LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10321 23.07.2020 Datum des Originals: 20.07.2020/Ausgegeben: 29.07.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3869 vom 18. Juni 2020 der Abgeordneten Wibke Brems, Sigrid Beer und Matthi Bolte-Richter BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/3869 Wie steht die Landesregierung zu dem geplanten Atommülllager in Würgassen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit Anfang März dieses Jahres ist öffentlich bekannt, dass am Standort des stillgelegten Atomkraftwerks Würgassen im Kreis Höxter ein „Logistikzentrum“ für schwach- und mittelradioaktive Abfälle entstehen soll, die im Endlager Schacht Konrad in Salzgitter laut aktuellen Planungen ab 2027 eingelagert werden sollen. Die Kommunikationspolitik der zuständigen Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) hat für breite Kritik gesorgt, da erst nach der getroffenen Standortentscheidung öffentlich informiert wurde. Doch auch das Auswahlverfahren für den Standort Würgassen selbst wirft viele Fragen auf und wurde über Partei- und Bundesländergrenzen hinweg heftig kritisiert, wie mit einer einstimmig beschlossenen Resolution des Kreistages Holzminden. Ein weiteres Beispiel ist eine fraktionsübergreifende Erklärung von Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern unterschiedlicher politischer Ebenen, an der sich auch ein CDU- Landtagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen beteiligte, die von Bundesumweltministerin Svenja Schulze mehr Transparenz bezüglich der Entscheidungsfindung für den Standort Würgassen einfordert. Die Standortentscheidung basiert nach den veröffentlichten Unterlagen wesentlich auf der angenommenen kurzfristigen Realisierbarkeit bis zur geplanten Inbetriebnahme von Schacht Konrad im Jahr 2027, ohne dass allerdings abschließend geklärt wäre, ob der für den Zeitvorteil entscheidende vorhandene Gleisanschluss denn tatsächlich geeignet wäre. Auch die Kriterien für die Standortauswahl selbst werfen Fragen auf, wie auch das vom Bundesumweltministerium beauftragte Öko-Institut in seiner Stellungnahme kritisierte.1 Von der Kritik unbeeindruckt hat die BGZ bereits mit Bodenuntersuchungen begonnen und schließt eine Prüfung weiterer Standorte kategorisch aus. 1https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Endlagerprojekte/oekoinstitut _zbl_stellungnahme-standortauswahl_bf.pdf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10321 2 Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 3869 mit Schreiben vom 20. Juli 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, dem Minister für Verkehr und der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung: Der Schacht Konrad ist das erste genehmigte Endlager für Schwach- und mittelradioaktive Abfälle. Ab dem Jahr 2027 sollen dort entsprechende Abfälle eingelagert werden. Die Planfeststellung für das Endlager Konrad fordert eine bedarfsgerechte Belieferung. § 3 Absatz 3 des Gesetzes zur Regelung des Übergangs der Finanzierungs- und Handlungspflichten für die Entsorgung radioaktiver Abfälle der Betreiber von Kernkraftwerken (Entsorgungsübergangsgesetz) sieht vor, dass von der BGZ Gesellschaft für Zwischenlagerung mbH (BGZ) ein Zentrales Bereitstellungslager für radioaktive Abfälle mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung als Eingangslager für das Endlager Konrad errichtet werden kann. Die BGZ wurde 2017 als eigenständige Gesellschaft gegründet. Alleinige Gesellschafterin der BGZ ist die Bundesrepublik Deutschland, die durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) vertreten wird. Das BMU hat die BGZ mit der Einrichtung eines Zentralen Bereitstellungslagers beauftragt. Zur Standortauswahl hat die BGZ dem BMU die „Standortempfehlung „Zentrales Bereitstellungslager Konrad““ vom 28.08.20192 vorgelegt. Anschließend hat das BMU das Öko-Institut beauftragt, die Standortempfehlung der BGZ zu prüfen. Das Ergebnis der Prüfung ist in der „Stellungnahme zur Herleitung der Standortempfehlung „Zentrales Bereitstellungslager Konrad“ der BGZ“ des Öko-Instituts vom 08.01.20203 dargelegt. In einer weiteren Stellungnahme „Bewertung der grundsätzlichen Eignung des Standorts Würgassen für die Errichtung und den Betrieb eines Zentralen Bereitstellungslagers Konrad (ZBL)“ vom 09.01.20204 geht das Öko-Institut speziell auf die Erfüllung der Stellungnahme „Sicherheitstechnische und logistische Anforderungen an ein Bereitstellungslager für das Endlager Konrad“ der Entsorgungskommission (ESK) vom 26.07.20185 am Standort Würgassen ein. 2 Fundstelle: https://logistikzentrum-konrad.de/standortempfehlung 3 Fundstelle: https://www.bmu.de/download/gutachten-zu-einem-zentralen-bereitstellungslagerkonrad / 4 Fundstelle: Siehe vorherige Fußnote 5 Fundstelle: http://www.entsorgungskommission.de/de/esk-stellungnahmen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10321 3 1. Wie bewertet die Landesregierung die Auswahl der BGZ für den Standort Würgassen für ein Logistikzentrum für schwach- und mittelradioaktiven Abfall? (Bitte insbesondere auf die Anwendung der gewählten Auswahlkriterien eingehen) Die Zustimmung zu der Standortwahl der BGZ obliegt allein der Bundesregierung, vertreten durch das BMU. Für die Auswahl und Bewertung verschiedener verfügbarer Flächen hat die BGZ die Anforderungen der ESK6 herangezogen und weitere eigene Anforderungen entwickelt. Die BGZ weist in ihrer Unterlage „Standort-empfehlung „Zentrales Bereitstellungslager Konrad““ vom 28.08.2019 Würgassen als den vorzugswürdigsten Standort für das zentrale Bereitstellungslager für das Endlager Schacht Konrad (Logistikzentrum Konrad) für weitere standortspezifische Planungen und Untersuchungen aus. In der vom BMU beauftragten „Stellungnahme zur Herleitung der Standortempfehlung „Zentrales Bereitstellungslager Konrad“ der BGZ“ vom 08.01.2020 bestätigt das Öko-Institut, dass die Standortauswahl der BGZ nach Anwendung der gewählten Kriterien berechtigt sei. Zur Erfüllung der Anforderungen der ESK schlussfolgert das Öko-Institut in der „Bewertung der grundsätzlichen Eignung des Standorts Würgassen für die Errichtung und den Betrieb eines Zentralen Bereitstellungslagers Konrad (ZBL)“ vom 09.01.2020 in Kapitel 4 wie folgt: „Zur abschließenden Klärung der Eignung des Standorts aus sicherheitstechnischer und logistischer Sicht sind weitere Planungen, Untersuchungen und Nachweise erforderlich. Diese sind typischerweise im Rahmen des Genehmigungsverfahrens zu erbringen.“ Zum Betrieb des Logistikzentrums am Standort Würgassen benötigt die BGZ eine Genehmigung nach § 12 Absatz 3 des Strahlenschutzgesetzes. Der Antrag ist bei der Bezirksregierung Detmold als zuständige Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde einzureichen. 2. Seit wann ist der Landesregierung die Standortentscheidung der BGZ bekannt? Die Standortentscheidung wurde am 06.03.2020 durch eine Pressemitteilung der BGZ bekanntgegeben. Die Landesregierung wurde durch das BMU über die finale Entscheidung am 05.03.2020 vorab informiert. 3. Die niedersächsische Landesregierung hatte sich bereits 2018 klar gegen einen Standort auf niedersächsischem Gebiet ausgesprochen, offenbar mit Erfolg. Welche Position in Bezug auf mögliche Standorte für das geplante Logistikzentrum hat die Landesregierung gegenüber der BGZ in den vergangenen Jahren formuliert? Wie bereits unter Frage 1 geschildert, obliegt die Zustimmung zu der Standortwahl der BGZ allein der Bundesregierung, vertreten durch das BMU. Die Landesregierung hält es im Sinne der gesamtgesellschaftlichen Verantwortung für die sichere Umsetzung des im breiten gesellschaftlichen Konsens beschlossenen Atomausstiegs 6 Die Stellungnahme der ESK vom 26.07.2018 „Sicherheitstechnische und logistische Anforderungen an ein Bereitstellungslager für das Endlager Konrad“ nennt sieben sicherheitstechnische und sechs logistische Kriterien für ein Bereitstellungslager für das Endlager Konrad. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10321 4 und die sichere Entsorgung sonstiger schwach- und mittelradioaktiver Abfälle für nicht sachgerecht, das Verfahren der zuständigen Behörden durch eine vorsorgliche Positionierung zu begleiten. 4. Wie bewertet die Landesregierung die Eignung des Standortes Würgassen in Bezug auf den Gleisanschluss vor dem Hintergrund, dass die Entsorgungskommission einen zweigleisigen Bahnanschluss empfohlen hatte? Wie auch aus der Fragestellung selbst hervorgeht, hat die betreffende Passage der Stellungnahme der ESK empfehlenden Charakter. Allerdings bezieht sich die Aussage nicht auf eine etwaige Notwendigkeit einer Zweigleisigkeit des Gleisanschlusses im Standort Würgassen, sondern auf die Anbindung an die betreffende Bahnstrecke. Die entsprechende Passage in Abschnitt 4.1 der Stellungnahme der ESK in der Fassung vom 26.07.2018 lautet: „Somit ist eine zwingende Voraussetzung für die Standortwahl des Bereitstellungslagers, dass der Standort sowohl über eine Anbindung an eine schwerlastgeeignete Bahnstrecke als auch an eine schwerlastgeeignete Straße verfügt. Die Bahnstrecke muss zweigleisig ausgeführt sein, da je nach Betriebsweise des Endlagers Konrad täglich bis zu drei Vollzüge mit Abfallgebinden vom Bereitstellungslager zum Endlager hin und leer wieder zurück transportiert werden müssen.“ Die originäre Zuständigkeit bei Angelegenheiten im Zusammenhang mit Eisenbahnbetriebsanlagen der Deutsche Bahn AG (DB AG) liegt kraft Gesetzes beim Bund. Eine abschließende Bewertung von Sachverhalten, die den Zuständigkeitsbereich der DB AG betreffen und zu denen die Landesregierung über keine eigenen Kenntnisse verfügt, ist der Landesregierung nicht möglich. Daher können zum Sachverhalt und den gegebenenfalls getroffenen oder zu treffenden Maßnahmen lediglich Auskünfte der DB AG sowie der dabei zuständigen Aufsichtsbehörden eingeholt werden. Der Landesregierung liegt eine Stellungnahme der DB AG vom 26. Juni 2020 vor. Der Standort Würgassen ist an die eingleisige Hauptbahnstrecke Höxter-Ottbergen – Northeim der DB Netz AG angebunden. In Bezug auf die Frage, ob die genannten zusätzlichen Kapazitäten von der Strecke aufgenommen werden können, teilt die DB AG in ihrer Stellungnahme folgendes mit: „Nach Information der DB Netz AG in Hannover finden aktuell zum möglichen Anschluss des geplanten Bereitstellungslagers in Würgassen Kapazitätsuntersuchungen statt. Zum jetzigen Zeitpunkt können daher noch keine verlässlichen Aussagen getroffen werden.“ 5. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung bei den anstehenden Genehmigungsverfahren, für die auch das Land Nordrhein-Westfalen zuständig ist, weitere Informationen zur Standortauswahl von der BGZ einzufordern? Im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens nach § 12 Absatz 3 Strahlenschutzgesetz müsste die Antragstellerin eine Baugenehmigung vorlegen und nachweisen, dass für das Logistikzentrum die baulichen, technischen und organisatorischen Anforderungen des Strahlenschutzes eingehalten werden. Zudem ist gemäß § 181 (1) StrlSchG und § 6 in Verbindung mit Nr. 11.3 der Anlage 1 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzu-führen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10321 5 Im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und des gemäß § 3 Abs. 2 Atomrechtliche Verfahrensverordnung (AtVfV) in Verbindung mit § 16 Abs. 1 Nr. 6 UVPG zu erstellenden UVP-Berichts ist nach dem UVPG eine Beschreibung der vernünftigen Alternativen einschließlich der Angabe der wesentlichen Gründe für die getroffene Wahl unter Berücksichtigung der jeweiligen Umweltauswirkungen darzustellen. Zwar begründet diese Bestimmung keine Pflicht zur Prüfung von Vorhabenalternativen. Die Regelung verlangt aber – als rein formell-rechtliche Anforderung an den Inhalt der vom Vorhabenträger zur Prüfung seines Antrags vorzulegenden Unterlagen –, dass der Vorhabenträger die von ihm tatsächlich geprüften anderweitigen Lösungsmöglichkeiten und seine Auswahlgründe im Hinblick auf die Umweltauswirkungen des Vorhabens in einer Übersicht darstellt. Daraus ergeben sich möglicherweise weitere Informationen zur Standortauswahl.