LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/968 25.09.2012 Datum des Originals: 24.09.2012/Ausgegeben: 28.09.2012 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 342 vom 17. August 2012 der Abgeordneten Ingola Schmitz FDP Drucksache 16/643 Wie bewertet das Schulministerium den Einzug des digitalen Schulbuchs in die Klassenzimmer ? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 342 mit Schreiben vom 24. September 2012 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien, der Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport und der Ministerin für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter beantwortet . Vorbemerkung der Kleinen Anfrage WDR–Online veröffentlichte am 05.08.2012 den Bericht „Multimedia in den Klassenräumen: Verlage entwickeln digitale Schulbücher.“ An der Entwicklung solcher Medien würden die Schulbuchverlage demnach mit Hochdruck arbeiten. Digitale Medien bilden einen wichtigen Bestandteil des Lebensumfeldes der Menschen. Daher sind ein frühzeitiges, altersgemäßes Heranführen und die Vermittlung eines angemessenen Umgangs mit diesen Medien gerade für Kinder und Jugendliche für ihren späteren Lebensweg von Bedeutung. Gleichzeitig belegen Studien wie beispielsweise eine Untersuchung der Yale School of Medicine jedoch, dass digitale Medien unser Gehirn verändern können. Die biologische Grundlage hierfür bilde demnach das Phänomen der „erfahrungsabhängigen Neuroplastizität“. Das Gehirn sei nicht statisch verdrahtet, sondern werde durch die Erfahrung geformt und unterliege – je nach den konkreten Nutzungsbedingungen – einem lebenslangen Umstrukturierungsprozess. Die Nerven-Netzwerke würden somit fortwährend an wechselnde Umweltbedingungen angepasst und wie Muskeln trainiert. Selten gebrauchte „Gehirnmuskeln“ – zum Beispiel die für das geduldige Lesen längerer Texte – würden nach dem Motto „use it or lose it“ zurückgebildet, während häufig trainierte Areale physikalisch an Masse gewinnen würden. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/968 2 Die Studie zeigt weitere mögliche Folgen des häufigen Gebrauchs digitaler Medien auf. Zu nennen sind hierbei unter anderem: a. eine Verkürzung der Aufmerksamkeitsspanne, b. eine Erhöhung der erforderlichen Reizschwelle für handlungsauslösende Aktivierungen, c. Aufmerksamkeitsstörungen, Sprachentwicklungsstörungen, Lese- und Rechtschreibstö- rungen. Der Neurowissenschaftler und Bildungsforscher Manfred Spitzer warnt sogar vor „digitaler Demenz“. Mangelnde Gehirnbildung, vor allem in den für Aufmerksamkeit und für soziale Funktionen zuständigen Bereichen, führe zu Aufmerksamkeitsstörungen und gesteigerter Depressivität. In seinem neuen Buch „Digitale Demenz“ – Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ plädiert der Hirnforscher und Neurobiologe für Konsumbeschränkung, um der „digitalen Demenz“ entgegen zu wirken. 1. Welche Studien hat das Schulministerium bisher zu Rate gezogen, um zu der bewertenden Aussage zu gelangen, man sehe die digitalen Bücher durchaus als „Chance“? Die PISA- und IGLU-Studien. Sie haben belegt, dass in den deutschen Schulen die Qualität des Lernens weiterentwickelt werden muss. Schülerinnen und Schüler erarbeiten sich Lernkompetenzen im Lernprozess. Vielfältige Lernmittel, dazu gehören auch digitale Bücher, bieten vielfältige Chancen für aktives Lernen im Unterricht. Seit 2002 liegen Metaanalysen vor, die belegen, dass Computer mit entsprechenden Softwareprogrammen nachweislich effektive Mittel darstellen, Kinder zielgerichtet zu fördern, z.B.: - Matthias Grünke, Universität Oldenburg, Zur Effektivität von Fördermethoden bei Kindern und Jugendlichen mit Lernstörungen, aus Kindheit und Entwicklung 15 (4), S. 239-254, Hogrefe Verlag, Göttingen 2006 - "Einer flog übers Kuckucksnest" oder welche Interventionsformen erbringen im sonderpädagogischen Feld welche Effekte? Ergebnisse ausgewählter us-amerikanischer Meta- und Mega-Analysen, Jürgen Walter, erschienen in Zeitschrift für Heilpädagogik (11/2002). 