LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10304 22.07.2020 Datum des Originals: 21.07.2020/Ausgegeben: 28.07.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3754 vom 27. Mai 2020 der Abgeordneten Sarah Philipp, Prof. Dr. Karsten Rudolph und Frank Sundermann SPD Drucksache 17/9493 Den Worten müssen Taten folgen – Was tut die Landesregierung jetzt für die systemrelevante Stahlindustrie? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Ministerpräsident Laschet hat die Stahlindustrie für systemrelevant erklärt. In der WAZ vom 15. Mai 2020 hat er weiter erklärt, der deutsche Stahlsektor habe eine fundamentale Bedeutung für geschlossene Wertschöpfungsketten in unserem Land, insbesondere für die Automobilindustrie und ihre Zulieferbetriebe, bundesweit, aber besonders in Nordrhein- Westfalen. Für einen Umstieg in der Stahlproduktion von Kohle auf Wasserstoff signalisierte er die Rückendeckung des Staates und verlangte eine „Agenda Stahl“. Nach diesen Ankündigungen warten 84.000 Beschäftigte in der Stahlindustrie, davon allein bei thyssenkrupp 27.000 Beschäftigte, darauf, dass den Worten Taten folgen. Im Zusammenhang mit der Vorstellung des 10-Impulse-Plans zur Ankurbelung der Konjunktur berichtet die Rheinische Post über die Aussage des Ministerpräsidenten, wonach es derzeit keine Gespräche mit dem Stahlkonzern Thyssenkrupp über eine staatliche Beteiligung gäbe. Viel mehr plädiere der Ministerpräsident für eine nationale Stahl-Lösung. Die Stahlindustrie aus deutscher Hand sei systemrelevant. So müsse für Thyssenkrupps Stahlsparte eine Lösung gefunden werden, welche keine Übernahme durch ausländische Unternehmen bedeute. Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 3754 mit Schreiben vom 21. Juli 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales und der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10304 2 1. Welche Maßnahmen bzw. Initiativen hat die Landesregierung inzwischen ergriffen, um der von ihr festgestellten Systemrelevanz der Stahlindustrie Rechnung zu tragen? 2. Welche Punkte enthält die von Ministerpräsident Laschet geforderte „Agenda Stahl“ genau? Bitte Auflistung aller Punkte mit Sachstandsdarstellung. Die Fragen 1 und 2 werden wegen ihres sachlichen Zusammenhangs gemeinsam beantwortet. Ministerpräsident Armin Laschet hat immer wieder hervorgehoben, dass eine nationale Stahlindustrie existenzielle Bedeutung hat für eine nachhaltige Klimapolitik, für Investitionen in die Infrastruktur und insgesamt für einen wettbewerbsfähigen Industriestandort Deutschland. Diese Position hat er stets auch im Austausch mit Bundeskanzlerin Merkel und den Regierungschefs der anderen Länder unterstrichen, mehrfach bei Sondertreffen der Stahl- Länder am Rande des Bundesrates. Unter anderem führten diese Initiativen zur „Stahlerklärung der Ministerpräsidentenkonferenz im März 2018, dem Bekenntnis der Ministerpräsidentenkonferenz zur Stahlindustrie und zum Industriestandort Deutschland vom Oktober 2019 sowie zu den Aktivitäten auf Bundes- und EU-Ebene der von Nordrhein- Westfalen mit initiierten „Allianz für Stahl“ mit inzwischen elf deutschen Ländern. Die Systemrelevanz der Stahlindustrie ergibt sich aus ihrem Stellenwert als Basis vieler Wertschöpfungsnetzwerke (bspw. Automobilwirtschaft, Maschinenbau usw.). Das ergibt sich auch aus der Beantwortung der Kleinen Anfrage 3195 (LT-Drs. 17/8445), in der die Aktivitäten der Landesregierung zu den Themen Internationaler Handel – EU-Schutzklauselmaßnahmen (Safeguards), Energie- und Klimaschutz, Kreislaufwirtschaft, Allianz der Stahlregionen sowie Forschung und Entwicklung in der Stahlindustrie bis Ende 2019 dargestellt wurden. Dies sind die zentralen Felder dessen, was als „Stahlagenda“ bezeichnet werden kann. Sie finden sich auch im „Handlungskonzept Stahl“ wieder, das das Bundeswirtschaftsministerium, die Wirtschaftsvereinigung Stahl und die IG Metall am 4. März 2020 verabschiedet haben. Dieses enthält konkrete Maßnahmen zur Erreichung der zentralen Ziele, wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen für die Stahlindustrie in Deutschland zu erhalten bzw. zu schaffen und die Transformation hin zu einer CO2-armen Stahlproduktion zu ermöglichen. Die Wirtschaftsminister der Länder der Stahlallianz haben einen gemeinsamen Brief an Bundeswirtschaftsminister Altmaier gesandt, in dem sie das „Handlungskonzept Stahl“ begrüßen. Die Bundesländer unterstützen den Bundeswirtschaftsminister darin, dass die Schwerpunkte des Handlungskonzepts im Rahmen des deutschen Vorsitzes der EU- Ratspräsidentschaft umgesetzt werden. Internationaler Handel – EU-Schutzklauselmaßnahmen (Safeguards) Eine kurzfristige Revision der Safeguard-Measures der Europäischen Union, wie von den EU- Mitgliedstaaten und der europäischen Stahlindustrie gefordert, sollte die Chancen für eine Erholung der Stahlindustrie in Europa nach der aktuellen Krise erhöhen. Die EU-Kommission hat im Februar 2020 ein entsprechendes Überprüfungsverfahren eingeleitet. In diesem Verfahren hat sich Bundeswirtschaftsminister Altmaier zusammen mit Amtskolleginnen und -kollegen aus weiteren EU-Mitgliedsländern