 47. Welche frühzeitige und breite Unterstützung erhalten Jungen bei der sexuellen Orientierung und der Entwicklungsreifung? Die Landesregierung legt Wert darauf, dass sich die sexuelle Orientierung in einem diskriminierungsfreien Raum entfalten kann. Eine wichtige Rolle spielt die Vorbildfunktion der erwachsenen Bezugspersonen, also die Rolle der Eltern und anderer an der Erziehung beteiligter Personen, die das Vertrauen der Jungen genießen. Auch die Kinder- und Jugendarbeitet leistet einen Beitrag zur frühzeitigen und breiten Unterstützung von Jungen bei der sexuellen Orientierung und der Entwicklungsreifung. Die Landesregierung unterstützt diesen Prozess durch die Förderung von Projekten und die Förderung der Fachstelle Gender sowie der LAG Jungenarbeit, die freie und öffentliche Träger mit ihren Fachberatungs- und Fortbildungsangeboten dabei unterstützen entsprechende Angebote zu entwickeln und durchzuführen. Schulen arbeiten auch in diesem Themenbereich mit externen Partnerinnen und Partnern und außerschulischen Einrichtungen zusammen. Initiativen wie „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie“ stellen für diesen Kontext hilfreiches Material und Beratung zur Verfügung . Partner des Projekts ist das von ehrenamtlichen Initiativen getragene Projekt SchLAu NRW (schwul, lesbisch, bi, Trans* Aufklärung). Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 44 und 45 verwiesen. 48. Inwieweit werden Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe mit Blick auf einen rechtebasierten Ansatz von Sexualität unterstützt und qualifiziert? Wie wird das Recht auf Sexualität in der Jugendhilfe gewahrt? Das Recht auf Sexualität wird durch die Kinderrechtskonvention, die EU Konvention, das Grundgesetz im Zusammenhang mit der Grundrechtsgarantie für jeden Menschen auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und damit auch auf die Gestaltung seiner eigenen Sexualität gewahrt. Dabei sind schützenswerte Belange anderer ebenso zu beachten wie strafrechtliche Vorschriften. Diese Rechtsgrundlagen korrespondieren in Bezug auf Kinder und Jugendliche mit § 1 SGB VIII, wonach diese das Recht auf Förderung ihrer Entwicklung und zur Erziehung zu einer eigenverantwortlichen Person haben. Dazu gehören neben Aufklärungsund Informationsangeboten auch das Erleben eigener Sexualität unter Beachtung der Altersschutzgrenze gemäß §§ 176, 176a StGB. Der § 1 SGB VIII prägt auch den Erziehungsauftrag der Eltern sowie den Bildungsauftrag der Schulen und der Jugendhilfe. 49. Welche Maßnahmen werden in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht, die Jungen über die verschiedenen Formen sexueller Belästigungen sensibilisieren und Angebote zur Unterstützung absichern? Zunächst ist festzuhalten, dass aus Sicht der Landesregierung der Begriff der "sexuellen Belästigung" irreführend und euphemistisch mit Blick auf diese Gewaltformen und deren Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche ist. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 43 die Sensibilisierung und Aufklärung von Jungen (und Mädchen) über die Gefahren und verschiedenen Formen sexualisierter Gewalt zunächst in den Familien geschieht und die Eltern durch vielfältige Angebote öffentlicher und freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe dabei mit Informationen, Veranstaltungen und anderen Angeboten unterstützt werden. Darüber hinaus werden Jungen und Mädchen mit unterschiedlichen Präventionsprojekten auch unmittelbar durch Träger der Kinder- und Jugendhilfe angesprochen. So bieten eine Reihe von Trägern Theaterstücke oder andere kindgerechte Maßnahmen an, mit denen Kinder und Jugendliche in Kindertageseinrichtungen, Schulen und in der Jugendarbeit altersgerecht für die Risiken sensibilisiert werden und zugleich Handlungsoptionen der Prävention vermittelt bekommen. In den Kindertageseinrichtungen hat sich seit einigen Jahren ein Projekt „Papilio“ zur Vorbeugung gegen die Entwicklung von Sucht und Gewalt etabliert. Es ist ein wissenschaftlich evaluiertes Programm für Kitas. Dieses Projekt findet in den Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen guten Zuspruch, weil es präventiv ausgerichtet ist und ansetzt, um künftige Störung und Beeinträchtigung bei Kindern zu vermeiden und eine gute Entwicklung insbesondere sozialer-emotionaler Kompetenzen fördert. Kinder üben mit den kindorientierten Maßnahmen soziale Regeln, den Umgang mit Gefühlen und den Umgang untereinander. „Papilio“ unterstützt zudem, dass die Erzieherinnen und Erzieher durch gezielte Fortbildungen in ihrer Arbeit unterstützt werden und insofern ist das Projekt auch ein Beitrag für eine qualitative Weiterentwicklung der pädagogischen Konzeption einer Kita. Die Eltern werden in das Projekt einbezogen. Das Kinderschutzportal (www.schulische-prävention.de) hält neben umfänglichen fachlichen Informationen auch eine Übersicht über entsprechende Projekte bereit. Darüber hinaus bieten z.B. der Landessportbund und die Beratungsstelle Zartbitter in Köln kindgerechte Aufklärungs - und Bestärkungsmaterialen speziell für Jungen an. Eine weitere wichtige Zielgruppe im Rahmen der Prävention vor sexualisierter Gewalt sind die Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe. Für diese Multiplikatoren werden unterschiedliche Angebote im Rahmen von Informationsveranstaltungen und Fortbildungen bereitgehalten . So bietet z.B. die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendschutz NRW (AJS-NRW) Fortbildungen und inhouse-Weiterbildungen an, die die Fachkräfte in die Lage versetzen im Kontakt mit Jungen verschiedenen Präventionsprogramme wie Prävention als Erziehungshaltung , situationsorientierte Prävention, beziehungsorientierte Prävention oder fähigkeitsorientierte Prävention in den pädagogischen Alltag zu implementieren. Die Polizei NRW bietet keine jungenspezifischen Maßnahmen zur Prävention sexueller Gewalt an. Gleichwohl beteiligt sie sich im Rahmen der Netzwerkarbeit an vielfältigen Präventionsprojekten für Mädchen und Jungen. Ihre Aktivitäten richten sich an Multiplikatorinnen und Multiplikatoren, z. B. Eltern, Erziehungsverantwortliche und pädagogische Fachkräfte. Die Arbeitsgemeinschaft „Emanzipatorische Jugendarbeit“ des Oberbergischen Kreises führt seit 2010 Konflikttrainings für Jungen ab 14 Jahre durch. Dieses Training hat zum Ziel, die Teilnehmenden vor einer Viktimisierung zu schützen bzw. Gewalttaten zu verhindern. Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte des Landrats Oberbergischer Kreis wirken bei einem Modul dieses Konflikttrainings mit. In einigen Städten in Nordrhein-Westfalen wird bereits seit 1996 das Theaterprojekt „Mein Körper gehört mir“, ein Projekt zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen in Kooperation mit der Polizei NRW, durchgeführt. Bei diesem Theaterstück handelt es sich um eine Produktion der theaterpädagogischen Werkstatt GmbH, Osnabrück, die für Mädchen und Jungen der dritten Grundschulklassen konzipiert wurde. Die Inhalte des Thea- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 44 terstücks bestärken Kinder altersgemäß in der Wahrnehmung der eigenen Gefühle, in der Bereitschaft zur Abwehr von Übergriffen und in der Suche nach der Hilfe Dritter, und intensivieren so die kindgerechte Auseinandersetzung mit dem Thema „sexueller Missbrauch“. Die interaktive Geschichte, die aus leicht verständlichen Alltagsszenen besteht, integriert die Zuhörerinnen und Zuhörer durch Rollenspiele, Fragen und Gespräche. Das Präventionsprojekt besteht aus mehreren Bausteinen, z. B. einer Informationsveranstaltung für Eltern und Erziehungsverantwortliche, Lehrerinnen und Lehrer sowie Betreuerinnen und Betreuer der Offenen Ganztagsschule (OGS). An dieser Informationsveranstaltung beteiligt sich die Polizei NRW mit Informationen über Erscheinungsformen, Tatbegehungsweisen sowie einer kurzen Lagedarstellung. Das Theaterstück ist sowohl in den Jahren 2006/2007 von der Heinrich -Heine Universität Düsseldorf als auch in der Zeit von 2011 bis 2013 von der Goethe- Universität Frankfurt a.M. evaluiert worden. 50. Inwieweit sind Konzepte zum Umgang mit sexuell grenzverletzenden Jungen etabliert, dokumentiert und der Praxis zugänglich gemacht – auch um der Aussonderung von Jungen in „Spezialeinrichtungen“ begegnen zu können? Sexuell grenzverletzende Kinder und Jugendliche weisen eine Verhaltensauffälligkeit bzw. - störung auf, die nicht per se als krankhafte bzw. psychische Störung diagnostiziert wird. Das vom Land Nordrhein-Westfalen finanzierte und 2009 abgeschlossene Forschungsprojekt „Evaluation der Behandlung sexuell übergriffiger Kinder“ stellte heraus, dass in Nordrhein -Westfalen Beratungsstellen und stationäre Einrichtungen der Jugendhilfe spezielle Behandlungsangebote entwickelt haben und diese entsprechend durchgeführt werden. Grundsätzlich gewährleisten auch die kinder- und jugendpsychiatrischen Fachabteilungen bzw. Fachkliniken die stationäre Versorgung. Zudem wurden in der Jugendforensik für sexuell grenzverletzende Jugendliche spezielle Behandlungsangebote entwickelt. Grundlagen der fachlichen Methodik bilden im Besonderen psychotherapeutische, sozialtherapeutische und pädagogische Konzepte wie auch schulische und berufliche Bildungsmaßnahmen. Im Weiteren stehen als besondere Einrichtungen im Rheinland mit der LVR-Klinik Viersen eine jugendforensische Station und in Westfalen-Lippe mit dem jugendforensischen Bereich der LWL-Klinik Marsberg spezialisierte Angebote zur Verfügung. Die Therapien erfolgen in ausschließlich auf Jugendliche und Heranwachsende ausgerichteten Einrichtungen, da dort die Unterbringungsstandards des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) – insbesondere der Erziehungsgedanke , die Berücksichtigung von Alters- und Reifestufen und der Aspekt der sich entwickelnden Persönlichkeit – gewährleistet werden können. Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Nachuntersuchung des Modellprojekts "Erzieherische Hilfen für jugendliche Sexual(straf)täter“ (2001-2004) sind dokumentiert und über das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport erhältlich („Erzieherische Hilfen für jugendliche Sexual(straf)täter. Katamnesestudie zu den vom Land Nordrhein-Westfalen geförderten Modellprojekten“). Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im Jahr 2008 auch im Rahmen einer Fachtagung vorgestellt und diskutiert. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 31 verwiesen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 45 51. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung ist auch für Jungen voll und ganz anzuerkennen. Inwieweit setzt sich die Landesregierung für ein Verbot jeglicher nicht indikationsbasierter Beschneidung von Jungen ein? Die Einschätzung, ob eine medizinisch indizierte Beschneidung erforderlich ist, liegt in ärztlicher Verantwortung. Über mögliche Behandlungsfehler entscheiden die jeweiligen Ärztekammern . Über die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen wurde in Deutschland in den letzten Jahren eine intensive Debatte geführt. Der Bundestag hat Ende 2012 eine gesetzliche Regelung verabschiedet, welche die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen bei Beachtung bestimmter Voraussetzungen erlaubt. 