LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/962 24.09.2012 Datum des Originals: 24.09.2012/Ausgegeben: 27.09.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 410 vom 3. September 2012 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/808 Politische Aufarbeitung des Milliardengrabs WestLB: Nachforderungen der Helaba für das plötzlich entdeckte Derivateportfolio auf der Zielgeraden der Verhandlungen – Welche Hintergründe und Begleitumstände sind dem Finanzminister zu einer denkbar erfolgten Weitergabe von Insiderwissen der WestLB an die Helaba bekannt? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 410 mit Schreiben vom 24. September 2012 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Erinnern wir uns: Nachdem der Landtag Nordrhein-Westfalen am 30. Juni 2011 im zweiten Abstimmungsdurchgang und nach Parlamentsunterbrechung die Eckpunktevereinbarung zum Restrukturierungsplan der WestLB mehrheitlich gebilligt hat, hat sich ein monatelanger und intensiver Verhandlungsprozess angeschlossen, an dem die WestLB AG und die Helaba beteiligt gewesen sind. Am 22. Mai 2012 verkündet Finanzminister Norbert Walter-Borjans bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zur WestLB-Aufspaltung dann den Durchbruch einer grundsätzlichen Einigung und „zeigte sich zuversichtlich, dass die Verhandlungspartner die verbleibende Zeit nutzen, die noch offenen Bewertungs- und Haftungsfragen einvernehmlich zu klären. (…) Die Sparkassen -Finanzgruppe übernimmt zusammen mit der Helaba das Verbundbank-Geschäft mit Kapitalanlagen im Wert von 40 bis 45 Milliarden Euro einschließlich risikogewichteter Aktiva in Höhe von 8,3 Milliarden Euro.“ (Medieninformation der Staatskanzlei) Auf der Zielgeraden der Verhandlungen des Landes mit der Helaba sind dann von letzterer urplötzlich Nachforderungen gestellt worden. Der bislang erreichte Verhandlungsstand wurde LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/962 2 von der Helaba überraschenderweise nicht mehr akzeptiert. Hintergrund ist ein spontan aufgefallenes Derivatepaket im Portfolio der WestLB-Verbundbank gewesen, das zunächst mit einem Verlustrisiko von 300 Mio. Euro bewertet worden ist und nach näherer Prüfung letztlich einen negativen Wert von 230 Mio. Euro zugeordnet bekommen hat. Die Helaba hat ferner sogar gedroht, den gesamten Deal zur WestLB-Aufspaltung kurz vor der avisierten Unterschrift an dieser Frage scheitern zu lassen. Parallel ist aus hinreichend klaren und häufigen Verlautbarungen der Landesregierung bekannt gewesen, dass diese aufgrund des Ultimatums der EU, die WestLB aufgrund jahrelanger Staatsbeihilfen spätestens bis zum 30. Juni 2012 zu zerschlagen, nichts so fürchtete wie ein Scheitern des Veräußerungsprozesses mit der denkbaren Konsequenz einer Vollabwicklung der gesamten WestLB. Der Finanzminister zeigte sich über diese Vorgehensweise höchst unerfreut und kündigte daher am 8. Juni 2012 eindeutig an, nach den vielen bereits erfolgten Zugeständnissen an die Sparkassenorganisationen keine weiteren Aufweichungen und Nachverhandlungen zu Lasten des Landes mehr zu akzeptieren. In der Erklärung Walter-Borjans heißt es: „Wenn dann die eine Seite mit einem vorher nicht bemerkten Sack voll Lasten kommt, muss sie den aus der Welt schaffen – und zwar nicht, indem sie ihn sang- und klanglos beim anderen abstellt.