LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9718 10.09.2015 Datum des Originals: 10.09.2015/Ausgegeben: 15.09.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3772 vom 12. August 2015 des Abgeordneten Ralf Witzel FDP Drucksache 16/9478 „Bargeld, das war seine Bedingung.“ – Pikante Enthüllungen zur Beauftragung und Bezahlung von Steuer-CD-Datendieben: Wie rechtfertigt der Finanzminister bloß die Kriminalisierung privater Bargeldzahlung beim Gebrauchtwagenkauf, wenn er zugleich Straftäter mit Bargeldkoffern entlohnt? Der Finanzminister hat die Kleine Anfrage 3772 mit Schreiben vom 10. September 2015 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Justizminister beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Statt den Haushalt des Landes Nordrhein-Westfalen über eine seriöse Ausgabenpolitik zu sanieren, bevorzugt Finanzminister Dr. Norbert Walter-Borjans bekanntlich seit Jahren eine massive Einnahmesteigerung für die Landeskasse durch drastische Steuererhöhungen, stets anwachsende Belastungen bei Steuerzahlern und Mehrerlöse durch Selbstanzeigen sowie Ermittlungen im Kontext von im Ausland gestohlenen Bankdaten. Dazu lässt der Minister gern Schwarzgeldkonten bevorzugt in der Schweiz aufspüren, was in der Folge tatsächlich zu Strafzahlungen oftmals in Millionenhöhe geführt hat – sei es durch die Banken selber, durch festgesetzte Steuernachzahlungen oder durch Selbstanzeigen betroffener Bürger. Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, die mit rechtsstaatlichen Mitteln konsequent ermittelt und verfolgt gehört. Bei der konkreten Vorgehensweise stellt sich aber regelmäßig die Frage der Verhältnismäßigkeit und der angewandten Methoden, wenn der Staat selbst zum Hehler wird. In der Ausgabe der Welt am Sonntag vom 9. August 2015 wird nun unter der Überschrift „Der Dieb & der Minister“ detailliert mit pikanten Insiderinformationen eines Steuerdatendiebs unterfüttert der Ablauf sowie die Art der Honorierung eines konkreten Steuerdatendeals aus den Jahren 2011 / 2012 beschrieben. Von der ersten Kontaktaufnahme von Mittelsmann und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9718 2 Steuerdatendieb, dem Ablauf der illegalen Datenbeschaffung vertraulicher Bankdaten aus einer Schweizer Privatbank sowie der dem Vernehmen nach erfolgten Bezahlung mittels Bargeld, eignet sich der gesamte Vorgang rund um den Datenkauf problemlos auch für eine preisverdächtige Kinoverfilmung. So wird dort dargestellt, wie auf einer Feier in einem Züricher Privathaus der erste Kontakt zwischen Datendieb und Mittelsmann stattfindet und wie ein deutscher Steuerfahnder im Ruhestand als Vermittler agiert. Ausführlich erfährt der Leser, wie der Datendieb die Daten zusammenstellt, verschlüsselt und per Email aus dem Computersystem der Privatbank schleust und wie letztlich der Mittelsmann die ausgehandelte Summe von 1,1 Millionen Euro in Bargeld, das ihm das Finanzministerium vorher auf sein Privatkonto überwiesen hat, in zwei Tranchen in verschiedenen Berliner Hotel an den Datendieb transferiert. In dieser Ausgabe der Welt am Sonntag wird die Übergabe des Geldes detailliert geschildert: „Als die Steuerfahnder in NRW schließlich 1,1 Millionen Euro boten, sagte O. zu. Bargeld, das war seine Bedingung. Dieses Geld will er jetzt holen, den großen Rest, deshalb sitzt er nun achteinhalb Stunden lang im Auto. Vor zwei Wochen hat er die ersten 200.000 Euro bekommen. Walter-Borjans' Beamte hatten das Geld auf ein privates Konto des Berliner Steuerfahnders bei der Postbank überwiesen. O. hat ihn dann in einem Hotel im Berliner Südwesten getroffen. Er kam mit einer Art Herrenhandtasche auf O.s Zimmer, O. zählte das Geld, danach waren sie noch beim Italiener essen. Am nächsten Tag fuhr O. zurück in die Schweiz. So soll es auch dieses Mal laufen, nur das Hotel ist ein anderes. (….) Am Nachmittag stellt O. seinen Wagen auf dem Parkplatz eines Ibis-Hotels ab, altes WestBerlin , Blick auf den Funkturm. Er bringt seine Sachen aufs Zimmer, wenig später trifft er sich mit dem Steuerfahnder in der Hotellobby. Sie unterhalten sich, es ist viel los, niemand achtet auf sie. Irgendwann gehen sie auf O.s Zimmer. Der Fahnder drückt O. eine schwarze Sporttasche in die Hand. Als O. den Reißverschluss öffnet und die vielen dicken Bündel mit 50-Euro-Scheinen sieht, eingeschweißt, fühlt er sich erhaben. (…)“ Im weiteren Verlauf des Berichts werden die Entdeckung des Datendiebes sowie seine Haft und die Zeit danach skizziert. Von besonderem Interesse ist aber auch die Frage der Provision : „Dieser Teil der Geschichte wirft Fragen auf, die heikel sind für O., den Berliner Steuerfahnder , für den Minister Walter-Borjans und auch für die Bundesrepublik Deutschland. Da ist die