LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10205 15.07.2020 Datum des Originals: 15.07.2020/Ausgegeben: 21.07.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3870 vom 18. Juni 2020 der Abgeordneten Christina Weng SPD Drucksache 17/9875 Wie entwickeln sich Medizinische Versorgungszentren in NRW? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit 2004 können in Deutschland Medizinische Versorgungzentren (MVZ) im Rahmen von ärztlichen Kooperationen ein gebündeltes medizinisches Versorgungsangebot anbieten. Eine fachübergreifende ärztliche Versorgung und die Möglichkeit, Räumlichkeiten zu teilen, schienen auf der organisatorischen und ökonomischen Ebene für eine umfassende Versorgung von Patientinnen und Patienten in städtischen und dörflichen Regionen gleichermaßen von großem Vorteil zu sein. Ein fachübergreifendes Versorgungsangebot war zunächst Kernvoraussetzung zur Gründung eines MVZ in Deutschland, um eine potenzielle Übernahme durch fremde Investoren zu vermeiden und sicherzustellen, dass die Führung der gegründeten MVZ durch ärztliche Leistungserbringer erfolgt: „Durch die Beschränkung auf die im System der gesetzlichen Krankenversicherung tätigen Leistungserbringer soll sichergestellt sein, dass eine primär an medizinischen Vorgaben orientierte Führung der Zentren gewährleistet wird. Diese Gründungsvoraussetzung ist auch Voraussetzung für den Fortbestand des Zentrums, d. h. dem Zentrum ist nach § 95 Abs. 6 die Zulassung zu entziehen, wenn in die Trägergesellschaft Gesellschafter aufgenommen werden, die keine Leistungserbringer im Sinne des § 95 Abs. 1 Satz 3 zweiter Halbsatz sind. Die medizinischen Versorgungszentren erbringen ihre vertragsärztlichen Leistungen durch angestellte Ärzte. Auch andere Leistungserbringer (z. B. Pflegedienste, Heilmittelerbringer etc.) können sich den Zentren anschließen und in enger Abstimmung mit den dort tätigen angestellten Ärzten Leistungen erbringen.“1 Die Vorgabe eines fachübergreifenden Angebots wurde jedoch außer Kraft gesetzt, so dass sich fachgleiche - beispielsweise rein zahnärztliche Versorgungszentren, sowie Dialyse- und andere Laboreinrichtungen - gründen ließen. Leider wurde durch diese Änderung der Übernahme von fachidentischen MVZ durch fremde Kapitalgeber Tür und Tor geöffnet. Auffällig ist zudem, dass Finanzinvestoren insbesondere im Rahmen von sogenannten „Asset Deals“ MVZ übernehmen: „Hierbei kauft der Investor nur die Wirtschaftsgüter eines Unternehmens, 1 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/15/015/1501525.pdf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10205 2 z.B. Praxis- oder Laborgebäude, Patientenkartei, Geräte, Computer usw. vom Übernommenen.“2 Private Equity Unternehmer sind über die vergangenen Jahre immer auch in NRW häufiger in den Besitz von MVZ und Laborketten gekommen. Besonders bedenklich ist die Häufung von fremdgeführten MVZ in den einkommensstarken Ballungsgebieten. Diese Entwicklung wird auf Dauer zu einer Unterversorgung in strukturschwachen und ländlichen Regionen in NRW führen. Im deutschen Gesundheitswesen und dem anhängigen Versorgungsangebot ist es unerlässlich, im Rahmen der freien Berufsausübung Weisungsunabhängigkeit her- und sicherzustellen. Der Gemeinwohlauftrag ist der ethische Kerngedanke. Diesem sind fremde Kapitalgeber nicht verpflichtet; sie agieren nach rein gewinnbringenden Prinzipien. