LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10671 18.08.2020 Datum des Originals: 18.08.2020/Ausgegeben: 24.08.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4103 vom 21. Juli 2020 des Abgeordneten Stefan Kämmerling SPD Drucksache 17/10282 Nordrhein-Westfalens Kommunalpolitiker als Opfer von Gewalt und Drohungen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Medienberichten zufolge, finden sich auf den Namens- und Adresslisten unterschiedlicher rechtsextremer Gruppierungen auch mehrere kommunalpolitisch Aktive. Manche kommunalpolitisch Aktiven stehen seit Jahren im Visier von rechtsextremen Gruppierungen und erhalten regelmäßig einschüchternde Post oder Nachrichten. Die Einschüchterungen verfehlen dabei häufig ihre Wirkung nicht. Menschen sehen sich für ihr ehrenamtliches Engagement angefeindet und bedroht. Nicht jeder kommunalpolitische aktive Mensch kann der Einschüchterung dauerhaft standhalten. Menschen ziehen sich aus Angst um sich und ihre Familie aus dem Engagement zurück. Dadurch haben die Straftäter eines ihrer Ziele erreicht. Betroffene klagen häufig über nicht ausreichende Unterstützung oder Beratung durch staatliche Institutionen. Menschen, die sich in ihrer Freizeit für den Staat und sein Funktionieren engagieren, brauchen die größtmögliche Unterstützung ebendieses Staates. Im Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität (KPMD-PMK) werden Straftaten gegen Amts-/Mandatsträger seit dem 1. Januar 2016 bundesweit einheitlich erfasst. Angesichts der Möglichkeit der anonymen Begehungsweise von Bedrohungen oder Beleidigungen, insbesondere auch in sozialen Netzwerken, ist von einer großen Anzahl nicht angezeigter Delikte auszugehen. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4103 mit Schreiben vom 18. August 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung sowie dem Minister der Justiz beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10671 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität" (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“. Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie • den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten; • sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben; • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; • gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105- 108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann. Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet. Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK). 1. Wie haben sich die Gewaltdelikte und Bedrohungen zum Nachteil von kommunalpolitisch Aktiven seit September 2019 bis heute entwickelt? (Bitte nach Jahr, Delikt, Kommune und Geschlecht aufschlüsseln) 2. Wie haben sich die Beleidigungen zum Nachteil von kommunalpolitisch Aktiven seit September 2019 bis heute entwickelt? (Bitte nach Jahr, Kommune und Geschlecht aufschlüsseln) Die Fragen 1 und 2 werden gemeinsam beantwortet. Unter den Begriff „kommunalpolitisch Aktive“ fallen sowohl kommunale Mandatsträger als auch politische Amtsträger. Die Beantwortung der Fragen erfolgt daher auf Grundlage der im KPMD-PMK erfassten Straftaten gegen Amts-/Mandatsträger der Kommune. Im KPMD-PMK werden nur Straftaten statistisch erfasst, wenn der Tatort in Nordrhein-Westfalen liegt. Versendet beispielsweise ein Tatverdächtiger eine strafbare E-Mail aus einem anderen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10671 3 Bundesland an einen in Nordrhein-Westfalen ansässigen kommunalen Amtsträger, wird diese Straftat statistisch in dem anderen Bundesland erfasst. Statistisch wird als Zähldelikt die Straftat mit der höchsten Strafandrohung erfasst. Bei tateinheitlicher Begehungsweise stehen die Bedrohungs- bzw. Beleidigungsdelikte aufgrund geringerer Strafandrohung jeweils hinter den anderen Delikten zurück. Die Auswertung der Straftaten wurde daher nicht auf die Gewalt-, Bedrohungs- oder Beleidigungsdelikte beschränkt. Eine valide Aufschlüsselung in „Kommune“ und „Geschlecht“ ist nicht möglich, da hierzu nur vereinzelt Informationen vorliegen. Angaben zur Kommune werden im KPMD-PMK nicht gespeichert. Angaben zum Geschlecht werden nur dann gespeichert, wenn der oder die Geschädigte bei der Straftat tatsächlich körperlich verletzt wurde. Im betrachteten Zeitraum ab September 2019 lag dies in keinem Fall vor. Für den Tatzeitraum 01.09.2019 bis 27.07.2020 sind 35 Straftaten gegen kommunale Mandatsträger und politische Amtsträger einer Kommune statistisch erfasst worden. Von den 35 Straftaten entfallen 18 auf den Phänomenbereich PMK-rechts, zwölf Straftaten auf den Phänomenbereich PMK-nicht zuzuordnen und fünf Straftaten auf den Phänomenbereich PMK-links. Nähere Informationen bitte ich der nachfolgenden Tabelle zu entnehmen. Tatjahr Zähldelikt Tatort Phänomenbereich 2019 § 185 StGB Gelsenkirchen PMK-nicht zuzuordnen 2019 § 185 StGB Remscheid PMK-links 2019 § 186 StGB Kreuztal PMK-nicht zuzuordnen 2019 § 187 StGB Neunkirchen PMK-nicht zuzuordnen 2019 § 185 StGB Espelkamp PMK-links 2019 § 185 StGB Hövelhof PMK-rechts 2019 § 130 StGB Datteln PMK-rechts 2019 § 188 StGB Hagen