LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/1058 02.11.2017 Datum des Originals: 30.10.2017/Ausgegeben: 06.11.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 366 vom 28. September 2017 des Abgeordneten Mehrdad Mostofizadeh und Josefine Paul BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/781 Selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung für Menschen mit Hilfebedarf sichern – SGB XII- Unterstützungsleistungen für Personen in Pflegegrad 1 weiterhin sicherstellen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Mit dem Inkrafttreten des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) wurden die bislang vorgesehene Einteilung in drei Pflegestufen durch die Einteilung in fünf Pflegegrade ersetzt. Mit der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs sollen die Leistungen sich stärker an den Bedürfnissen jedes einzelnen Menschen, seiner individuellen Lebenssituation und an seinen individuellen Beeinträchtigungen und Fähigkeiten orientieren. Von der Neuausrichtung sollen insbesondere Menschen mit Einschränkungen bei der Bewältigung des Alltags wie bspw. auch Menschen mit Demenz profitieren. Bis zur Gesetzesänderung sind Menschen, die mit den bisherigen Kriterien der Pflegeversicherung nur schwer oder gar nicht erfasst werden konnten, aber dennoch einen Unterstützungsbedarf hatten, in die sogenannte Pflegestufe 0 eingestuft worden. Diesen Personen ist bislang „Hilfe zur Pflege“ gewährt worden. Mit der Neuregelung ab 01.01.2017 haben Personen die nicht mindestens in den Pflegegrad 2 eingestuft worden sind, sondern nur mit einer Einstufung in den Pflegegrad 1 oder keinen Pflegegrad haben keinen oder lediglich noch einen geringfügigen Anspruch auf Leistungen der „Hilfe zur Pflege“. Aufgrund der gesetzlichen Änderungen wurde für viele Leistungsbezieherinnen und Leistungsbezieher eine Neubegutachtung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) vorgenommen. In einer Reihe von Fällen hat der MDK im Rahmen der Neubegutachtung für die betroffenen Personen nur eine Einstufung in den Pflegegrad 1 vorgenommen. Dies führt dazu, dass diese Personen nun eine wesentlich geringere Leistung erhalten als zuvor, da die Leistungen nach der Neuregelung für den Pflegegrad 1 nun 125 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1058 2 Euro (Sachleistung) beträgt, während die Leistungen zuvor über die Hilfe zur Pflege etwa 300 Euro betragen haben. Gerade für Personen die mehrmals wöchentlich auf eine Unterstützung angewiesen sind, übersteigen vielerorts die Kosten die Summe aus den Leistungsgewährungen zunehmend. Die Betroffenen müssen selbst die Differenz aufbringen oder können sich eine entsprechend notwendige Unterstützung bei den alltäglichen Verrichtungen oft nicht mehr leisten. Der Landkreistag NRW hat seinerseits hierzu bereits Empfehlungen zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII für Personen mit einer Einstufung unterhalb von Pflegegrad 2 an die örtlichen Sozialhilfeträger herausgegeben. Demnach kann der Wegfall der Leistung „Hilfe zur Pflege“ kompensiert werden durch eine Gewährung von Leistungen bei hauswirtschaftlichen Bedarfen. Hierbei handelt es sich allerdings um Leistungen, die i.d.R. nur vorübergehend, nicht aber dauerhaft gewährt werden. Wenn durch die Leistungen allerdings die Unterbringung in einer stationären Einrichtung vermieden oder aufgeschoben werden kann, kann diese Leistung gemäß § 70 Abs.1,2 SGB XII auch längerfristig, also nicht nur vorübergehend gewährt werden. Diese Kann-Regelung ermöglicht eine Leistungsgewährung im Sinne der betroffenen Menschen, macht aber auch deutlich, dass dies im Ermessen der örtlichen Sozialhilfeträger liegt, diesen Spielraum zu nutzen. Grundsätzlich macht dieser Sachverhalt deutlich, dass es hier eine gesetzliche Lücke gibt, die im Gegensatz zum Anspruch der Neuregelungen nach dem PSG II zu einer Verschlechterung der Leistungen gerade für Menschen mit einer eingeschränkten Alltagskompetenz führt. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 366 mit Schreiben vom 30. Oktober 2017 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Teilt die Landesregierung die Einschätzung, dass die oftmals positiven Neuregelungen des PSG II bei dem in der Vorbemerkung beschriebenen Personenkreis eine korrekturbedürftige Regelungslücke hinterlässt? Nein, die Landesregierung teilt diese Einschätzung nicht. Nachdem durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) im Recht der sozialen Pflegeversicherung nach dem Sozialgesetzbuch - Elftes Buch (SGB XI) der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff mit der Einteilung in Pflegegrade eingeführt worden ist, wurde dieser Schritt mit dem Dritten Pflegestärkungsgesetz (PSG III) auch in der Hilfeart „Hilfe zur Pflege“ in der Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) mit Wirkung zum 