LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10556 17.08.2020 Datum des Originals: 17.08.2020/Ausgegeben: 21.08.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4101 vom 21. Juli 2020 des Abgeordneten Stefan Kämmerling SPD Drucksache 17/10280 Möglicher atomarer Störfall im benachbarten Ausland: NRW auf GAU genauso schlecht vorbereitet, wie auf eine Pandemie? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Diskussion rund um die belgischen Atomkraftwerke Tihange und Doel ist jüngst wieder neu entfacht, als bekannt wurde, dass die belgische Regierung die Suche nach einem Endlager für Atommüll aktiv betreibt und diskutierte Standorte auch im unmittelbaren Grenzgebiet zu NRW liegen. So sind mögliche und im Gespräch befindliche Standorte in sprichwörtlicher Sichtweite zu Monschau und Aachen. Seit Jahren und Jahrzehnten gibt es vor allem in diesen Teilen NRW´s – aber auch darüber hinaus – breite öffentliche Kritik an der Atomstromproduktion in Belgien. Insbesondere richtete sich diese Kritik, die auch bereits mehrfach Bestandteil Kleiner Anfragen und parlamentarischer Auseinandersetzungen war, gegen den Weiterbetrieb maroder Kernreaktoren in Belgien. Ein möglicher Störfall mit dem Austritt radioaktiver Stoffe und gegebenenfalls gar Unbeherrschbarkeit der Situation wäre der „größte anzunehmende Unfall“. Der öffentliche Druck für die Abschaltung der Kernkraftwerke ist gut und unterstützenswert. Gleichzeitig ist es aber auch Aufgabe von Land, Kreisen und Kommunen entsprechende Vorkehrungen für diese aktuell noch bestehende potenzielle Gefahr zu treffen und für eine Katastrophe bestmöglich gewappnet zu sein. Die völlig überraschend aufgetretene pandemische Lage durch die rasche Verbreitung des Corona-Virus hat gezeigt, dass insbesondere Notfallpläne und die Vorbereitung auf Katastrophen des Landes NRW stark zu wünschen übrig lassen. Im Ergebnis weist das Land beeindruckend regelmäßig die Verantwortung den Kommunen und Kreisen zu, die als wahre Krisenmanager die aktuelle Situation meistern. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4101 mit Schreiben vom 17. August 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales, der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz und dem Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Internationales beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10556 2 1. Welche Notfallpläne in Kommunen oder Kreisen sind der Landesregierung bekannt? Die Kreise und kreisfreien Städte sind nach § 4 Absatz 3 des Gesetzes über den Brandschutz, die Hilfeleistung und den Katastrophenschutz (BHKG) als untere Katastrophenschutzbehörden verpflichtet, Pläne für Großeinsatzlagen und Katastrophen (Katastrophenschutzpläne) sowie Sonderschutzpläne für besonders gefährliche Objekte, Betriebsbereiche mit erweiterten Pflichten und bergbauliche Abfallentsorgungseinrichtungen aufzustellen. Im Rahmen dieser Aufgabenstellung wurden die unteren Katastrophenschutzbehörden aufgefordert, auf der Grundlage der Rahmenempfehlungen der Strahlenschutzkommission für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen die jeweils erforderlichen Maßnahmen in ihren Planungen umzusetzen. Nach den Ereignissen rund um Fukushima aktualisierte die Strahlenschutzkommission ihre Empfehlungen. Die Katastrophenschutzbehörden im Land wurden mit Erlass vom 22.02.2016 mit der Anpassung an die aktualisierten Maßnahmen betraut. Die entsprechenden Planungen und Vorkehrungen hinsichtlich der Maßnahmen des Katastrophenschutzes - insbesondere „Information und Warnung der Bevölkerung“ sowie „Jodblockade“ - sind von den betroffenen Katastrophenschutzbehörden umgesetzt. Auf der Grundlage dieser Planungen und Vorkehrungen stellen die etablierten Krisenstabsstrukturen ein koordiniertes und schnelles Handeln im Ereignisfall sicher. 2. Wie sieht der Notfallplan des Landes NRW für einen atomaren Zwischenfall im benachbarten Ausland aus? In Nordrhein-Westfalen wird kein Kernkraftwerk mehr betrieben - allerdings in den angrenzenden Nachbarländern. Diesem Umstand trägt die Landesregierung durch Schutzmaßnahmen für seine Bevölkerung Rechnung. Im Bereich „Katastrophenschutz“ richten sich die Schutzmaßnahmen aus an den „Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen“ der Experten der Strahlenschutzkommission (SSK) als unabhängiges Beratungsgremium des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Das abschließend am 31.12.2018 in Kraft getretene Strahlenschutzgesetz sieht hinsichtlich des Notfallschutzes vor, dass der Bund allgemeine und besondere Notfallpläne vorlegt, die dann durch die Länder ergänzt und konkretisiert werden sollen. Der Bund hat bislang noch keine Notfallpläne vorgelegt, so dass keine Anpassung an die Planungen und Durchführungen von Schutzmaßnahmen, für die das Land zuständig ist, seitens Nordrhein-Westfalens erfolgen konnte. Für Nordrhein-Westfalen wurden deshalb zunächst geltende Dokumente als vorläufige Notfallpläne festgelegt und veröffentlicht. In Nordrhein-Westfalen sind mehrere Ressorts für die Ausführung des Notfallschutzes verantwortlich. Im Falle eines kerntechnischen Unfalls mit Austritt von radioaktiven Stoffen in einem (ausländischen) Kernkraftwerk würden die erforderlichen Maßnahmen der verschiedenen Bereiche im Krisenstab der Landesregierung koordiniert und abgestimmt. Wesentliche Grundlage für die Entscheidungen bildet dabei das radiologische Lagebild des Bundes. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10556 3 3. In welchen Kommunen wurden bereits wie viele Jodtabletten an die Bevölkerung verteilt? (Bitte aufgeschlüsselt nach Kommunen, Anzahl und Jahr der Verteilung) Der Nutzen einer „Vorverteilung“ der für die Schutzmaßnahme „Jodblockade“ vorgesehenen Kaliumiodidtabletten ist fachlich höchst umstritten. In Nordrhein-Westfalen erfolgte eine Vorverteilung wegen der großen Verunsicherung der Bevölkerung auf Grund der Berichterstattungen und Diskussionen zur Sicherheit der Kernkraftwerke Tihange und Doel (beide Belgien) bislang alleine in der grenznahen Region zu Belgien im Regierungsbezirk Köln. Von den 623.490 bezugsberechtigten Personen in der Region haben 135.064 Personen von dem Angebot der Vorverteilung Gebrauch gemacht. Sie haben mit der Ausgabe der Kaliumiodidtabletten besondere Hinweise zum Umgang mit und zur Lagerung der Tabletten erhalten. Im Einzelnen stellt sich die Vorverteilung in der Region wie folgt dar: Gebietskörperschaft bezugsberechtigte Personen Jodtabletten erhalten haben Personen Stadt Aachen 150.000 33.687 Städteregion Aachen 137.000 35.880 Kreis Düren 126.131 28.193 Kreis Euskirchen 89.267 15.996 Kreis Heinsberg 121.092 21.308 Gesamt 623.490 135.064 Über diese regionale Vorverteilung unmittelbar an die Bevölkerung hinaus lagern alle Kreise und kreisfreien Städte - auch die vorstehend genannten - Jodtabletten in ausreichendem Maße ein, die im Ereignisfall an die Bevölkerung ausgegeben werden können. 4. Wie lange sind die verteilten sowie eingelagerten Jodtabletten haltbar? Für die bei den Katastrophenschutzbehörden eingelagerten Kaliumiodidtabletten beträgt die Gewährleistungsdauer des Herstellers und damit die Mindesthaltbarkeitsdauer 10 Jahre. Nachfolgend kann die Haltbarkeitsdauer im Rahmen einer Wirkstoffüberprüfung verlängert werden. Eine konkretere Angabe ist daher gegenwärtig nicht möglich. Die in der Region zu Belgien an die Bürgerinnen und Bürger vorverteilten Kaliumiodidtabletten sind haltbar bis zum 31.12.2021. Durch die verkürzte Mindesthaltbarkeitsdauer wird dem Umstand Rechnung getragen, dass eine ordnungsgemäße Lagerung in den Privathaushalten nicht zwingend unterstellt werden kann. 5. Welche Empfehlungen gibt das Land NRW seinen Bürgerinnen und Bürgern für das Verhalten im Fall eines atomaren Zwischenfalls im benachbarten Ausland? Im Falle eines radiologischen Notfalls in einem Kernkraftwerk mit (drohender) Freisetzung von Radioaktivität sollten die Bürgerinnen und Bürger des Landes ihr (Lokal-)Radio einschalten und den auch darüber verbreiteten Anweisungen der Katastrophenschutzbehörde Folge leisten. Viele Katastrophenschutzbehörden beschreiben die an unterschiedlichen Planungszonen ausgerichteten Schutzmaßnahmen in Informationsbroschüren für ihre Bevölkerung. Beispielhaft wird auf die in enger Abstimmung mit meinem Haus entwickelte Bürgerinformation der grenznahen Region zu Belgien (Stadt Aachen, Städteregion Aachen, Kreis Düren, Kreis Euskirchen und Kreis Heinsberg) verwiesen, welche teilweise - wie in der Städteregion Aachen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10556 4 - durch Informationsfilme visuell noch unterstützt werden (https://www.staedteregionaachen .de/de/navigation/staedteregion/tihange-abschalten/infomationen-fuer-diebevoelkerung -in-der-umgebung-von-tihange/ ). Im Strahlenschutzgesetz ist festgelegt, dass bei einem Unfall in einer kerntechnischen Anlage im benachbarten Ausland mit (möglichen) Auswirkungen auf die Bundesrepublik Deutschland neben den ggf. notwendigen Maßnahmen des Katastrophenschutzes der Länder die betroffene Bevölkerung vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit unverzüglich über angemessene Verhaltensempfehlungen unterrichtet wird. Zu diesen Empfehlungen können u.a. eine Beschränkung des Verzehrs bestimmter möglicherweise kontaminierter Nahrungsmittel und von möglicherweise kontaminiertem Wasser, einfache Hygiene- und Dekontaminationsregeln sowie Empfehlungen zum Verbleib im Haus gehören.