mit Stahlproduktion Anfang Juni 2020 an die EU-Kommission gewandt und Nachbesserungen bei laufender Überprüfung LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10304 3 der Safeguard-Maßnahmen eingefordert. Die Ergebnisse dieser Überprüfung durch die EU- Kommission sind am 30.06.20 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht werden. Energie und Klimapolitik Zu nennen sind folgende Aktivitäten der Landesregierung mit direktem Bezug zur Stahlindustrie: • Das Wirtschaftsministerium hat im Zuge des Konsultationsverfahrens der EU- Kommission zu den Beihilfeleitlinien zur Kompensation indirekter Kosten des EU- Emissionshandels die Notwendigkeit des Schutzes der stromintensiven heimischen Industrien und Wertschöpfungsketten vor Carbon Leakage verdeutlicht und den vorgelegten Kommissionsvorschlag als vor diesem Hintergrund unzureichend kritisiert Hierzu wurde auch mit Mitgliedern des europäischen Parlaments Kontakt aufgenommen. • Um die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrie am Standort Nordrhein- Westfalen zu gewährleisten, setzt sich die Landesregierung für eine verlässliche Versorgung mit Energie zu international wettbewerbsfähigen und bezahlbaren Preisen ein. Entsprechende zielgerichtete Maßnahmen und Forderungen hat die Landesregierung in ihrer Energieversorgungsstrategie NRW dargelegt, die dem Landtag im Juni 2019 vorgestellt wurde. Diese Forderungen wurden und werden seitens der nordrhein-westfälischen Landesregierung konstruktiv und auf vielfältigen Wegen an die Bundesregierung herangetragen. Forschung und Entwicklung Die Landesregierung unterstützt die Stahlindustrie wie auch die anderen energieintensiven Industrien aus Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Initiative „IN4climate.NRW“ auf dem Weg in eine klimaneutrale Produktion. Über diese Initiative wird ein enger Austausch zwischen bspw. Vertretern der Stahlindustrie, der Wissenschaft und der Politik ermöglicht mit dem Ziel, Innovationen und konkrete industrielle Anwendungen zu unterstützen. Ein Ergebnis dieses engen Austausches ist auch der Erfolg in dem Wettbewerb „Reallabore der Energiewende“ der Bundesregierung mit dem Reallabor „H2Stahl“. Dabei wird der Wasserstoffeinsatz in einem Stahlwerk untersucht. Kreislaufwirtschaft Stahl zählt zu den wenigen Werkstoffen, die ohne Qualitätsverlust immer wieder recycelt werden können. Stahl ist daher ein sehr begehrter Sekundärrohstoff. In Deutschland werden jährlich mehr als 20 Mio. Tonnen Stahl recycelt. Die Bundesregierung hat am 21. Februar 2020 den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der neuen EU-Abfallrahmenrichtlinie eingebracht. Mit dem Entwurf wird eine weitere ökologische Fortentwicklung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes angestrebt. Die Novellierung zielt insgesamt auf mehr Ökodesign und Ressourceneffizienz ab und soll einen neuen Rahmen für eine optimierte Produktion, recyclingfähige Werkstoffe und Produkte setzen, was auch für die Stahlindustrie von großer Bedeutung ist. Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Abfallrahmenrichtlinie wird inzwischen im Bundestag beraten. Zuvor hat der Bundesrat im 1. Durchgang eine umfangreiche Stellungnahme abgegeben. Die Stellungnahme wurde von der Bundesregierung in ihrer Gegenäußerung überwiegend abgelehnt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10304 4 Allianz der Stahlbundesländer In regelmäßigen Konferenzen der in der Allianz zusammengeschlossenen Bundesländer werden die oben genannten Themen, aktuelle Herausforderungen der Stahlindustrie sowie gemeinsame Aktivitäten diskutiert, abgestimmt und vorbereitet, zuletzt am 2. März 2020 in Düsseldorf. Im Dezember 2020 wird eine stahlpolitische Veranstaltung der Nationalen Stahlallianz in Duisburg stattfinden, bei der die aktuelle Lage der Branche und die während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft umgesetzten Maßnahmen mit den relevanten Stakeholdern diskutiert und bewertet werden. Nicht erst mit der öffentlichen Feststellung der Systemrelevanz der Stahlindustrie ist die Landesregierung mit Blick auf diesen für Nordrhein-Westfalen besonders wichtigen Industriezweig tätig geworden. Die genannten Aktivitäten lassen sich als „Agenda“ für die Stahlbranche zusammenfassen. 3. Welche Unterstützer hat die Landesregierung für ihre „Agenda Stahl“ inzwischen gewonnen? Die Landesregierung arbeitet auch bei diesen Aktivitäten eng mit allen relevanten Akteuren zusammen, darunter die Stadt Duisburg als größter Stahlstandort Europas, die Bundesländer der Stahlallianz, das Bundeswirtschaftsministerium, die in Nordrhein-Westfalen ansässigen Unternehmen der Branche, die WV Stahl als wirtschaftspolitische Interessenvertretung der Stahlunternehmen in Deutschland sowie die IG Metall. 4. Bereitet die Landesregierung eine Fusion zu einer Art deutschen Stahl-AG vor? Nein. 5. Welche zusätzlichen Landesmittel plant die Landesregierung für ihre „Agenda Stahl“ ein? Im Rahmen des Corona-Konjunkturprogramms der Bundesregierung wird seitens der Landesregierung geprüft, ob und gegebenenfalls welche ergänzenden Maßnahmen zu treffen sind.