LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10675 18.08.2020 Datum des Originals: 18.08.2020/Ausgegeben: 24.08.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3894 vom 24. Juni 2020 der Abgeordneten Eva-Maria Voigt Küppers und Jochen Ott SPD Drucksache 17/9938 Sachstand beim Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In ihrem Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung darauf verständigt, Eltern bis 2025 einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz in der Primarstufe einzuräumen. Obwohl der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet maßgeblich an der Erarbeitung des Koalitionsvertrags auf Bundesebene beteiligt war, steht seine Kabinettskollegin, Schulministerin Yvonne Gebauer, dem Vorhaben bislang skeptisch gegenüber. Den Vorschlag, die Eckpunkte für einen Rechtsanspruch mittels eines OGS-Gipfels auf Landesebene auszuloten (LT-Drs. 17/2164), hat der Landtag mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD abgelehnt. Stattdessen kritisierten die NRW-Koalitionäre mehrfach Bundesministerin Giffey, selbst kein Konzept vorzulegen. Bei einer Bund-Länder-Konferenz Mitte Juni 2020 wurde das Thema Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz erneut beraten. Bundesfamilienministerin Giffey hat zwischenzeitlich zugesagt, sich neben der einmaligen Investitionssumme von 2 Milliarden Euro auch an den Betriebskosten zu beteiligen.1 Noch weiter geht Bundesbildungsministerin Karliczek, die sich vorstellen kann, die Investitionssumme zu verdoppeln.2 Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 3894 mit Schreiben vom 18. August 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister der Finanzen und der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung beantwortet. 1 https://www.fr.de/politik/coronavirus-merkel-deutschland-lockerungen-regierungserklaerung-schulengrossveranstaltungen -fussball-berlin-zr-13800704.html 2 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2020-05/bildungsministerin-anja-karliczek-ganztagesangebotgrundschulen -ausbau LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10675 2 Vorbemerkung der Landesregierung Aktuell werden (Schuljahr 201 9/2020) in Nordrhein-Westfalen 69 Prozent aller Grundschulkinder in institutioneller Betreuung (Ganztagsschule, Übermittagsbetreuung o.ä.) betreut, knapp 50 Prozent im Offenen Ganztag (OGS). Dort stehen im Schuljahr 2019/2020 rund 323.100 Plätze zur Verfügung. In Nordrhein-Westfalen obliegt die konkrete Ausgestaltung der Ganztagsangebote den Kommunen. Das Land fördert die OGS allein im Haushalt 2020 mit rund 564 Millionen Euro, kommunale Mittel und Elternbeiträge sind hierbei noch nicht berücksichtigt. Im Vergleich zu 2017 sind das rund 110 Millionen Euro mehr. Auch die Platzzahlen wurden kontinuierlich gesteigert, im Haushalt 2020 gibt es für das Schuljahr 2020/2021 einen erneuten Aufwuchs auf fast 330.000 Plätze. Das sind über 22.000 Plätze mehr als 2017. Im Schuljahr 2017/2018 waren es 307.600 Plätze. Eine konkrete Bedarfsermittlung für Nordrhein-Westfalen, beauftragt vom Ministerium für Schule und Bildung und vom Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, ist aktuell noch in Arbeit. Über die Frage der Finanzierung der nötigen Investitionen zur Schaffung der nach bundesseitigem Vorschlag bei einem etwaigen Rechtsanspruch benötigten neuen Plätze sowie über die auskömmliche Beteiligung an Betriebskosten der zusätzlichen Plätze fanden sowohl im letzten Jahr als auch in den vergangenen Monaten intensive Gespräche, auch mit dem Bund und anderen Ländern, u.a. auch auf Staatssekretärs-Ebene, statt. Allerdings fehlen weiterhin wesentliche Festlegungen: - weitergehende Beteiligung des Bundes an den Investitionskosten - dauerhafte und auskömmliche Beteiligung des Bundes an den Betriebskosten - Regelungen, wie die in Aussicht gestellten Mittel zur Verfügung