52. Jungen haben – anders als Mädchen – derzeit keine Möglichkeit, kostenlos Verhütungsmittel zu erhalten. Gibt es konkrete Überlegungen seitens der Landesregierung dieses zu ändern und die Mitverantwortung von Jungen bei der Verhütung mit einzubeziehen? Welche Maßnahmen sind diesbezüglich geplant? Im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung haben Versicherte bis zum vollendeten 20. Lebensjahr Anspruch auf Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln, soweit sie ärztlich verordnet werden. Nach aktueller Rechtslage besteht somit nur Anspruch auf Kostenübernahme für verschreibungspflichtige Mittel (hormonelle Antikonzeptiva, Intrauterinpessare ), durch die Krankenkasse, wobei die gesetzlichen Zuzahlungsregelungen entsprechend gelten. Darüber hinaus umfasst die Versorgung nicht verschreibungspflichtige Notfallkontrazeptiva soweit sie ärztlich verordnet werden. Kondome sind weder verordnungsfähig noch verordnungspflichtig, so dass sie nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören. Bei der Regelung zur Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln durch die Krankenversicherung (§ 24 a Abs. 2 SGB V) handelt es sich um eine bundesgesetzliche Regelung. IV. GESUNDHEIT Vorbemerkung der Großen Anfrage Derzeit geht es bei Gesundheitsthemen mit Fokus auf Jungen in der Regel um das Risikoverhalten dieser und ihr gesundheitsgefährdendes Verhalten. Es ist wichtig, mehr Aufmerksamkeit auf die Gesundheit von Jungen und ihr Wohlbefinden zu legen. Von zentraler Bedeutung ist hier die Integration des Salutogenese-Konzeptes in alle Bereiche der Gesundheitspädagogik und -förderung, als auch die durchgängige Integration von sozialen, psychischen und physischen Aspekten in die verschiedenen Maßnahmen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 46 53. Wie unterstützt die Landesregierung Angebote und Maßnahmen, die eine höhere Aufmerksamkeit auf verdeckte Gesundheitsthemen von Jungen, wie Depression, Suizid, selbstverletzendes Verhalten, Schulstress und -überforderung, Suchtverhalten z.B. im Zusammenhang mit Mediennutzung oder Alkoholkonsum usf. legen ? Gibt es geschlechtsspezifische Ansätze und Konzepte zu den genannten Themenkomplexen ? Die gesundheitliche Situation von Kindern und Jugendlichen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in allen Industrieländern verändert. Auffällig ist eine Verlagerung von somatischen hin zu psychischen Störungen. Dieses als „neue Morbidität” bezeichnete Phänomen wird zu einem nicht unerheblichen Teil von Störungen der Emotionalität, des Sozialverhaltens sowie der motorischen, kognitiven und sprachlichen Entwicklung bestimmt. Es zeigen sich verstärkt Angststörungen, Depressionen, dissoziale, auch aggressive Verhaltensauffälligkeiten sowie Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivitätsstörungen (ADHS). Nach den Ergebnissen der BELLA Studie 2006 (BEfragung zum seeLischen WohLbefinden und VerhAlten) im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) des Robert Koch-Instituts (RKI) zeigten sich bei etwa 20% der Kinder und Jugendlichen Hinweise auf psychische Auffälligkeiten , die je nach Ausprägung auch Krankheitswert haben können. Die Prävalenz seelischer Probleme und Beeinträchtigungen (gemessen mit dem extended Strength and Difficulties Questionnaire (SDQ)) betrug in der Altersklasse der 7- bis 10-Jährigen 6,3 % (Mädchen 3,7 %, Jungen 8,8 %). Von diesen Betroffenen benötigten 13,1 % der Mädchen und 43,1 % der Jungen eine Behandlung oder befanden sich bereits in einer Therapie (Angabe der Eltern ). In der Altersgruppe der 11- bis 17-Jährigen hatten 4,9 % seelische Probleme und Beeinträchtigungen (Mädchen 4,0 %, Jungen 5,7 %). Von diesen Betroffenen benötigten 46,9 % der Mädchen und 45,1 % der Jungen eine Behandlung oder befanden sich bereits in Therapie (Angabe der Eltern). Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch die HBSC-Studie „Health Behaviour in School-aged Children“ aus 2005/2006. Bei psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen liegt ein vielfältiges und komplexes Bedingungsgefüge aus personalen, sozialen und umweltbedingten Einflussfaktoren zu Grunde. Die Studienergebnisse zeigen deutliche geschlechts-, alters- und schichtspezifische Unterschiede. So sind bis zur Pubertät Jungen häufiger psychisch auffällig als Mädchen, während bei letzteren psychische Störungen erst ab der Pubertät deutlich zunehmen. Auch die Störungsbilder weisen geschlechtsspezifische Unterschiede auf. So stehen bei Jungen überwiegend sog. externalisierende, also nach außen gerichtete Störungen wie Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität sowie aggressives und dissoziales Verhalten im Vordergrund. Bei Mädchen treten häufiger ängstlich-depressive und psychosomatische Störungen auf. Um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu stärken und Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenzuwirken, führt die Landesregierung seit 2012 die Landesinitiative „Starke Seelen“ durch. Die Landesinitiative berücksichtigt alle Faktoren, die Einfluss auf die seelische Gesundheit von Jungen und Mädchen haben können in den jeweiligen Lebensphasen von Geburt an bis hin zum jungen Erwachsenenalter mit Eintritt in die Arbeitswelt. Im Rahmen der Landesinitiative werden innovative Projekte zur zielgruppenspezifischen und geschlechtergerechten Prävention sowie zur Weiterentwicklung von Hilfeangeboten aus Landesmitteln gefördert. Ziel der Projekte ist es, den Zugang zu entsprechenden Hilfen zu erleichtern und auf eine strukturierte hilfesystemübergreifende Vernetzung und Abstimmung der vielfältigen Aktivitäten bzw. der Akteurinnen und Akteure in diesem Bereich hinzuwirken. Darüber hinaus werden Projekte guter Praxis über eine entsprechende Projekt- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 47 datenbank der breiten (Fach-) Öffentlichkeit zugänglich gemacht (http://www.praeventionskonzept.nrw.de/psyche/index.html). Auch die Landeskampagne zur Suchtprävention „Sucht hat immer eine Geschichte“ trägt den geschlechtsspezifischen Aspekten bei Entwicklung und Umsetzung von Konzepten und Maßnahmen Rechnung. So führen die Fachkräfte der Sucht- und Drogenberatungsstellen u. a. in Kooperation mit Schule und Jugendhilfe Projekte durch, die sich gezielt an Jungen richten und insbesondere auch die Themenfelder Alkoholkonsum sowie Nutzung der neuen Medien zum Inhalt haben. Für den Themenbereich Alkoholkonsum und Sozialkompetenz von Jungen hat die Landeskoordinierungsstelle für Suchtvorbeugung in NRW (ginko Stiftung für Prävention) mit der FUMA-Fachstelle Gender NRW ein Planspiel für 12- bis 14-jährige Jungen mit dem Titel „Blue Boys“ entwickelt, das in Jugendhilfe und Schule eingesetzt werden kann. (http://www.gender-nrw.de/fileadmin/datenfu - ma/4_Service/1_Download/9_weitere_Projekte/Projekt_blue_boys__Methodenreader_zur_J ungenarbeit_2007.pdf) Jungen und Mädchen haben nach den Befunden der KIM- und JIM-Studien 2014 des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest (http://www.mpfs.de/index.php?id=646 und http://www.mpfs.de/index.php?id=631) unterschiedliche Präferenzen in Bezug auf Medien . Beide Geschlechter können jedoch in gleicher Weise von exzessiver Mediennutzung betroffen sein. Die Prophylaxefachkräfte der Sucht- und Drogenberatungsstellen in den Kommunen arbeiten genderspezifisch und gehen damit auf die verschiedenen Problemlagen von Jungen wie auch Mädchen ein. Im Übrigen wird auf die Antwort der Landesregierung zu Frage 5 der Kleinen Anfrage 2763 „Welche Maßnahmen setzt die Landesregierung zur Jungenförderung um?“ der Abgeordneten Ingola Schmitz FDP hingewiesen (Landtags-Drs. 16/7280). Dort finden sich auch weitere beispielhafte Maßnahmen. 54. Wie schätzt die Landesregierung Daten bezüglich der zunehmenden ADHS- und Asperger-Syndrom-Diagnostiken und der damit einhergehenden frühzeitigen Pathologisierung von Jungen ein? Wird der gravierende Geschlechterunterschied bei diesen Diagnostiken im Rahmen von Behandlung und Therapie berücksichtigt und geschlechterbezogene Ansätze verfolgt? Inwieweit wird die Diagnosesicherheit diesbezüglich abgesichert? Mädchen und Jungen zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen im Kindes- und Jugendalter , die beeinflusst werden von der jeweiligen Kultur und deren Wertvorstellungen. Insofern liegen geschlechtsunterschiedlichen Verhaltensweisen normative Vorgaben der entsprechenden Gesellschaft zugrunde. ADHS Als Hyperkinetischen Störungen (HKS) bzw. Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wird eine Gruppe von Störungsbildern definiert, die sowohl bei Kindern und Jugendlichen , aber auch im Erwachsenenalter mit Symptomen wie Unaufmerksamkeit, motorische Unruhe und Impulsivität einhergehen. Jungen sind viermal häufiger von ADHS betroffen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 48 „Hyperaktives“ Verhalten, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen wird von der Landesregierung nicht nur als ein medizinisches Phänomen gewertet, sondern hat auch eine von vielen Faktoren beeinflusste gesellschaftliche Dimension. Oft finden kindlicher Bewegungsdrang und Impulsivität kein Ventil und keine Akzeptanz in unseren modernen Lebensformen und werden allzu schnell als „auffällig“ angesehen. Zudem besteht ein statistischer Zusammenhang zwischen der sozialen Lage und den Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche. Gerade für Kinder aus bildungsfernen Familien besteht oft schon ein großer Anpassungsdruck in Kita und Schule. Zum aktuellen Stand der Kinder- und Jugendgesundheit mit Schwerpunkt auf ADHS wird auf den Bericht des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter "Psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen" für den Ausschuss für Arbeit, Gesundheit und Soziales (Vorlage 16/2333) verwiesen. Asperger-Syndrom Als Asperger-Syndrom wird eine tiefgreifende Entwicklungsstörung innerhalb des Autismusspektrums bezeichnet, die vor allem durch Schwächen in den Bereichen der sozialen Interaktion und Kommunikation gekennzeichnet ist sowie von eingeschränkten und stereotypen Aktivitäten und Interessen bestimmt wird. Das Asperger-Syndrom ist nicht nur mit Beeinträchtigungen , sondern oft auch mit Stärken verbunden, etwa in den Bereichen der Wahrnehmung , der Introspektion, der Aufmerksamkeit oder der Gedächtnisleistung. Der Übergang von einer Normvariante der menschlichen Informationsverarbeitung bis hin zu einer Manifestation als Krankheit wird in der Fachöffentlichkeit diskutiert. Studien nehmen eine Prävalenz von 2 bis 3,3 je 10.000 Kinder und Jugendliche an. Auf ein Mädchen mit Asperger -Syndrom kommen 8 Jungen. Die ambulante Behandlungsprävalenz in Nordrhein-Westfalen (d.h. Diagnosestel-lung) kann nur für die Obergruppe der tief greifenden Entwicklungsstörungen (ICD-10 F84) dargestellt werden. Darunter fallen der frühkindliche Autismus, atypischer Autismus, das Rett-Syndrom, andere desintegrative Störungen des Kindesalters, überaktive Störungen mit Intelligenzminderung und Bewegungsstereotypien, Asperger-Syndrom und sonstige oder nicht näher bezeichnete Entwicklungsstörungen. Im Jahr 2012 waren in Nordrhein-Westfalen 11.865 Jungen und 4.228 Mädchen bis 19 Jahre in Behandlung. Die Rate der ambulanten Behandlungsprävalenz ist in der Altersgruppe der 5- bis 9-jährigen Jungen mit 1,0 % am höchsten. Stationäre Behandlungen von tief greifenden Entwicklungsstörungen (ICD-10: F84, Behandlung ein Tag und länger) sind bei Kindern und Jugendlichen eher selten, die Erkrankung wird vermutlich vermehrt ambulant behandelt. Im Jahr 2013 wurden 358 unter 18-jährige Jungen mit Wohnsitz in Nordrhein-Westfalen in einem Krankenhaus behandelt (Mädchen 99). Das entspricht einer Rate von 0,02 % bei den Jungen. Auf das Asperger-Syndrom entfallen 118 männliche und 18 weibliche Behandlungsfälle (ICD-10 F84.5). Zu einer frühzeitigen Pathologisierung liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Die Landesregierung befürwortet seit Jahren eine ganzheitliche Sichtweise und Unterstützung der Betroffenen. Dies gilt auch für Präventionsmaßnahmen, eine qualitätsgesicherte und geschlechtergerechte Diagnostik und Behandlung. Bei Diagnostik und Behandlung sind die AWMF-Behandlungsleitlinien, die von den Fachgesellschaften entwickelt und fortgeschrieben werden, zu beachten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 49 Fachveranstaltungen, die ein multimodales Therapiekonzept unter Einbezug von psychosozialen und pädagogischen Faktoren, eine Verbesserung der Diagnosequalität, Verordnungsqualität und eine rationale Strategie der Verordnung von Psychopharmaka in der Ärzteschaft und weiteren Fachöffentlichkeit thematisieren, werden z.B. durch Schirmherrschaften und begleitende Pressemitteilungen ideell unterstützt. Zudem fördert die Landesregierung über vielfältige Landesinitiativen die Verbesserung der gesellschaftlichen und gesundheitlichen Situation von Kindern und Jugendlichen, so über präventive Ansätze in „Kein Kind zurücklassen – KeKiz“ und „Starke Seelen – Förderung der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen“ (siehe auch Antwort auf Frage 53). 