LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9565 24.08.2015 Datum des Originals: 21.08.2015/Ausgegeben: 27.08.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3726 vom 25. Juli 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/9380 Abminderung und Auswirkungen des mehrwöchigen Streiks in Mülheimer Kitas – Welche Unterstützung bietet die Landesregierung konkret für betroffene Familien wie öffentliche Bedienstete angesichts der noch nicht abgeschlossenen Problemlage an? Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 3726 mit Schreiben vom 21. August 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Nachdem bereits rund vier Wochen die Türen zahlreicher öffentlicher Kindertagesstätten vor der Sommerpause auch in der Stadt Mülheim aufgrund des Erzieherstreiks geschlossen waren , ist nach Ablehnung des Schlichterspruchs durch Ver.di am 24. Juni 2015 die Androhung einer weiteren Streikphase nicht abgewendet und ein Ende der unglücklichen Lage längst nicht in Sicht. Laut Medienberichten sollen die Verhandlungen nach der Sommerpause noch fortgesetzt werden; das Ende ist offen. In den vergangenen Wochen haben sich in Mülheim bereits zahlreiche Beschäftigte im Ausstand befunden, viele öffentliche Einrichtungen waren vollständig geschlossen und haben keinerlei Dienstleistungen angeboten, mit den einzelnen notdürftig organisierten Auffangangeboten und Elterninitiativen konnten nicht ansatzweise auch nur die größten Engpässe vermieden werden. Für die betroffenen berufstätigen Eltern kleiner Kinder kam es daher in der Stadt Mülheim zu einem Betreuungsdesaster in bislang nicht gekanntem Ausmaß. Gelang es in den ersten Streiktagen noch, mittels unfreiwillig eingereichten Urlaubstagen, einem Entgegenkommen von Arbeitgebern, Großeltern, Freunden, Verwandten, Tagesmüttern, privater Einrichtungen oder im Zusammenschluss mit anderen leidtragenden Familien den plötzlichen Betreuungsausfall zu kompensieren, hat sich dies über die lange Streikdauer hinweg zunehmend schwieriger gestaltet. Auch in pädagogischer Hinsicht sind viele der praktizierten Notlösun- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9565 2 gen eher zweifelhaft gewesen, wenn Kleinkinder ohne verlässliche Qualitätsstandards von oft fremden Personen in ungewohnter Umgebung bloß beaufsichtigt werden konnten. Der Streik war im Rahmen der Tarifautonomie legal, ist dies gegebenenfalls auch in seiner Fortsetzung, und daher seitens der Politik nicht zu verhindern. Die Verantwortlichen in den Kitas und den weiteren sozialen Einrichtungen nahmen ihr Recht wahr, sich gegen eine Politik zu wehren, die ihnen immer mehr Aufgaben und Verantwortlichkeiten aufbürdet, ohne ihnen auf der anderen Seite bessere Perspektiven anzubieten. Eine vielfältige und qualitativ hochwertige Bildungslandschaft in der Stadt Mülheim, inklusive gut ausgebildetem und entsprechend entlohntem Personal, ist aber auch im Bereich der frühkindlichen Bildung nicht zum Nulltarif zu bekommen. Die Stadt Mülheim als hochverschuldete Kommune, die von Land und Bund immer mehr teure Aufgaben wie beispielsweise bei der Flüchtlingshilfe oder Inklusion auferlegt bekommen hat, kann die Erfüllung berechtigter Wünsche und Erwartungen offenbar leider nicht mehr aus eigener Kraft stemmen. Der enge finanzielle Spielraum der Kommune hat auch zu der weiteren Problematik geführt, dass unverändert ungewiss ist, ob die Rückerstattung von Kita-Beiträgen aufgrund der nicht erbrachten Betreuungsleistung in Nothaushalts- oder Stärkungspaktkommunen rechtlich erlaubt ist. Für einzelne Tage ist es nachvollziehbar, dass die Erstattung von Elternbeiträgen als freiwillige Leistung des kommunalen Trägers bei höherer Gewalt infolge von Streiks nicht erfolgt. Bei einem über vier Wochen andauernden Ereignis kann dies aber nicht automatisch angenommen werden. Der Kommune erwachsen dadurch Einsparungen, und je länger die Phase nicht erbrachter Leistungen dauert, desto eher ist auch der administrative Aufwand für die Ermittlung von Rückzahlungsansprüchen gerechtfertigt. Für viele Eltern ist der bezahlte Betreuungsausfall jedenfalls zur handfesten Belastung geworden; sie mussten neben der Beitragsentrichtung für die geschlossene Kita oft zusätzlich noch für eine selbstorganisierte Ersatzbetreuung und Mittagsverpflegung zahlen, während die Stadt Mülheim die Vergütung für die Streikenden und einen Teil der Betriebskosten spart. Eine Mehrheit der im Rat der Stadt vertretenden Parteien hat daher den politischen Willen zur Rückerstattung bekundet, auch wenn unverändert Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit oder dafür gegebenenfalls notwendigen Voraussetzungen bestehen. Auch die zuständige Familienministerin Ute Schäfer hat sich dahingehend geäußert, Eltern zu entlasten. Beispielsweise ist bereits am 26. Mai 2015 in der NRZ zu lesen: „Im Sinne der Eltern hielt Schäfer allerdings eine freiwillige Rückerstattung der Elternbeiträge für die Zeit der streikbedingten Schließung für ‚sicherlich