LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10484 07.08.2020 Datum des Originals: 07.08.2020/Ausgegeben: 13.08.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4088 vom 9. Juli 2020 der Abgeordneten Markus Wagner, Gabriele Walger-Demolsky und Christian Loose AfD Drucksache 17/10193 Interessiert sich der Verfassungsschutz NRW nicht für etwaige islamistische Bezüge zur CDU Bochum? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Abgeordneten Markus Wagner, Gabriele Walger-Demolsky und Christian Loose der AfD- Landtagsfraktion haben sich in der Kleinen Anfrage 3765 vom 27. Mai 2020 unter anderem danach erkundigt, ob der Verfassungsschutz NRW es als Erfolg einer Entgrenzungsstrategie von Islamisten wertet, dass der CDU-Kreisverband der Stadt Bochum Bestrebungen des "Islamischen Kulturverein Bochum" (IKV Bochum) unkritisch als „echten Gewinn für Bochum“ feiert.1 Die Antwort der Landesregierung darauf gestaltete sich wie folgt: „Es gehört nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes, Äußerungen demokratischer Parteien zu bewerten.“2 Diese Antwort lässt jedoch aus gleich mehreren Gründe Anschlussfragen notwendig werden: Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass es zu den in §3 des Verfassungsschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen normierten Aufgaben der Behörde unter anderem gehört, Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, zu sammeln und auszuwerten. Die Verfassungsschutzbehörde ist zudem gesetzlich verpflichtet, den Landtag über bedeutsame Entwicklungen in ihrem Aufgabenbereich zu unterrichten und die Öffentlichkeit über relevante Bestrebungen und Tätigkeiten aufzuklären. Sodann konnte die Behörde bereits im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein- Westfalen über das Jahr 2018 feststellen, dass es in den Phänomenbereichen „Rechtsextremismus“, „Linksextremismus“ und „Islamismus“ zu Entgrenzungen zwischen den 1 Vgl. Drs. 17/9515. 2 Drs. 17/9868, S.4. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10484 2 demokratischen und anti-demokratischen Spektren gekommen ist.3 Im ideologisch, strukturell und strategisch sehr heterogenen Islamismus sind jenseits von Jihadisten und Salafisten so genannte „legalistische Islamisten“ bestrebt, „mit ihren Themen und gezielter Interaktion ein erweitertes Personenspektrum anzusprechen und Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen.“4 Zu diesem Spektrum des legalistischen Islamismus gehört auch die Muslimbruderschaft5, zu der ebenjener "Islamische Kulturverein Bochum" (IKV Bochum) Bezüge aufweist: „Der "Islamische Kulturverein Bochum" (IKV Bochum) sowie die durch diesen betriebene Khaled-Moschee sind der Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalen bekannt. Personelle und strukturelle Verbindungen des Vereins in den Extremismus werden im Rahmen des gesetzlichen Auftrags des Verfassungsschutzes untersucht. So wird der Verein auch als AnlaufsteIle für Personen mit Bezügen zu beobachteten islamistischen Bestrebungen bewertet. Hierzu gehören neben salafistischen Bestrebungen vor allem Aktivitäten aus dem Spektrum der Muslimbruderschaft, zum Beispiel durch Auftritte von Referenten aus deren Umfeld, welche bereits mehrfach in der Khaled Moschee des IKV festgestellt wurden.“6 Legalistische Islamismen stellen für die demokratische Ordnung langfristig eine größere Bedrohung dar als beispielsweise gesellschaftlich isolierte Jihadisten. Unter anderem aufgrund ihres strategischen Gewaltverzichts und ihrer vorgeblichen ideologischen Mäßigung sind die Möglichkeiten der Einflussnahme deutlich erhöht.7 Der Verfassungsschutz nennt sogleich auch eine wirksame Gegenmaßnahme: „Eine effektive Maßnahme gegen die Versuche der Einflussnahme legalistischer Islamisten und die Entgrenzung des Phänomens ist insbesondere die Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Verfassungsschutzbehörden. Durch diese können mögliche Adressaten in der Gesellschaft sensibilisiert und zu einem bewussten Umgang mit dieser oft nur schwer erkennbaren Erscheinungsform des Islamismus befähigt werden.“8 Ferner geht aus der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3741 des Abgeordneten Markus Wagner nachfolgende Einschätzung der Landesregierung hervor: „Wenn das Bemühen extremistischer Akteure, sich durch geeignete Themen und Aktionsformen für das demokratische Spektrum anschlussfähig zu machen, dazu führt, dass demokratische Akteure das extremistische Spektrum und dessen Positionen unterstützen, kann dies ein Erfolg extremistischer Entgrenzungsstrategien sein.