1. Januar 2017 vollzogen. Der leistungsberechtigte Personenkreis und die Pflegeleistungen in den beiden Leistungssystemen SGB XI und SGB XII sind damit weitest-gehend angeglichen worden. Es ist zwar richtig, dass Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 durch die Angleichung an das SGB XI nur einen eingeschränkten Zugang zu den Pflegeleistungen der Sozialhilfe besitzen. Ihnen stehen nämlich nur die Leistungen der Regelungen der §§ 64d (Pflegehilfsmittel), 64e (Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes) und 66 (Entlastungsbetrag) SGB XII offen. Sofern im Einzelfall jedoch ein über die nach den Bestimmungen der Hilfe zur Pflege zu erbringenden Leistungen hinausgehender weiterer sozialhilferechtlicher Bedarf festgestellt LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1058 3 wird, kann dieser nach dem Willen des Bundesgesetzgebers aus anderen Kapiteln des SGB XII gedeckt werden. Bei hauswirtschaftlichen Bedarfen kommen dabei insbesondere sowohl Leistungen der Grundsicherung, der Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Hilfe in anderen Lebenslagen in Betracht. Dabei handelt es sich nach dem neuen Recht nicht um einen pflegerischen, sondern dann um einen weiteren sozialhilferechtlichen Bedarf (vgl. Drittes Pflegestärkungs-gesetz – PSG III - BR-Drucksache 410/16, Seite 87: „Aufgrund der nur geringen Ausprägung der Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten erhalten Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 nur eingeschränkte Leistungen … der Hilfe zur Pflege, die dazu beitragen sollen, den Verbleib in der häuslichen Umgebung auch für Pflegebedürftige sicherzustellen… Mit diesen Leistungen wird der notwendige pflegerische Bedarf … umfassend abgedeckt. Darüber hinaus haben Pflegebedürftige des Pflegegrades 1 daher keinen Anspruch auf weitere Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege. Unberührt bleiben Leistungen nach anderen Vorschriften des SGB XII wie z. B. Hilfe zur Weiterführung des Haushalts nach § 70, die auch Pflegebedürftigen des Pflegegrades 1 gewährt werden können, ebenso wie beispielsweise Hilfe zum Lebensunterhalt.“) Die Landesregierung hat darüber hinaus bereits im Gesetzgebungsverfahren zum PSG III über den Bundesrat die Aufnahme einer Über-gangsregelung erreicht, mit der die Bestandsfälle durch das neue Leistungsrecht nicht schlechter gestellt werden (vgl. § 138 SGB XII). 2. Gibt es neben den Empfehlungen des Landkreistages NRW vom 01.08.2017 „zur Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII für Personen mit einer Einstufung unterhalb von Pflegegrad 2“ weitere Empfehlungen kommunaler Spitzenverbände ? Der Landesregierung liegen hierzu keine Erkenntnisse vor. 3. In welchen Gebietskörperschaften (Kommunen und Kreisen) finden diese Empfehlungen Anwendung? (Bitte nach Inhalt und Zuständigkeit aufschlüsseln). Adressaten der Empfehlungen des Landkreistags Nordrhein-Westfalen sind in erster Linie die nordrhein-westfälischen Landkreise, die die Aufgabe nach dem Sozialhilferecht grundsätzlich als kommunale Selbst-verwaltungsaufgabe wahrnehmen und denen diese Empfehlungen als Entscheidungshilfe dienen sollen. Weitere Erkenntnisse liegen der Landesregierung nicht vor. 4. Plant die Landesregierung zur Klärung dieser Situation im Sinne der betroffenen Menschen vergleichbare Empfehlungen an die Sozialhilfeträger abzugeben oder andere Schritte einzuleiten? Es wird zunächst auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Die Konferenz der Obersten Landessozialbehörden (KOLS) hat auf Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen frühzeitig die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zu den Auswirkungen der Pflegestärkungsgesetze II und III beschlossen, die sich auch mit den Umsetzungsproblemen bei Einführung des neuen Leistungsrechts beschäftigt. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1058 4 Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein-Westfalen hat zusammen mit anderen Ländern und mit dem zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales in dieser Arbeitsgruppe zu der in der Kleinen Anfrage enthaltenen Problematik ebenfalls Handlungsempfehlungen erarbeitet, die die Konferenz der Obersten Landessozialbehörden in ihrer Herbstsitzung am 21./22. September 2017 einvernehmlich beschlossen hat. Mittlerweile sind die Handlungsempfehlungen allen Trägern der Sozial-hilfe in Nordrhein- Westfalen zur Verfügung gestellt worden. Die Hand-lungsempfehlungen der Konferenz der Obersten Landessozialbehörden sind mit den Empfehlungen des Landkreistags inhaltlich vergleichbar. 5. Gibt es Initiativen der Landesregierung die Regelungen im SGB XII auf Bundesebene nochmals anzupassen, um eine Schlechterstellung des in der Vorbemerkung beschriebenen Perso-nenkreises künftig zu vermeiden? Es wird auf die Antworten zu den Fragen 1 und 4 verwiesen.