LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9662 02.09.2015 Datum des Originals: 02.09.2015/Ausgegeben: 07.09.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3688 vom 13. Juli 2015 des Abgeordneten André Kuper CDU Drucksache 16/9298 Wie sollen minderjährige unbegleitete Flüchtlinge künftig innerhalb von NordrheinWestfalen verteilt werden? Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 3688 mit Schreiben vom 2. September 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Inneres und Kommunales und dem Minister für Arbeit, Integration und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit der zunehmenden Zahl der Krisenregionen in der Welt suchen immer mehr Menschen Zuflucht in Deutschland. Kinder und Jugendliche stehen dabei unter dem besonderen Schutz der UN-Kinderrechtskonvention: Sie haben ein Recht darauf, dem Kindeswohl entsprechend untergebracht, versorgt und betreut zu werden. Um dies zu gewährleisten hat die Bundesregierung am 15. Juli 2015 im Kabinett den Gesetzentwurf zur bundesweiten Verteilung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge beschlossen . Durch das Gesetz soll dafür gesorgt werden, dass die Unterbringung, Versorgung und Betreuung von minderjährigen Flüchtlingen, die alleine nach Deutschland einreisen, in Deutschland besser wird. Um zu gewährleisten, dass die unbegleiteten Kinder und Jugendlichen gleichmäßig verteilt werden, gibt es künftig eine bundes- und landesweite Aufnahmepflicht . Maßstab für die Verteilung ist ein landesinternes und bundesweites Verfahren, das sich an den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen orientiert. Das aufnehmende Jugendamt kann Minderjährige damit an einen anderen Ort weiterleiten. Bei der Reise dorthin sind sie von einer geeigneten Person zu begleiten und am Zielort von einer Fachkraft des zuständigen Jugendamtes in Empfang zu nehmen. Die Einreise unbegleiteter Minderjähriger konzentriert sich auf bestimmte Regionen in Deutschland. Nach geltendem Recht ist das Jugendamt, in dessen Bereich sich der unbegleitete ausländische Minderjährige vor Beginn der Maßnahme tatsächlich aufhält, zu dessen Inobhutnahme verpflichtet, § 42 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3, § 87 des Achten Buches Sozial- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9662 2 gesetzbuch (SGB VIII). Dabei handelt es sich um das Jugendamt, in dessen Bereich die Einreise eines unbegleiteten ausländischen Kindes oder Jugendlichen festgestellt wird. Vor diesem Hintergrund sind für die Inobhutnahme unbegleiteter ausländischer Kinder und Jugendlicher die Jugendämter bzw. örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe zuständig, die an bestimmten Einreiseknotenpunkten liegen. Einige kommunale Gebietskörperschaften sind gegenwärtig aufgrund der kontinuierlichen Zunahme unbegleitet nach Deutschland einreisender Minderjähriger sehr stark belastet. Mancherorts sind die Kapazitätsgrenzen bereits so weit überschritten, dass eine dem Kindeswohl entsprechende Unterbringung, Versorgung und Betreuung der Kinder und der Jugendlichen erheblich erschwert bzw. nicht mehr möglich ist. Die amtliche Kinder- und Jugendhilfestatistik weist bei denjenigen unbegleiteten ausländischen Minderjährigen, die von den Jugendämtern in Obhut genommen wurden, im Jahr 2013 eine Steigerung von bundesweit rund 133 Prozent gegenüber dem Jahr 2010 aus. Im Jahr 2013 wurden insgesamt 6.583 unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche von den Jugendämtern in Obhut genommen. Nach einer aktuellen Abfrage der Länder befanden sich zum Stichtag 31. Dezember 2014 bundesweit 17.955 unbegleitete ausländische Minderjährige in vorläufigen Schutzmaßnahmen oder Anschlussmaßnahmen (Hilfen zur Erziehung und Hilfen für junge Volljährige) der Kinder- und Jugendhilfe. Es ist in den kommenden Jahren nicht mit einem Rückgang bzw. einer Stagnation zu rechnen; vielmehr kann von weiteren Steigerungen ausgegangen werden. In Nordrhein-Westfalen wurden zuletzt (Stichtag 31. Mai 2015) rund 3.500 Flüchtlinge betreut , die meisten davon in Aachen, Dortmund, Köln, Bielefeld, Wuppertal und Düsseldorf. Die vorläufigen Zahlen mit dem Stand vom 31.05.2015 zeigen, dass 6 Jugendämter in NRW besonders viele Jugendliche betreuen: Aachen (791), Dortmund (684), Köln (507), Bielefeld (221), Wuppertal (166), Düsseldorf (162). Dort wo die Zahl der Ankommenden nicht abreißt, sei bestmögliche Betreuung für die oft traumatisierten Kinder zunehmend schwierig, sagte der Jugenddezernent beim Landschaftsverband Rheinland. Aber auch Unsicherheit sei zu spüren, berichtete ein Vertreter des Landesjugendamt des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, denn die meisten der 186 Jugendämter im Bereich Westfalen-Lippe hatte kaum oder noch nie mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu tun. Das Gesetz wird nunmehr in das parlamentarische Verfahren in Bundesrat und Bundestag eingebracht. Es soll am 1. Januar 2016 in Kraft treten. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes ist nun in den Ländern die Vorbereitung der neuen Möglichkeiten des Gesetzes zu schaffen. Denn innerhalb eines zur Aufnahme verpflichteten Landes erfolgt die Zuweisung des unbegleiteten ausländischen Minderjährigen an ein Jugendamt , das geeignet ist, den spezifischen Schutzbedürfnissen dieser jungen Menschen im Hinblick auf ihre Unterbringung, aber vor allem auch hinsichtlich ihrer sozialpädagogischen und ggf. therapeutischen Betreuung und Unterstützung Rechnung zu tragen. Damit in den Ländern , in denen bislang nur sehr wenige unbegleitete ausländische Minderjährige aufgenommen worden sind, entsprechende Unterbringungsmöglichkeiten ausgebaut bzw. geschaffen und die erforderlichen Kompetenzen erweitert bzw. erworben werden können, sieht das Gesetz eine Übergangsregelung vor, die es diesen Ländern ermöglicht, ihre Aufnahmekapazität stufenweise zu erhöhen und erst drei Monate nach Inkrafttreten vollumfänglich entsprechend der Aufnahmequote erfüllen zu müssen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9662 3 1. Wie konkret plant die Landesregierung zukünftig landesintern die mögliche Verteilung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge? Parallel zur parlamentarischen Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Verbesserung der Unterbringung, Versorgung und Betreuung ausländischer Kinder und Jugendlicher vom 15. Juli 2015 erarbeitet die Landesregierung eine landesgesetzliche Regelung zur Umsetzung einer landesinternen und bundesweiten Verteilung unbegleitet eingereister Minderjähriger . Das MFKJKS befindet sich dazu bereits in Konsultationsgesprächen mit den Landesjugendämtern und den Kommunalen Spitzenverbänden sowie einem ständig eingerichteten Fachgesprächskreis, in dem darüber hinaus Vertreterinnen und Vertreter aus Jugendämtern , der Freien Wohlfahrtspflege, der Kirchen, der Bundespolizei, des Flüchtlingsrates NRW e.V., des MIK und der Bezirksregierung Arnsberg mitwirken. 2. Wie beurteilt die Landesregierung die Möglichkeit weiterhin SchwerpunktKommunen für minderjährige Flüchtlinge einzurichten, anstelle einer landesinternen Verteilung auf alle Kommunen in Nordrhein-Westfalen In Nordrhein-Westfalen sind keine Schwerpunkt-Kommunen für Minderjährige Flüchtlinge „eingerichtet“. Vielmehr konzentriert sich aufgrund der Fluchtwege die erhöhte und derzeit weiter steigende Zahl unbegleitet einreisender Minderjähriger problemhaft auf wenige Jugendämter , deren Kapazitäten für eine jugendhilfegerechte Versorgung und Betreuung absehbar an Grenzen stoßen oder diese Grenzen bereits erreicht haben. Ziel der beabsichtigten landesinternen und bundesweiten Verteilung ist es gerade, diese Jugendämter an den Schwerpunkten der Einreise zu entlasten, um eine kinder- und jugendhilfegerechte Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge zu ermöglichen. Mit dem Entwurf einer landesgesetzlichen Ausführungsregelung wird die Landesregierung zur künftigen regionalen Verteilung Vorschläge vorlegen, mit denen die Standards des SGB VIII wie die Aspekte der Integration unbegleiteter Minderjähriger in Bildung und Ausbildung berücksichtigt werden. 3. Wie will die Landesregierung bei der künftigen landesinternen Verteilung sicherstellen , dass minderjährige unbegleitete Flüchtlinge mit besonderem Hilfebedarf vor Ort eine gute Betreuung erhalten? 4. Welche Vorbereitungen für die Jugendämter sieht die Landesregierung vor? Die Fragen 3 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Auch bei der bundesgesetzlich vorgesehenen Neuregelung bleibt es beim Primat und der Zuständigkeit der Jugendhilfe für die Aufnahme und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Die Auflösung der Überforderung weniger Jugendämter und die regionale Verteilung sind aus Sicht der Landesregierung eine entscheidende Voraussetzung für eine gute Betreuung. Mit der im o.g. Fachgesprächskreis erarbeiteten und gemeinsam vom MFKJKS und vom MIK herausgebenden „Handreichung zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen “ liegt eine wichtige Arbeitshilfe vor. Die Landesjugendämter organisieren in Absprache mit dem MFKJKS Fachveranstaltungen für die Jugendämter. Im Rahmen des Fachgesprächskreises ist eine Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen und Vertretern aus Jugendämtern, Freier Wohlfahrtspflege und im Clearingverfahren erfahrenen Fachkräften eingerichtet worden , die Vorschläge zum Erfahrungstransfer und zur Unterstützung der Jugendämter sowie zu Kooperationsmöglichkeiten von Jugendämtern erarbeitet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9662 4 5. Wie sind aktuell die Aufnahmezahlen unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge jeweils in den Kommunen in Nordrhein-Westfalen? Nach den Angaben von IT NRW erfolgten im Jahr 2014 aufgrund einer unbegleiteten Einreise Minderjähriger in 2.201 Fällen vorläufige Schutzmaßnahmen (Inobhutnahme gem. § 42 SGB VIII) durch die Jugendämter. Die Verteilung auf die Jugendämter ist der Anlage 1 zu entnehmen. Nach einer Abfrage bei den Jugendämtern befanden sich am Stichtag 31. Mai in vorläufigen Maßnahmen in Aachen 241, in Köln 177, in Dortmund 141, in Bielefeld 128, in Wuppertal 46 Kinder und Jugendliche. Die Anzahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in vorläufigen Maßnahmen liegt in weiteren Jugendämtern im einstelligen bis niedrigen zweistelligen Bereich (Basis Stichtagsabfrage zum 31.12.2014) Die in der Kleinen Anfrage zitierten Zahlen liegen höher, weil sie auch die minderjährigen Flüchtlinge in Anschlussmaßnahmen nach Inobhutnahme und die für junge Volljährige fortgesetzten Hilfen umfassen.