“9 In der Antwort auf die Frage 5 derselben Kleinen Anfrage bestätigt die Landesregierung schließlich, dass der Verfassungsschutz durchaus auch die Versuche extremistischer Personenzusammenschlüsse, Einfluss auf demokratische Organisationen zu nehmen, beobachtet.10 3 Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (2019): Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2018, Düsseldorf, S. 64ff., 160ff. und 220ff.. 4 Ebd., S. 220. 5 Vgl. ebd.. 6 Vorlage 17/1816, S. 2. 7 Vgl. ebd., S. 221. 8 Ebd., S. 223. 9 Drs. 17/9869, S. 3. 10 Vgl. ebd.. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10484 3 Summa summarum: Die Landesregierung erachtet es bisher offenbar nicht als Aufgabe des Landesverfassungsschutzes, das öffentliche Lob für die Bestrebungen eines Kulturvereins mit verschiedenartigen islamistischen Bezügen durch einen Kreisverband der auf den Prozess der politischen Willensbildung sehr einflussreichen CDU zu bewerten. Die Landesregierung kommt zu einem solchen Ergebnis, obwohl die Verfassungsschutzbehörde gesetzlich verpflichtet ist, den Landtag über bedeutsame Entwicklungen in ihrem Aufgabenbereich zu unterrichten und die Öffentlichkeit über relevante Bestrebungen und Tätigkeiten aufzuklären und der Verfassungsschutzbericht Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit explizit als Maßnahme gegen die Entgrenzungsversuche von legalistischen Islamisten nennt. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4088 mit Schreiben vom 7. August 2020 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Gehört es auch zu dem strategischen Repertoire derjenigen Bestrebungen aus dem Spektrum der Muslimbruderschaft, die zugleich Bezüge zum IKV Bochum aufweisen, sich als gemäßigter und gewaltfrei agierender Ansprechpartner gegenüber demokratischen Akteuren, wie Parteien zu präsentieren? Zur Bewertung der Handlungsweise der Muslimbruderschaft wird auf die Seiten 245 bis 249 im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2019 (Vorlage 17/3479) verwiesen. 2. Ist das unkritische Lob der CDU Bochum der Bestrebungen des IKV Bochum, insbesondere vor dem Hintergrund der abstrakten Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3741, Drs. 17/9869, als Erfolg einer Entgrenzungsstrategie von Islamisten zu werten? (Bitte konkret auf diesen Sachzusammenhang und die CDU Bochum bezogen antworten) 3. Weshalb gehört es angeblich nicht zu den gesetzlichen Aufgaben des Verfassungsschutzes, Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen darüber zu sammeln, auszuwerten und zu bewerten, dass sich demokratische Organisationen, hier in Gestalt des CDU Kreisverbandes, zu einem unkritischen Lob für die Bestrebungen eines Kulturvereins mit verschiedenartigen Bezügen verleiten lassen? 4. Wie ist es dem Verfassungsschutz möglich zu registrieren, ob sich politische Bestrebungen beziehungsweise Teile von ihnen, die bislang als dem demokratischen Spektrum zugehörig bewertet worden sind, in das extremistische Spektrum oder in so genannte „Mischszenen“ hineinbewegen, wenn es angeblich nicht zu seinen gesetzlichen Aufgaben gehört, Informationen über das öffentliche und unkritische Lob für Bestrebungen eines Kulturvereins mit verschiedenartigen islamistischen Bezügen durch demokratische Organisationen, hier in Gestalt des CDU-Kreisverbands, die bislang nicht seinem Beobachtungsauftrag unterlagen, zu sammeln und auszuwerten? Die Fragen 2, 3 und 4 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Gemäß § 3 Absatz 1 Verfassungsschutzgesetz NRW gehört es zu den gesetzlichen Aufgaben des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes, Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu sammeln und auszuwerten. Dieser gesetzliche Beobachtungsauftrag LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10484 4 beginnt erst, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für derartige Bestrebungen vorliegen. Ob dies der Fall ist, entscheidet der Verfassungsschutz in jedem Einzelfall im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der vorliegenden Informationen. Es gehört demgegenüber nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes eine Einzeläußerung einer nicht beobachteten Partei zu bewerten. 5. Welche konkreten Maßnahmen der Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit hat der Verfassungsschutz NRW unternommen, um die CDU der Stadt Bochum bezüglich der islamistischen Bezüge des IKV Bochum zu sensibilisieren? Im Juni 2020 fand auf Bitte eines Mitglieds des Kreisverbands Bochum der CDU ein Informationsaustausch statt. Daran hat neben dem Minister des Innern auch der ständige Vertreter des Leiters der Abteilung Verfassungsschutz teilgenommen. Im Übrigen wird auf die Antworten der Landesregierung auf die Frage 1 der Kleinen Anfrage 3765 (Drs. 17/9868) und auf die Frage 3 der Kleinen Anfrage 3465 (Drs. 17/9000) verwiesen.