LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 16. Wahlperiode Drucksache 16/9772 21.09.2015 Datum des Originals: 17.09.2015/Ausgegeben: 24.09.2015 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3806 vom 21. August 2015 des Abgeordneten Nicolaus Kern PIRATEN Drucksache 16/9571 JVAen in NRW – darf ein Mediziner hier noch „Gott in Weiß“ sein? Der Justizminister hat die Kleine Anfrage 3806 mit Schreiben vom 17. September 2015 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Inhaftierte in nordrhein-westfälischen JVAen haben gemäß der Regelungen des Strafvollzugsgesetzes keine freie Arztwahl. Ihre Behandlung findet in der Justizvollzugsanstalt, bzw. im zuständigen Justizvollzugskrankenhaus statt. Damit sind die Inhaftierten an einen bestimmten Mediziner und dessen Behandlungsmethoden gebunden. Weder kann ein Inhaftierter alternative Meinungen einholen, noch bei Konflikten oder aus Patientensicht nicht wirksamer Therapie einen Arztwechsel vornehmen. In Berufen, bei denen die freie Arztwahl zumindest eingeschränkt ist – wie z.B. bei der Bundeswehr – hat der Patient die Möglichkeit, dem zuständigen Mediziner das Vertrauen zu entziehen und so einen alternativen Behandler zu erzwingen. Dies ist Inhaftierten nicht möglich. Schlimmstenfalls bedeutet dies im Umkehrschluss, dass Mediziner in JVAen eines der letzten Reservate für sich beanspruchen können, um sich als „Götter in Weiß“ zu verhalten. Einzelne Berichte von Gefangenen lassen hier durchaus den Eindruck aufkommen, dass dies durchaus keine realitätsferne Befürchtung ist. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9772 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Freiheitsentziehung ist eine hoheitliche Sanktion. Ihr Vollzug richtet sich nach den einschlägigen landesgesetzlichen Bestimmungen. Impliziter Bestandteil der freiheitsentziehenden Maßnahme sind Leistungen der Gesundheitsfürsorge während der Haft. Diese werden durch Justizvollzugsbedienstete des gesondert hierfür vorgehaltenen Fachdienstes (ärztlicher Dienst) erbracht. Grundlage der insoweit erfolgenden medizinischen Behandlung der Gefangenen sind die einschlägigen Vollzugsgesetze. Im Hinblick auf die Ausgestaltung der medizinischen Maßnahmen gilt das Äquivalenzprinzip. Art und Umfang der medizinischen Behandlung haben sich somit nach den für gesetzlich Krankenversicherte getroffenen Regelungen zu richten. Das fachliche ärztliche Handeln folgt der Berufsordnung der Bundesärztekammer für die Ärztinnen und Ärzte in Deutschland und den fachlichen Empfehlungen und Richtlinien der Fachgesellschaften und der Ärztekammern. Jede im Justizvollzug vorgenommene medizinische Behandlungsmaßnahme wird in der Gesundheitsakte dokumentiert, die Bestanteil der Gefangenenpersonalakte ist. Die Anstaltsleitung trägt die Verantwortung für den gesamten Vollzug. Sie ist den Bediensteten des justizeigenen medizinischen Dienstes vorgesetzt. Damit entscheidet auch bei Dienstaufsichtsbeschwerden von Inhaftierten gegen ärztliche Maßnahmen die Anstaltsleitung ; sie muss sich bedarfsweise in geeigneter Weise etwa durch die Beiziehung von externen Sachverständigen fachkundig machen. Gegen die Entscheidung der Anstaltsleitung ist weitere Dienstaufsichtsbeschwerde möglich. Das Justizministerium Nordrhein-Westfalen führt die Aufsicht über die Justizvollzugsanstalten. Es hält für aufsichtliche Prüfungen eigenes Fachpersonal vor. Weiterhin unterliegt die Behandlung der Gefangenen auch im Hinblick auf getroffene medizinische Maßnahmen einem umfassenden gerichtlichen Rechtsschutz. Daneben wenden sich Inhaftierte mit Beschwerden häufig zusätzlich - zeit- und inhaltsgleich zu Dienstaufsichtsbeschwerden und auch bei bereits eingelegten Rechtsmitteln - an andere Personen und Stellen (nicht abschließend: Ärztekammern, Legislative und weitere politische 0rgane, Presse, "Beauftragte", Antifolterkommission). Dann wird bzgl. des Vorbringens eine weitere Prüfung des Anliegens vorgenommen. 1. Wie viele Beschwerden und Einlassungen wurden in den Jahren 2012 bis heute von Gefangenen über die sie behandelnden Anstaltsärzte und deren Behandlung eingereicht? „Beschwerden und Einlassungen“ werden statistisch nicht gesondert erfasst. Um die Frage zu beantworten wäre eine Auswertung sämtlicher Gefangenenpersonalakten aus den Jahren 2012 bis 2015 erforderlich. Unter Berücksichtigung der Fluktuation wären dies mehr als 100.000 Einzelvorgänge. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand ist im zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitrahmen nicht zu leisten. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 16. Wahlperiode Drucksache 16/9772 3 2. Da das Strafvollzugsgesetz keine Regelung für den Entzug des Vertrauens von Seiten des Patienten gegenüber dem diensthabenden Anstaltsarzt vorsieht: welche Möglichkeiten bleiben einem Patienten in Fällen, in denen das Arzt- / Patientenverhältnis akut gestört ist und aus medizinischen oder psychologischen Gründen ein Arztwechsel anzuraten wäre? Verweigern Gefangene nachhaltig die Behandlung durch das für sie bestimmte und zuständige medizinische Personal, besteht die Möglichkeit, andere justizeigene oder dienstvertraglich verpflichtete ärztliche Kräfte mit der Behandlung zu beauftragen. 3. Wie bewertet die Landesregierung die Stellung von Inhaftierten als Patienten in Bezug auf deren Patientenrechte? Infolge der dargelegten Möglichkeit, im Justizvollzug jede ärztliche Handlung einer aufsichtlichen Überprüfung zu unterziehen und ggf. auch Rechtsmittel in Anspruch zu nehmen, haben Inhaftierte eine gesicherte Rechtsstellung gegenüber den sie behandelnden Ärztinnen und Ärzten.