LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9651 01.09.2015 Datum des Originals: 31.08.2015/Ausgegeben: 04.09.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3758 vom 6. August 2015 des Abgeordneten Dr. Stefan Berger CDU Drucksache 16/9452 Greift die Landesregierung in die Zusammensetzung der demokratisch gewählten Gremien an Hochschulen ein? Die Ministerin für Innovation, Wissenschaft und Forschung hat die Kleine Anfrage 3758 mit Schreiben vom 31. August 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit dem so genannten „Hochschulzukunftsgesetz“ (HZG) wurde in § 11 c festgelegt, dass die Gremien der Hochschule geschlechtsparitätisch besetzt werden sollen, es sei denn, im Einzelfall liegt eine sachlich begründete Ausnahme vor. Seit kurzem existiert auch für diesen Fall eine „Umsetzungshilfe“ des Ministeriums für Innovation , Wissenschaft und Forschung. „Das Gebot der geschlechterparitätischen Gremienbesetzung - Hinweise zu § 11c Hochschulgesetz (HG) NRW“ enthält Aufforderungen die dazu genutzt werden können, mit Hinweis auf das Geschlecht in die Zusammensetzung der demokratisch zu wählenden Gremien einzugreifen. So werden die Wahlgremien aufgefordert, paritätisch besetzte Wahllisten aufzustellen und bei Nichtbeachtung „nicht geschlechterparitätische Wahllisten zurückzugeben und die Herstellung der paritätischen Besetzung einzufordern.“ Die „Hilfe“ des zuständigen Ministeriums endet in der Aufforderung: „Sind Wahllisten trotz Quotierungspflicht nicht paritätisch besetzt, obwohl keine eine Abweichung rechtfertigende Ausnahme vorliegt, so sollte die Liste zurückgewiesen werden.“ Als Hilfen auf dem Weg zu einer geschlechterparitätischen Hochschule rät das zuständige Ministerium „Neue Wege der Rekrutierung von Gremienmitgliedern des unterrepräsentierten Geschlechts“ zu beschreiten und schlägt vor „die Ausgangsvoraussetzungen zur Besetzung des Gremiums“ zu überprüfen „z.B.: Gibt es die Möglichkeit Externe oder andere Gruppen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9651 2 der Hochschule stärker einzubeziehen? Ist es sinnvoll die Anzahl der Gremienmitglieder zu reduzieren (Wenn die Anzahl der Mitglieder in einem Gremium sinkt, werden beispielsweise weniger Frauen benötigt um ein paritätisches Verhältnis der Geschlechter herzustellen.)?“ Nur im Einzelfall, nach intensiver Bemühung und nach schriftlicher Beweisaufnahme darf auch eine Liste zugelassen werden, die nicht paritätisch besetzt ist. („Lässt sich trotz aller Anstrengungen keine Parität herstellen, müssen die Ausnahmegründe im Einzelfall nachvollziehbar dokumentiert werden.“) Vorbemerkung der Landesregierung Die Kleine Anfrage 3758 geht davon aus, mit dem Hochschulzukunftsgesetz sei in § 11c des Hochschulgesetzes erstmals festgelegt worden, dass die Gremien in der Hochschule geschlechtsparitätisch besetzt werden sollen, es sei denn, im Einzelfall läge eine sachlich begründete Ausnahme vor. Die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen sind indes bereits seit dem Inkrafttreten des Landesgleichstellungsgesetzes NRW im Jahre 1999 zu einer grundsätzlich geschlechtsparitätischen Gremienbesetzung verpflichtet (siehe § 12 Landesgleichstellungsgesetz in der bis zum Inkrafttreten des Hochschulzukunftsgesetzes geltenden Fassung ). Alle Landtage und Landesregierungen haben an diesem Gebot der grundsätzlich geschlechtsparitätischen Besetzung auch von Hochschulgremien seit dem Jahre 1999 festgehalten . Dieses Gebot ist nunmehr anstelle einer Verortung im Landesgleichstellungsgesetz im Hochschulgesetz niedergelegt worden. Damit soll insbesondere die Sichtbarkeit und die Transparenz der Gremienbesetzungsvorschrift verbessert werden. 1. Wie bewertet die Landesregierung den Umstand, dass durch diese Regelung Kandidaten von einer Wahl aufgrund ihres Geschlechts ausgeschlossen werden können? Die Vorschrift des § 11c des Hochschulgesetzes beinhaltet ihrer Rechtsfolge nach keine Regelung, nach der Kandidaten von einer Wahl aufgrund ihres Geschlechts ausgeschlossen werden können. 2. Laut der nordrhein-westfälischen Verfassung sind bei der Wahl zum nordrheinwestfälischen Landtag alle Personen wählbar, „wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.“ Bewertet die Landesregierung das Prinzip der Geschlechterge-rechtigkeit als höheres Gut als eine unter dem Grundsatz einer allgemeinen, gleichen, unmittelbaren, geheimen und freien erfolgten Wahl? Nach § 13 Absatz 1 Satz 1 des Hochschulgesetzes werden die Vertreterinnen und Vertreter der Mitgliedergruppen im Senat und im Fachbereichsrat in unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl von den jeweiligen Mitgliedergruppen getrennt gewählt. An diesem Grundsatz ändert auch das Gebot der geschlechtergerechten Zusammensetzung von Gremien nach § 11c des Hochschulgesetzes nichts. 3. Ist die Landesregierung der Ansicht, dass das Demokratieprinzip als staatstragender Grundsatz auch auf Wahlen innerhalb von Selbstverwaltungskörperschaften wie Hochschulen Anwendung findet, so dass die Wahlrechtsgrundsätze daher auch im Rahmen der studentischen Selbstverwaltung zu gelten haben? