LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10540 12.08.2020 Datum des Originals: 12.08.2020/Ausgegeben: 18.08.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4017 vom 6. Juli 2020 der Abgeordneten Dietmar Bell und Josef Neumann SPD Drucksache 17/10103 Neue Irritationen um die Heinsbergstudie: Welche Befunde sind tatsächlich ermittelt worden? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Laut Berichterstattung des Wirtschaftsmagazins „Capital“ erhebt ein Wissenschaftler schwere Vorwürfe gegen den Bonner Virologen Hendrik Streeck und die sogenannte Heinsbergstudie. Demnach soll ein notwendiges Ethikvotum, das zur Durchführung der Studie sowie zur Beantragung von Drittmitteln erforderlich war und nach Angaben von Prof. Streeck bereits ausgestellt wurde, bei Beauftragung durch die Landesregierung möglicherweise noch nicht vorgelegen haben. Darüber hinaus soll Prof. Streeck im Zwischenbericht zur Heinsbergstudie Empfehlungen abgegeben haben, die den Eindruck erweckten, dass er und sein Team dazu in der Studie eigenständige Daten zu dem neuartigen Coronavirus erhoben hätten. Konkret geht es dabei um Aussagen im Zwischenbericht der Studie, wonach ein Zusammenhang bestehe zwischen Hygienemaßnahmen, der Viruskonzentration und dem Schweregrad einer Corona-Erkrankung. Dieser Vorgang ist allein schon deswegen politisch brisant, weil die Landesregierung ihre Lockerungspolitik nicht zuletzt auf die Ergebnisse der Heinsbergstudie gestützt hat und dabei auch auf den o.g. Befund rekurriert hat, zu dem die Heinsbergstudie gar keine Daten geliefert haben soll. An der Universität Bonn soll der Vorgang offenbar bereits durch den zuständigen Ombudsmann überprüft worden sein. Dabei soll dieser zu dem Ergebnis gekommen sein, dass Prof. Streeck und das Team der Heinsbergstudie keine eigenständigen Daten zu einem „Befund“ erhoben hätten. Diese Feststellung steht jedoch im Widerspruch zu den Aussagen von Prof. Streeck, der im Zusammenhang mit den infrage stehenden Forschungsergebnissen auf seine Untersuchungen im Ort Gangelt verweist. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 4017 mit Schreiben vom 12. August 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10540 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die Bewertung von Forschungsergebnissen erfolgt im wissenschaftlichen Diskurs und nicht durch die Landesregierung. Die Kleine Anfrage bezieht sich auf universitätsinterne Abläufe, daher wurde die Universität Bonn um Stellungnahme gebeten. Auf dieser beruht die nachfolgende Beantwortung. 1. Wer hat mit Blick auf die Bewertung der infrage stehenden Forschungsergebnisse Recht: Der Ombudsmann der Universität Bonn oder Prof. Streeck? Ein Widerspruch zwischen der Stellungnahme des Ombudsmanns und den von Herrn Prof. Streeck getätigten Aussagen im Zusammenhang mit der Erhebung von Daten zum Verhältnis zwischen Viruskonzentration und Schweregrad der Erkrankung besteht nicht. Die Schlussfolgerungen über die Eignung von Hygienemaßnahmen gründen auf entsprechenden Erfahrungssätzen über Zusammenhänge zwischen Viruskonzentration bzw. Hygienemaßnahmen und Erkrankungsschwere. Das Forscherteam hat diesen als bekannt vorauszusetzenden Zusammenhang in Beziehung gesetzt zur Untersuchung der Infektionsereignisse in Gangelt. Entsprechend hat der Ombudsmann dem Hinweisgeber mitgeteilt, dass die Heranziehung von Erfahrungssätzen nicht den Schluss erlaube, dass die Forscher selbst zu deren Validität Daten erhoben hätten, noch sei dies erforderlich, sofern Erfahrungssätze als etabliert vorausgesetzt werden können. 