LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9674 02.09.2015 Datum des Originals: 02.09.2015/Ausgegeben: 07.09.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3748 vom 5. August 2015 der Abgeordneten Ina Scharrenbach und André Kuper CDU Drucksache 16/9441 Erstaufnahme von Flüchtlingen: Warum wird in NRW die erkennungsdienstliche Behandlung von Flüchtlingen und anderen Einreisenden nicht an den Anfang der Kette gestellt? Der Minister für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage 3748 mit Schreiben vom 2. September 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Werbewirksam vermarktet die Landesregierung in diesen Tagen die Reaktivierung von pensionierten Beamtinnen und Beamten für die Registrierung von Flüchtlingen und anderen Einreisenden in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen. Dabei umfasst die Registrierung als hoheitliche (eigenständige) Tätigkeit „lediglich“ das Erfassen von Personendaten sowie das Anfertigen eines Lichtbildes. Abgesehen davon, dass es - beispielsweise in der neuen Aufnahmeeinrichtung in Massen-Nord - für ein Mehr an Registrierungsplätzen schlicht an den räumlichen Voraussetzungen fehlt, nehmen die „Registrierer “ keine erkennungsdienstlichen Tätigkeiten vor. Die erkennungsdienstliche Behandlung eines Flüchtlings oder eines anderen Einreisenden ist für den gesamten Prozessablauf von hoher Bedeutung: Es erfolgt ein Abgleich der Daten u.a. mit der EURODAC-Datei, um festzustellen, ob der Antragsteller bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union einen Asylantrag gestellt hat. Folgeantragsteller, auch aus sicheren Drittstaaten, könnten zügig identifiziert werden, Familienangehörige von vermeintlich unbegleiteten Minderjährigen schnell ausfindig gemacht werden, Mehrfachantragstellungen einzelner Personen dadurch unterbunden werden. Aber: Dies funktioniert nur, wenn die erkennungsdienstliche Behandlung zusammen mit der Registrierung an den Anfang der organisatorischen Kette gestellt wird und nicht -wie derzeitirgendwann mit der Vorstellung des betroffenen Menschen beim Bundesamt für Migration LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9674 2 und Flüchtlinge erfolgt. Dadurch werden unnötige Kapazitäten im gesamten Verwaltungsverfahren und bei sämtlichen betroffenen Behörden gebunden. Gemäß § 16 Abs. 1 AsylVerfG („Sicherung, Feststellung und Überprüfung der Identität“) wird die Identität eines Ausländers, der um Asyl nachsucht, durch erkennungsdienstliche Maßnahmen gesichert, es sei denn, dieser hat das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet. Zuständig für die Maßnahmen sind das Bundesamt (§ 16 Abs. 2 AsylVerfG), aber eben auch: Die in den §§ 18 und 19 bezeichneten Behörden (Grenzbehörde, Ausländerbehörde und Polizei), sofern dort um Asyl nachgesucht wird, sowie die Aufnahmeeinrichtung, bei der sich der Ausländer meldet. Damit darf gem. AsylVerfG auch in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes NordrheinWestfalen , wo sich die überwiegende Anzahl von Menschen zwecks Asyl meldet, eine erkennungsdienstliche Behandlung vorgenommen werden. In der Praxis funktioniert dies allerdings nicht – und das an einer entscheidenden Stelle des gesamten Verfahrens. 1. Warum erfolgt in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes Nordrhein-Westfalen keine erkennungsdienstliche Behandlung von Asylantragstellern, obwohl das Asylverfahrensgesetz des Bundes dieses ausdrücklich vorsieht? Tatsächlich begründet das Asylverfahrensgesetz eine Parallelzuständigkeit von Bund und Ländern, je nachdem in welchem Kontext und wo der Asylsuchende zuerst vorspricht und sein Asylbegehren äußert. Die hier in Rede stehenden Rechtsnormen können jedoch maximal zu einer nationalen Speicherung und zu einem nationalen Datenabgleich ermächtigen, das bedeutet Speicherung und Datenabgleich in AFIS-A (Automatisierte Fingerabdruckidentifizierungssystem Asyl). Diese Datenbank wird beim BKA geführt. Neben dieser nationalen Datenbank