55. Gibt es konkrete Erkenntnisse darüber, welche Rolle die Jugendhilfe und Schule bei offenbar geschlechtsspezifischen Zuschreibungen psychiatrischer Auffälligkeiten einnimmt und damit die Kategorisierung von abweichendem Verhalten von Jungen (und Mädchen) unterstützt? Der Landesregierung liegen hierzu keine konkreten Erkenntnisse vor. Sonderpädagogischer Förderbedarf ist nicht identisch mit psychiatrischen Erkrankungen. 56. In wie weit fördert die Regierung die Grundlagenforschung und -arbeit zur Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten bei Jungen? Was unternimmt die Landesregierung, um Gründe für psychiatrische Erkrankung , so beispielsweise durch Erziehung und „unzureichende“ gesellschaftliche Rahmung, mit Angeboten und Maßnahmen zu flankieren? Das Landeszentrum Gesundheit (LZG) erhebt, analysiert und veröffentlicht im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter regelmäßig Daten zur Gesundheitsberichterstattung . Dem Geschlechteraspekt wird grundsätzlich im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung Rechnung getragen. Zu den Gesundheitsindikatoren gehören auch die psychischen Störungen. Im Jahr 2015 wird in diesem Bereich ein Schwerpunkt gesetzt. Es ist geplant, den Gesundheitssurvey NRW (telefonische Befragung der nordrhein-westfälischen Bevölkerung) auf die psychische Gesundheit auszurichten. Zudem ist vorgesehen, in Bezug auf die Häufigkeit von psychischen Auffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen die Daten der bundesweiten Befragung und Untersuchung von Kindern und Jugendlichen (KIGGS) auf Nordrhein-Westfalen bezogen auszuwerten. Mit der 2012 ins Leben gerufenen Landesinitiative „Starke Seelen“ hat die Landesregierung ein Programm gestartet, das den Ursachen für psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen durch Präventions- und Hilfeangebote umfänglich begegnet (siehe auch Antwort zu Frage 53). Die im Rahmen der Landesinitiative geförderten Projekte werden zwingend evaluiert und leisten insoweit einen Beitrag zur Versorgungsforschung. Bereits im Jahr 2009 wurde ein Modellprojekt in Westfalen-Lippe zur Vernetzung von Hilfeangeboten der Jugendhilfe und des Gesundheitswesens für besondere Zielgruppen, hier Kinder von psychisch erkrankten Eltern, erprobt. Die Ergebnisse haben Einfluss genommen auf die Erarbeitung der Handlungsempfehlungen der Landesinitiative. Eine dezidierte Förderung der Grundlagenforschung und –arbeit zur Häufigkeit psychischer Auffälligkeiten bei Jungen durch das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung findet nicht statt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 50 Über die allgemeine Hochschulfinanzierung, die auch die allgemeine Forschungsförderung im Rahmen der Wissenschaftsfreiheit beinhaltet, hinaus werden aber auch verschiedene Projekte im Kinder- und Jugendbereich gefördert, die geschlechtsspezifische (jungenspezifische ) epidemiologische Erkenntnisse (u.a. zu psychischen Erkrankungen, hier ADHS) und Empfehlungen für spezifische Präventionsansätze erwarten lassen. Zu nennen sind hier beispielsweise : Neue Volkskrankheiten im Kindes- und Jugendalter (NIKI) http://www.niki-projekt.de In dem Projekt werden Beziehungen zwischen Geschlecht und Gesundheit systematisch berücksichtigt. NIKI untersucht Zusammenhänge zwischen den Erkrankungen Adipositas, ADHS und Allergien bei 6- bis 12-jährigen Kindern. Um mehr Informationen über die Epidemiologie dieser drei Erkrankungen zu gewinnen, werden im Projekt die Daten der repräsentativen KiGGS-Studie genutzt. Dabei werden auch genderspezifische Prävalenzen der Erkrankungen unter Einbezug weiterer Kontextvariablen (sozialer Status, Herkunft, Familie) ermittelt. Kernvorhaben des Projekts ist eine Patientinnen- und Patientenstudie, bei der durch eine ausführliche Untersuchung von Zweifach- und Dreifacherkrankungen Zusammenhänge zwischen den Erkrankungen erforscht werden. Auch hierbei ist nicht nur eine Aufschlüsselung nach Geschlecht und Alter möglich, sondern auch nach Familienkonstellationen , sozialem Status und Migrationshintergrund der Kinder. Somit können auch Unterschiede in der Ätiologie und im Verlauf der Erkrankungen bei Jungen und Mädchen genauer beschrieben und besondere Anforderungen für Diagnostik und Therapie abgeleitet werden. Regionales Innovationsnetzwerk (RIN) „Kinder- und Jugendgesundheit durch erfolgreiches Präventionsmanagement“ http://www.gesund-aufwachsen.ruhr/regionales-innovationsnetzwerk-an-der-ruhr/. Im RIN „Kinder- und Jugendgesundheit durch erfolgreiches Präventionsmanagement“ ist die Verankerung von genderbezogenen Fragestellungen generell in allen Themenfeldern möglich . Besonders naheliegend ist das Themenfeld II „Präventives Case Management bei chronischen Erkrankungen“. Der Bezug auf konkrete Krankheitsbilder erleichtert die Aufarbeitung genderspezifischer Präventionsbedarfe, zum Beispiel von Jungen bei psychosozialen Auffälligkeiten (die davon stärker betroffen sind als Mädchen). Geeignet ist auch das Themenfeld IV „Präventionsmanagement in Quartieren“, in dem es um zielgruppen- und settingorientierte Präventionsstrategien geht (zum Beispiel für Kinder mit Migrationshintergrund oder für Kinder alleinerziehender Eltern). Hier kann besonders gut berücksichtigt werden, dass Präventionsbedarfe von Jungen und Mädchen nicht homogen sind, sondern das Geschlecht erst durch die Verschränkung mit anderen Merkmalen zu einem „Risikofaktor“ wird. 57. Was unternimmt die Landesregierung gegen deutlich höhere Unfallzahlen und eine größere Sterblichkeit und Suizidalität bei Jungen? Tödliche Unfälle und Suizide gehören zu den häufigen unnatürlichen Todesursachen im Kindes - und Jugendalter. Die Daten des Statistischen Bundesamtes zeigen, dass sowohl die Rate der tödlichen Verletzungen insgesamt als auch die Unfallrate seit 2003 auf einem relativ konstanten Niveau bleiben. Bei Kindern bis zum 10. Lebensjahr hat das Geschlecht keinen Einfluss auf die Anzahl der tödlichen Verletzungen, die Unfallhäufigkeit mit Todesfolge oder Suizide. Im Jahr 2012 verstarben in ca. 30 Fällen bei beiden Geschlechtern die Opfer an Unfallfolgen in den Altersgruppen 1-4 Jahre und 5-9 Jahre. Ab dem Lebensalter von 10 Jahren zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen Jungen und Mädchen sowohl bei Unfällen als auch bei LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 51 Suiziden. Jugendliche männlichen Geschlechts über 15 Jahren sind hierbei drei bis viermal so häufig wie gleichaltrige Mädchen betroffen. Im Jahr 2012 verstarben bundesweit 1020 Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren. 582 (57,1%) erlitten eine tödliche Verletzung (davon 432 Jungen), wovon 184 (18,0%) Suizid begangen hatten (davon 139 Jungen). Während zwischen 1998 und 2004 ein deutlicher Rückgang der Suizidrate bei Jugendlichen (15-19 Jahre) in Nordrhein-Westfalen um rund ein Drittel zu beobachten war, bewegt sich die Rate seitdem auf konstantem Niveau. Demgegenüber begingen im Jahr 2012 bundesweit insgesamt 11 Jungen und 9 Mädchen (gesamt 20) zwischen 5 und 14 Jahren einen Suizid. Dies entspricht einem Anteil von 3,2% an insgesamt 623 verstorbenen Kindern und Jugendlichen im Jahr 2012. Unter dem Alter von 12 Jahren sind Suizidversuche und vor allem Suizide sehr selten. Nordrhein-Westfalen liegt im Bundesvergleich durchgängig bei den Ländern mit den niedrigsten Suizidraten von Kindern und Jugendlichen. Die Maßnahmen der Landesregierung, um Depression, selbstverletzendes Verhalten oder gar Suizidalität bei Kindern und Jugendlichen vorzubeugen, sind bereits in der Antwort auf Frage 53 beschrieben worden. 58. Gibt es geschlechtsspezifische Angebote und Maßnahmen, die den Suchtmittelkonsum und die ausufernde Nutzung digitaler Medien (TV, Computer-Spiele, Internet , soziale Netzwerke) von Jungen berücksichtigen? Welche Maßnahmen werden getroffen, um die Persönlichkeitsrechte von Jungen (wie Mädchen) in der digitalisierten Kommunikation, z.B. auch gegen Cybermobbing , zu gewährleisten? Welche Erfahrungen werden hierbei gemacht? Die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen in geschlechterhomogenen Gruppen ist eine gängige Methode von Fachkräften in Jugendhilfe und Schule, um sensible Themen wie z.B. Suchtmittelkonsum und Mediennutzung zu besprechen (vgl. auch die Ausführungen zur Initiative Medienpass NRW in der Antwort zu Frage 24). Fachkräfte der Sucht- und Drogenberatungsstellen führen u. a. in Kooperation mit Schule und Jugendhilfe Projekte durch, die sich gezielt an Jungen richten und sich insbesondere auf die Themenfelder Alkoholkonsum sowie Mediennutzung beziehen (vgl. auch Antwort auf Frage 53). Hierzu gehört z. B. auch das an Jungen der 7. Jahrgangsstufe gerichtete Projekt „Alltagsdrogen “ im Kreis Wesel, bei dem sich die jungen Teilnehmer in Kleingruppen mit ihrer Mediennutzung sowie mit dem Tabak- und Alkoholkonsum auseinandersetzen und die tieferen Ursachen von Missbrauchs- und Suchtverhalten kennenlernen. Weitere zielgruppenspezifische Angebote für Jungen z.B. im Rheinisch-Bergischen Kreis sind ebenfalls in der Jahrgangsstufe 7 angesiedelt und setzen sich u.a. mit Themen auseinander wie Umgang mit Gefühlen, Kommunikation in Zeiten digitaler Medien, Schulstress, Mobbing, Aufgabe der Klassengemeinschaft sowie Möglichkeiten der Unterstützung und Hilfe. In der Forschung zur Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen werden die unterschiedlichen Nutzungsweisen von Mädchen und Jungen untersucht. So untersuchen die KIM- und die JIM-Studie vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest regelmäßig das Mediennutzungsverhalten von Kindern im Alter von 6-12 Jahren (KIM-Studie: http://www.mpfs.de/index.php?id=646) bzw. 12–19 Jahren (JIM-Studie: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 52 http://www.mpfs.de/index.php?id=646). Generell zeigen die Studien, dass sich die Geschlechter hinsichtlich der Nutzungsdauer nicht wesentlich unterscheiden. Während Mädchen eher eine Präferenz für soziale Netzwerke haben, spielen Computerspiele in der Lebenswelt männlicher Heranwachsender eine größere Rolle. Unter anderem in diesem Bereich tauchen bei einem kleinen Prozentsatz von Jungen auch Fälle von exzessiver Mediennutzung auf. Im Vordergrund der Gruppenarbeit mit Betroffenen stehen der Aufbau, die Stabilisierung und die Aufrechterhaltung eines individuellen und angemessenen Umgangs mit dem PC und dem Internet. Schwerpunkte sind hierbei die Reflexion der Motivation des exzessiven Computerspielens , die Vorstellung und die Durchführung von alternativen Freizeitmöglichkeiten, wie beispielsweise Klettern, Beachvolleyball und Joggen, als auch erste Ansätze zur Reduktion des Computerspielverhaltens gemeinsam zu erproben. Dabei wird das Ziel verfolgt, der möglichen Entwicklung einer manifesten Suchterkrankung entgegenzuwirken und alternative Freizeitaktivitäten zu fördern. Da Medien zur Lebenswelt junger Menschen gehören, werden zahlreiche Projekte und Angebote aus Mitteln des Kinder- und Jugendförderplans gefördert (vgl. auch Antwort zu Frage 24). Dazu gehört u.a. das Projekt „Spieleratgeber NRW“ (http://www.spieleratgeber-nrw.de), dessen „Spieletestergruppen“ vor allem bei