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 3870 mit Schreiben vom 15. Juli 2020 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wie hat sich die Einrichtung Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) seit 2006 in Nordrhein-Westfalen entwickelt? Jahr Anzahl MVZ / vertragsärztliche Versorgung 2006 46 2007 92 2008 164 2009 175 2010 203 2011 242 2012 261 2013 288 2014 299 2015 312 2016 374 2017 479 2018 523 2019 597 2. Wie viele MVZ gibt es zum Stichtag 31.12.2019 in NRW? (Bitte führen Sie auf nach: MVZ-Standorte, Anzahl MVZ und Trägerschaft) Zum Stichtag 31. Dezember 2019 gab es 597 MVZ in Nordrhein-Westfalen. Aufgeteilt nach Anzahl / Standorten in den Kreisen und kreisfreien Städten ergibt sich folgendes Bild: Kreis / Kreisfreie Stadt Anzahl MVZ (-Standorte) Aachen, Stadt 22 Städteregion Aachen 7 Bielefeld, Stadt 15 Bochum, Stadt 19 2 Vgl. https://gesundheit-soziales.verdi.de/mein-arbeitsplatz/mvz/++co++4c913c64-8c1b-11e7-8dc4- 525400940f89 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10205 3 Kreis / Kreisfreie Stadt Anzahl MVZ (-Standorte) Bonn, Stadt 29 Borken, Kreis 9 Coesfeld, Kreis 3 Dortmund, Stadt 20 Düren, Kreis 6 Düsseldorf, Stadt 38 Duisburg, Stadt 28 Ennepe-Ruhr-Kreis 12 Essen, Stadt 20 Euskirchen, Kreis 3 Gelsenkirchen, Stadt 6 Gütersloh, Kreis 8 Hagen, Stadt 6 Hamm, Stadt 9 Heinsberg, Kreis 7 Herford, Kreis 6 Herne, Stadt 9 Hochsauerlandkreis 9 Höxter, Kreis 2 Kleve, Kreis 9 Köln, Stadt 48 Krefeld, Stadt 15 Leverkusen, Stadt 11 Lippe, Kreis 9 Märkischer Kreis 11 Mettmann, Kreis 16 Minden-Lübbecke, Kreis 7 Mönchengladbach, Stadt 10 Mülheim an der Ruhr, Stadt 3 Münster, Stadt 18 Oberbergischer Kreis 8 Oberhausen, Stadt 6 Olpe, Kreis 3 Paderborn, Kreis 12 Recklinghausen, Kreis 17 Remscheid, Stadt 7 Rhein-Erft-Kreis 6 Rheinisch-Bergischer Kreis 3 Rhein-Kreis Neuss 17 Rhein-Sieg-Kreis 18 Siegen-Wittgenstein, Kreis 10 Soest, Kreis 8 Solingen, Stadt 3 Steinfurt, Kreis 11 Unna, Kreis 13 Viersen, Kreis 7 Warendorf, Kreis 5 Wesel, Kreis 12 Wuppertal, Stadt 7 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10205 4 Eine genaue Darstellung der Eigentümerstruktur ist sehr schwierig, da z.B. Krankenhäuser gleichzeitig auch oft gemeinnützige Gesellschaften sind oder hinter Eigentümer-GmbHs zum Teil auch Vertragsärztinnen und Vertragsärzte stehen können. Es kann jedoch die Aussage getroffen werden, dass Vertragsärzte / Vertragszahnärzte die Eigentümer von einem Großteil der MVZ in Nordrhein-Westfalen sind. Daneben stellen Krankenhäuser die zweitgrößte Eigentümergruppe dar. Darüber hinaus gibt es auch einen Anteil an MVZ, der im Besitz privater Kapitalgeber ist sowie einen eher vergleichsweise kleinen Anteil an gemeinnützigen Trägern von MVZ. Ferner gibt es seit Beginn dieses Jahres ein kommunales (hausärztliches) MVZ in Neuenrade. 3. Wie viele MVZ bieten eine fachübergreifende Versorgung an? Vorweg: Ein MVZ gilt als fachübergreifend, wenn mindestens zwei Ärzte dort in zwei Bedarfsplanungsgebieten tätig sind. Stand Ende 2019 haben rund 300 MVZ in Nordrhein- Westfalen fachübergreifende Versorgung angeboten. 4. Wie viele davon ein fachübergreifendes primärärztliches Angebot mit hausärztlicher Versorgung (bitte jährlich seit 2011 angeben)? In 110 fachübergreifenden MVZ sind Hausärzte tätig bzw. 110 fachübergreifende MVZ haben ein hausärztliches Versorgungsangebot. 5. Wie viele Ärztinnen und Ärzte sind in NRW in MVZ angestellt oder freiberuflich tätig? Stand Ende 2019 waren in Nordrhein-Westfalen 4.273 („Köpfe“) Ärztinnen und Ärzte in einem MVZ tätig, davon waren 343 zugelassen und 3.930 angestellt.