LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9634 31.08.2015 Datum des Originals: 31.08.2015/Ausgegeben: 03.09.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3728 vom 27. Juli 2015 der Abgeordneten Dietmar Brockes und Hennig Höne FDP Drucksache 16/9382 Vergabe des Gutachtens zu den möglichen Umweltauswirkungen des Einsatzes von Abfall- und Reststoffen sowie PCB in Steinkohlenbergwerken – Nimmt die Landesregierung einen Rechtsbruch beim Vergabeverfahren billigend in Kauf? Der Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 3728 mit Schreiben vom 31. August 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In Steinkohlenbergwerken in Nordrhein-Westfalen wurden seit Mitte der 1980er Jahre bis 2006 teils giftige Abfälle und Reststoffe eingebracht. So berichtete das Magazin „Der Spiegel“ unter der Überschrift „Gefährliche Altlast“ (29/2013) im Juli 2013, dass der Bergwerkkonzern RAG weitgehend unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit in den neunziger Jahren im großen Stil hochgiftigen Sondermüll in seine ausgekohlten Zechen gefüllt habe. Es gehe um Hunderttausende Tonnen eines Gemischs aus giftigen Schwermetallen wie Blei, Cadmium und Quecksilber, Fluoride aus der Metallverarbeitung und Arsen, wie Genehmigungs- und Betriebsunterlagen belegten. Besondere Brisanz hat der Vorgang aufgrund der Beendigung des subventionierten Steinkohlebergbaus im Jahr 2018. Nach dem derzeit in Erarbeitung befindlichen Grubenwasserkonzept sollen die Zechen im Ruhrgebiet geflutet werden, um die Ewigkeitslasten des Bergbaus zu reduzieren. Es stellt sich die Frage, ob die Sondermülleinlagerungen in den Steinkohlezechen des Ruhrgebiets zu Gesundheitsgefahren durch Grundwasserverunreinigungen aufgrund der ansteigenden Grubenwässer führen können. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9634 2 Durch die Berichterstattung ist eine breite öffentliche Debatte über Bergbau-Altlasten ausgelöst worden. Im Januar 2015 berichtete das Magazin „Der Spiegel“ unter dem Titel „Gift im Schacht“, dass bis in die 1980er Jahre mehrere tausend Tonnen giftiger, PCB-haltiger, Hydraulikflüssigkeiten im untertägigen Bergbau eingesetzt worden und größtenteils dort versickerten seien. PCB sind wegen ihrer schädlichen Langzeitwirkung weltweit verboten. Umweltschützer befürchten, das Gift könnte infolge der geplanten Grubenwasserhaltung ausgespült werden und so in Grundwasser und Flüsse gelangen. Auf Drängen der Opposition hat die Landesregierung am 18. September 2013 angekündigt, ein Gutachten zu der Thematik, ob von früheren bergbaufremden Einlagerungen eine Gefahr für Mensch und Umwelt ausgehen können, zu vergeben (APr. 16/325, S. 9). Das Ausschreibungsverfahren wird zweistufig als sog. Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb durchgeführt. Die erste Stufe endet damit, dass von denjenigen Bietern bzw. Bietergemeinschaften, die die in der Ausschreibung näher spezifizierten persönlichen Eignungskriterien erfüllen, maximal 5 Teilnehmer aufgrund der Gesichtspunkte Zuverlässigkeit, Leistungsfähigkeit und Fachkunde ausgewählt werden und ein erstes Angebot abgeben dürfen. Im anschließenden Verhandlungsverfahren werden in einem dynamischen Prozess Verhandlungen eröffnet, bei denen sich sowohl auf Angebots- wie auch auf Nachfrageseite in gewissem Umfang Änderungen nach den Erfordernissen des Ausschreibungsgegenstands ergeben können. Die Vergabe des Gutachtens wurde von der Landesregierung in den nachfolgenden knapp zwei Jahren verschleppt. So wurde die Ausschreibung der Gutachtenerstellung erst am 04. August 2014 europaweit bekanntgemacht. Als Auftraggeber der mit über 800.000 Euro budgetierten Vergabe handelte federführend das Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie , Mittelstand und Handwerk. Im Zuge der zwischenzeitlich bekanntgewordenen PCBProblematik sollte das Gutachten um Einschätzungen bzw: Bewertungen im Zusammenhang mit dem