LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10300 21.07.2020 Datum des Originals: 21.07.2020/Ausgegeben: 27.07.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3873 vom 17. Juni 2020 der Abgeordneten Anja Butschkau SPD Drucksache 17/9878 Gilt das Jugendarbeitsschutzgesetz auch in den Sozialen Medien? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der Schutz von Kindern vor Kinderarbeit genießt in Deutschland einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Das Jugendarbeitsschutzgesetz verbietet die Beschäftigung von Kindern. Das sind im Sinne des Gesetzes Personen unter 15 Jahren. Nur mit einer behördlichen Ausnahmegenehmigung ist eine Beschäftigung von Kindern im Rahmen von Aufführungen, Werbeveranstaltungen, Bild-, Film- und Tonaufnahmen gestattet. So dürfen Kinder zwischen 3 und 6 Jahren für 2 Stunden täglich und Kinder über 6 Jahren für 3 Stunden täglich einer solchen Beschäftigung nachgehen. Kinderarbeit ist bei uns zwar geächtet, findet aber vielfach gerade in von der Digitalisierung geprägten Bereichen statt. Seit einigen Jahren haben sich über Social Media Plattformen wie Instagram oder YouTube neue Formen von Werbung und Marketing etabliert. Sogenannte Influencer/-innen produzieren Fotos und Videos, um für Produkte und Firmen zu werben. Oft erzeugen diese Medien den Anschein, dass sie im Privaten des/der Influencer/-in entstanden sind und somit auch ihr Privatleben widerspiegeln. Dabei kommen häufig auch Familienmitglieder wie beispielsweise die eigenen Kinder zum Einsatz. Darüber hinaus gibt es auch viele Kinder unter 15 Jahren, die eigene kommerzielle Social-Media-Kanäle betreiben bzw. im Zentrum von kommerziellen Social-Media-Kanälen stehen, die von ihren Eltern oder von professionellen Agenturen betrieben werden. Schon bei der Neufassung des Gesetzes im Jahr 1974 wurde festgestellt, dass es mit der heutigen sozialen und gesellschaftlichen Vorstellung nicht mehr vereinbar sei, dass das geltende Gesetz Jugendliche in bestimmten Bereichen weniger schützt als in anderen Bereichen. Das muss heute umso mehr gelten, wo es im Bereich der sozialen Medien nicht nur jeden Tag um Verletzungen des Persönlichkeitsrechts geht, sondern auch um mögliche Entwicklungsstörungen aufgrund des Ausverkaufs des Kindes für wirtschaftliche Interessen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10300 2 Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 3873 mit Schreiben vom 21. Juli 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Seit Jahren wächst die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer von Social Media-Plattformen. In diesem Zusammenhang stellen sich auch Kinder und Jugendliche regelmäßig auf diesen Plattformen dar oder werden von ihren Eltern dort präsentiert. Die Anzahl der Aufrufe der Videos kann z. B. durch die Platzierung von Werbeprodukten kommerziell verwertet werden. Inwieweit eine Mitwirkung von Minderjährigen in den Sozialen Medien zulässig ist, richtet sich nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz. 1. Unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen ist der Einsatz von Kindern in Video- und Fotobeiträgen auf Social Media Plattformen erlaubt? Damit das Jugendarbeitsschutzgesetz zur Anwendung kommt, muss es sich bei dem Einsatz von Kindern in Video- und Fotobeiträgen auf Social Media Plattformen um eine „Beschäftigung“ des Kindes im Sinne dieses Gesetzes handeln. Ein erster Hinweis darauf, ob ein Beschäftigungsverhältnis besteht, liegt in der konkreten Ausgestaltung der Video- und Filmaufnahmen. Nimmt das Kind bei der Produktion der Videoclips oder Fotos Weisungen durch andere, beispielsweise in Form von Absprachen mit den Eltern oder einem Werbepartner entgegen, spricht das mindestens für eine arbeitnehmerähnliche Bindung mit dem Kind. Vielfach werden die Videos auch mit Werbesequenzen verbunden oder es werden darin Produkte platziert. Mit diesen Werbeaktivitäten wird − zusätzlich zu den Einnahmen über die Plattform nach Abrufzahlen − Geld verdient. Eine solche Tätigkeit erfüllt demzufolge zumindest auch einen wirtschaftlichen Nutzen. Anders als bei rein dokumentarischen Zufallsaufnahmen