LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10338 27.07.2020 Datum des Originals: 27.07.2020/Ausgegeben: 31.07.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3921 vom 29. Juni 2020 des Abgeordneten Markus Wagner AfD Drucksache 17/9985 Die gezielte Tötung Andersdenkender durch extreme Linke ist laut Verfassungsschutz nicht mehr undenkbar. Welche Rolle spielt die „Antifa“? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage „Demnach scheint „die Herausbildung terroristischer Strukturen im Linksextremismus“ möglich. Die „Intensität der Gewalttaten“ habe sich erhöht. „Scheinbare ,rote Linien‘ würden überschritten“. Daher erscheine „auch der Schritt zur gezielten Tötung eines politischen Gegners nicht mehr völlig undenkbar.“1 Mit diesen Worten fasst die WELT eine aktuelle Analyse des Bundesamts für Verfassungsschutz zusammen, in der eine deutliche Radikalisierung in Teilen der gewaltorientierten linksextremistischen Szene festgestellt wird. Auch in Nordrhein-Westfalen sind Anhaltspunkte für eine derartige Entwicklung zu erkennen.2 Bereits der Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2018 weist darauf hin, dass für die Szene der autonomen Linksextremisten Gewalt ein sukzessiv stärker akzeptiertes Mittel im Kampf gegen den Staat und gegen politische Gegner darstellt. Jene Autonomen prägen im Berichtszeitraum zugleich die Entwicklung des Linksextremismus’ insgesamt. Die Gewaltausübung etwa im Bereich des Hambacher Forstes hat sich im Jahre 2018 weiter verschärft:3 „Sowohl der Bewurf mit Steinen als auch die Fallen lassen keinen Zweifel daran zu, dass seitens der linksextremistischen Besetzer schwerste Verletzungen der Einsatzkräfte beabsichtigt, zumindest aber bewusst in Kauf genommen wurden.“4 1 Welt (2020): Verfassungsschutz sieht „Gefahr eines neuen Linksterrorismus“; online im Internet: https://www.welt.de/politik/deutschland/article209962317/Verfassungsschutz-Gefahr-eines-neuen- Linksterrorismus.html. 2 Vgl. ebd.. 3 Vgl. Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (2019): Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2018, Düsseldorf, S. 158. 4 Ebd., S. 161. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10338 2 Diese brandgefährliche Enthemmung unter Linken sollte sich im Berichtszeitraum 2019 fortsetzen: „Bezogen auf den qualitativen Aspekt von Gewalt ist festzustellen, dass sich der im Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2018 beschriebene Veränderungsprozess fortgesetzt hat. Linksextremistische Gewalt, so ist mit Blick auf die Entwicklungen rund um den Hambacher Forst in NRW sowie auf verschiedene Ereignisse im gesamten Bundesgebiet zu konstatieren, ereignet sich immer öfter abseits von situativen Konfrontationsdynamiken mit dem politischen Gegner im Rahmen von Versammlungsgeschehen. Täter linksextremistischer Gewaltstraften gehen mittlerweile stärker auch vorbereitet und planvoll vor und wählen Tatorte und -zeiten strategisch aus.“5 Eines der Hauptagitationsfelder der autonomen Szene, welcher ein Großteil der linken Gewaltstraftaten zuzurechnen ist, ist die sogenannte „autonome Antifa“, beziehungsweise der „antifaschistische Kampf“: „Aus ihrer Sicht ist es geboten, den Kampf gegen Faschisten und Rassisten in die eigenen Hände zu nehmen. In autonomen Publikationen und Stellungnahmen wird für Gegenveranstaltungen zu rechtsextremistischen Kundgebungen geworben. Die Agitation richtet sich auch gegen bestimmte staatliche Einrichtungen oder ihre Repräsentanten. Darüber hinaus werden Adressen und „Steckbriefe“ von politischen Gegnern veröffentlicht, die nicht selten mit der Aufforderung verbunden sind, diese Personen auch anzugreifen. Im Rahmen der „antifaschistischen Selbsthilfe“ werden auch militante Aktionen befürwortet, die sich in erster Linie gegen den politischen Gegner, insbesondere tatsächliche oder vermeintliche „Nazis“ richten. Dadurch kommt es regelmäßig zu hohen Sachschäden, teilweise aber auch zu Personenschäden.“6 Zwar handelt es sich bei der Antifa-Szene um keine zentral geführte Organisation mit klaren Strukturen, sondern vielmehr um ein dezentrales Netz lokaler Bestrebungen. Allerdings hat eine aktuelle Auswertung von Jahresberichten des Bundesamts für Verfassungsschutz und der Landesverfassungsschutzämter durch die WELT ergeben, dass annähernd die Hälfte der lokalen Bestrebungen, die unter dem Namen „Antifaschistische Aktion“ firmieren, als zumindest verfassungsfeindlich observiert wird.7 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 3921 mit Schreiben vom 27. Juli 2020 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Wie hat sich die gewaltorientierte linksextremistische Szene in Nordrhein- Westfalen in den vergangenen zehn Jahren entwickelt, insbesondere hinsichtlich ihrer Bereitschaft zur Anwendung potentiell tödlicher und/oder terroristischer Gewalt? 