LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9696 07.09.2015 Datum des Originals: 04.09.2015/Ausgegeben: 10.09.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3749 vom 30. Juli 2015 des Abgeordneten Christian Haardt CDU Drucksache 16/9442 Verbindlichkeit von Vereinbarungen nach § 78 e SGB VIII bei Individualpädagogischen Maßnahmen im Ausland. Die Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport hat die Kleine Anfrage 3749 mit Schreiben vom 4. September 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Es hat in den letzten Monaten zahlreiche Veröffentlichungen in den Medien gegeben, die sich mit individualpädagogischen Maßnahmen im Ausland beschäftigen. Ausgangspunkt für die intensive Diskussion waren Vorfälle in Gelsenkirchen und Dorsten. Standen in Gelsenkirchen vor allem mögliche Bereicherungsabsichten einzelner Beteiligter aus dem Bereich des Jugendamtes im Vordergrund, ging es im Falle von Dorsten (sog. „Fall Paul“) vor allem um den Sinn der konkreten Maßnahme aber auch um die Frage des Verhältnisses zwischen der tatsächlich erbrachten Leistung und deren Qualität auf der einen Seite sowie der dafür gezahlten Vergütung auf der anderen Seite. Im Zusammenhang mit der Vergütung stellte sich auch die Frage, wie die jeweils konkreten Vereinbarungen mit dem Träger, der Firma LIFE-Jugendhilfe GmbH, mit Sitz in Bochum, zustande gekommen sind. Hintergrund war dabei vor allem die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Vergütungshöhe und Leistungsqualität, insbesondere, ob auch tatsächlich qualifiziertes Personal eingesetzt wurde. Auf Medienanfragen soll das Landesjugendamt in Münster zu dieser Frage dahingehend Stellung genommen haben, dass für Auslandsaufenthalte nur jeweils Einzelvereinbarungen geschlossen werden könnte, da es, anders als bei Maßnahmen im Inland, nicht die Möglichkeit einer Vereinbarung mit dem örtlich zuständigen Jugendamt gäbe, die dann für alle anderen Jugendämter verbindlich sei. Wie das Landesjugendamt zu dieser Rechtsauffassung kommt, erschließt sich dem Anfragenden nicht. Unabhängig davon, ob diese rechtliche Einschätzung zutreffend ist, stellt sich LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9696 2 die Frage, welche Auswirkungen sich ergeben, wenn es eine solche Vereinbarung gleichwohl gibt. Tatsächlich hat die Stadt Bochum, als örtlich zuständiger Träger der Jugendhilfe nach § 78 e SGB VIII mit der Firma LIFE-Jugendhilfe GmbH Entgeltverhandlungen geführt und Vereinbarungen nach § 78 b Absatz 1 SGB VIII geschlossen. Es handelte sich dabei gerade nicht um Vereinbarungen für einzelne, konkrete Maßnahmen des Jugendamtes Bochum sondern um eine „klassische“ Vereinbarung nach § 78 b SGB VIII. 1. Wie beurteilt die Landesregierung, im Lichte der Regelungen des § 78 e SGB VIII, die Verbindlichkeit der zwischen der Stadt Bochum und der LIFE-Jugendhilfe GmbH abgeschlossenen Entgeltvereinbarung für individualpädagogische Auslandsmaßnahmen im Hinblick auf andere Jugendämter, die Leistungen der LIFEJugendhilfe GmbH in Anspruch nehmen wollen? Nach § 78b Abs. 2 Satz 2 SGB VIII können unter bestimmten Voraussetzungen Entgeltvereinbarungen (Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen) auch über die Erbringung von Hilfe zur Erziehung im Ausland mit dem örtlich zuständigen Jugendamt abgeschlossen werden. Diese sind dann auch für andere Jugendämter verbindlich. Da es sich bei den Auslandsmaßnahmen nach § 27 Abs. 2 S. 3 SGB VIII um Ausnahmen und überwiegend um intensive sozialpädagogische Einzelbetreuungen i.S.v. § 35 SGB VIII handelt, ist es aber auch möglich und sollte die Regel sein, dass Jugendämter und Maßnahmeträger die Tagessätze regelmäßig nach den sehr unterschiedlichen Erfordernissen des Einzelfalls nach § 78b Abs. 3 SGB VIII vereinbaren. 2. Wird, soweit die Landesregierung die Vereinbarung, trotz eindeutiger Bezeichnung , nicht für rechtlich verbindlich halten sollte, für andere Jugendämter nicht mindestens der Rechtsschein einer verbindlichen Vereinbarung gesetzt? Es kann nicht beurteilt werden, inwieweit durch die Vereinbarung der Stadt Bochum mit dem Träger der Rechtsschein einer verbindlichen Vereinbarung gesetzt wird. Sollte es in diesen Zusammenhängen zu Streit- oder Konfliktfällen kommen, kann von den Betroffenen die Schiedsstelle gemäß § 78 g SGB VIII eingeschaltet werden. Darüber hinaus ist auf den Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) vom 21./22. Mai 2015 zu verweisen, mit dem die JFMK eine bei der Arbeitsgemeinschaft der Obersten-Landesjugend- und Familienbehörden eingerichtete Arbeitsgruppe bittet, zur Weiterentwicklung der Heimaufsicht Vorschläge zur Novellierung vorzulegen. In diesem Kontext soll ausdrücklich auch der Regelungsbedarf für gesetzliche Vorgaben im Kontext von Auslandsmaßnahmen geprüft werden. 3. Wenn im Rahmen einer solchen Vereinbarung, für die Festlegung bzw. Kalkulation des Entgeltes, das Bestandteil der Vereinbarung ist, die Betreuung durch eine Fachkraft (Sozialpädagoge) vereinbart wird, wie beurteilt die Landesregierung dann den Fall, dass zwar das vereinbarte Entgelt berechnet, aber durchgängig keine entsprechende Fachkraft eingesetzt wird? Sollte eine der Vereinbarungsparteien ihre Leistungen nicht ordnungsgemäß erfüllen, ist es die Obliegenheit der anderen Partei, dies zu überprüfen und ggf. daraus Konsequenzen zu ziehen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9696 3 4. Welche Unterlagen muss sich ein Jugendamt, das mit einem Träger eine Vereinbarung nach § 78 b SGB VIII schließt bzw. ein Entgelt verhandelt, normalerweise von dem Träger vorlegen lassen? Es müssen die Unterlagen vorgelegt werden, die es dem öffentlichen Träger der Jugendhilfe ermöglichen, entsprechend der §§ 78 b SGB VIII und § 78 c SGB VIII zu beurteilen, ob eine Vereinbarung abgeschlossen werden kann. Da es sich bei diesen Vereinbarungen immer um individuelle Sachverhalte handelt, können über die dort genannten Merkmale hinaus vorzulegenden Unterlagen nicht abschließend benannt werden.