PMK-nicht zuzuordnen 2019 § 241 StGB Attendorn PMK-rechts 2019 § 126 StGB Bielefeld PMK-rechts 2020 § 86a StGB Gütersloh PMK-rechts 2020 § 241 StGB Zülpich PMK-rechts 2020 § 241 StGB Werl PMK-nicht zuzuordnen 2020 § 185 StGB Bottrop PMK-nicht zuzuordnen 2020 § 303 StGB Borgholzhausen PMK-nicht zuzuordnen 2020 § 86a StGB Bielefeld PMK-rechts 2020 Sonstiges Nebengesetz Dortmund PMK-rechts 2020 § 188 StGB Gelsenkirchen PMK-links 2020 § 303 StGB Alpen PMK-nicht zuzuordnen 2020 § 241 StGB Düsseldorf PMK-rechts 2020 § 238 StGB Rietberg PMK-rechts 2020 § 126 StGB Gelsenkirchen PMK-nicht zuzuordnen 2020 § 269 StGB Hagen PMK-nicht zuzuordnen 2020 § 185 StGB Essen PMK-rechts 2020 § 240 StGB Recklinghausen PMK-nicht zuzuordnen 2020 § 185 StGB Monheim PMK-nicht zuzuordnen 2020 § 185 StGB Monheim PMK-rechts LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10671 4 2020 § 185 StGB Düsseldorf PMK-rechts 2020 § 185 StGB Monheim PMK-rechts 2020 § 111 StGB Krefeld PMK-rechts 2020 § 185 StGB Marl PMK-rechts 2020 § 241 StGB Köln PMK-links 2020 § 186 StGB Köln PMK-rechts 2020 § 185 StGB Dormagen PMK-links 2020 § 303 StGB Nachrodt-Wiblingwerde PMK-rechts 3. Wie viele Anklagen hat es in den in Fragen 1 und 2 erfragten Fällen gegeben? (bitte nach Delikten und Datum aufschlüsseln) 4. Wie viele Verurteilungen hat es in den in Fragen 1 und 2 erfragten Fällen gegeben? (bitte nach Delikten und Datum aufschlüsseln) Die Fragen 3 und 4 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Daten hierzu liegen dem Ministerium der Justiz nicht vor und können innerhalb der zur Beantwortung einer Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit sowie mit einem für die Strafrechtspflege vertretbaren Aufwand nicht erhoben und ausgewertet werden. 5. Welche ermittlungstechnischen Schwierigkeiten bei der Verfolgung von entsprechenden Straftaten stellt die Landesregierung fest und wie will sie sie lösen? Ein Großteil der Beleidigungen und Bedrohungen zum Nachteil von Personen des öffentlichen Lebens werden anonym im Internet verfasst. Eine Identifizierung der Täter als Voraussetzung der Verfolgbarkeit einer Straftat wird hier durch unterschiedliche Faktoren erschwert. Bestandsdatenanfragen an Portale wie beispielsweise Facebook oder dem russischen Netzwerk „VK.com“, die ihren Sitz nicht in Deutschland haben, verlaufen, insbesondere bei Straftaten gem. §§ 86a und 130 StGB, erfahrungsgemäß in vielen Fällen negativ, da zum überwiegenden Teil im Ausland keine Strafbarkeit entsprechender Postings vorliegt. Auch die Nutzung von „Fake“-Profilen unter Angabe falscher Personalien durch die Täter erschweren die Ermittlungen, ebenso die Nutzung von Anonymisierungssoftware, die dem bewussten Verschleiern der Identität dient. Die durch den bei Tatbegehung in Anspruch genommenen Telekommunikationsanbieter erfassten Verkehrsdaten wie Rufnummer, SIM-Kartennummer oder Standortdaten werden gemäß der geltenden datenschutzrechtlichen Regelung gelöscht, sobald der ihre Erhebung legitimierende Grund entfällt, zum Beispiel mit Erstellung einer Rechnung. Zum Zeitpunkt der Anfrage der Strafverfolgungsbehörden liegen zumeist keine entsprechenden Daten mehr vor bzw. können erhobene Daten nicht mehr ausreichend verifiziert werden. Eine überregionale Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden ist ein entscheidender Faktor zur Identifizierung von Tatverdächtigen, insbesondere dann, wenn es sich um Seriendelikte handelt und/oder der Täter bereits zuvor polizeilich auffällig geworden ist. Durch Personalzuweisungen wurden die Ermittlungskapazitäten im polizeilichen Staatsschutz deutlich verstärkt. Bereits 2019 wurde der polizeiliche Stellensockel im Bereich Staatsschutz um 20 Planstellen erhöht und entsprechend den Kriminalhauptstellen zugewiesen. In 2020 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10671 5 erfolgt zur Intensivierung der Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/- terrorismus die Zuweisung von 32 weiteren Planstellen für die Kriminalhauptstellen und 30 Planstellen für das Landeskriminalamt. Der Stellensockel für Regierungsbeschäftigte im Bereich Staatsschutz wurde erstmalig im Jahr 2019 auf insgesamt 70 Stellen angehoben, um eine weitere Spezialisierung durch die Einstellung u. a. von Islamwissenschaftlern, Netzwerktechnikern, Psychologen, Betriebswirten für Finanzermittlungen, Recherche- und Erfassungskräften sowie Kräften für administrative Tätigkeiten zu ermöglichen und dadurch gleichzeitig auch eine aufgabenbezogene Entlastung von Polizeivollzugsbeamtinnen und - beamten des Staatsschutzes zu erreichen. Vor dem Hintergrund der Schwerpunktsetzung im Bereich PMK - Rechts erfolgte 2020 die Zuweisung von 15 weiteren Regierungsbeschäftigtenstellen zur Analyse und Früherkennung von Hasskriminalität in den Kriminalinspektionen Staatsschutz. Darüber hinaus wurde 2019 eine Zentrale Ansprechstelle für politische Verantwortungsträger zu polizeilichen Sicherheitsfragen im Ministerium des Innern des Landes Nordrhein- Westfalen/Lagezentrum der Landesregierung eingerichtet. An diese können sich betroffene Amts- und Mandatsträger jederzeit wenden.