gestellt werden - Ausgestaltung eines etwaigen Rechtsanspruchs Für Nordrhein-Westfalen geht das Deutsche Jugendinstitut (DJI) bis 2025 von rund 259.000 neu zu schaffenden OGS-Plätzen aus (insgesamt dann 551 .000 Plätze). Hinzu kommt, dass das DJI bis 2025 bundesweite Investitionskosten i.H.v. 7,5 Mrd. Euro annimmt. Länder und Kommunen verfügen derzeit nicht über belastbares Zahlenmaterial zu möglichen Investitionskosten. Vorliegende NRW-interne Schätzungen (analog Kita-Ausbau) prognostizieren einmalige Investitionskosten von rund 4,4 Mrd. Euro für eine 80prozentige Bedarfsdeckung mit OGS-Plätzen. Die für alle Länder insgesamt bisher vom Bund zum Ausbau des Ganztagsangebotes in Rede stehenden 3,5 Mrd. Euro würden also die geschätzten Kosten der Länder nicht ansatzweise decken. Auf die kommunalen Probleme (Grundstücksmangel und -preise insbesondere in Ballungsräumen, fehlende Planungskapazitäten) wurde in den vergangenen Gesprächen auch von den Kommunalen Spitzenverbänden mehrfach hingewiesen. Hinzu kommt, dass allein in Nordrhein-Westfalen mit mindestens 1 Mrd. Euro Betriebskosten durch den Platzaufwuchs zu rechnen ist, die in den Folgejahren kontinuierlich weiter ansteigen werden. Grundsätzlich unberücksichtigt sind hierbei noch die durch die Corona-Pandemie völlig veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit ihren kurz- und mittelfristigen Auswirkungen auf die kommunalen Haushalte, die durch erhebliche Mehraufwendungen und Mindererträge gekennzeichnet sind. Insofern sieht die Landesregierung die Bundesregierung in der Verantwortung, neben ihren Planungen für eine gesetzliche Verankerung des Rechtsanspruchs eine dauerhaft auskömmliche finanzielle Planung für Betriebs- und Investitionskosten vorzulegen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10675 3 1. Wie viele Verhandlungsrunden haben bislang zwischen Bund und Ländern dazu stattgefunden? (bitte auflisten unter Nennung des jeweiligen Datums sowie der teilnehmenden NRW-Kabinettsmitglieder) Über die in der Vorbemerkung erwähnten Gespräche hinaus hat der Bund bisher keine Mitglieder der nordrhein-westfälischen Landesregierung zu Verhandlungsrunden eingeladen. 2. Welche Position nimmt die NRW-Landesregierung grundsätzlich beim Thema ,,Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz" ein? Die Nordrhein-Westfalen-Koalition hat in ihrem Koalitionsvertrag zum Ausdruck gebracht, dass sie einen Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz ermöglichen will, sofern sich der Bund daran (finanziell) beteiligt. Für die Landesregierung ist vor Einführung eines Rechtsanspruchs die Zusage des Bundes hinsichtlich einer auskömmlichen Finanzierung der lnvestitions- und Betriebsaufwendungen unabdingbar. 3. Für welchen Stundenumfang soll der Rechtsanspruch nach Sicht der NRW- Landesregierung gelten? Die Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern über die etwaige Einführung eines Rechtsanspruches auf Ganztagsbetreuung sind derzeit nicht abgeschlossen. Aus Sicht der Landesregierung könnte eine achtstündige Betreuung an fünf Tagen in der Woche in Betracht kommen. 4. Mit welchen Kosten rechnet das Land zur Umsetzung eines Rechtsanspruchs? (bitte nach Möglichkeit Investitionskosten und laufende Kosten getrennt aufführen) Auf die Vorbemerkung der Landesregierung wird verwiesen. 5. Wann wird das Land einen Fahrplan zur Sicherstellung des Rechtsanspruchs vorlegen und damit den Kommunen Planungssicherheit geben? Sofern die Verhandlungen zwischen dem Bund und den Ländern erfolgreich abgeschlossen und sämtliche Finanzierungsfragen im Sinne der Länder geklärt werden können, wird die Landesregierung schnellstmöglich Gespräche zur Umsetzung eines Rechtsanspruches mit den Kommunen und den Trägern des Ganztages aufnehmen. Die Kommunalen Spitzenverbände waren bereits bei den vergangenen Bund-Länder-Gesprächen auf Arbeitsebene eingebunden.