wünschenswert‘. Nach Angaben des NRW-Innenministeriums sind Nothaushaltskommunen aber rechtlich gar nicht in der Lage, die Beiträge zurückzuzahlen. Vor dem ernsten Hintergrund der schwerwiegenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen ist es dringend notwendig, dass sich Ver.di und die kommunalen Arbeitgeberverbände auch nach Ablehnung des Schlichterspruchs durch Ver.di schnellstmöglich nach zufriedenstellenden Lösungen für alle Seiten suchen, um die Familien vor weiteren streikbedingten Betreuungsnotfällen zu bewahren. Die Verantwortlichen in der Landesregierung dürfen es auch nicht länger bei reinen Worthülsen und Beruhigungspillen für Eltern und Erzieher belassen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9565 3 1. Wie viele Kinder konnten in Mülheimer Einrichtungen infolge des Streiks bislang nicht wie gebucht betreut werden? (differenzierte Antwort unter Angabe von Alter , Betreuungsart und Dauer der Nichtbetreuung erbeten) Das Jugendamt der Stadt Mülheim hat berichtet, dass am 4. und 5. Mai 2015 in allen städtischen Kindertageseinrichtungen eine Abfrage stattgefunden hat, im Rahmen derer die Erziehungsberechtigten ihren Betreuungsbedarf im Streikfall anmelden konnten. Von den 2.500 in städtischen Kindertageseinrichtungen betreuten Kindern wurde für 913 Kinder ein Betreuungsbedarf formuliert. In der tatsächlichen Streikzeit, vom 11. Mai bis 5. Juni 2015, wurden diese Kinder in 13 „Notfallkitas“, jeweils in der Zeit von 07:00 Uhr bis 16:00 Uhr betreut . Weitere Daten liegen dem Jugendamt Mülheim hierzu nicht vor. 2. Welche finanziellen Auswirkungen haben sich durch den Streik städtischer Angestellter in Kindertagesstätten und weiteren sozialen Einrichtungen für die Stadt Mülheim im Einzelnen ergeben? (bitte Einspareffekte bei Vergütungen und Betriebskosten sowie Einnahmen durch Elternbeiträge und Landeszuweisungen gegenüberstellen) Die Stadt Mülheim hat hierzu mitgeteilt: „Der Rat der Stadt hat am 25. Juni 2015 beschlossen , dass die Elternbeiträge für die aufgrund des Streiks ausgefallene Betreuung in städtischen Kindertageseinrichtungen für Kinder und Offenen Ganztagsschulen erstattet werden. Auch das sogenannte Essensgeld wird ab dem 1. Streiktag erstattet.“ Die automatisierte Erstattung bzw. Verrechnung der Elternbeiträge und der gezahlten Verpflegungskosten wird von Seiten des Jugendamtes vorgenommen werden, sobald die Bezirksregierung Düsseldorf den Haushalt genehmigt hat und der Streik durch abschließende Einigung über einen Tarifabschluss beendet ist. Das Jugendamt Mülheim führt darüber hinaus aus: „Da noch keine abschließende Rückerstattung erfolgt ist, können die Erstattungen für 17 Streiktage lediglich unter Berücksichtigung aller Rahmenbedingungen wie folgt geschätzt werden: Voraussichtlich werden Elternbeiträge etwa in Höhe von 104.000 € und Verpflegungskosten etwa in Höhe von 75.000 € erstattet werden. Die Einsparungen bei den Personalkosten liegen bei rund 568.000 €.“ 3. Wird die Kommunalaufsicht nach den unseren Landesbehörden konkret für die Stadt Mülheim bislang vorliegenden Informationen eine Rückerstattung beanstanden , wenn der politische Wille vor Ort dies offiziell möchte? Zur Beantwortung der Frage wird auf die in der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3454 zur "Rückerstattung von Kita-Gebühren", Drucksache 16/9103, genannten Maßstäbe verwiesen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9565 4 4. Welche Verpflichtungen bestehen jeweils für das Land und die Stadt Mülheim, besonders negativ betroffenen Eltern wie Berufstätigen oder Alleinerziehenden alternative Betreuungsoptionen an Streiktagen anzubieten, wenn der Zustand der Nichterbringung vertraglich vereinbarter Leistungen über mehrere Wochen anhält ? Nach § 24 Achtes Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ist das Jugendamt der Stadt Mülheim zur Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Betreuung verpflichtet. Grundsätzlich muss es daher den Eltern auch bei streikbedingten Schließungen der Kindertageseinrichtungen nach Möglichkeit alternative Betreuungslösungen anbieten. Im Notfall können dabei zum Beispiel nichtbelegte Betreuungsplätze in Einrichtungen freier Träger oder in Kindertagespflege in Anspruch genommen werden. Bei größeren Streiks, wie den zurückliegenden, die sich jugendamtsweit auswirken und an denen fast alle städtischen Kitas beteiligt sind, ist die Umsetzung von solchen Notmaßnahmen jedoch sehr begrenzt. Nach Angaben der Stadt Mülheim wurde während der Streikphase eine Notbetreuung an 13 Standorten angeboten. (vgl. Antwort zu Frage 1). 5. Aus welchen sachlichen Erwägungen hält die Landesregierung offenbar ihre aktuelle Bezuschussung bei der Kinderbetreuung und der sozialen Einrichtungen für die Stadt Mülheim für ausreichend, damit diese ihr Personal angemessen vergüten kann? Die Bezuschussung bei der Kindertagesbetreuung und den sozialen Einrichtungen für die Stadt Mülheim durch das Land entspricht den gesetzlichen Vorgaben.