Jungen auf großes Interesse stoßen und sie bei der Entwicklung einer kritischen und reflektierten Haltung in Bezug auf Computerspiele unterstützen . Eine Maßnahme, um die Persönlichkeitsrechte von Jungen (wie Mädchen) in der digitalisierten Kommunikation zu schützen, ist das Workshopangebot „Cyber-Mobbing begegnen“ der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, Landesstelle NRW e.V. (AJS). In eintägigen Fortbildungen werden seit 2014 jährlich rund 100 Fachkräfte aus Jugendhilfe und Schule fortgebildet, um präventiv mit Heranwachsenden zu arbeiten und ein entsprechendes Präventionskonzept in ihren Einrichtungen zu etablieren. Weitere Fortbildungsangebote für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren bietet die vom Land NRW geförderte Landeskoordinierungsstelle für Suchtvorbeugung (ginko Stiftung für Prävention ). So z. B. die Fortbildung „Motivierende Kurzintervention bei Jugendlichen mit exzessivem Medienkonsum“ für Kontaktpersonen aus Schule, Berufsbildung, Familienhilfe etc. In diesem Rahmen wird mit Fachleuten aus unterschiedlichen Bereichen (Medienberatung, Polizei) kooperiert, welche die dreitägige Schulung mit ergänzenden Informationen abrunden . Aspekte wie Datenschutz, Datennutzung, Nutzungsformen und Verhaltensweisen von Jugendlichen in den verschiedenen sozialen Netzwerken werden thematisiert und bei der motivierenden Gesprächsführung berücksichtigt. Die Polizei NRW informiert insbesondere über Erscheinungsformen der Kriminalität und über Gefahren in digitalen Medien, bietet diese Informationen aber nicht geschlechtsspezifisch an. Sie stellt polizeiliche Bekämpfungsziele und Bearbeitungsstandards, Gefährdungseinschätzungen , Opferrisiken sowie tatbegünstigendes Verhalten dar und gibt Empfehlungen zu tatreduzierenden Verhaltensweisen. Sie weist auf Beratungsangebote von Opferschutz- und Hilfeeinrichtungen hin. Im Rahmen der Netzwerkarbeit beteiligt sie sich mit ihrem kriminalistisch -kriminologischen Beitrag an Maßnahmen, die auf die Förderung der Medienkompetenz aller Altersgruppen und beider Geschlechter abzielen. Insbesondere setzen die Polizeibehörden in Kooperationen mit weiteren Partnerinnen und Partnern Angebote für Eltern praktisch um. Exemplarisch können hierzu die Netzwerke „SINUS“ (Rhein-Kreis Neuss) und „Surfen mit SINN“ (Bielefeld) genannt werden. Darüber hinaus stellt die Polizei durch das Programm Polizeiliche Kriminalprävention der Länder und des Bundes (ProPK) Eltern und Jugendlichen umfangreiche Informationen (z. B. Medienpaket „Verklickt“, Flyer „Opfer, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 53 Schlampe, Hurensohn“) zu „Sicherheit im Umgang mit digitalen Medien“ zur Verfügung (http://www.polizeiberatung.de/themen-und-tipps/gefahren-im-internet.html). Des Weiteren war das Landeskriminalamt NRW an der Konzeption und Erstellung der Filmsequenzen „Cybermobbing “ im Rahmen der Filmreihe „Sichere Netzwelten“ des Landespräventionsrates NRW maßgeblich beteiligt. Auf Initiative Nordrhein-Westfalens hat die Konferenz der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen und -minister, -senatorinnen und -senatoren der Länder 2014 den Beschluss „Bekämpfung von Cybergewalt gegen Frauen und Mädchen“ gefasst und in die GFMK 2015 einen Folgeantrag eingebracht. Die GFMK hat den von NRW eingebrachten Folgeantrag auf der Hauptkonferenz am 02. und 03. Juli 2015 in Berlin beschlossen. U.a. wird hierin die Bundesregierung gebeten, die rechtlichen Rahmenbedingungen auf Aktualität und Auskömmlichkeit zu überprüfen. 59. Gibt es Erkenntnisse über unterschiedliche Bewältigungsstrategien von Jungen /Männern und Mädchen/Frauen in einer globalisierten Arbeits- und Leistungsgesellschaft (Burn-Out, Alkohol etc.)? Welche Bedeutung hat dieses für Angebote für Maßnahmen? Welche Angebote und Maßnahmen sieht die Landesregierung vor, um die Selbstsorge von Jungen (und Mädchen) zu stärken? In Bezug auf geschlechtsspezifische Unterschiede bei psychischen Störungen in Wechselwirkung mit sozialen und umweltbedingten Einflussfaktoren bei Jungen und Mädchen wird auf die Antwort zu Frage 53 verwiesen. Das Burn-out-Syndrom wird nach ICD-10 nicht als Störung bzw. Krankheit diagnostiziert, sondern unter „Probleme in Bezug auf Schwierigkeiten in der Lebensbewältigung“ klassifiziert (Z 73) und mit einem Risikozustand, bedingt durch anhaltende Erschöpfung, psychosomatische Beschwerden und Leistungsminderungen beschrieben. Das Burn-out-Syndrom wird somit in Diagnosestatistiken im F-Bereich (psychische Störungen) nicht erfasst. Für junge Männer und Frauen zwischen 18 und 29 Jahren liegen Ergebnisse aus dem Gesundheitssurvey (DEGS-Studie) des Robert Koch-Institutes zum Burn-out-Syndrom vor. Weniger als ein Prozent der Männer erkranken während dieses Lebensalters an einem Burnout- Syndrom und etwas mehr als zwei Prozent der Frauen (Lebenszeitprävalenz). Die höchsten Erkrankungsraten fallen in das mittlere Lebensalter bei beiden Geschlechtern (40-59 Jahre), auch hier wieder mehr Frauen (7-8%) als Männer (5-6%). Über Burnout-Syndrome und Alkoholkonsum bei Jungen/Männern und Mädchen/ Frauen im direkten Zusammenhang mit einer globalisierten Arbeits- und Leistungs-gesellschaft liegen nur Erkenntnisse aus der Beschäftigtenbefragung des Landesinstitutes für Arbeitsgestaltung NRW vor, die im November/Dezember 2013 mit 2.025 abhängig Beschäftigten aus Nordrhein -Westfalen durchgeführt wurde. Beim Vergleich der jungen Männer und Frauen (16-24 Jahre) fällt auf, dass junge Männer signifikant seltener angeben, erschöpft zu sein (31% Männer; 45% Frauen). Darüber hinaus leiden sie signifikant seltener unter Angstgefühl bei und vor der Arbeit (5% zu 12%), Lustlosigkeit/Ausgebranntsein (13% zu 30%), Nicht- Abschalten-Können (13% zu 35%) und Konzentrationsproblemen (14% zu 28%). Über alle Altersgruppen betrachtet geben Männer signifikant häufiger als Frauen an, dass sie zum Abbau von Belastungen „ein Gläschen trinken“. Dagegen nutzen Frauen eher Beratungsgespräche , Gespräche im privaten Bereich und Entspannungsübungen, um Belastungen im Alltag zu mindern. Darüber hinaus nutzen signifikant mehr erschöpfte Frauen als LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 54 Männer zusätzlich gemeinsame Aktivitäten mit der Familie oder dem Freundeskreis zum Belastungsabbau. Um Belastungen von männlichen Jugendlichen bzw. jungen Männern und weiblichen Jugendlichen bzw. jungen Frauen zu minimieren, bildet zunächst die Einhaltung der allgemeinen arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften eine gute Basis. Wenn Unternehmen aktiv die gesetzlich geforderte Gefährdungsbeurteilung auch von psychischen Belastungen vorantreiben , werden arbeitsplatzindizierte Gefährdungen erkannt und Problemlösungen und Bewältigungsstrategien können entwickelt werden. Um die individuellen Ressourcen der Beschäftigten zu erhalten und zu steigern und ebenfalls um Bewältigungsstrategien zu entwickeln, sind präventive Ansätze wie die Einführung von Betrieblicher Gesundheitsförderung ein erfolgversprechender Weg. Hier setzt die Landesinitiative „Arbeit gestalten NRW“ an. Gemeinsam mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen , den Kammern und den gesetzlichen Sozialversicherungen wirbt die Landesregierung in den nordrhein-westfälischen Unternehmen dafür, verstärkt Instrumente der Betrieblichen Gesundheitsförderung oder auch ein Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) einzusetzen . Die Einführung eines BGM kann dabei auch durch das Instrument der Potentialberatung gefördert werden. Weitere gesundheitsfördernde Angebote bzw. Maßnahmen der Stärkung der Selbst-sorge sind im Rahmen der in der Antwort zu Frage 53 dargestellten Landesinitiative „Starke Seelen “ und der Landeskampagne zur Suchtprävention „Sucht hat immer eine Geschichte“ dargestellt . 60. Die Gefahr für Männer, an Hodenkrebs zu erkranken, ist in der Lebensspanne von 18 bis 35 am höchsten. Für diese Altersspanne ist aber keine gesetzlich legitimierte Vorsorgeuntersuchung vorgesehen. Auch fehlt es an gezielten Informationskampagnen für die Zielgruppe. Gibt es Erkenntnisse zur aktuellen Datenlage in Nordrhein-Westfalen bezüglich der Erkrankungen an Hodenkrebs im Alter von 18 bis 35 Jahren? Was tut die Landesregierung, um dieses Krebsrisiko für junge Männer zu senken ? Hodenkrebs ist insgesamt eine eher seltene Krebsart, trifft jedoch vor allem Männer im jüngeren Lebensalter. Die altersstandardisierte Erkrankungsrate blieb zuletzt nahezu konstant, nachdem wie auch in anderen europäischen Ländern zuvor über Jahrzehnte ein stetiger Anstieg zu beobachten war. Die Ursachen des in den letzten Jahrzehnten beobachteten Inzidenzanstiegs sind noch nicht endgültig geklärt. Lebensstil und Umweltfaktoren spielen nach derzeitigen Erkenntnissen keine Rolle bei der Entstehung von Hodenkrebs. In Nordrhein-Westfalen erkrankten laut Jahresbericht 2014 des Landeskrebsregisters NRW im Jahr 2012 827 Männer an Hodenkrebs, das entspricht einem Anteil an der Gesamtkrebsrate von 1,4 %. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 38 Jahren. 35 Männer starben an der Erkrankung (0,1 % aller Krebssterbefälle). Die Daten für 2013 werden zurzeit erarbeitet. 90 % der Hodentumoren werden im Stadium T1 (die Hodenkrebs-Erkrankung beschränkt sich nur auf den Hoden, der Hodenkrebs hat noch nicht metastasiert und sich im Körper ausgebreitet ) oder T2 (hat sich bereits in die Lymphknoten des unteren Bauchraumes ausgebreitet, metastasiert unterhalb des Zwerchfelles) diagnostiziert. Seit der Einführung von cis-Platin in die Chemotherapie des Hodenkrebses vor gut 30 Jahren gehört die Erkrankung zu den prognostisch günstigsten bösartigen Neubildungen mit LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 55 entsprechend hohen relativen 5-Jahres-Überlebensraten (zuletzt 97 %) und geringer Mortalität . Die gesetzlichen Krankenkassen zahlen ihren Versicherten bislang keine Früherkennung bis zur gesetzlichen Krebsfrüherkennung ab 45 Jahren. Männern zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr wird zu regelmäßiger Selbstuntersuchung durch Abtasten der Hoden geraten. Besteht der Verdacht auf einen Tumor, werden Untersuchungskosten von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Im Übrigen gibt es gute Beratungsangebote im Internet, für die – junge –Zielgruppe das geeignete Medium für Erstinformationen. Ob eine Früherkennung in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen wird, entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Der G-BA ist wichtigstes Organ der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärztinnen und Ärzte und Krankenkassen und untersteht der Rechtsaufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit. Das Land hat hier keine Regelungsmöglichkeiten . Das Gremium wird dann tätig, wenn dies eines seiner Mitglieder beantragt . Laut G-BA wurde ein solcher Antrag bislang nicht gestellt. V. JUNGEN IN ARBEITS- UND WIRTSCHAFTSKONTEXTEN Vorbemerkung der Großen Anfrage Jungenspezifische Themen wurden in den letzten Jahren unter Gleichstellungsaspekten in den gesellschaftlichen Bereichen Arbeit und Wirtschaft subsumiert. Ein genauerer Blick auf den Alltag von Jungen verdeutlicht, dass diese in ihren Zugängen zu Arbeitsmärkten eigene Förderinstrumente und ggf. Begleitung brauchen, ihre Beteiligung an familiären Aufgaben im Berufsleben sehr unterschiedlich wahrgenommen wird und Jungen auch nicht immer per se zu Subjekten wirtschaftlichen Handelns werden. 61. Welche Anstrengungen unternimmt die Landesregierung, um Jungen (und Mädchen ) in ihrer Entwicklung als verantwortlich und erfolgreich wirtschaftende Persönlichkeiten zu fördern? Welche Rolle spielen dabei Überlegungen und Praxen der Nachhaltigkeit? Inwieweit arbeiten hierzu gemeinsam Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Arbeit und Bildung zusammen? Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um diese zu flankieren und zu verstetigen? Die Landesregierung erachtet es als wichtige Aufgabe, Mädchen und Jungen als verantwortliche und erfolgreich wirtschaftende Persönlichkeiten zu fördern. Dabei gilt, dass bei geschlechtsspezifisch unterschiedlichem Nutzungsverhalten weibliche und männliche Jugendliche als Verbraucherinnen und Verbraucher gleichermaßen schutzbedürftig sind. Der Erwerb von Wirtschafts- und Finanzkompetenzen ist ein zentraler Bestandteil der kompetenzorientierten Kernlehrpläne für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer aller Schulformen in Nordrhein-Westfalen. Bereits in den Jahrgangsstufen 5 und 6 werden diese Kompetenzen vor allem in den Fächern Politik/Wirtschaft an den Gymnasien, Arbeits- und Gesellschaftslehre an den Gesamt-, Haupt- und Sekundarschulen sowie im Fach Politik an den Realschulen gefördert und sukzessive in den folgenden Jahrgangsstufen weiter aufgebaut. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 56 In der gymnasialen Oberstufe werden diese Kompetenzen im Fach Sozialwissenschaften vermittelt. Dabei entscheidet die Fachlehrerin oder der Fachlehrer selbst, welcher Sachgegenstand und welche Methoden für die Vermittlung der jeweiligen Kompetenz, auch unter Gendergesichtspunkten, am besten geeignet sind. Sach-, Methoden- und Handlungskompetenzen können z. B. sehr gut in simulativen Planspielen und Experteninterviews vermittelt werden. Dabei ist die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure aus dem Bereich der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft mit Schulen besonders wichtig. In den Veröffentlichungsorganen des Ministeriums für Schule und Weiterbildung werden z.B. regelmäßig „goodpractice “-Beispiele vorgestellt. Die Kernlehrpläne in Nordrhein-Westfalen weisen außerdem weit reichende an der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BnE) orientierte Kompetenzen aus. In das Beteiligungsverfahren für die Kernlehrpläne werden neben gesellschaftlichen Verbänden und Organisationen auch Akteure aus dem Bereich der Wirtschaft, wie z.B. die IHK oder Metall NRW/Unternehmer nrw und Gewerkschaften, in Form von Stellungnahmen einbezogen. Das Ziel, Schülerinnen und Schüler zu erfolgreich und verantwortlich wirtschaftenden Persönlichkeiten zu erziehen, wird darüber hinaus im Rahmen der Stärkung der Verbraucherbildung gefördert. Wie bereits in der Antwort auf die Kleine Anfrage 3306 der Abgeordneten Margret Voßeler, CDU, vom 13.04.2015 (Landtags-Drs. 16/8692) dargelegt, ist mit dem Leitprojekt „Verbraucherbildung an Schulen“, das vom Ministerium für Schule und Weiterbildung und vom Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz gemeinsam getragen wird, die Erarbeitung einer Rahmenvorgabe sowie einer Handreichung bis zum Jahr 2017 verbunden. Grundlage für das Projekt ist der Landtagsbeschluss vom 28.03.2014 (Landtags-Drs. 16/3223), der vorsieht, die Verbraucherbildung als verbindliches Element in allen Schulformen zu stärken. Demnach soll die Verbraucherbildung in die bestehende Fächerstruktur sinnvoll integriert werden. Die Rahmenvorgabe „Verbraucherbildung“ wird verbindliche Bezugspunkte vor allem für die Fächer des Lernbereiches Arbeitslehre sowie die natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächer bieten. Damit wird auch der KMK- Beschluss zur Verbraucherbildung an Schulen vom 12.09.2013 aufgegriffen, in dem die Vermittlung von Wirtschafts- und Finanzwissen als eines von vier Handlungsfeldern der Verbraucherbildung ausgewiesen wird. Da mit den Nutzungsmöglichkeiten der digitalen Welt ein Gefährdungspotential auch unter finanziellen Aspekten für Jugendliche einhergeht, muss Verbraucherschutz in der digitalen Welt einerseits über Risiken und Chancen frühzeitig und altersgemäß aufklären, andererseits auch Schutzmechanismen gerade für die junge Zielgruppe vorsehen. Die Herausforderung ist, schnell auf die dynamischen Entwicklungen am Medienmarkt und das damit veränderte Nutzungsverhalten zu reagieren. Die institutionelle Finanzierung durch die Landesregierung ermöglicht der Verbraucherzentrale NRW ein umfassendes Portal zur Verbraucheraufklärung (ww.vz-nrw.de) und eine Website für Jugendliche (www.checked4you.de) zu betreiben. Aktuelle verbraucherrechtliche Fragestellungen zu Themen wie beispielsweise Phishing, Präventionsarbeit beim Online-Banking, Gefahren in Social Media werden hier altersgerecht aufbereitet. Zur Stärkung der Handlungskompetenzen junger Menschen dient auch der „Lehrplannavigator “, eine Datenbank für Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen (vergleiche auch Antwort auf Frage 111 der Großen Anfrage 8). Dieses Online-Angebot des Ministeriums für Schule und Weiterbildung zielt darauf ab, die Lehrkräfte bei der Umsetzung der Kernlehrpläne in kompetenzorientiertem Unterricht u.a. mit Hilfe von Unterrichtseinheiten und Projektbeispielen zu unterstützen. Das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat über eine Förderung der Universität Paderborn in 2012 und 2013 über 240 Bildungsmaterialien von Non-Profit Organisationen oder Verbraucherverbänden zu den LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 57 Themenbereichen „Finanzkompetenz“, „Ernährungsbildung“ und „nachhaltiger Konsum“ recherchiert , inhaltlich bewertet und in den Lehrplannavigator eingestellt. Zur Förderung der Finanzkompetenz von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen hat das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz im Jahr 2006 des Weiteren das „Netzwerk Finanzkompetenz NRW“ gegründet. Seither begleitet , organisiert und fördert das Ministerium die Netzwerkarbeit und führt erfolgreiche Projekte zusammen mit den Netzwerkmitgliedern durch. In dem Netzwerk engagieren sich Akteure aus der Schuldner- und Verbraucherberatung, aus Wirtschaft und Banken, aus der kommunalen Jugend- und Familienarbeit, kirchlichen Einrichtungen und Wohlfahrtsverbänden sowie aus Wissenschaft und Politik. Mit unterschiedlichen Ansätzen und durch verschiedene Projekte konnten viele junge Menschen erreicht und Multiplikatoren geschult werden. Im Jahr 2013 wurde im Rahmen des Netzwerks Finanzkompetenz die landesweite „Aktionswoche Finanzkompetenz“ ins Leben gerufen, um insgesamt 34 innovative Projekte, die der Vermittlung von Finanzkompetenz junger Menschen dienen, in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und ihre Angebote bekannter zu machen. Um das Netzwerk konzeptionell in Richtung Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln, weitere gesellschaftliche Akteure und vor allem Schulen, Kindertagesstätten und weitere Bildungseinrichtungen einzubinden, wird das Netzwerk von der Natur- und Umweltschutz-Akademie koordiniert und es arbeitet mit der Kampagne „Schule der Zukunft“ im Bereich der ökonomischen Bildung zusammen. Als ein weiteres von der Landesregierung unterstütztes Projekt zur Förderung von Wirtschafts - und Finanzkompetenzen von jungen Menschen ist der Landeswettbewerb JUNIOR NRW zu nennen, in dem mit Hilfe von Schülerunternehmen ökonomisches Fachwissen, Verantwortungsbewusstsein und Sozialkompetenz gleichermaßen vermittelt werden. Darüber hinaus wird auf die Antwort zu Frage 63 verwiesen. 62. Inwieweit sind Jungen als Zielgruppe wie Akteure von Wirtschaft bzw. Konsumorientierung im Fokus von Bildungsmaßnahmen und -trägern in Nordrhein- Westfalen vorhanden? Werden geschlechterbezogenen Konzepte diesbezüglich derzeit umgesetzt und evaluiert und welche Erkenntnisse lassen sich hieraus ziehen? Jungen und Mädchen sind gleichermaßen im Fokus von Bildungsmaßnahmen und -trägern in NRW. Allgemeine Bildungsabschlüsse basieren zunächst auf geschlechterneutralen Standards . Die Kompetenzvermittlung in der unterrichtlichen Praxis berücksichtigt immer das Individuum im Klassenverband und damit auch die genderspezifischen Unterschiede. Es ist Aufgabe der Lehrkräfte, die jeweils angemessenen Herangehensweisen und Fördermaßnahmen auszuwählen. An vielen Schulen in NRW werden zudem auch geschlechterbezogene Konzepte erprobt und evaluiert. Bei der Verbraucheraufklärung werden zunächst keine geschlechtsspezifischen Unterschiede gemacht, da die Jugendlichen als Verbraucherinnen und Verbraucher trotz unterschiedlichen Gewohnheiten oder Nutzungsverhalten gleichermaßen schutzbedürftig sind. Darüber hinaus wird auf die Antworten zu den Fragen 61 und 63 verwiesen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 58 63. Welche Erkenntnisse bzw. Daten liegen zur Verschuldung von Jungen vor? Welche präventiven Maßnahmen hat die Landesregierung hier erfolgreich eingeführt (Beispiel Schuldenfalle Handynutzung)? In Nordrhein-Westfalen nahmen im Jahr 2013 insgesamt 28.151 männliche Personen die Angebote der anerkannten Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen in Anspruch . Davon waren 310 Personen unter 20 Jahren (1 %) und 4.072 zwischen 20 und 29 Jahren (16 %). Bei den unter 20-Jährigen handelt es sich fast ausschließlich um 18- bis 20- Jährige. Jüngere Kinder und Jugendliche werden in der Statistik als solche nicht erfasst, da sie die Angebote der Beratungsstellen in aller Regel gemeinsam mit ihren Eltern nutzen und in diesem Fall nur die Eltern als Nutzer des Beratungsangebots in der Statistik erscheinen. Konkrete Daten explizit zur Verschuldung von Jungen liegen der Landesregierung daher nicht vor. Es gibt aber geschlechterneutrale Erhebungen wie z.B. den Kredit-Kompass 2013 der Schufa, die Überschuldungsstatistik des Statistischen Bundesamtes, den iff- Überschuldungsbericht und den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Diese Erhebungen zeigen, dass in der Verschuldungsstatistik der Jugendlichen (15-19 Jahre) sowohl die Verschuldungshöhe als auch die Anzahl der verschuldeten Personen innerhalb dieser Altersgruppe abgenommen haben. In Schulen wird im Unterricht unterschiedlichen individuellen Ursachen von Verschuldung anhand von schülerorientierten Beispielen wie der „Schuldenfalle Handynutzung“ nachgegangen . So werden individuelle Zugänge, die jungen- bzw. mädchenspezifischen Ursachen von Verschuldung berücksichtigen, umgesetzt. Das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat in den Jahren 2002 bis 2014 mehrere Maßnahmen gefördert, die der Überschuldung junger Menschen vorbeugen. „Der Schuldenkoffer“ bietet Schulen und Jugendhilfe eine Materialsammlung an, mit der das Thema „Umgang mit Geld und Konsum“ für junge Menschen ab 13 Jahren aufbereitet werden kann. „Der Finanzführerschein Onlineshopping“ bietet Jugendlichen die Möglichkeit, sich über ihre gesetzlichen Rechte und Pflichten bei Onlinegeschäften aufklären zu lassen. Das Schuldenspiel „Kohlopoly“ vermittelt jungen Menschen im Alter von 13 bis 25 Jahren auf spielerische Weise finanzielle Kompetenz. Das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat im Jahr 2006 ein landesweites Netzwerk zur Förderung der Finanzkompetenz von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen – kurz „Netzwerk Finanzkompetenz NRW“ – ins Leben gerufen. Siehe dazu die Ausführungen in der Antwort zu Frage 61. Das Ministerium für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien hat bis Ende 2013 gemeinsam mit der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM) das Medienkompetenznetzwerk NRW – mekonet finanziell unterstützt. Dort wurden auch Themen wie „Jugendliche und Handy“ u. a. in einer Broschüre für Medienpädagogische Fachkräfte thematisiert (http://www.grimme-institut.de/handreichungen/pdf/mekonet_kompakt_jugendliche.pdf). Auch in der Broschürenreihe „IM BLICKPUNKT“, die sich mit aktuellen Themen aus der Medienwelt an Bürgerinnen und Bürger wendet, wird das Handy in unterschiedlichsten Facetten thematisiert wie z. B. wohin mit den Althandys, Medienkonvergenz, Kreativität im Netz, allerdings nicht mit dem expliziten Focus auf Jungen und Verschuldung. Mit der Novelle des Landesmediengesetzes wurde die Aufgabe der Medienkompetenzförderung bei der LfM gestärkt. Diese fördert, auch im bundesweiten Kontext, diverse Projekte wie z.B. "Internet-ABC" und die Plattform "handysektor". LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 59 64. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um eine stärkere Einbindung von – öffentlichen wie privaten – Wirtschaftsunternehmen bezüglich frühzeitiger Maßnahmen zur Berufsintegration zu fördern? Inwieweit kann eine stärkere Verpflichtung zur Ermöglichung von Praktika für Jungen auch in strukturschwachen Regionen erreicht werden? Mit der Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) ist ein geschlechtersensibles Gesamtsystem des Übergangs von der Schule in den Beruf eingeführt worden, das die Belange beider Geschlechter berücksichtigt. Darin haben sich die Partner im Ausbildungskonsens , insbesondere die Wirtschaft, gemeinsam verpflichtet, sich vor dem Hintergrund des Fachkräftebedarfs frühzeitig und umfassend zu engagieren, um die Berufs- und Studienorientierung von Jungen und Mädchen zu fördern. Die Wirtschaft hat sich freiwillig verpflichtet, ihren Beitrag in Form der „Praxisphasen“ zu leisten. Dies gilt in strukturschwachen Regionen in besonderem Maße. 65. Welche ergänzenden Maßnahmen sind zur beruflichen Entwicklung und zur Arbeitsmarktintegration von männlichen Jugendlichen (bis 27 Jahren) darüber hinaus erprobt (z.B. patenschaftliches Coaching)? Wie werden diese gefördert? Strebt die Landesregierung an, erfolgreiche Maßnahmen zur beruflichen Entwicklung und Arbeitsmarktintegration zu verstetigen ? Wie soll dieses konkret umgesetzt werden? Mit „Kein Abschluss ohne Anschluss“ erhalten Jugendliche beider Geschlechter bestmögliche Orientierung mit Blick auf die Berufs- und Studienwahl, damit sog. „Warteschleifen“ aber auch Abbrüche im Bildungssystem vermieden bzw. reduziert werden und eine erfolgreiche Integration in Ausbildung und Beschäftigung gelingt. Im Rahmen der Arbeitsförderung ist die Gleichstellung von Männern und Frauen ein durchgängiges Prinzip. Beispielsweise wird mit dem ESF-kofinanzierten (geschlechtersensiblen) Modellvorhaben „Chance Zukunft“ eine Leistung für Jugendliche und junge Erwachsene angeboten, die über die üblichen Basisinstrumente zur Aktivierungs-, Stabilisierungs-, Betreuung- oder Eingliederungsstrategie hinausgeht. Sie soll eine nachhaltige Stabilisierung der persönlichen Strukturen und die Heranführung bzw. nachhaltige Rückkehr an das Regelsystem, insbesondere den Ausbildungs- bzw. Arbeitsmarkt bewirken. Das Förderangebot richtet sich an SGB II- Leistungsbezieherinnen und -bezieher im Alter zwischen 18 und 30 Jahren mit multiplen, sich gegenseitig bedingenden Vermittlungshemmnissen. Die jungen Menschen erhalten im Modellprojekt die Möglichkeit, sich beruflich und persönlich zu orientieren und werden durch individuelle und flexible Unterstützungs- und Lernangebote befähigt, sich den komplexen Anforderungen einer Ausbildung, Beschäftigung oder einer entsprechenden Vorstufe (z. B. berufsvorbereitenden Maßnahmen) zu nähern. Das Modellprojekt wurde von der Regionaldirektion NRW der Bundeagentur für Arbeit und dem Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales gemeinsam entwickelt. Die Umsetzung wird ab September 2015 in Zusammenarbeit mit zehn nordrhein-westfälischen Berufsbildungswerken erfolgen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 60 66. Welche Erkenntnisse gibt es darüber, ob und in welchem Umfang Jungen in einigen Bevölkerungsgruppen zum Familieneinkommen beitragen? Welche Belastungen entstehen hier für die individuelle Bildungsentwicklung? Was unternimmt die Landesregierung, um Jungen hier stärker zu unterstützen? Beim Landesbetrieb IT.NRW liegen derzeit keine Erkenntnisse vor. 67. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung zur legalen und illegalen Beschäftigung von Jungen im Alter bis 14 bis 18 Jahren vor? Legale Beschäftigung In der Statistik der Bundesagentur für Arbeit liegen nur Angaben über sozialversicherungspflichtig Beschäftigte vor: Demnach waren im September 2014 30 junge Männer unter 15 Jahren (ohne Auszubildende: 26) und 57.881 junge Männer von 15 bis 18 Jahren (ohne Auszubildende: 8.936) sozialversicherungspflichtig in Nordrhein-Westfalen beschäftigt. Illegale Beschäftigung Bei IT.NRW Statistik und BA-Statistik-Service West liegen keine Angaben zur illegalen Beschäftigung vor. Auch bei der Arbeitsschutzverwaltung NRW und bei der Bundesfinanzdirektion West liegen keine Angaben vor: Statistiken nach Geschlecht oder Alter werden nicht geführt. 68. Welche Maßnahmen werden mit dem Ziel der höheren Beteiligung und Präsenz von Vätern in Fragen von Erziehung und familiären Aufgaben umgesetzt? Welche werden hiervon frühzeitig z.B. im Bereich der Schule mit welchen Konzepten umgesetzt? Die Landesregierung trägt mit zahlreichen Bausteinen dazu bei, aktive Vaterschaft zu unterstützen : Im Innovationsprojekt „Väter im Blickpunkt der Familienbildung“ sind die Landesarbeitsgemeinschaft der Familienbildung und die Landesregierung der Frage nachgegangen, wie die Angebote der Familienbildungsstätten für Väter attraktiver gestaltet werden können. Das in diesem Rahmen entstandene Handbuch „Echt stark – Väter in der Familienbildung“ zeigt für die Praxis neue Wege auf, die inzwischen von zahlreichen Einrichtungen der Familienbildung aufgegriffen worden sind und zur Entwicklung neuer Angebote für Väter – und ihre Kinder – geführt haben. Zusätzliche Impulse sind durch den kostenlosen Elternkurs „Eltern-Start“ entstanden, bei dem auch ganz gezielt Väter angesprochen werden. Die Kurse oder offenen Treffs unterstützen Mütter und Väter dabei, mit den vielfältigen Anforderungen in Erziehungsalltag und Arbeitsleben zurechtzukommen. Außerdem nehmen die Familienzentren verstärkt Väter in den Blick und halten Angebote zur Stärkung der Erziehungskompetenz von Vätern bereit. Darüber hinaus gibt es vielfältige Beispiele aus der Schulpraxis, Eltern – und hier im Besonderen auch Väter – für die Mitwirkung in Schule zu gewinnen. Die Bereitschaft der Eltern, sich hier zu engagieren, hängt von einer ganzen Reihe von Faktoren ab, die nur zum Teil von Lehrkräften zu beeinflussen sind. Gleichwohl nutzen die Schulen bei der Gestaltung des LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 61 Schullebens ihre zumeist langjährigen Erfahrungen, um zu unterschiedlichen Anlässen auch Väter/ Männer zu motivieren, sich aktiv in das Schulgeschehen einzubringen. Dies ist nicht auf die formale Beteiligung beschränkt. Vielmehr sind kulturelle, handwerkliche und sportliche Angebote, aber auch Praxiserfahrungen im Rahmen der Berufs- und Studienorientierung , willkommene Anlässe insbesondere für Väter, sich aktiv zu beteiligen. Im Rahmen der zwei Mal jährlich stattfindenden Werkstattgespräche des Ministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport zur Väterarbeit wird die Förderung einer aktiven Vaterschaft regelmäßig bearbeitet. An den Werkstattgesprächen ist u.a. ein breites Spektrum von Trägern der Väterarbeit beteiligt, die als Multiplikatoren in ihren Organisationen wirken. Im November 2014 stand z.B. das Thema „Bedeutung des Vaters als Bindungsperson“ im Fokus, das parallel auch auf dem Informationsportal für Väter in Nordrhein-Westfalen (www.vaeter.nrw.de) mit entsprechenden Beiträgen begleitet wurde. Nordrhein-Westfalen hat darüber hinaus einen spezifischen Ansatz für Väter mit Migrationshintergrund . Es gibt einen Facharbeitskreis für interkulturelle Väterarbeit. Hier engagieren sich ausgewählte, heterogene Träger und Institutionen, die bereits Erfahrung in der Empowermentarbeit für Väter mit Migrationshintergrund haben. Ziel ist es, den Ansatz der interkulturellen Väterarbeit auch in den Regelstrukturen bekannt zu machen und zu implementieren sowie Väter mit Migrationshintergrund in ihrem Rollenverständnis zu unterstützen und sie zu befähigen, sich für die Bildungsbelange ihrer Kinder einzusetzen. 69. Welche ressortübergreifenden Dialoge finden im Hinblick auf eine stärkere Vaterschaftsorientierung von öffentlichen und/oder privaten Unternehmen statt? Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um bestehende Vaterschaftsverantwortung anzuerkennen und praktisch zu ermöglichen? Es ist ein zentrales Anliegen der Landesregierung, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch für Väter nachhaltig zu verbessern. Die Aktionsplattform Familie@Beruf.NRW ist eine inzwischen gut etablierte Drehscheibe für Akteure und Aktivitäten rund um das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie vernetzt Unternehmen, öffentliche Arbeitgeber, Wirtschaftsverbände und andere Akteure wie Arbeitsagenturen oder Wirtschaftsfördergesellschaften zum Thema familienbewusste Arbeitswelt . Sie betreibt ein Internetportal, gibt einen Newsletter heraus und stellt Informationen zu Praxisbeispielen zur Verfügung. Im Jahr 2013 hat sich die Aktionsplattform mit dem Schwerpunktthema „Väter“ beschäftigt. In diesem Kontext wurden folgende Publikationen herausgegeben Vater sein in Nordrhein-Westfalen - Ergebnisse einer Studie, Vater sein in Nordrhein-Westfalen: Erfahrungen, Stimmungen, Empfehlungen, Inanspruchnahme von Elternzeit durch Väter in Nordrhein-Westfalen sowie ein Aktionstag durchgeführt. Mit der Förderung einer Fachstelle zur Väterarbeit seit Juli 2014 ist außerdem die Grundlage dafür geschaffen worden, die Väterarbeit im Land systematisch zu vernetzen und auf ein solides qualitatives Fundament zu stellen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 62 Auch auf dem Informationsportal für Väter (www.vaeter.nrw.de) wird die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in unterschiedlichsten Facetten immer wieder aufgegriffen. Im Zusammenhang mit der Einführung des „Elterngeld Plus“, das zusätzliche finanzielle Anreize für eine partnerschaftliche Aufteilung von Familienaufgaben setzt, plant das Ministerium für Familie , Kinder, Jugend, Kultur und Sport über das Internetportal hinaus eine begleitende Öffentlichkeitsarbeit . 