LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10474 06.08.2020 Datum des Originals: 06.08.2020/Ausgegeben: 12.08.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4116 vom 21. Juli 2020 des Abgeordneten Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/10295 Wie unterstützt die Landesregierung den Aufbau einer deutschlandweiten Datenbank für Tiertransportrouten? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Für beförderte Tiere stellen Transporte, insbesondere lange dauernde Transporte in Drittstaaten, eine hohe Belastung dar. Die Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 über den Schutz von Tieren beim Transport, konkretisiert durch die nationale Verordnung zum Schutz von Tieren beim Transport und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1/2005 (Tierschutztransportverordnung), sollen dem Schutz der transportierten Tiere dienen. So schreibt Erstere unter anderem vor, dass die Tiere bei Langstreckentransporten an zugelassenen Entlade- und Versorgungsstationen abgeladen, gefüttert, getränkt, in Augenschein genommen und gegebenenfalls tierärztlich versorgt werden müssen. Zusätzlich muss eine Ruhezeit von mindestens 24 Stunden eingehalten werden. Diese Vorgaben gelten auf der gesamten Transportstrecke, auch jenseits der EU-Außengrenzen.1 Der Bericht der hessischen Landestierschutzbeauftragten und drei weiterer Amtstierärztinnen über die Überprüfung von Tiertransportrouten durch Russland nach Kasachstan und Usbekistan im August 2019 brachte hervor, dass die vorgegebenen Versorgungsstationen entweder nicht existieren oder die Vorgaben der Verordnung nicht erfüllen.2 Daraufhin untersagten mehrere Bundesländer, darunter auch NRW, Tiertransporte durch Russland. Um in Zukunft sicherzustellen, dass entlang der Transportrouten in Drittstaaten eine ausreichende, den EU-Vorgaben entsprechende Versorgung der Tiere in 1 EuGH, Urteil vom 23. April 2015, C-424/13, ECLI:EU:C:2015:259. Im Internet: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=Tiertransporte&docid=163872&pageIndex=0 &doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=1696204#ctx1 (Stand: 21.07.2020). 2 Martin, Madeleine/Fuchs, Gabriele/Hellerich, Birte/Herfen, Kerstin: Besichtigung von Entlade- und Versorgungsstationen gemäß der VO (EG) 1/2005 in der Russischen Föderation, die in Transportplänen zu Langstreckentransporten angegeben werden (9. bis 14. August 2019). Im Internet: https://umwelt.hessen.de/sites/default/files/media/hmuelv/09-09-2019_russland_report_- _mit_bildern_und_unterschriften_-_endfassung_heheffuma.pdf (Stand: 21.07.2020). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10474 2 Versorgungsstationen gewährleistet ist, soll in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe eine deutschlandweite Datenbank für Transportrouten aufgebaut werden.3 Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4116 mit Schreiben vom 6. August 2020 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Mit Urteil vom 23. April 2015 (Az.: C-424/13) hat der Europäische Gerichtshof im Leitsatz festgestellt, dass bei Tiertransporten die Bestimmungen der EU- Tierschutztransportverordnung (EG) Nr. 1/2005 bis zum Bestimmungsort einzuhalten sind, auch wenn dieser in einem Drittstaat liegt. Demnach hat der Organisator eines Transportes der den Transport abfertigenden Veterinärbehörde ein Fahrtenbuch vorzulegen, das wirklichkeitsnahe Angaben zur Planung der Beförderung enthält und darauf schließen lässt, dass die Bestimmungen des europäischen Tiertransportrechts auch für den in Drittländern stattfindenden Beförderungsabschnitt eingehalten werden. Das Verwaltungsgericht Münster hat mit Beschluss vom 05.06.2020 (Az.: 9 L 446/20) verdeutlicht, dass etwaige Zweifel hinsichtlich der Einhaltung der Bestimmungen der o. g. Verordnung zu Lasten des Organisators des Transports gehen und die zuständige Überwachungsbehörde zur Verweigerung einer Abstempelung des Fahrtenbuches berechtigen können. Das Verwaltungsgericht Münster hatte über einen Fall eines Transports in einen Drittstaat zu entscheiden, in dem der Organisator dieses Transports bestehende Zweifel über das Vorhandensein ausreichender Versorgungsstationen nicht hatte ausräumen können. Da auf der Grundlage der Angaben des Organisators des Transports nicht „zwingend“ vom Vorhandensein ausreichender Versorgungsstationen auszugehen war, bestätigte das Gericht die ablehnende Entscheidung der zuständigen Behörde. Dies verdeutlicht, dass es dem Organisator eines Transports obliegt, gegenüber der zuständigen Behörde durch Vorlage geeigneter Unterlagen die Einhaltung der Bestimmungen der EU- Tierschutztransportverordnung (EG) Nr. 1/2005 zu plausibilisieren und im Zweifelsfall zu belegen. Mit mehreren Erlassen aus 2019 und 2020 (GPS-Onlinekontrolle durch die Behörde, Abfertigungsverbote bei hohen Temperaturen, Einschränkung der Abfertigung von Tiertransporten nach Zentralasien mangels