LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9768 17.09.2015 Datum des Originals: 17.09.2015/Ausgegeben: 22.09.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3795 vom 18. August 2015 der Abgeordneten Monika Pieper PIRATEN Drucksache 16/9531 Situation der Grundschulen: Große Herausforderungen aber wenig Unterstützung und Anerkennung? Die Ministerin für Schule und Weiterbildung hat die Kleine Anfrage 3795 mit Schreiben vom 17. September 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit der Jahrtausendwende haben die Grundschulen aufgrund landespolitischer Entscheidungen vielfältige neue Aufgaben bekommen. Die neuen Aufgaben bedeuten für die Schulen wachsende Herausforderungen für die Schulentwicklung und die Gestaltung des Unterrichts. Zu nennen sind beispielsweise die Einführung der Offenen Ganztagsschule (2003), des Englischunterrichts zum Schuljahr 2003/4 sowie der Vergleichsarbeiten VERA zum Schuljahr 2004/05. Zudem wurde mit dem 2. Schulrechtsänderungsgesetz im Jahr 2006 die individuelle Förderung aller Schüler zum Auftrag auch der Grundschulen. Mit dieser Gesetzesänderung wurde auch der Prozess zur Entwicklung zur eigenverantwortlichen Schule angestoßen. Mit dem 9. Schulrechtsänderungsgesetz wurde zum Schuljahr 2014/15 der Rechtsanspruch für Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischen Förderbedarfen auf das gemeinsame Lernen an allgemeinen Schulen festgeschrieben. Personalversammlungen und Lehrerverbände beklagen immer wieder unzureichende Rahmenbedingungen und Arbeitsbedingungen, die den gestiegenen Anforderungen nicht gerecht werden. Insbesondere weisen sie auf die geringe Attraktivität der Schulleitungsämter bei Grundschulen, die zu geringe Gewährung von Anrechnungsstunden, die steigende Arbeitsbelastung bei hoher Unterrichtsverpflichtung der Lehrerinnen und Lehrer der Grundschulen sowie ihre Eingruppierung in niedrigere Besoldungs- und Tarifstufen im Vergleich zu Kolleginnen und Kollegen mit anderen Lehrämtern (Lehramt für Gymnasium und Gesamtschule oder an Berufskollegs sowie Lehramt für sonderpädagogische Förderung) hin. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9768 2 1. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung zur Unterstützung der Unterrichtsund Schulentwicklung an Grundschulen seit dem Jahr 2003 ergriffen? Die Maßnahmen der Landesregierung im genannten Zeitraum werden nachfolgend unter den Aspekten a) Zeit- und Personalressourcen und b) Projekte / Leitlinien / Informationsmaterial für die Grundschulen sowie c) Fortbildungen dargestellt: a) Zeit- und Personalressourcen  Mehrfache Erhöhungen der Leitungszeit (§ 5 der VO zu § 93 Abs. 2 SchulG) o 2004 Erhöhung des Sockelbetrags von 5 auf 6 Wochenstunden, für Schulleitungen kleinerer Schulen um zwei zusätzliche Stunden. Außerdem wurden Schulleitungen von im Aufbau befindlichen Ganztagsschulen im Primarbereich eine weitere Stunde Leitungszeit gewährt. o 2006 Erhöhung der Leitungszeit um eine Stunde je Schule (122 Stellen Schulleitungsentlastung Fortbildung). o 2007 Erhöhung der Leitungszeit bei Grundschulverbünden (wenn die Standorte nicht auf einem zusammenhängenden Grundstück liegen) um drei weitere Wochenstunden. o 2011 Anhebung der Sockelleitungszeit um 3 Stunden (340 Stellen). o 2013 Erhöhung der Leitungszeit der Grundschulverbünde von drei auf sieben je zusätzlichem Teilstandort. Für die beiden ersten Jahre nach Gründung werden weitere vier bzw. zwei Entlastungsstunden je zusätzlichem Standort gewährt. o 2014 Erhöhung der stellenbezogenen Leitungszeit an Grundschulen. Die Leitungszeit je Grundschule beträgt nun elf Wochenstunden (Sockel) zuzüglich 0,7 (vorher 0,6) Wochenstunden je Stelle, ab der 50. Stelle 0,3 (vorher 0,2) Wochenstunden (109 Stellen).  Umsetzung des Grundschulkonzepts ab 2012 o Beginnend mit dem Haushalt 2012 wurde der Klassenfrequenzrichtwert der Grundschule schrittweise von 24,0 auf 22,5 gesenkt: 2012 von 24 auf 23,75 (290 Stellen); 2013 von 23,75 auf 23,5 (273 Stellen), 2014 von 23,5 auf 23,0 (570 Stellen), 2015 von 23,0 auf 22,5 (550 Stellen). Die Schüler-LehrerRelation verbessert sich somit zum Schuljahr 2015/ 2016 auf 21,95. o Eindeutige und praxisgerechte Vorgaben zur Klassenbildung auf Schulebene und die Einführung einer kommunalen Klassenrichtzahl. o Neue und eindeutige Fortführungsgrößen (mit einer 5-jährigen Übergangsfrist ). o Eine angepasste Steuerung bei der Stellenzuweisung sorgt zudem für eine zielgenauere Zuweisung der Lehrerstellen.  