LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10719 21.08.2020 Datum des Originals: 21.08.2020/Ausgegeben: 27.08.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4109 vom 16. Juli 2020 des Abgeordneten Stefan Kämmerling SPD Drucksache 17/10288 Heinsberg, Gütersloh – wie geht es weiter? Ist das Landeszentrum für Gesundheit reine Weiterleitungsbehörde? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Corona-Pandemie hat harte Einschnitte für alle mit sich gebracht. Nach dem nahezu vollständigen Shutdown in NRW ist inzwischen jedoch wieder eine gewisse Normalität eingekehrt. Das Virus scheint beherrschbar und das Risiko öfter auf die leichte Schulter genommen zu werden. Wie fragil die Lage jedoch wirklich ist und wie real die Gefahr weiterhin ist – auch wenn wir sie nicht sehen können – zeigt die aktuelle Entwicklung rund um den explosionsartigen Covid-19 Ausbruch im Kreis Gütersloh, hervorgerufen durch den Infektionsherd beim Fleischproduzenten TÖNNIES. Am 19.06.2020 erschien ein Buch eines Teams des Recherchezentrums CORRECTIV aus Medizinern, Wissenschaftlern und Reportern mit dem Titel „Corona – Geschichte eines angekündigten Sterbens“, in dem unter anderem beschrieben wird, wie das Land NRW auf interne Warnungen nicht reagierte. In einem dazu erschienen Artikel, der Bezug auf das Buch nimmt, wird unter mehrfachem Hinweis auf interne Papiere und E-Mail-Verläufe ein dramatisches Bild über das Krisenmanagement in Pandemiezeiten gezeichnet.1 Die aktuelle Verbreitung des Corona-Virus im Kreis Gütersloh zeigt, dass die Kommunen und Kreise bei der Bewältigung des Infektionsgeschehens völlig allein gelassen sind. Ein Arbeitspapier für das Gesundheitsministerium habe laut der CORRECTIV Berichterstattung schon im Jahre 2015 die bei den Kreisen und Bezirksregierungen liegende Aufgabe der Bewältigung von pandemischen Lagen als unzureichend angesehen. 1 https://correctiv.org/aktuelles/gesundheit/2020/06/26/erst-heinsberg-jetzt-toennies-im-kreisguetersloh -nrw-laesst-kommunen-allein/ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10719 2 Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 4109 mit Schreiben vom 21. August 2020 namens der Landesregierung im Eivernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet. 1. Wie CORRECTIV berichtet, liegen der Redaktion interne E-Mails von Empfängern von Nachrichten des LZG vom 16.03.2020 mit der Beschreibung „aktuelle Information zur Krankheit Coronavirus Disease-19 (COVID-19)“ vor. Empfänger dieser LZG-Benachrichtigung kritisierten gemäß CORRECTIV, dass das „bloße Weiterleiten von RKI-Dokumenten ist in dieser Situation nicht zielführend“ sei und forderten das LZG auf, „seiner Steuerungsfunktion“ nachzukommen. Welche Erkenntnisse über Kritiken aus Kommunen oder Kreisen am Umgang des LZG mit der Corona-Krise hat die Landesregierung? In der Bewältigung eines hochkomplexen Pandemiegeschehens bleiben kritische Stimmen zum behördlichen Handeln nicht aus. Das ist übrigens begrüßenswert. Dabei steht das LZG in qualitativer und quantitativer Hinsicht nicht auffällig im Fokus. Siehe dazu auch die Antwort auf Frage 4. 2. In der CORRECTIV-Berichterstattung heißt es weiter: „So wirksam ist die bisher geleistete Unterstützung nicht, denn die zuständige Bezirksregierung schickte, wie es aus Kreisen der kommunalen Gesundheitsbehörden gegenüber CORRECTIV heißt, einen verzweifelten Hilferuf an die anderen Kommunen in NRW mit der Bitte um Amtshilfe.“ Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über diesen „Hilferuf“ der Bezirksregierung an Kommunen in NRW? Gemäß § 4 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) sind die Behörden in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich gegenseitig zur Amtshilfe verpflichtet. Insbesondere kann eine Behörde um Amtshilfe gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG dann ersuchen, wenn ihr aus tatsächlichen Gründen die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte fehlen. Es ist daher ein übliches Verfahren, dass Behörden in einer außergewöhnlichen Belastungssituation durch andere Behörden personell unterstützt werden. Die Infektionslage im Kreis Gütersloh, die ihren Ausgang bei der Firma Tönnies hatte, war eine solche außergewöhnliche Belastungssituation. Es ist sachgerecht und üblich, wenn die zuständige Bezirksregierung als Aufsichtsbehörde die Koordinierung der Amtshilfe zwischen den Unteren Gesundheitsbehörden übernimmt. 3. Laut CORRECTIV-Berichterstattung wusste Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, dass das Land NRW für den Fall einer Pandemie nicht gewappnet war. Warum hat der Gesundheitsminister, trotz hinreichender Vorschläge, keine zentrale Koordinierung des Infektionsschutzes mit steuernder Funktion umgesetzt? Das Zusammenwirken von Landes- und kommunaler Ebene hat sich in der Bewältigung der Herausforderungen der SARS-CoV-2-Epidemie bewährt. Der bisherige beherrschbare Verlauf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10719 3 der Pandemie in Nordrhein-Westfalen ist dem guten Zusammenwirken der Behörden auf allen Ebenen, einschließlich dem LZG, zu verdanken. 4. Laut der Berichterstattung von CORRECTIV scheint die bisher aus dem LZG heraus erbrachte „Beratungsfunktion“ – so nur beispielsweise das bloße Weiterleiten von RKI-Informationen – wenig hilfreich für die Bewältigung der Krise in den Kreisen gewesen zu sein. Mit welchem personellen und finanziellen Aufwand wird das LZG jährlich betrieben? Die der Berichterstattung von CORRECTIV zugeschriebene Bewertung deckt sich nicht mit der Einschätzung der Landesregierung. Das LZG leistet umfassende Hilfe in der Bewältigung der Pandemie, namentlich durch die Aufbereitung und Zurverfügungstellung umfassenden Datenmaterials zum Monitoring, durch die Erstellung von Sonderauswertungen und Berichten zu lokalen Ausbruchsgeschehen, durch Beratung zu Fragen des Infektionsschutzes sowie durch fachliche und personelle Unterstützung, soweit diese leistbar ist. Im Übrigen wird auf die Antwort auf Frage 1 verwiesen. Im Haushaltsplan 2020 sind für das LZG.NRW insgesamt 16,6 Mio. € sowie 62 Planstellen und 94 Stellen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer veranschlagt. Das Aufgabenspektrum des LZG.NRW geht weit über den Bereich des Infektionsschutzes hinaus. Das LZG übt u.a. die Aufgaben einer fachlichen Leitstelle und der Zentralen Stelle für das Meldeverfahren über die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen gemäß § 27 ÖGDG NRW, der Zentralstelle für die Überwachung von Infektionskrankheiten gemäß § 11 IfSG und der Arzneimitteluntersuchungsstelle des Landes NRW gemäß § 9 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Arzneimittelgesetzes (AMGVwV) aus. