LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9626 31.08.2015 Datum des Originals: 28.08.2015/Ausgegeben: 03.09.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3700 vom 20. Juli 2015 der Abgeordneten Ina Scharrenbach CDU Drucksache 16/9318 Soziale Folgekosten: Wirksamkeit sozialer Präventionsmaßnahmen evaluieren Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 3700 mit Schreiben vom 28. August 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerpräsidentin, dem Finanzminister, dem Minister für Inneres und Kommunales, dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit Datum vom 15. Februar 2011 veröffentliche die Prognos AG im Auftrag der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen das Gutachten „Soziale Prävention – Bilanzierung der sozialen Folgekosten in Nordrhein-Westfalen.“ In dem mit veröffentlichtem Factsheet „Bilanzierung der sozialen Folgekosten in NordrheinWestfalen – Handlungsoptionen für die Gestaltung der Zukunft“ wurde von Seiten der Gutachter ausgeführt, dass in der Jugendbilanz ein kurz- bis mittelfristiges Einsparpotential von 2,47 Milliarden Euro pro Jahr in Nordrhein-Westfalen besteht. Die Prognos AG führt in ihren Schlussfolgerungen 2011 aus, dass das Heben geschätzter Einsparpotential sozialer Folgekosten voraussetzt, dass die Wirksamkeit sozialer Präventionsmaßnahmen in den betrachteten Bereichen evaluiert wird. Dazu sollten die bisher in Nordrhein-Westfalen gemachten Erfahrungen einzelner Kommunen auf Landesebene zusammengetragen und einer systematischen Evaluation zugeführt werden. Für den Bereich der Jugendkriminalität wurden ähnliche Empfehlungen bereits in der von 2008 – 2010 eingesetzten Enquete-Kommission getätigt (Seite 90 des zitierten Prognos-Gutachtens). Dabei wird „Prävention“ in die primäre Prävention (allgemeiner Ansatz, um die Ursachen sozialer Fehlentwicklung zu bekämpfen), sekundäre Prävention (Adressaten sind spezifische Risikogruppen) und die tertiäre Prävention (Minimierung von Folgeschäden und Rückfallrisi- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9626 2 ken). Im Rahmen des Gutachtens werden die Ausgaben bzw. Aufwendungen für die tertiäre Prävention und reaktive Maßnahmen als „soziale Folgekosten“ behandelt. Im Rahmen des Projektees „Kein Kind zurücklassen“ erfolgt nur für die Ebene der kommunalen Projektteilnehmer eine finanzwirtschaftliche Evaluation. „Evaluation ist keine Einmalaktion , sondern muss im Sinne einer nachhaltigen Orientierung von Politik verstetigt werden.“ (Auszug www.kein-kind-zuruecklassen.de/modellvorhaben/evaluation.html). Vorbemerkung der Landesregierung Die Kleinen Anfragen 3677, 3698, 3699 und 3700 beziehen sich alle auf ein Gutachten der Prognos AG vom 15.02.2011. Das in 2011 veröffentlichte Gutachten „Soziale Prävention – Bilanzierung der sozialen Folgekosten in Nordrhein-Westfalen“ hat der Landesregierung entscheidende Grundlagen und wertvolle Impulse für die vorbeugende Politik in NordrheinWestfalen geliefert. Vorbeugende Politik ist Kernanliegen der nordrhein-westfälischen Landesregierung und will jedem Kind ein gelingendes Aufwachsen ermöglichen. Vor diesem Hintergrund wurde gemeinsam mit der Bertelsmann Stiftung Anfang 2012 das Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“ auf den Weg gebracht . Das Modellvorhaben verfolgt das Ziel, in 18 nordrhein-westfälischen Städten und Kreisen kommunale Präventionsketten zu etablieren und anhand dieser eng verzahnten Präventionsangebote möglichst frühzeitige Hilfen zugunsten von Kindern und Jugendlichen anzubieten . Die Federführung für die operative Umsetzung hat das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend , Kultur und Sport, wo eine Koordinierungsstelle in Trägerschaft des Instituts für soziale Arbeit e.V. in Münster eingerichtet worden ist. Aus der gut dreijährigen Arbeit der Koordinierungsstelle lassen sich bereits klare Schlussfolgerungen im Hinblick auf eine landesweite Umsetzung vorbeugender Politik ableiten. Auch in der Zwischenbilanzveranstaltung zum Modellvorhaben am 29. August 2014 haben die 18 Modellkommunen bereits ihre Erfahrungen der