Für die individuelle Förderung in der Schuleingangsphase stehen nach der Abschaffung der Schulkindergärten im Jahr 2006 unverändert 593 Stellen für Sozialpädagogische Fachkräfte in der Schuleingangsphase zur Verfügung.  Durch eigene Fortbildungsbudgets wird die Eigenverantwortlichkeit der Schulen bei der Umsetzung ihrer Fortbildungsplanung seit 2004 gestärkt.  Zum Schuljahr 2014/ 2015 wurden Schülerinnen und Schülern mit Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung erstmals im Grundbedarf der Grundschulen berücksichtigt . Hierfür wurden im Haushalt 2014 zusätzlich 905 Stellen im Grundbedarf der Grundschule bereitgestellt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9768 3  Seit dem 01.02.2013 wurden bzw. werden an Förderschulen, Grundschulen, Schulen der Sekundarstufe I und an Ersatzschulen bislang 830 Lehrkräfte nach der Sondermaßnahme zum berufsbegleitenden Erwerb des Lehramtes für sonderpädagogische Förderung ausgebildet.  Die Unterstützungsangebote der Schulpsychologie für alle Schulformen wurden von 74 Stellen in 2006 auf 147 Stellen in 2014 ausgebaut.  Seit 2012 stehen für die Durchführung Pädagogischer Tage zwei Unterrichtstage pro Schuljahr zur schulinternen Fortbildung zur Verfügung. b) Projekte / Leitlinien / Informationsangebote Praxisbeispiele, wie die kostenlose DVD „Marie, Albert und Pablo in unseren Grundschulen“, unterstützen die pädagogische Diskussion zur Förderung besonderer Begabungen in den Grundschulen. 2014 erscheint die DVD „Auf dem Weg zur inklusiven Schule“ mit Hinweisen zum Gemeinsamen Lernen. Die Projekte „KomPass“ und „PIKAS“ enthalten vielfältige Materialien für die Unterrichts- und Schulentwicklung. Unterstützung erhielten die Schulleiterinnen und Schulleiter von Grundschulen auf zwei Grundschulleitungstagen 2013 und 2015. Darüber hinaus gibt es Maßnahmen für alle Schulen, so auch für die Grundschulen, die hier nun exemplarisch genannt werden können: NRW unterstützt die Qualitätsentwicklung im Ganztag unter anderem über die „Serviceagentur Ganztägig lernen NRW“. Darüber hinaus erhalten Ganztagsschulen themenspezifisch Unterstützung durch die Vernetzungsstelle Schulverpflegung, die „Arbeitsstelle Kulturelle Bildung in Schule und Jugendarbeit NRW“ in Remscheid und die Landesstelle für den Schulsport . Seit 2006 gibt die Qualitätsanalyse NRW den Schulen eine datengestützte Rückmeldung zu ihren Stärken und Handlungsfeldern und unterstützt damit eine zielgerichtete Schul- und Unterrichtsentwicklung. Der Referenzrahmen Schulqualität, 2014 mit QUA-LIS NRW im Bildungsportal veröffentlicht (Druckfassung 2015), gibt den Schulen eine verbindliche Orientierung zur Weiterentwicklung der Schulqualität, auch durch das Angebot eines entsprechenden OnlineUnterstützungsportals zum Referenzrahmen. Der Medienpass gibt Orientierung bei der Vermittlung von Medienkompetenz. Die Initiative „Zukunftsschulen Nordrhein-Westfalen“ ermöglicht seit 2013 auch den Lehrenden der Grundschulen den wechselseitigen Austausch ihrer Erfahrungen in Netzwerken und die gemeinsame Entwicklung von Konzepten Individueller Förderung. Als Referenzschulen erhalten sie für ihre Mitarbeit bis zu sechs Stunden Entlastung. c) Fortbildung 2007 wurden bei den staatlichen Schulämtern durch das Ministerium für Schule und Weiterbildung Kompetenzteams für die Lehrerfortbildung gebildet, die insbesondere auf den Handlungsfeldern Gemeinsamer Unterricht, Unterrichtsentwicklung mit dem Fokus auf Umgang mit Heterogenität, individueller und kompetenzorientierter Förderung, Gender und Ganztag tätig sind und alle Schulen durch Schulentwicklungsberatung, Begleitung bei der fachlichen und fächerübergreifenden Unterrichtsentwicklung, Medien- und Lernmittelberatung sowie Initiierung von Zusammenarbeit mit