5 Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (2020): Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2019, Düsseldorf, S. 151f.. 6 Bundesamt für Verfassungsschutz (2020): Antifa, autonome; online im Internet: https://www.verfassungsschutz.de/de/service/glossar/antifa-autonome. 7 Vgl. Welt (2020): Mindestens 47 Antifa-Gruppen im Visier der Verfassungsschützer; online im Internet: https://www.welt.de/politik/deutschland/plus209172941/Verfassungsschutz-Mindestens- 47Antifa-Gruppen-im-Visier.html?ticket=ST-A-179407-QHJHvfNegx7vCJC7iauc-sso-signin-server . LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10338 3 2. Wie beurteilt die Landesregierung etwaige abstrakte und konkrete Gefahren durch sich fortlaufend radikalisierende Teile der gewaltorientierten linksextremistischen Szene in der Gegenwart? Die Fragen 1 und 2 werden aus Gründen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. In Teilen der gewaltbereiten linksextremistischen Szene ist in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren eine Tendenz zur Enthemmung zu erkennen. Die Beschreibung dieser Entwicklung sowie eine Bewertung der sich hieraus ergebenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung erfolgt in den jährlich veröffentlichten Verfassungsschutzberichten. 3. Wie gestaltet sich die nordrhein-westfälische Antifa-Szene mit linksextremen Bezügen in ideologischer, strukturell-organisatorischer und strategischer Hinsicht? (Bitte hierbei explizit nicht allein auf das Agitationsfeld der autonomen Szene verweisen. Bitte auch auf die vorgenannten Analyseebenen (Ideologie, Struktur und Strategie) eingehen, auf die Weltanschauungen/Ideologeme/Versatzstücke, die Organisationsformen der hier relevanten Personenzusammenschlüsse, auf ihre Verflechtungen und die angewandten Verfahrensweisen) Der Begriff „Antifa“ wird häufig von Personen und Gruppierungen des autonomen Spektrums verwendet, die dem eigenen Selbstverständnis nach Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus, völkischen Nationalismus und rechtsgerichteten Revisionismus bekämpfen. Dabei negieren Akteure des autonomen Spektrums oft das Recht auf Meinungsfreiheit ihres politischen Gegners und befürworten die Anwendung von Gewalt gegen diesen. Strategisch bedienen sich diese Akteure einer Vielzahl von Mitteln, in erster Linie Versammlungen. Das Spektrum der Aktivitäten umfasst darüber hinaus auch Rechercheaktivitäten zu und „Outings“ von vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsextremisten in deren Nachbarschaften und in den sozialen Medien. Es kommt auch zu Sachbeschädigungen und – in Einzelfällen – zu Körperverletzungsdelikten zum Nachteil solcher Personen, die als politische Gegner identifiziert wurden. 4. Wie viele Personenzusammenschlüsse, die Begriffe wie „Antifa“, „Antifaschistische Aktion“, „antifaschistisch“ oder dergleichen in der Selbstbezeichnung führen oder auf der Grundlage einer amtlichen Definition zu der Antifa-Szene gerechnet werden, beobachtet in Nordrhein-Westfalen der Verfassungsschutz? In Nordrhein-Westfalen existieren zahlreiche Gruppierungen, die die Abkürzung „Antifa“ in Zusammenhang etwa mit dem Namen einer Stadt oder Region für sich verwenden. Die Anzahl der Gruppen ist einer starken Fluktuation unterworfen. Von einer homogenen „Antifa-Szene“ kann daher nicht gesprochen werden. Der Verfassungsschutz befasst sich mit diesen Gruppierungen im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags. Weitergehende Erkenntnisse können nicht mitgeteilt werden, weil dadurch Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand und die Arbeitsweise des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes gezogen werden könnten. Dies würde die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes nachhaltig beeinträchtigen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10338 4 5. Welchen Anteil am Gewaltpotential der linksextremen Szene haben Personenzusammenschlüsse der Antifa-Szene? Die statistische Auswertung der politisch motivierten Kriminalität-links für das Jahr 2019 ist im Verfassungsschutzbericht (Vorlage 17/3479) auf den Seiten 36 bis 38 veröffentlicht, explizite Ausführungen zur Gewaltkriminalität finden sich auf Seite 37. Die Zuordnung von Gewaltstraftaten zu Szenen ist aus den in der Antwort zu Frage 4 beschriebenen Gründen statistisch weder erfassbar noch darstellbar.