2. Wie bewertet die Ministerin die oben erwähnten Erkenntnisse der Mediziner und Neurobiologen? Die 2007 veröffentlichte Studie der Yale School of Medicine bezieht sich auf den Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen in Ihrer Freizeit. „Wie eine 2007 veröffentlichte Studie der Yale School of Medicine belegt, summiert sich der wöchentliche Medienkonsum von Kindern in den USA auf 45 Stunden. Demgegenüber rangieren der Schulbesuch mit 30 Stunden und der Kontakt zu den Eltern mit 17 Stunden weit abgeschlagen auf den Plätzen zwei und drei. Nach einem Bericht des Deutschen Ärzteblatts liegt die Mediennutzung bei deutschen Kindern und Jugendlichen in etwa gleichauf mit den Schulwochenstunden. Hierbei stagniert der Fernsehkonsum seit 1994 zugunsten des Surfens im Internet. Die digitalen Medien prägen also schon heute das Leben der jungen Generationen nachhaltig.“ („Das Gehirn 2.0 Die Zu- LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/968 3 kunft der Kundenkommunikation“ von Franz Korbinian Hütter und Uta Unkel, 03.01.2011 in SocialMediaMagazin) Vor diesem Hintergrund wird der kompetente Umgang mit elektronischen Medien in allen Lebensbereichen immer wichtiger. Die Vermittlung von Medienkompetenz an Kinder und Jugendliche ist damit eine zentrale Aufgabe von Eltern und allen Bildungseinrichtungen. Medienkompetenz macht Kindern bewusst, wie Medien wirken und wie sie sich vor Schaden schützen können. Dabei lernen sie selbstbewusst Medien für eigene Zwecke einzusetzen und sich verantwortlich gegenüber anderen zu verhalten. Medienkompetenz ist Voraussetzung für aktive und verantwortliche Teilhabe an Gesellschaft, Kultur und Politik. 3. Inwiefern wurden die Lehrkräfte, Lehrerverbände und die Elternschaft des Lan- des NRW bisher in die Diskussion um die angemessene Nutzung bzw. mögliche Risiken digitaler Medien einbezogen und gehört? Die nordrhein-westfälische Landesregierung hat eine ressortübergreifende Initiative „Medienpass NRW“ ins Leben gerufen. Die Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien, das Ministerium für Schule und Weiterbildung, das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, die Landesanstalt für Medien und die Medienberatung NRW organisieren diesen Prozess gemeinsam. Neben der Beteiligung von Expertinnen und Experten bindet die Initiative die Bürgerinnen und Bürger ein. Über das Dialogportal www.medienpass.nrw.de wird über das Vorhaben informiert, der Ablauf erläutert sowie ein Partizipationsangebot realisiert. Zwischen dem 14. Juni und dem 25. Juli 2011 konnten Interessierte sich in einer aktiven Online-Phase beteiligen. Mit 7.550 Besuchen und 48.170 Seitenaufrufen während der sechswöchigen aktiven Online-Phase zeigt sich ein hohes Interesse am Thema. Die Medienberatung NRW wird im Auftrag des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW Anfang des nächsten Jahres eine Online-Konsultation zum Thema „Digitale Schulbücher “ durchführen. Darüber hinaus gibt es sowohl an Schulen als auch in der Jugendarbeit vielfältige Angebote zur Entwicklung von Medienkompetenz. So organisiert z.B. die Arbeitsgemeinschaft für Kinder - und Jugendschutz das Netzwerk "Eltern-Medien-Jugendschutz", welches Eltern informiert , unterstützt und Fachkräfte qualifiziert. 4. Wie soll die Aufklärungsarbeit in den Schulen bezüglich möglicher Risiken und Nebenwirkungen der digitalen Medien intensiviert werden? Der in diesem Jahr eingeführte Medienpass NRW sichert die systematische Förderung von Medien- wie von Lernkompetenzen auf allen Altersstufen. 5. Plant die Landesregierung, eine entsprechende Studie zur Untersuchung der Auswirkung digitaler Medien auf das vegetative Nervensystem junger Menschen in Auftrag zu geben? Nein.