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9651 3 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (siehe Beschluss vom 9. April 1975, Az. 1 BvL 6/74, BVerfGE 39, 247 ff.) erfährt der Grundsatz der formalen Wahlgleichheit , der für Parlamentswahlen entwickelt worden und dort streng anzuwenden ist, bei den Wahlen der Selbstverwaltungsorgane der Hochschulen gewisse Einschränkungen, die in der Organisationsstruktur der Hochschule begründet sind und die sich zudem aus der vorbehaltlosen Garantie der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Absatz 3 des Grundgesetzes ergeben. Die Organisationsform der Gruppenuniversität knüpft an die typischerweise vorhandenen Gruppierungen an und gliedert die Mitglieder der Hochschule nach ihren verschiedenen Funktionen und Interessen in einzelne Gruppen. Diese sind in der Regel von sehr verschiedener Größe mit der Folge, dass es schon rein faktisch nicht möglich ist, die Stimmrechte der Gruppenvertretung schematisch nach der numerischen Stärke der Gruppe abzustufen. Mithin ergibt sich zwangsläufig, dass der Erfolgswert der Einzelstimme je nach der Größe der Gruppe verschieden groß sein kann. Nach der o.g. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt daraus, dass die Wahlrechtsgrundsätze, die für Parlamentswahlen gelten , nicht ohne weiteres auch für die Wahlen innerhalb von gruppenuniversitär verfassten Selbstverwaltungskörperschaften gelten können. Das Bundesverfassungsgericht unterstreicht zudem, dass Wahlen im Hochschulbereich keineswegs "der Herbeiführung demokratisch -egalitärer Repräsentation, sondern der Organisation der Hochschulorgane nach den Maßstäben Qualifikation, Funktion, Verantwortung und Betroffenheit der Mitglieder der Hochschule" dienen (siehe Urteil vom 28. März 1984 – 2 BvL 2/82 –, BVerfGE 66, 270 ff.). Hinsichtlich der geschlechtsparitätischen Zusammensetzung von Gremien gelten die Wahlrechtsgrundsätze indes innerhalb der o. g. Maßgaben der Gruppenuniversität ohne Einschränkungen . 4. In welchem Umfang, schätzt die Landesregierung, werden ihre Tipps und Hilfestellungen bei der Besetzung des Rektorats, des Senats, des Fachbereichsrats oder der Berufungskommission für eine geschlechtergerechte Besetzung dieser Gremien in der Realität angenommen ("neue Wege der Rekrutierung von Gremienmitgliedern ", "Möglichkeit Externe […] einzubeziehen", "Anzahl der Gremienmitglieder zu reduzieren")? Die Landesregierung geht davon aus, dass ihre Umsetzungshilfen von den Hochschulen zur Kenntnis genommen und in ihre weiteren Überlegungen eingebunden werden. 5. Welche Dokumentationspflichten und intensiven Bemühungen haben konkret bei der Bildung der Wahllisten zum Senat zu er-folgen, um zu verhindern , dass er "unverzüglich aufzulösen und neu zu bilden" ist? Schon vor dem Inkrafttreten des Hochschulzukunftsgesetzes bestand ausweislich § 12 des Landesgleichstellungsgesetzes in der damals geltenden Fassung eine gesetzliche Verpflichtung zur geschlechtsparitätischen Gremienbesetzung, von der nur im Ausnahmefall abgewichen werden durfte, vgl. Vorbemerkung. § 11c des Hochschulgesetzes regelt dieses langjährige Gebot nun klarer und unterstreicht die schon bisher gegebene Notwendigkeit, eine Ausnahme von der geschlechtsparitätischen Gremienbesetzung sachlich zu begründen. Die Pflicht zur Neubildung von Gremien nach § 11c Absatz 4 Satz 2 des Hochschulgesetzes setzt voraus, dass die Ausnahmegründe für ein Abweichen von den Bestimmungen zur Gremienbesetzung nicht aktenkundig gemacht worden sind. Die Vorschrift bewertet mithin die Tiefe und die Belastbarkeit der aktenkundig gemachten Ausnahmegründe nicht. Mit dieser Vorschrift wird allerdings in das geltende Hochschulrecht erstmals eine Sanktion im Zusammenhang mit der geschlechtergerechten Zusammensetzung von Gremien eingeführt. Im LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9651 4 Zusammenhang mit Gremienbesetzungen hat die von der Bundesregierung eingerichtete Expertenkommission Forschung und Innovation im Zusammenhang mit der Einführung einer Geschlechterquote von 30 % für Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen in ihrem Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2014 ausgeführt, dass für die Durchsetzung derartiger Quoten klar definierte Sanktionen bei Nichterreichen der Ziele entscheidend seien; die Expertenkommission hat denn auch Sanktionen eingefordert (siehe Gutachten S. 18, 131 und 139). Der Bundestag hat sich bekanntlich in dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst dazu entschlossen, als Sanktion vorzusehen, dass die für das unterrepräsentierte Geschlecht vorgesehenen Plätze rechtlich unbesetzt bleiben. Auch im Lichte dieser eindeutigen fachlichen Positionierung der Expertenkommission Forschung und Innovation begrüßt die Landesregierung, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 11c Absatz 4 des Hochschulgesetzes erstmals eine Sanktionierung im Rahmen des Gebots der geschlechterparitätischen Gremienbesetzung vorgesehen hat.