70. Welche Maßnahmen sind angestrebt, um eine Aufwertung des Care-Bereiches zu realisieren? Die Aufwertung der Berufe in der Altenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege und Kinderkrankenpflege ist ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Mädchen und junge Frauen sowie Jungen und junge Männer sollten gleichermaßen diese Berufsfelder verstärkt in ihre Berufsbzw . Studienwahl einbeziehen. Nordrhein-Westfalen ist bundesweit Vorreiter in der Weiterentwicklung der Pflege- und Gesundheitsfachberufe und leistet so einen entscheidenden Beitrag zur kritischen Reflexion und Novellierung der Berufsgesetze vor dem Hintergrund der hochschulischen Rahmenbedingungen , der gesundheitssystemrelevanten Bedarfe und der gesetzlichen Vorgaben (Kompatibilität zwischen Berufsrecht und Hochschulrecht). An insgesamt sieben Hochschulstandorten in Nordrhein-Westfalen werden elf Modellstudiengänge in der Pflege, Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie und Hebammenkunde durchgeführt. Durch diese Maßnahmen im Kontext der Akademisierung der Pflege- und Gesundheitsfachberufe leistet die Landesregierung einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Pflege - und Gesundheitsfachberufe eine höhere Anerkennung erfahren und aufgewertet werden. Sowohl für Frauen und Mädchen als auch für Männer und Jungen gibt es mit den Modellstudiengängen eine hochschulische Ausbildung als Alternative zu den bereits bewährten Berufsausbildungen . Die Evaluationsergebnisse der Modellstudiengänge bestätigen, dass zur Entscheidung für einen Studiengang in den Pflege- und Gesundheitsfachberufen auch die Möglichkeit eines Doppelabschlusses (Berufsabschluss und hochschulischer Abschluss) beigetragen hat. Tendenziell ist als Folge der Akademisierung der Ausbildungen im Pflegebereich zu erwarten , dass die Attraktivität der Pflegeberufe und damit auch die Anzahl von männlichen Bewerbern weiter zunehmen werden. Im Rahmen des SGB XI gibt es zwar keinerlei Vorgaben oder Zielsetzungen, die auf den Anteil von Männern und Frauen im Bereich der Pflegeprofessionen eine Einflussnahme von Landesexekutive oder -legislative vorsehen oder verlangen würden. Aufgabe der Landespolitik ist es aber, im professionellen Bereich die für die Pflege und Betreuung notwendige Zahl an Pflegefachkräften zu erreichen, was der Landesregierung durch die Einführung einer Umlagefinanzierung in der Altenpflegeausbildung mit Erfolg gelungen ist. So konnte durch die Einführung des sogenannten. Umlageverfahrens zum 01.07.2012 mit Festlegungen in der Altenpflegeausbildungsausgleichsverordnung (AltPflAusglVO) bereits in den ersten 3 Jahren ein signifikanter Aufwuchs in der Altenpflegeausbildung erreicht werden. Die Ausbildungszahlen haben sich seitdem um rund 70% gesteigert, das heißt im Dezember 2014 waren rund 16.600 landesgeförderte Schülerinnen und Schüler in der Altenpflegeausbildung. Dieser Aufwuchs an Altenpflegerinnen und Altenpfleger weist darauf hin, dass bereits heute die Altenpflegeausbildung eine interessante Berufsperspektive – auch für männliche Bewer- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 63 ber – darstellt. Eine Möglichkeit, diese Perspektive und damit verbundene Bildungswege vorzustellen, bietet beispielsweise der Zukunftstag Girls‘Day und Boys‘Day. Entscheidend ist jedoch, dass sich die Aufwertung des Care-Bereichs nicht nur in Bemühungen um attraktive Ausbildungsbedingungen erschöpft. Vielmehr müssen sich Wertschätzung und Aufwertung des Care-Bereichs vor allem auch gegenüber den bereits fertig ausgebildeten Beschäftigten im täglichen Handlungsalltag zeigen. Hierzu zählt nicht nur allein eine bessere Entlohnung. Auch wenn die Aushandlung der konkreten Höhe der Löhne Sache der Tarifpartner ist, muss die Politik neben den allgemeinen Bekundungen zugunsten besserer Entlohnungen sozialer Berufe im Pflegebereich selbst die Rahmenbedingungen hierfür schaffen. Im Rahmen der anstehenden Pflegereform muss der Bund die Grundlagen für eine insgesamt angemessene Personalausstattung und der höheren Refinanzierung einer angemessenen Bezahlung schaffen. Hierzu müssen die Leistungen der Pflegeversicherung an höhere Entgelte und verbindliche Personalsicherung angepasst werden. Mit den steigenden Kosten, die durch eine bessere Bezahlung unvermeidbar sind, dürfen die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen nicht alleine gelassen werden (siehe auch Antwort auf Frage 41). Auch in Krankenhäusern ist eine grundsätzliche und nachhaltige Neubewertung der Pflegearbeit notwendig. Zum einen brauchen wir ein neues gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass Pflegetätigkeit eine tragende Säule der Krankenhausversorgung ist, für die Frauen und Männer gleichermaßen benötigt werden. Ansätze hierfür zeigt das Internetportal der Krankenhausgesellschaft NRW “NRW für Pflegeberufe“ mit einem speziellen Kapitel „Männer in der Pflege“. Zum anderen brauchen wir mehr examinierte Pflegekräfte in deutschen Krankenhäusern . Die Personalausstattung wird vom Krankenhaus bestimmt und ist abhängig von den durch das Krankenhausfinanzierungsgesetz (DRG-System) zur Verfügung gestellten Mitteln. Abhilfe soll im Rahmen des Krankenhausstrukturgesetzes geschaffen werden. Zur Finanzierung zusätzlicher Stellen in Krankenhäusern ist ein Pflegestellenförderprogramm vorgesehen. Zudem soll eine Expertenkommission Vorschläge entwickeln, wie der Pflegebedarf im DRG-System sachgerecht abgebildet und finanziert werden kann. VI. WISSENSCHAFT UND FORSCHUNG Vorbemerkung der Großen Anfrage Zu geschlechtsspezifischen Themen sind – vor allem in den letzten 10 Jahren – eine größere Anzahl wissenschaftlicher Publikationen erschienen, sodass von einer Etablierung und Ausdifferenzierung geschlechtsspezifischer Aspekte in Wissenschaft und Forschung gesprochen werden kann. Es stellt sich hier nun allerdings die Frage, ob und inwieweit hiermit eine Qualifizierung einer Jungenperspektive, die gleichermaßen der Vielfalt von Jungen gerecht wird, einhergeht. 71. Gibt es Erkenntnisse darüber, inwieweit hier eine Perspektive auf Jungen und ihre Belange verankert wurde? Gibt es Forschungsaufträge im Auftrag der Landesregierung und Lehrstühle, die einen geschlechtsspezifischen Fokus auf Jungen legen? Wenn ja, mit welchen Schwerpunkten? In Wissenschaft und Forschung wird die Perspektive auf Jungen zunehmend im Kontext systematischer Analysen der Geschlechterverhältnisse und Herstellungsprozesse von Geschlecht berücksichtigt. Dieser Ansatz ermöglicht Differenzierungen und Wahrnehmungen von Vielfalt innerhalb der Genusgruppen und somit auch einen Blick auf unterschiedliche LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 64 Lebenslagen, Lebensphasen und Orientierungen von Jungen (Jungen als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene; Jungen als heterogene Kategorie/Gruppe). Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Denominationen der Professuren und in den Forschungen wider. An den nordrhein-westfälischen Hochschulen gibt es – insbesondere im Kontext des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW – eine beachtliche Zahl an Professuren, die eine (Teil-)Denomination in der Geschlechterforschung aufweisen (vgl. im Einzelnen: www.netzwerk-fgf.nrw.de). Über die Professuren werden sowohl wissenschaftliche geschlechtsdifferenzierte Forschungen durchgeführt als auch Studierende – junge Frauen und junge Männer – genderkompetent für ihre spätere Berufspraxis ausgebildet. Hierbei wird der Fokus zum einen geschlechtsvergleichend auf Frauen und Männer bzw. Mädchen und Jungen , zum anderen auch auf Ausdifferenzierungen innerhalb dieser Gruppen sowie auf die Vervielfältigung von Geschlecht – jenseits von Heteronormativität – gelegt. Das Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW wird im Rahmen des Landesprogrammes für geschlechtergerechte Hochschulen durch die Landesregierung unterstützt. Derzeit liegt im Programmstrang Genderforschung des an alle nordrhein-westfälischen Hochschulen adressierten Landesprogrammes ein besonderer Fokus auf neuen Gender(teil)denominationen von Professuren, die auch Jungenforschung beinhalten können. Die Ausschreibung dieses Programmstranges ist am 08.05.2015 erfolgt. Des Weiteren werden auch im Bereich von Professuren und Forschungsvorhaben ohne ausdrücklich benannten Genderschwerpunkt geschlechtsspezifische Erkenntnisse gewonnen und gendersensibel ausgewertet. Im Rahmen der Anfrage ist es nicht möglich, einen umfassenden systematischen Überblick über den Stand der geschlechtersensiblen Jungenforschung zu erstellen, da dies ein eigenes Forschungsprojekt darstellen würde. Es lässt sich aber festhalten, dass sich die Schwerpunkte der jungenbezogenen Forschungen insbesondere auf die Themen Schule /Ausbildung, Gewalt, Sexualität, Migration und Sport konzentrieren. Im Folgenden werden exemplarisch einige Forschungskontexte, Einrichtungen, Projekte und Fundstellen aufgeführt , die einen guten Überblick über das weitreichende Spektrum geben: Im Kontext der Jungen- und Männlichkeitsforschung sind insbesondere die Forschungsarbeiten von Prof. Dr. Michael Meuser – Professur für Soziologie der Geschlechterverhältnisse – an der TU Dortmund hervorzuheben. Professor Meuser hatte den Vorsitz des „Beirats Jungenpolitik“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren , Frauen und Jugend inne (vgl. www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Jungen-und-ihre- Lebenswelten-Bericht-Beirat- Jungenpolitik,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf) und gilt im deutschsprachigen Raum als einer der führenden Jungen- und Männlichkeitsforscher . Aktuell erarbeitet er in einem Forschungsverbund die DFG-geförderte Studie „Sportive Orientierungen und Körperpraktiken von jugendlichen Migrantinnen und Migranten im Spannungsfeld von Schule und Lebenswelt“, in der der Zusammenhang von Geschlecht, Schicht und Migrationshintergrund auf die Sozialisation von Jugendlichen zum schulischen und außerschulischen Sport untersucht wird. Durch den intersektionellen Forschungsansatz sind für die geschlechtssensible Jungenforschung neue Erkenntnisse im Schnittfeld von Geschlecht, Herkunft und Sport zu erwarten . Darüber hinaus wird aktuell in einem Kooperationsprojekt zwischen den Universitäten Dortmund, Bochum und Duisburg-Essen eine Studie zu Vaterschaft und Elternzeit erarbeitet, deren Ergebnisse auch Rückschlüsse für die Jungen als zukünftige Väter ermöglichen werden (vgl. www.vaeter-in-elternzeit.tudortmund .de/cms/de/Startseite/.). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 65 An der Universität Düsseldorf forscht Prof. Franz (Klinisches Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie) zum Thema „Geschlechterspezifische Rollen von Jungen und Männern in der Gesellschaft“. Die Netzwerkprofessur „Schulpädagogik und Geschlechterforschung“ von Prof. Dr. Barbara Rendtorff, (Universität Paderborn) hat einen Forschungsschwerpunkt in der Herausbildung und Wirkung von Geschlechterbildern in Kindheit und Jugendalter. Professorin Rendtorff führt aktuell das Projekt „Sexualisierte Übergriffe und Schule – Prävention und Intervention“ durch, in dessen Mittelpunkt die sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen steht und in dessen Rahmen geschlechtsspezifische Präventions - und Interventionsmaßnahmen entwickelt werden(vgl. http://kw1.unipaderborn .de/institute-einrichtungen/gender-studien/projekt-sexualisierte-uebergriffeund -schule-praevention-und-intervention/ ). Darüber hinaus lassen sich entsprechende wissenschaftliche Bezüge in folgenden Bereichen bzw. an folgenden Instituten finden: Institut für Sportwissenschaft, Universität Münster, Professur für Bildung und Unterricht im Sport (Prof. Neuber) o https://www.uni-muenster.de/forschungaz/organisation/5146 dort insbesondere ausgewählte Projekte zum Thema „Jungenförderung im Sport“ o https://www.uni-muenster.de/forschungaz/project/5525 o https://www.uni-muenster.de/forschungaz/project/5524 Institut für Ethnologie, Universität Münster - Professur für Ethnologie (Prof. Dr. Basu) o https://www.uni-muenster.de/forschungaz/organisation/11758 dort insbesondere das Projekt zum Thema „Wann ist ein Mann ein Mann? - Förderung der Identitätsbildung und des Rollenverständnis bei Jungen und Mädchen in der Migrationsgesellschaft: durch Trainings zur Interkulturellen Kompetenz mit dem Schwerpunkt Geschlechterrollen" o https://www.uni-muenster.de/forschungaz/project/7165 Institut für Erziehungswissenschaft, Universität Münster - Professur für Fachdidaktik Pädagogik (Prof. Schützenmeister) o https://www.uni-muenster.de/forschungaz/organisation/11606 dort insbesondere die Publikationen zum Thema „Sollte der Pädagogikunterricht ‚männlicher‘ werden? - Überlegungen zum geringen Jungenanteil in Pädagogikkursen des Wahlpflichtbereiches": o https://www.uni-muenster.de/forschungaz/publication/89526/ Institut für Deutsche Sprache und Literatur, Philosophische Fakultät der Universität zu Köln, Prof 'in Dr. Christina Garbe, dort insbesondere das Projekt "Konzeption und Aufbau einer Online-Plattform zur Leseförderung von Jungen: „boys & books- Empfehlungen zur Leseförderung von Jungen" Institut für Soziologie und Sozialpsychologie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln (Prof 'in Dr. Marita Jacob), dort insbesondere das Promotionsvorhaben „Untersuchung zu beruflichen Geschlechtersegregation mit dem Fokus auf Jungen/Männer in Frauenberufen" Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften, Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln, Prof.'in Dr. Elke Kleinau zum Teil ge- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 66 meinsam mit Jun.