Sache mit der Provision. O. sagt, der Steuerfahnder habe von den 1,1 Millionen 15 Prozent bekommen, für die Vermittlung, also 165.000 Euro. Quatsch, sagt der Steuerfahnder. Er habe sich vor dem zweiten Treffen im Hotel 14.000 Euro aus der schwarzen Tasche genommen , ohne O. was zu sagen. Der hat das gar nicht gemerkt, sagt der Fahnder. (…) Es gibt einen Verdacht, er wabert durch die Chefetagen einiger Schweizer Banken und auch über die Flure der Schweizer Bundesanwaltschaft. Dort fragen sich ein paar Menschen, ob es in dieser Geschichte nicht doch ein paar Merkwürdigkeiten zu viel gibt. Ein möglicher Steuersünder, der Steuerbetrüger anschwärzt und dafür Geld bekommt. Ein Steuerfahnder, der Betrüger jagt, obwohl er längst in Rente ist; der den Vermittler gibt und dafür Geld bekommt . Und ein Minister, der diesem Mann 1,1 Millionen Euro auf dessen Privatkonto überweisen lässt, damit er sie an den Datenverkäufer übergibt.“ Völlig unverständlich wirkt vor dem Hintergrund des oben beschriebenen Szenarios daher die aktuelle Forderung des Finanzministers, ein Limit für die Bezahlung mit Bargeld in der Größenordnung von 2.000 bis 3.000 Euro zu fordern. Wäre dies bereits Gesetzeslage, hätte LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9718 3 der von Dr. Norbert Walter-Borjans gewollte Datendiebstahl bei einer Schweizer Bank mit der dafür verlangten Honorierung in der beschriebenen Form jedenfalls so nicht stattfinden können. Die dpa-Nachrichtenagenturmeldung „NRW-Finanzminister will Obergrenze für Barzahlung“ vom 3. Juli 2015 führt in diesem Kontext aus: „Das große Auto oder den teuren Schmuck mit einem dicken Bündel Bargeld bezahlen? Wenn es nach Norbert Walter-Borjans geht, soll es das nicht mehr geben. So will der NRWFinanzminister ein weiteres Schlupfloch für Steuerhinterzieher stopfen. Im Kampf gegen Schwarzgeldgeschäfte und Steuerhinterziehung fordert NordrheinWestfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) eine Obergrenze für das Bezahlen mit Bargeld. «Die wesentlichen kriminellen Finanzgeschäfte erfolgen bar», begründete er am Freitag in Düsseldorf seinen Vorstoß. (…) In Deutschland müsste die Grenze wegen der anderen «Bezahlkultur» höher liegen, etwa bei 2000 oder 3000 Euro, sagte Walter-Borjans. Über diesen Betrag hinaus mache die Barzahlung skeptisch.“ 1. In wie vielen Fällen hat die rot/grüne Landesregierung seit dem Jahr 2010 Zahlungen aus dem Landeshaushalt für die Beschaffung von Steuer-CDs (auch über Mittelsmänner) geleistet, bei denen den Datendieben Bargeldsummen zugegangen sind? (detaillierte Auflistung unter Angabe der gezahlten Summe erbeten) 2. In wie vielen Fällen, bitte differenziert nach den jeweiligen Orten, erfolgte die Honorierung via „Übergabe eines Bargeldkoffers“ durch von der Landesregierung beauftragte Mittelsmänner oder Landesbeamte direkt? Aus dem Landeshaushalt sind in drei Fällen für den Erwerb von Datenträgern Zahlungen in bar erfolgt in Höhe von insgesamt 3.850.000 €. Die Landesregierung hat keine Mittelsmänner mit der Übergabe der Barmittel beauftragt. In den übrigen Ankaufsfällen erfolgte die Bezahlung unbar. 3. Welche einzelnen Erkenntnisse liegen der Landesregierung zu der laut Welt am Sonntag widersprüchlich beschriebenen Provisionszahlung seitens Herrn O. und dem pensionierten Steuerfahnder vor? Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. 4. In wie vielen Fällen ist eine Anstiftung zur Straftat des Datendiebstahls durch das Land oder seine Mittelsmänner erfolgt? Die Anbieter/Informanten nahmen in allen Ankaufsfällen auf eigene Initiative (ggf. über eigene Mittelsmänner) Kontakt mit der Finanzverwaltung auf. Sie waren dieser bis dahin unbekannt . In keinem Fall wurde offensiv für den Ankauf von Daten durch die Landesregierung (hier: Finanzverwaltung) geworben, zum Datendiebstahl angestiftet oder werden eigene Mittelsmänner eingeschaltet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9718 4 5. Wie rechtfertigt der Finanzminister die praktizierten Honorierungen mit hohen Geldbeträgen in Form von Bargeld, wenn er zugleich allen ehrlichen Bürgern zukünftig ein Bargeldzahlungsverbot oberhalb von Bagatellgrenzen auferlegen will? Aus dieser Frage spricht die Auffassung, dass Privatpersonen nicht untersagt werden darf, was staatlichen Stellen erlaubt ist. In dieser Logik müsste es Privaten erlaubt sein, Kreuzungen bei Rot zu überqueren, wenn die Polizei im Einsatz das Recht dazu hat. Das ist aber ebenso wenig zulässig wie der Einbruch in eine Wohnung, nur weil die Polizei in speziell geregelten Fällen sich Zutritt zu Wohnungen verschaffen darf. Die Entgegennahme von Ermittlungsdaten gegen Bargeld wäre aus meiner Sicht ein Tatbestand , für den eine Sondererlaubnis zu rechtfertigen wäre.