“ Am 12. Juni 2012 verhandelte das Land erneut mit der Helaba, zusammen mit Vertretern der WestLB, deren Bad Bank Erste Abwicklungsanstalt (EAA) sowie der Sparkassenverbände Rheinland und Westfalen/Lippe. Die Nachrichtenagentur Reuters („Neue Runde im Poker um Aufspaltung der WestLB“) meldet noch am 12. Juni 2012 hierzu: In Sparkassenkreisen wurde entsprechend die Forderung laut, dass das umstrittene Derivatepaket an die WestLB-Nachfolgegesellschaft Portigon oder an die Bad Bank der WestLB, die EAA, gehen solle. Für beide Institute haften vor allem der Bund und das Land NordrheinWestfalen – in letzter Konsequenz also der Steuerzahler. NRW-Finanzminister Norbert Walter -Borjans (SPD) hat jedoch mehrfach signalisiert, dass das Land nicht noch weitere Lasten schultern will. Dem SPD-Politiker war bereits im Landtag von der oppositionellen FDP vorgeworfen worden, er habe im Poker um die Lastenverteilung den Sparkassen zu viele Zugeständnisse gemacht. Das Land muss neben milliardenschweren Haftungsrisiken auch eine Milliarde Euro als Kapitalspritze an den WestLB-Nachfolger Portigon beisteuern.“ Das traurige Ergebnis ist bekannt: Bereits einen Tag später akzeptiert der Finanzminister nach zwei Verhandlungsrunden in Frankfurt in vollem Umfang die von der Helaba vorgetragenen Interessen. Die zuletzt streitig gestellten Risiken von 230 Mio. Euro sollen in Höhe von 150 Mio. Euro auf die EAA übergehen und mit 80 Mio. Euro bei der WestLB verbleiben. Diese Verhandlungsniederlage des Landes wird dann auch noch nach weiteren Gesprächen in einer Mitteilung von Walter-Borjans am 19. Juni 2012 gelobt: „Mit dem Ergebnis von gestern Abend können wir gemessen an den Auflagen und Möglichkeiten außerordentlich zufrieden sein.“ Am 20. Juni 2012 meldet dann die Nachrichtenagentur dapd „WestLB-Debakel kostet die öffentliche Hand rund 18 Milliarden Euro“ und führt dazu aus: „Der Untergang der WestLB wird für Steuerzahler und öffentlich-rechtliche Sparkassen zum Milliardengrab. Unter dem Strich wird die Abwicklung der einst mächtigsten deutschen Landesbank die öffentliche Hand rund 18 Milliarden Euro kosten, wie der nordrhein-westfälische LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/962 3 Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) am Mittwoch mitteilte. Rund die Hälfte der Summe entfalle auf das Land. Rund sechs Milliarden Euro müssten die Sparkassen schultern , weitere drei Milliarden der Bund. In der Summe enthalten sind nach Angaben des Ministers alle Kosten von der Wertvernichtung durch den Niedergang der Bank in den vergangenen Jahren, über die Milliarden für Staatsgarantien bis hin zu den Pensionslasten.“ Bis zum heutigen Tage ist ungeklärt, auf Basis welcher neuen Erkenntnisse oder ggf. sogar aufgrund welcher etwaigen Hinweise von Insidern der WestLB dann die Helaba noch unerwartet auf der Zielgeraden des Verhandlungspokers ihre auf neue Risikoabschätzungen gegründeten Nachforderungen von letztlich 230 Mio. Euro erhoben hat und offenbar kenntnisreich wie sachlich gut begründet auch durchsetzen konnte. Vorbemerkung der Landesregierung Nach den mit der Sparkassenseite im Rahmen der Eckpunktevereinbarung vom 29. Juni 2011 getroffenen Vereinbarungen hatte die Sparkassenseite/Helaba ein Recht zur Auswahl des sog. Verbundbank-Portfolios. In diesem Rahmen hat sie unter anderem ein festverzinsliches Wertpapierportfolio ausgewählt. Dieses Portfolio war bei der WestLB durch Zinsderivate abgesichert. Korrespondierend zu stillen Reserven in dem Wertpapierportfolio hatte das Derivateportfolio einen negativen Marktwert. Die Sparkassenseite/Helaba hat von ihrem Selektionsrecht Gebrauch gemacht und das Derivateportfolio nicht ausgewählt. Der negative Marktwert des Derivateportfolios hat eine Belastung von ca. 230 Mio. Euro bei der Ersten Abwicklungsanstalt zur Folge. Die Übernahme des Derivateportfolios durch die Sparkassenseite /Helaba hätte daher einen negativen Effekt auf die Unternehmensbewertung zu Null i.S. Verbundbank gehabt, so dass die Sparkassenseite/Helaba eine Ausgleichsforderung in gleicher Höhe an anderer Stellle geltend gemacht hätte. 