vorhandener Versorgungsstationen in der Russischen Föderation) wurde den zuständigen Überwachungsbehörden vor Ort Unterstützung des Landes im Rahmen der vor Ort erfolgenden Plausibilitätsprüfung der Routenplanung signalisiert, um eine rechtskonforme Abfertigung von Rindertransporten in Drittstaaten zu ermöglichen. Jedoch haben die Ergebnisse amtlicher Tiertransportkontrollen insgesamt gezeigt, dass die vor Ort vorgenommenen Plausibilitätsprüfungen der zuständigen Behörden in einigen Fällen nicht geeignet waren, einen rechtskonformen Transport bis zum Bestimmungsort, auch wenn dieser in einem Drittstaat liegt, sicherzustellen. Ab beginnendem Schiffstransport in den Mittelmeerhäfen liegen in der Regel keine verifizierbaren Informationen bis zum 3 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Tierhandel und Transport. Im Internet: https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierhandel-und-transport/tierhandel-und-transport_node.html (Stand: 21.07.2020); Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft: Tiertransporte bei Hitze. Bundesagrarministerium verschärft Regelungen. Pressemitteilung Nr. 191/2019 vom 24.09.2019. Im Internet: https://www.bmel.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/191-tiertransporte.html (Stand: 21.07.2020). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10474 3 Bestimmungsort mehr vor. Beim Straßentransport zeigt die retrospektive Auswertung u. a. Temperaturüberschreitungen auf der Strecke. Nicht auswertbare GPS-Aufzeichnungen im Routenverlauf lassen nicht mit Sicherheit erkennen, ob Tiere tatsächlich auf Versorgungsstationen in Drittstaaten abgeladen und versorgt wurden. Aus gegebenem Anlass wurden die zuständigen Überwachungsbehörden in NRW daher mit Datum vom 21.07.2020 per Erlass angewiesen, von Abfertigungen langer Beförderungen nicht abgesetzter Kälber und von langen Beförderungen von Zuchtrindern in Drittstaaten mit sofortiger Wirkung bis auf Weiteres abzusehen. 1. Welcher Prozess der Umsetzung der deutschlandweiten Datenbank für Tiertransportrouten ist der Landesregierung bekannt? Bereits seit 2019 erfolgte im Rahmen von Arbeitsgruppen die Entwicklung einer Datenbank für lange Beförderungen. Am 07.05.2020 wurde im Zuge einer Bund-Länder-Telefonkonferenz zur Schaffung einer Datenbank für lange Beförderungen von Tieren durch das Friedrich- Loeffler-Institut der Entwurf eines Webtools auf der Plattform Tierseuchennachrichten-Online vorgestellt. Das Webtool besteht aus einer statischen Landkarte, auf der unterschiedliche Versorgungsstellen markiert sind, einer dynamischen Landkarte, auf der unterschiedliche Sekundärfunktionen hinterlegt sind, und einer Tabelle, in der die unterschiedlichen Dokumente zu den einzelnen Versorgungsstellen hinterlegt sind. Die Tabelle ist unterteilt nach Land, Region, Versorgungsstelle, Standarddokument und Zusatzdokument. Das Standarddokument beinhaltet eine Tabelle mit den vorhandenen Informationen zu den Versorgungsstationen. Die Zusatzdokumente beinhalten z.B. Prüfdokumente aus den Drittstaaten. Das Webtool wurde durch Beschluss der Arbeitsgruppe Tierschutz der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz vom 26.05.2020 freigegeben und den Ländern zur Verfügung gestellt. 2. Wann rechnet die Landesregierung mit einer Inbetriebnahme der Datenbank für Tiertransportrouten? Die Datenbank befindet sich bereits grundsätzlich in Betrieb. 3. Was hat Nordrhein-Westfalen bisher zum Aufbau der unter Frage 1 genannten Datenbank beigetragen? Das Land Nordrhein-Westfalen hat an einer Arbeitsgruppe auf Bund-Länder-Ebene teilgenommen und dort die Entwicklung und den Aufbau der Datenbank durch das Friedrich- Löffler-Institut begleitet. 4. Inwiefern werden die Informationen zu den Versorgungsstationen (Stationsname, geografische Lage, Ausstattung, Kapazität, Funktionsfähigkeit) auf Tiertransportrouten auch außerhalb der Europäischen Union, etwa durch eine Inaugenscheinnahme vor Ort, verifiziert? Das Außenvertretungsrecht für die Bundesrepublik Deutschland ist auf Bundesebene angesiedelt. Bei den in Frage stehenden Transportanforderungen handelt es sich jedoch um Vorgaben der Europäischen Union, weshalb eine Verifizierung der tatsächlichen und formalen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10474 4 Voraussetzungen der Versorgungsstationen sowie eine Überprüfung von deren Funktionsbereitschaft und eine Begleitung von Transporten durch Audits und Mitarbeiter von Seiten der Europäischen Union durchgeführt werden müssen. 5. Welche Tiertransportrouten werden seitens NRW derzeit nicht bedient, weil hier erhebliche Umsetzungsdefizite hinsichtlich der EU-Verordnung festgestellt worden sind? Mit sofortiger Wirkung wurden bis auf Weiteres im Bereich der langen Beförderungen nicht abgesetzter Kälber und von Zuchtrindern in Drittstaaten per Erlass vom 21.07.2020 alle Abfertigungen der genannten Beförderungen in Nordrhein-Westfalen ausgesetzt.