kommunalen und anderen Partnern unterstützen. Nordrhein-Westfalen hat in 2008 damit begonnen, künftige Schulleiterinnen und Schulleiter von allen Schulformen vor Amtsübernahme auszubilden. Die Ausbildung dient der fachlichen Vorbereitung auf die neue Aufgabe und der Rollenklärung, sie eröffnet auch Lehrkräften der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9768 4 Grundschule einen neuen transparenten Weg in den Beruf der Schulleitung. Orientierungsseminare für Lehrkräfte mit Interesse an Leitungsaufgaben bieten Gelegenheit, Einblicke in die Arbeitsfelder von Schulleitung zu nehmen und eigene Kompetenzen und Erwartungen zu reflektieren. Entsprechend dem gesetzlichen Auftrag in § 11 LGG werden sie auch speziell für Frauen angeboten, um diese insbesondere in Bereichen der Unterrepräsentanz für Schulleitungsaufgaben zu gewinnen. 2. Welche weiteren Vorhaben plant die Landesregierung zur Unterstützung der Unterrichts - und Schulentwicklung an Grundschulen? Speziell für die Arbeit in Grundschulen werden ab dem Jahr 2015 drei weitere Projekte entwickelt :  „NAWITAS“ (Kompetenzorientierter Sachunterricht mit dem Schwerpunkt Technik und Naturwissenschaften),  „PIKAS inklusiv“ mit (Zieldifferenter Mathematikunterricht im Rahmen des Gemeinsamen Lernens an Grundschulen),  „Informatik an Grundschulen“. Darüber hinaus wird das Begleitprogramm „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ 2015 mit reduzierter Finanzierung fortgeführt. Damit kann der überregionale Austausch fortgeführt werden . 3. Wie begründet die Landesregierung die höhere Unterrichtsverpflichtung der Lehrerinnen und Lehrer an Grundschulen, als die der Kolleginnen und Kollegen einiger anderer Schulformen angesichts der hohen Anforderungen der individuellen Förderung in heterogenen Lerngruppen? Die vom Verordnungsgeber festgesetzten unterschiedlichen Pflichtstundenzahlen für die verschiedenen Schulformen beinhalten eine Bewertung der insoweit unterschiedlichen pädagogischen und verwaltungsmäßigen Anforderungen. Dabei handelt es sich um eine vom Grundsatz her Jahrzehnte lange typisierende und abstrakt-generelle Betrachtung, die von der Rechtsprechung auch für die Grundschulen nie als fehlerhaft angesehen worden ist. Individuelle Förderung ist Aufgabe aller Schulformen und kein Kriterium, das eine neue Bewertung für die differenzierende Festsetzung der Pflichtstunden rechtfertigt. 4. Wie begründet die Landesregierung vor dem Hintergrund der Vereinheitlichung der Ausbildungszeiten mit dem Lehrerausbildungsgesetz von 2009 die Eingruppierung der Lehrerinnen und Lehrer der Grundschulen in niedrigere Besoldungsund Tarifstufen als die Kolleginnen und Kollegen in einigen anderen Lehrämtern ? Die nach den geänderten gesetzlichen Vorgaben ausgebildeten Lehrkräfte werden nach Beendigung des Studiums (Bachelor und Master) regelmäßig erst am 01. November 2016 den 18 Monate dauernden Vorbereitungsdienst beginnen. Sie werden somit dem Lehrerarbeitsmarkt in der Regel erst zum Schuljahresbeginn 2018/ 2019 zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund ist der Meinungsbildungsprozess in der Frage der künftigen Besoldung der LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9768 5 Lehrkräfte innerhalb der Landesregierung noch nicht abgeschlossen. Im Übrigen hat bislang kein Bundesland Konsequenzen aus der Umstellung der Lehrerausbildung auf Bachelor/ Master gezogen. 5. Wie begründet die Landesregierung die geringe Gewährung von Anrechnungsstunden an Grundschulen, die angesichts der steigenden Herausforderungen für die Schulentwicklung als unzureichend empfunden wird? Die unterschiedlichen Anrechnungsfaktoren sind historisch gewachsen. Mit diesen Kontingenten sollten Lehrerinnen und Lehrer insbesondere für den verstärkten Einsatz in Korrekturfächern , für Arbeit in Laboratorien und die Verwaltung von Sammlungen sowie für den überwiegenden Unterricht in Oberstufen- und Abschlussklassen entlastet werden (vgl. Runderlass des Kultusministers vom 03.10.1984). Die Regelungen dieses Runderlasses sind grundsätzlich in die Verordnung zur Ausführung des § 93 Abs. 2 SchulG übernommen worden .