1. Seit welchem Zeitpunkt ist dem Finanzminister persönlich erstmals die neue Problematik der Verlustrisiken aus Derivaten bekannt geworden, die er als „vorher nicht bemerkten Sack voll Lasten“ bezeichnet hat? Die Thematik des angesprochenen Derivateportfolios ist auf Spitzenebene im Rahmen der Verhandlungen erstmalig von Seiten der Helaba am 4. Juni 2012 als ungeklärter Punkt erwähnt worden. Zu diesem Zeitpunkt waren aber die Details, wie z.B. der Umfang des Derivateportfolios und die Höhe seines negativen Wertes, nicht bekannt. Erst in dem Spitzengespräch am 6. Juni 2012 hat die Helaba erstmalig ihre Position mit konkreten Zahlen unterlegt und erklärt, dass sie nicht bereit sei, das Derivateportfolio zu übernehmen. 2. Welche Erklärungen hat der Finanzminister für die plötzlich in der 23. KW 2012 seitens der Helaba erstmals geltend gemachte Risikovorsorge für das Derivateportfolio , nachdem dieser Aspekt in sämtlichen Verhandlungsrunden all die Monate zuvor nie Erörterungsgegenstand gewesen ist? Die Selektion der Portfolien für die Verbundbank ist auf Basis eines langwierigen und umfassenden Due Dilligence-Prozesses durch die Sparkassenorganisation bzw. die Helaba erfolgt. Die WestLB hat diesen Prozess durch Einrichtung von Datenräumen und Bereitstellung von Expertenwissen unterstützt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/962 4 Erst im Spitzengespräch am 6. Juni 2012 wurde mitgeteilt, dass zu bestimmten von der Helaba ausgewählten Grundgeschäften das Derivateportfolio zu Absicherungszwecken nicht von der Helaba in ihre Selektion einbezogen wurde. 3. Welche genauen Bewertungen des in Rede stehenden, von der Helaba völlig un- erwartet identifizierten Derivateportfolios haben die bei der WestLB für diese Risiko - und Bewertungsfragen Zuständigen zu diesem Sachverhalt intern vorgenommen und / oder gegenüber dem Eigentümer Land vor, während und nach dem Helaba-Streit in der 24. KW kommuniziert? Die WestLB hat gegenüber dem Land zur Bewertung des Sachverhaltes neben dem Zahlenwerk im Wesentlichen folgende Punkte kommuniziert:  Nach Einschätzung der WestLB hätte die Helaba anhand der von der Bank zur Verfügung gestellten Daten zum Thema Derivate erkennen können, dass ihre Datenlage nicht konsistent war (i) und ergänzende Informationen erbeten oder (ii) aufgrund der vorhandenen Daten und öffentlich zugänglicher Informationen eigene Berechnungen zum Derivateportfolio anstellen können.  Die WestLB war nicht in die Modellrechnungen der Sparkassenseite/Helaba zur Bewertung der Verbundbank einbezogen. Sie konnte nicht erkennen, dass das strittige Derivateportfolio nicht in die Berechnungen der Helaba eingeflossen war bzw. von der Helaba aus dem Verbundbankportfolio deselektiert wurde.  Die WestLB ist von dem Grundsatz ausgegangen, dass zu allen ausgewählten Grundgeschäften auch die dazugehörigen Derivateportfolien als Absicherungsgeschäfte in die Verbundbank übernommen würden. Dieser Grundsatz wurde auch im Vorfeld von der Sparkassenseite im Rahmen des „EU-Berichts zur Ausarbeitung des Verbundbankkonzeptes“ vom 13. Dezember 2011 festgelegt. 4. Welche einzelnen Erkenntnisse liegen dem Finanzminister zu der Fragestellung vor, ob es im Zusammenhang der Verhandlungen mit der Helaba im Juni 2012 ggf. sogar erst durch etwaige Insiderinformationen bzw. die mögliche Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen seitens der WestLB zu der Nachforderung von letztlich 230 Mio. Euro auf Seiten der Helaba gekommen ist? Dem Finanzministerium liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 5. Sind im Zusammenhang mit der unerwarteten Helaba-Derivate-forderung nach dem Kenntnisstand des Finanzministers gegebenenfalls auch rechtliche Schritte (wie bspw. Strafanzeigen oder Schadensersatzforderungen) gegen zu diesem Zeitpunkt bei der WestLB befindliche Beschäftigte bereits erfolgt oder zukünftig zu erwarten? Hierzu liegen dem Finanzministerium keine Informationen vor.