existiert jedoch eine weitere Datenbank, EURODAC, welche neben den national ED-behandelten Flüchtlingen auch die Flüchtlinge abbildet, die bereits innerhalb der EU erkennungsdienstlich behandelt wurden. Diese Datenbank wurde zur leichteren Anwendbarkeit der Dublin II - Verordnung geschaffen und wird in Luxemburg geführt. Der nationale Gesetzund Verordnungsgeber hat das BAMF als ausschließlich zuständig für die Durchführung der ED-Behandlung i.S. der EURODAC-VO erklärt. Dies führt in der Praxis zu dem Problem, dass, egal ob bereits eine ED-Behandlung in der Erstaufnahmeeinrichtung stattgefunden hat, jedenfalls eine weitere erkennungsdienstliche Behandlung bei Antragstellung im BAMF stattfinden muss, um die Daten auch in EURODAC einspeisen zu können. Neben dieser rechtlichen Hürde stellt sich auch ein praktisches Problem. Es gibt derzeit keine Schnittstelle zwischen dem BKA und den Ausländerbehörden bzw. zwischen dem BKA und den EAE’en des Landes. Laut Aussage eines Vertreters des BKA im Rahmen einer Bund-Länder-Besprechung in Berlin am 20. August 2015, ließe sich die Einrichtung einer solchen Schnittstelle nicht kurzfristig realsieren. Nichts desto trotz sieht die Landesregierung die Schwierigkeiten, die sich im Zusammenhang mit der verzögerten ED-Behandlung ergeben. Daher prüft die Landesregierung derzeit intensiv alternative Verfahrensweisen, ist jedoch dabei auf Unterstützung durch den Bund angewiesen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9674 3 2. Wie viele Wochen dauert es im Durchschnitt bis ein registrierter Asylbewerber in Nordrhein-Westfalen erkennungsdienstlich behandelt wird? Die Zeitspanne zwischen Registrierung und Antragsstellung (und damit verbunden EDBehandlung ) beim BAMF variiert derzeit aufgrund des aktuell hohen Zugangs der Flüchtlinge stark. Ein aussagekräftiger Mittelwert kann nicht gebildet werden. 3. Ist die Landesregierung Nordrhein-Westfalen der Auffassung, dass eine Trennung von Registrierung und erkennungsdienstlicher Behandlung – wie es derzeit in der Praxis gelebt wird – für den Verfahrensablauf – auch im Sinne des Betroffenen – sinnvoll ist? Bis zu dem immensen Anstieg der Flüchtlingszahlen bot dieses System kaum Anlass zur Kritik. Aufgrund der o.g. Divergenz zwischen Registrierung und Erstantragstellung beim BAMF werden derzeit jedoch alternative Verfahrensweisen geprüft. 4. Welche Arbeitsschritte in einer Aufnahmeeinrichtung des Landes NRW erfolgen derzeit immer noch papierhaft, weil die IT-gestützte Kommunikation nicht ausgebaut ist (betrifft Kommunikation zwischen Behörden in Nordrhein-Westfalen und die Kommunikation mit Bundesbehörden)? Die Ausstellung der Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender (BüMA) erfolgt in den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes in Papierform und wird erst im Nachgang in das landesseitige Programm eingegeben. Die weiteren Haupt-Arbeitsschritte werden über Softwaresysteme abgewickelt. 5. Wie ist der Bearbeitungsstand in Bezug auf das gemeinsam mit dem Bund zu entwickelnde integrierte, webbasierte IT-System, um die Verfahrensabläufe in der Zukunft zu beschleunigen? Im Juli wurde ein neu entwickeltes, webbasiertes Programm „AVU Asyl“ eingeführt, das sowohl in den Unterbringungseinrichtungen des Landes als auch am Standort der Bezirksregierung Arnsberg im Einsatz ist. Mittels AVU-Asyl erfolgt die vollständige Datenverwaltung der Asylbewerber und illegal eingereisten Ausländer im Land NRW, sofern Aufnahme, Verteilung und Unterbringung betroffen sind. An verbesserten Versionen des Programms mit weiteren Nutzungsmöglichkeiten wird stetig gearbeitet. So besteht in Kürze die Möglichkeit, Daten der Registrierung, welche in den EAE erfolgt, zu importieren. Des Weiteren wird ein Datenaustausch mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seitens des Landes NRW angestrebt. Denkbar sind mittelfristig auch die Anbindung der Betreuungsverbände in den Unterbringungseinrichtungen und der Ausländerbehörden der Kommunen.