2. Wann/Wie genau ist die Prüfung durch den zuständigen Ombudsmann abgelaufen bzw. hat er dabei die beteiligten Wissenschaftler befragt? Das Verfahren richtet sich nach den Richtlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn vom 1. September 2014.1 Die Prüfung durch den Ombudsmann nach Befragung des Principal Investigators Prof. Streeck hat ergeben, dass es einen bekannten Zusammenhang zwischen Viruslast und Erkrankungsschwere gibt, der Gegenstand allgemeinen Wissens in Forscherkreisen der involvierten Disziplinen ist. Daher hat er mit Schreiben vom 14.04.2020 eine ausführliche Stellungnahme an den Hinweisgeber verschickt und mitgeteilt, dass es keine Hinweise für ein wissenschaftliches Fehlverhalten gebe und daher kein Ermittlungsverfahren eingeleitet werde. Mit Schreiben vom gleichen Tag hat der Ombudsmann die Hochschulleitung über das Ergebnis seiner Prüfung informiert. 3. Wie war die Universität Bonn in die jeweiligen Vorgänge zu der Heinsbergstudie zu welchem Zeitpunkt seit Mitte März bis heute involviert? Die Universität Bonn ist auf vielfältige Weise durch das Handeln verschiedener Organe und Einrichtungen involviert bzw. involviert gewesen. Aus dem Bereich der Wissenschaft waren dies verschiedenen Institute (u.a. Virologie, Klinische Chemie und Klinische Pharmakologie, Hygiene). Daneben haben auch verschiedene Bereiche der Universitätsverwaltung die 1 http://www3.uni-bonn.de/forschung/gute-wissenschaftliche-praxis/amtl.-bek.-1426.pdf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10540 3 Durchführung der Studie begleitet (u.a. Ethikkommission der medizinischen Fakultät, Uniklinik Bonn durch die Stabsstelle Forschungsverträge, Hochschulleitung). 4. Wann und in welcher Form wurde das erforderliche Ethikvotum bzw. die Ethikvoten durch Prof. Streeck für die Heinsbergstudie beantragt? 5. Wann und in welcher Form hat die Ethikkommission der Universität Bonn das erforderliche Ethikvotum bzw. die Ethikvoten für die Heinsbergstudie ausgestellt? Die Fragen 4 und 5 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet: Bei der Heinsberg-Studie handelt es sich um eine seroepidemiologische Beobachtungsstudie, für die § 15 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte eine berufsethische und berufsrechtliche Beratung vorgibt. Das Forscherteam hat die Bitte um berufsrechtliche Beratung am 03.03.2020 förmlich eingereicht. In der schriftlichen Stellungnahme vom 04.03.2020 hat die Ethikkommission mitgeteilt, gegen das Forschungsvorhaben bestünden keine grundsätzlichen berufsethischen oder berufsrechtlichen Bedenken. Darüber hinaus hat die Kommission Hinweise zur Ergänzung von Informationen im Antrag und den Datenerhebungsbögen (z.B. weitere Angaben zu den kontaktierenden Personen, konkretere Darstellung des Proben- und Datenmanagements) gegeben. Mit Schreiben vom 24.03.2020 hat die Ethikkommission die hinreichende Beantwortung bzw. Umsetzung der mit Votum vom 04.03.2020 verbundenen Hinweise bestätigt. Später vorgenommene geringfügige Änderungen am Studiendesign sind durch die weitere zustimmende Stellungnahme der Ethikkommission vom 31.03.2020 abgedeckt. Mit Schreiben vom 01.04.2020 hat die Kommission die hinreichende Beantwortung bzw. Umsetzung der mit dem Votum vom 31.03.2020 verbundenen Hinweise bestätigt. Dies hatte einen rein deklaratorischen Charakter. Ergänzungen und Nachträge im Verlauf unter der gleichen Ethikantragsnummer sind üblich und stellen nicht die am 04.03./24.03.2020 eingegangenen zustimmenden Stellungnahmen der Ethikkommission in Frage. Die Verpflichtung zur Durchführung einer berufsrechtlichen Beratung war mit der zustimmenden Stellungnahme vom 04.03.2020 bereits erfüllt.