Öffentlichkeit vorgestellt. Es hat sich gezeigt, dass Vorbeugung funktioniert. Das Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“ läuft noch bis Ende 2015. Damit sich Vorbeugung als Politikansatz im ganzen Land verbreitet, ist es das erklärte Ziel des Modellvorhabens, die gewonnenen Erkenntnisse auch in die Fläche zu bringen . Deshalb haben beide Kooperationspartner Land NRW und Bertelsmann Stiftung schon zu Beginn des Modellvorhabens erklärt, die Zusammenarbeit auch für den Zeitraum bis 2020 fortzusetzen. Aufgabe wird es sein, die Erfahrungen anderen Kommunen zur Verfügung zu stellen und weitere Kommunen beim Aufbau kommunaler Präventionsketten zu beraten und zu unterstützen. Die Beratung und Unterstützung wird sich dabei auf die federführend von der Bertelsmann Stiftung verantwortete Evaluation stützen können, die ab 2016 zur Verfügung stehen wird. Im Rahmen der Evaluation arbeitet die Bertelsmann Stiftung mit einer Reihe renommierter Forschungsorganisationen zusammen. Die Evaluation soll zeigen, welche Effekte eine kommunale Präventionskette für Kinder und Familien haben. Die weitere Präzisierung von Präventionsstandards und das Vorgehen der Landesregierung nach Beendigung des Modellvorhabens werden die Ergebnisse der Evaluation des Modellvorhabens einbeziehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9626 3 Eine neue Auftragsvergabe an die Prognos AG ist vor diesem Hintergrund derzeit nicht geplant und war auch zu keiner Zeit angekündigt. 1. Wie setzen sich die Ausgaben des Landes Nordrhein-Westfalen inhaltlich für die primäre und sekundäre Prävention zusammen (bitte differenziert nach primärer und sekundärer Prävention sowie Herkunft der Finanzmittel (EU, Bund und/oder Land) 2. Wie hoch sind die Ausgaben für die soziale primäre und sekundäre Prävention des Landes Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2009 – 2014 (aufgeschlüsselt nach Jahr, Art und Angabe, ob die Art der primären oder sekundären Prävention zugerechnet wird)? Die Fragen 1 und 2 werden wegen ihres Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Das Gutachten der Prognos AG von 2011 hat keine haushaltsstellenscharfe Zuordnung von Positionen des Landeshaushalts für den Bereich der Prävention vorgenommen. Grund dafür war unter anderem, dass das Gutachten soziale Folgekosten unabhängig vom Kostenträger (Kommunen, Bund, Sozialversicherungsträger u.a.) ermitteln, also nicht nur auf den nordrhein -westfälischen Landeshaushalt fokussieren sollte. Darüber hinaus ist die exakte Zurechnung von Ausgaben – unabhängig vom Kostenträger – nach präventiver oder nichtpräventiver Art bzw. zwischen primärer und sekundärer Prävention nicht ohne weiteres möglich. 3. Inwieweit wurde das von der Prognos AG in 2011 als kurz- und mittelfristig bezeichnete Einsparpotenzial in der Jugendbilanz in Höhe von 2,47 Milliarden Euro in Nordrhein-Westfalen tatsächlich gehoben? Falsch ist die Behauptung, das Gutachten der Prognos AG „Soziale Prävention – Bilanzierung der sozialen Folgekosten in Nordrhein-Westfalen“ gehe von einem kurzfristigen Einsparpotenzial aus. Richtig ist, dass das Gutachten eine Jugendbilanz in Höhe von 2,47 Milliarden Euro ausweist, die annäherungsweise die Höhe der sozialen Folgekosten in Bezug auf Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zu einem Alter von 25 Jahren in NordrheinWestfalen im Jahr 2009 darstellt. Dabei wird im Gutachten (S. 4, 32) davon ausgegangen, die Jugendbilanz stelle das „mittelfristige Einsparpotenzial“ sozialer Folgekosten dar, die je nach Wirksamkeit der präventiven Maßnahmen „innerhalb von 10 bis 15 Jahren“ deutlich reduziert werden könnten. Dies hat auch die Zwischenbilanz zum Modellvorhaben „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“ am 29.08.2014 gezeigt. 4. „Evaluation ist keine Einmalaktion, sondern muss im Sinne einer nachhaltigen Orientierung von Politik verstetigt werden.“: Wie hat die Landesregierung die Empfehlung der Prognos-Gutachter aus 2011 zur Evaluation der Wirksamkeit sozialer Präventionsmaßnahmen für den Landeshaushalt umgesetzt und verstetigt? Hierzu wird auf die Vorbemerkung verwiesen.