ohne Werbebezug muss bei derartigen Videoaufnahmen regelmäßig von einer Beschäftigung des Kindes ausgegangen werden. Die Beschäftigung von Kindern ist grundsätzlich verboten. Die zuständigen Aufsichtsbehörden, in Nordrhein-Westfalen sind dies die Bezirksregierungen, können auf Antrag eine Ausnahme bewilligen, sodass Kinder unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen bei Werbeveranstaltungen und/oder Film – und Fotoaufnahmen gestalterisch mitwirken dürfen. Ein Kind wirkt gestaltend mit, wenn es die Aufnahmen, zumindest einen Teil davon, durch seine Beteiligung prägt bzw. mitprägt und ihnen eine besondere Note gibt. Bei Videoaufnahmen unter aktiver Beteiligung von Kindern, beispielsweise wenn der Videobetrachter von dem Kind direkt angesprochen wird oder das Kind auf schriftliche Kommentierungen der Zuschauer eingeht, ist von einer gestaltenden Mitwirkung regelmäßig auszugehen, sodass vor der Produktion eine Bewilligung zu beantragen ist. 2. Wie bleiben in solchen Fällen die Persönlichkeitsrechte der Kinder juristisch bewahrt? Das Recht am eigenen Bild ergibt sich in Deutschland aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht bzw. dem Kunsturhebergesetz. Danach dürfen Fotos und Videos nur mit Einwilligung des/der Abgebildeten veröffentlicht werden. Bis zu einem Alter von sieben Jahren entscheiden in Anlehnung an die Regelungen zur allgemeine Geschäftsfähigkeit (§§ 106 ff BGB) ausschließlich die Eltern bzw. Sorgeberechtigten darüber, ob die Veröffentlichung einer LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10300 3 Aufnahme erfolgen darf. Mit Vollendung des siebten Lebensjahres ist ein Kind abhängig von seiner jeweiligen Einsichtsfähigkeit beschränkt geschäftsfähig, d.h. ein Minderjähriger kann nicht ohne Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters in die Veröffentlichung seiner Bilder, beispielsweise in sozialen Netzwerken, einwilligen und dieser darf die Einwilligung nicht gegen den Willen des Minderjährigen erklären. Darüber hinaus erteilen die Bezirksregierungen Bewilligungen zur gestaltenden Mitwirkung von Minderjährigen im Kultur- und Medienbereich regelmäßig nur unter Auflagen zum Schutz vor Überforderung und zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte. Im Bereich Social Media besonders relevant sind Auflagen zur Freiwilligkeit von Aufnahmen (auch keine heimlichen oder überraschenden Aufnahmen), zur Unterlassung von Ankündigungen neuer Videos zu bestimmten Zeitpunkten, zur Wahrung des Datenschutzes hinsichtlich des Wohn- und Schulortes des Kindes und/oder zur Wahrung der Privat- und Intimsphäre (z.B. keine Aufnahmen in Badezimmer/Toilette, in Unterwäsche oder Badekleidung). 3. Wie viele Anträge auf eine Ausnahme nach § 6 JArbSchG wurden 2019 in Nordrhein-Westfalen gestellt? In 2019 wurden in Nordrhein-Westfalen insgesamt 1031 Anträge auf eine Ausnahme nach § 6 JArbSchG gestellt. 4. Wie viele dieser Ausnahmeanträge lassen sich einer Beschäftigung zum Zwecke der Erstellung von Aufnahmen für die Verbreitung über Social Media Kanäle zuordnen? 5. Wie oft gingen Behörden in NRW im Zuge solcher Social Media Aktivitäten gegen Verstöße des Beschäftigungsverbots von Kindern vor? Die Fragen 4 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Eine flächendeckende Überprüfung der Einhaltung des Jugendarbeitsschutzgesetzes in den Sozialen Medien erfolgt bisher nicht, da in den meisten Fällen eine Zuordnung des Wohnsitzes des Kindes innerhalb von Nordrhein-Westfalen nicht ersichtlich ist und bei den Aufsichtsbehörden des Landes bisher lediglich ein Antrag für den Einsatz von Kindern in Sozialen Medien nach § 6 JArbSchG gestellt wurde. Die Arbeitsschutzverwaltung in Nordrhein-Westfalen geht jedoch jedem Hinweis auf Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz nach, auch soweit eine Beschäftigung von Minderjährigen in Sozialen Medien ohne die erforderliche Bewilligung festgestellt wird. Der Landesregierung ist der Schutz von Kindern und Jugendlichen auch in Sozialen Medien ein wichtiges Anliegen. Deshalb wird sie die Abstimmung einer gemeinsamen Vorgehensweise in diesem Bereich im Länderkreis anstoßen.