früheren Einsatz PCB-haltiger Betriebsstoffe im Steinkohlenbergbau erweitert werden (Vorlage 16/2631). Aus dem Wirtschaftsministerium hieß es zunächst, eine zeitliche Verzögerung sei mit der Auftragserweiterung nicht verbunden. Die Auftragsvergabe wurde gemäß Bericht vom 11. August 2014 für Anfang März 2015 in Aussicht gestellt (Vorlage 16/2143). Später wurde sie von Minister Duin für den Zeitraum um Ostern (APr. 16/797, S. 59) bzw. für April/Mai 2015 (Vorlage 16/2791) in Aussicht gestellt. Eine aussagekräftige Begründung, abgesehen vom pauschalen Hinweis auf vergaberechtliche Komplikationen, ist die Landesregierung bisher schuldig geblieben. Neben der Verschleppung führt die Landesregierung das Verfahren auch in vergaberechtlicher Hinsicht äußerst fragwürdig. So ist Anfang Mai 2015, ohne den Landtag darüber in Kenntnis zu setzen, die Federführung für die Ausschreibung vom Wirtschaftsministerium auf das Umweltministerium übergegangen . Mit anschließendem Schreiben des Umweltministeriums wurde den Teilnehmern des Bietverfahrens mitgeteilt, dass sich Aspekte ergeben hätten, die es erforderlich machten, erneut mit allen Bietern in Verhandlung einzutreten. Von den Bietern wurde gefordert, ihre Unabhängigkeit u.a. gegenüber der RAG nachzuweisen, andernfalls würden sie vom weiteren Verfahren ausgeschlossen. Konkret wurde um Stellungnahme gebeten, „ob es hinsichtlich Ihres Angebots Aspekte gibt, die in der Öffentlichkeit zu Diskussionen über die Qualität der Gutachtenergebnisse führen und damit den Zweck des Gutachtenergebnisses gefährden könnten. Solche Aspekte können z.B. mögliche organisatorische oder rechtliche Verflechtungen/Verbindungen mit Betroffenen o.ä. sein. Betroffene sind z.B. die Betreiber der elf genannten Bergwerke, Grundstückseigentümer , Wasserversorger, u.a.“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9634 3 So richtig es auch ist, dass die beauftragten Gutachter organisatorisch und finanziell unabhängig sind, so lassen die strengen Vorgaben des Vergaberechts die nachträgliche Aufstellung von weiteren Anforderungen nicht zu. Zumal es sich hierbei, entgegen der vom Umweltministerium gewählten Formulierung, offensichtlich nicht um angebotsbezogene Aspekte sondern um Kriterien handelt, die die persönliche Eignung betreffen und somit bei Beendigung der ersten Stufe des Vergabeverfahrens abschließend zu prüfen waren. Denn etwaige Verflechtungen mit Betroffenen haben in erster Linie keine Auswirkungen auf die Glaubhaftigkeit der nach wissenschaftlichen Maßstäben erarbeiteten und nachprüfbaren Gutachten, sondern betreffen die Glaubwürdigkeit der Gutachter. Selbst wenn man, wie das Umweltministerium davon ausgeht, die Unabhängigkeit der Gutachter sei immanenter Aspekt der Aufgabenbeschreibung , so wäre die Nachforderung gleichwohl ein Verstoß gegen die vergaberechtliche Transparenzpflicht und könnte auch deshalb nicht gefordert werden. Vielmehr macht ein solches Vorgehen das Verfahren rechtswidrig und könnte unter Umständen im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer aufgehoben werden. Die Ausschreibung müsste erneut erfolgen. Fragwürdig ist ebenfalls die Entscheidung des Umweltministeriums ab dem 28. Juli 2015 das Gutachten an ein als Bestbieter deklariertes Aachener Beratungsunternehmen vergeben zu wollen: „Insgesamt lässt das Angebot des Bestbieters den Rückschluss zu, dass aufgrund des dort belegten Erfahrungsschatzes eine noch bessere Qualität der Arbeitsergebnisse erreicht werden kann“. Wieder einmal werden in unzulässiger Weise Eignungs- und Zuschlagskriterien vermischt. Dabei ist es grundsätzlich untersagt, die Aspekte von Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit, beispielsweise die besondere Erfahrung eines Unternehmens , bei der Angebotsbewertung nochmals einfließen zu lassen (vgl. Weyand, Vergaberecht , 3. Aufl., Rn. 977). Augenfällig ist zudem, dass sich das Umweltministerium mit der Auswahl des Bestbieters scheinbar selbst nicht an seine zuvor aufgestellten Maßstäbe bezüglich der GutachterUnabhängigkeit hält. Denn in den vergangenen Jahren hatten Honorare für Gutachtenaufträge durch das Umweltministerium, Stichwort: Fracking-Gutachten NRW, Monitoring Garzweiler (vgl. Drucks. 