-Prof Dr. Lisa Rosen, dort insbesondere die Forschungs- und Lehrvorhaben o Feminisierung des Lehrberufs – eine These und ihre Bedeutung für die aktuelle Krise der Schule, Jungen als angebliche Bildungsverlierer, Bedeutung des Geschlechts von Lehrkräften anhand empirischer Untersuchungen, hegemoniale Männlichkeit in Schule und Arbeitsmarkt o "Lets talk about sex." Sexuelle Vielfalt, schulische Sexualerziehung und forschendes Lernen in der Lehrerinnenbildung Ausgangspunkt: Sexualisierte Gewalt in pädagogischen Institutionen, hauptsächlich an Jungen, „neoemanzipatorische Sexualpädagogik", Vielfalt gelebter Sexualitäten, Hinterfragung starrer zweigeschlechtlicher und normativ heterosexueller Geschlechterverhältnisse, „Jungen" als Thema in Forschung und Lehre o Regelmäßige Lehrveranstaltungen zu Bildungsbiographien in Form von empirisch ausgerichteten Praxisprojekten mit Lehramtsstudierenden, die dem Zusammenhang von Bildungsbenachteiligung, Milieuzugehörigkeit und Geschlecht nachgehen. Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften, Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln, Prof 'in Dr. Susanne Völker, Regelmäßige Lehrveranstaltungen zu sexualisierter Gewalt unter Einbeziehung geschlechterrelevanter Machtpositionierungen von Jungen und Mädchen aus theoretischer und empirischer Perspektive Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften, Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln, Dr.'in Claudia Nikodem, Regelmäßige Lehrveranstaltung zur Korrelation von Schule und Geschlecht unter Einbeziehung von theoretischen und empirischen Forschungsergebnissen, die dem Zusammenhang von Bildungsbenachteiligung, sozialer Herkunft und Geschlecht nachgehen. Explizite Erforschung des Themas „Relevanz von Männlichkeit im Schulalltag" in Praxisprojekten mit Lehramtsstudierenden Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität zu Köln, Lehre zum Themenkomplex „Männlichkeitsforschung" unter systematischer Einbeziehung theoretischer Analysen zur „Krise" männlicher Lebensentwürfe Interdisziplinäres Zentrum für Frauen und Geschlechterforschung, Universität Bielefeld (IFF), Evaluation von Praxiskonzepten zur Gewaltprävention, vgl. http://www.iffonzeit.de/aktuelleausgabe/pdf_texte/berichte_iff/nolte_et_al.pdf Eine stärker anwendungsorientierte Jungenforschung findet an den Fachhochschulen des Landes NRW statt. An der Fachhochschule Dortmund wird rund um die Professuren von Prof. Dr. Ahmet Toprak und Prof. Dr. Katja Nowacki zum Thema „Gewaltphänomene bei männlichen, muslimischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund“ gearbeitet (siehe www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/gewaltphaenomenemaennliche -muslimischenjugendliche ,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 67 Institut für Geschlechterstudien (IFG), Fakultät für Angewandte Sozialwissenschaften , Fachhochschule Köln, Prof. Dr. Renate Kosuch, Entwicklungs-und Forschungsprojekt : „Erweiterung des Berufswahlspektrums von Jungen, Erhöhung des Männeranteils in der Sozialen Arbeit durch Entwicklung, Erprobung und Verstetigung eines mentorengestützten Erkundungsprogramms (Boys‘Day)" und das Forschungsprojekt zum Degendering der Sozialen Arbeit: „Männlichkeiten in der Sozialen Arbeit – mehr Männer in die Soziale Arbeit“ (vgl. http://www.f01.fhkoeln .de/Nachrichten/2011/03/f01_msg_01820.html ) Zudem werden über die Fachzeitschrift GENDER, mit Redaktionssitz an der Koordinationsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW, regelmäßig Fachbeiträge aus der Jungenforschung veröffentlicht. Aktuell wird ein Schwerpunkheft zu „Gender in Kindheit und Jugend(forschung)“ gemeinsam mit dem Deutschen Jugendinstitut München vorbereitet , in dem die Jungenforschung/Jungenbelange berücksichtigt werden. 72. Es gibt weiter einige Bereiche, die nur unzureichend wissenschaftlich untersucht und abgesichert sind, u.a. sind dies: Auswirkungen männlicher pädagogischer Fachkräfte in Bildungs- und Erziehungseinrichtungen auf die Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten von Kindern (Jungen), Gelingensvoraussetzungen von geschlechterdialogischen Prozessen in geschlechtergemischten Teams und in der Kooperation von Mädchen- und Jungenarbeit, notwendige Ressourcen und bestehende Barrieren bei der Umsetzung von Geschlechterpädagogik als Querschnittsaufgabe in den unterschiedlichen Feldern der Kinder- und Jugendhilfe und in Schule Jungen als Opfer von Gewalt und/oder als „Beobachter“ in Gewaltsystemen Jungen als zu aktivierende Zielgruppe gewalttätiger oder gewaltverherrlichender scheinbar unpolitischer Männerbünde (z.B. Hooligans, Rocker) und/oder politischer und/oder religiös-fundamentalistischer Gruppierungen, Gesundheit von Jungen, die Bedeutung von Geschlechtlichkeit bei der Übergangsgestaltung, zwischen pädagogischen und Jugendhilfe-Systemen, als auch zwischen Lebensphasen . Was unternimmt die Landesregierung, um diese Bereiche im Sinne besserer Erkenntnisse näher zu beleuchten? Vorangestellt ist anzumerken, dass die Einschätzung, die in Frage 72 aufgeführten Bereiche seien „nur unzureichend wissenschaftlich untersucht und abgesichert" von der Landesregierung nicht geteilt wird. Bereits die oben exemplarisch angeführten Forschungskontexte zeigen , dass dem bestehenden Forschungsbedarf mit entsprechenden wissenschaftlichen Studien und Projekten begegnet wurde und wird. Zudem hat die Landesregierung mit der Ausschreibung des „Landesprogramms für geschlechtergerechte Hochschulen. Programmstrang Genderdenominationen“ eine Möglichkeit für die Hochschulen geschaffen, eine Professur im Kontext der Jungen- und Männlichkeitsforschung oder mit Teil-Denomination Jungenforschung einzuwerben. Im Übrigen sei an dieser Stelle wieder auf die Seite des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW verwiesen (www.netzwerk-fgf.nrw.de), die einen guten Überblick über die unterschiedlichen projektbezogenen Forschungsfragen bietet sowie auf die Antwort zu Frage LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 68 71 und die verbundenen thematischen Überschneidungen zu Frage 72. Die nachstehenden Ausführungen zu den einzelnen Themen sind beispielhaft und nicht abschließend. Die Bedeutung männlicher pädagogischer Fachkräfte in Bildungs- und Erziehungseinrichtungen für die Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten von Kindern (Jungen) sind aus Sicht der Landesregierung vor allem auf der Grundlage allgemeiner entwicklungs- und bildungswissenschaftlicher Erkenntnisse zu beschreiben. Die Studie „Männliche Fachkräfte in Kindertagesstätten “ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend folgt diesem Ansatz und legt entsprechende wissenschaftliche Befunde vor (Link Studie: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/maennlichefachkraefte -kitas,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf ). Eine Literaturzusammenstellung von Veröffentlichungen nationaler und internationaler Studien zum Thema „Mehr Männer in die (Grund)Schule“ von Prof.‘in Hannelore Faulstich- Wieland (Stand 2011) findet sich unter: http://www.epb.uni-hamburg.de/erzwiss/faulstichwieland /Bibliografie%20Mehr%20Maenner%20in%20die%20(Grund)Schule%20- %20Stand%2020.8.11.pdf Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die Veröffentlichungen von Thomas Viola Rieske „Bildung von Geschlecht. Zur Diskussion um Jungenbenachteiligung und Feminisierung in deutschen Bildungsinstitutionen“ (2011): http://www.gew.de/Binaries/Binary72549/Bro_Bildung_von_Geschlecht_web.pdf und von Lotte Rose, Friederike Stibane (Deutsches Jugendinstitut München Hrsg.) „Männliche Fachkräfte und Väter in Kitas. Eine Analyse der Debatte und Projektpraxis“ München 2013 http://www.weiterbildungsinitiative.de/uploads/media/Exp_Rose.pdf. Zu der Frage der Gelingensvoraussetzungen von geschlechterdialogischen Prozessen in geschlechtergemischten Teams und in der Kooperation von Mädchen- und Jungenarbeit bestehen aus Sicht der Landesregierung keine relevanten Forschungsdefizite. Für die Praxis der Kinder- und Jugendarbeit ist der Blickwinkel auf die Frage des Geschlechts und die Berücksichtigung geschlechtersensibler Aspekte nicht nur gesetzlich normiert, sondern gelebte Praxis. Insbesondere mit Blick auf die langjährige Beratungsarbeit von Trägern wie der FU- MA-Fachstelle Gender, der Landesarbeitsgemeinschaften für Mädchen- und Jungenarbeit, die landesweit Träger der Kinder- und Jugendhilfe beraten, zeigt sich, dass in Bezug auf geschlechterdialogische Prozesse in geschlechtergemischten Teams sowie zur Kooperation von Mädchen- und Jungenarbeit keine wesentlichen Erkenntnisdefizite bestehen. Vielmehr zeigt sich in der Praxis, dass mit den bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnissen die Kooperationsbedingungen im Rahmen von Projekten der Praxisentwicklung und der Fortund Weiterbildung gut entwickelt werden können (z.B. www.initiative-jungenarbeit.nrw.de). Auch mit Blick auf die Frage, ob bzw. welche Barrieren einer Umsetzung von Geschlechterpädagogik als Querschnittsaufgabe möglicherweise entgegenstehen bzw. welche Ressourcen zur Beförderung dessen erforderlich wären, kann die Landesregierung keine wesentlichen Erkenntnisdefizite erkennen. Im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit werden geschlechtersensible pädagogische Ansätze fortlaufend weiterentwickelt. Auch hier kann beispielhaft auf folgende Veröffentlichungen verwiesen werden: Expertise „Mädchen und Naturwissenschaften in der Schule“ Hannelore Faulstich- Wieland (2004): http://sinus-transfer.uni-bayreuth.de/fileadmin/MaterialienBT/Expertise.pdf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9548 69 End-Bericht des österreichischen Projekts „Gender-Kompetenz-Schulen“ (2009): https://www.bmbf.gv.at/gekos_endbericht_18879.pdf?4dtiae Auch zum Thema Gesundheit und Jungen liegen nach Auffassung der Landesregierung ausreichend wissenschaftliche Befunde vor. Im Folgenden der Hinweis auf einige einschlägige Studien: „KiGGs: Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“, Robert -Koch-Institut, 2009; Erhebungszeitraum 2003 bis 2006); wird als Längsschnittstudie fortgeführt (Welle 1, Erhebungszeitraum 2009 bis 2012; Welle 2, Erhebungszeitraum 2014 bis 2016; Bellastudie zur psychischen und seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen) „Health Behavior in School-aged Children (HBSC)”, internationale Kinder- und Jugendgesundheitsstudie in Zusammenarbeit mit der WHO, 2010 „Erster deutscher Männergesundheitsbericht“, Stiftung Männergesundheit, 2010 „Gesund aufwachsen – welche Bedeutung kommt dem sozialen Status zu?“, Robert- Koch-Institut, GBE, Kompakt, 2015 Speziell auf NRW bezogene Studien: „Gesundheit von Jungen und Männern in Nordrhein-Westfalen - Erkrankungshäufigkeit , Risikoverhalten und präventive Potentiale, Landesinstitut für Gesundheit und Arbeit (LIGA NRW), 2008 Regelmäßige jährliche Gesundheitsberichterstattung (GBE) und thematische Auswertungen durch das Landeszentrum für Gesundheit Nordrhein-Westfalen im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter Auch die Bedeutung der Geschlechtlichkeit bei der „Übergangsgestaltung, zwischen pädagogischen und Jugendhilfesystemen als auch zwischen Lebensphasen“ ist aus Sicht der Landesregierung umfänglich Gegenstand wissenschaftlicher Erörterungen, auch wenn bei dieser Frage – wie bei allen anderen wissenschaftlichen Fragestellungen – immer davon ausgegangen werden muss, dass auch bei guter Forschungslage weitergehende Erkenntnisinteressen vorliegen. Einen guten Überblick über den aktuellen Stand der Forschung liefert das Deutsche Jugendinstitut, das von Bund und Ländern gemeinsam getragen wird (vgl. http://www.dji.de; dort unter Themen / Gender / Geschlechterverhältnisse). Nordrhein-Westfalen Drucksache 16/9548