16/4716, 16/809), einen nicht unwesentlichen Anteil an den Umsätzen des Aachner Beratungsunternehmens. Angesichts dieser Merkwürdigkeiten könnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, das Umweltministerium habe massiven und unzulässigen Einfluss auf die Gutachtenvergabe genommen, damit dem favorisierten „Hausgutachter“ der Zuschlag für ein Gefälligkeitsgutachten erteilt wird. 1. Aus welchem Grund ist die Federführung für die Gutachtenvergabe am Landtag vorbei vom Wirtschaftsministerium auf das Umweltministerium gewechselt? Die Landesregierung hat in mehreren Berichten den Landtag umfänglich über den Stand des Vergabeverfahrens zum „Gutachten zur Prüfung möglicher Umweltauswirkungen des Einsatzes von Abfall- und Reststoffen zur Bruch-Hohlraumverfüllung in Steinkohlebergwerken in Nordrhein-Westfalen“ und die thematische Erweiterung informiert:  Vorlage 16/2143  Vorlage 16/2519  Vorlage 16/2631  Vorlage 16/2791 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9634 4 Beide Ressorts sind Auftraggeber, so dass auch die Vergabestellen beider Häuser das Verfahren begleitet haben. Die Frage der Federführung ist eine innerorganisatorische Maßnahme . 2. Inwiefern hält die Landesregierung die nachträgliche Aufstellung und Einforderung neuer Vergabekriterien nach Wiedereröffnung des Verfahrens für vergaberechtskonform ? Es sind nach Wiedereröffnung des Verhandlungsverfahrens keine neuen Vergabekriterien, insbesondere keine neuen Eignungskriterien aufgestellt worden. Vielmehr sollte durch eine entsprechende Nachfrage bei allen Bietern sichergestellt werden, dass deren Angebote keine Aspekte beinhalten, die – unabhängig von der vorliegenden Eignung der Gutachter - das Ziel des Gutachtens, eine sichere Akzeptanz der Gutachtenergebnisse bei den Beteiligten bzw. bei Dritten zu finden, gefährden könnte. Dieser Aspekt ist angesichts der hohen Bedeutung des Gutachtengegenstandes auch für die Öffentlichkeit und unabhängig von der Einschätzung der Eignung eines Gutachters durch den Auftraggeber für die Verwendbarkeit des Gutachtens unabdingbar und dem Auftrag immanent. 3. Welche rechtliche Einschätzung bezüglich der Zulässigkeit der nachträglichen Aufstellung und Einforderung neuer Vergabekriterien nach Wiedereröffnung des Verfahrens hatten jeweils Vergabestellen von Umwelt- und Wirtschaftsministerium ? Es sind keine neuen Vergabekriterien aufgestellt bzw. eingefordert worden (s. Antwort zu Frage 2). 4. Welche Stellungnahme hatten jeweils die Vergabestellen von Umwelt- und Wirtschaftsministerium bezüglich der Bewertung des jeweiligen Bestbieters abgegeben ? Nach eingehenden Prüfungen war das Ergebnis der Bewertung anhand der bekannt gegebenen Wertungskriterien die Vergabe an den Bestbieter. 5. Inwiefern ist die Begründung, dass vom Bestbieter aufgrund seiner Erfahrung qualitativ höherwertige Arbeitsergebnisse erwartbar seien, vergaberechtlich tragfähig? Die Begründung bezieht sich nicht auf die Erfahrung des Bieters, sondern auf die im Angebot des Bieters belegten Erfahrungen der projektdurchführenden Personen, die im Rahmen der Bewertung des Zuschlagskriteriums „Qualität des Personaleinsatzkonzept“ relevant waren. Nach der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Urteil vom 26.03.2015, C-601/13) wie auch des Oberlandesgerichts Düsseldorf (vgl. Beschluss vom 29.04.2015, Verg 35/14) ist es zulässig und widerspricht nicht dem Gebot der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien, wenn ein Auftraggeber als Zuschlagskritierum die Qualität des für die Auftragsausführung vorgesehenen Teams unter Berücksichtigung auch der Erfahrung der jeweiligen Personen bewertet.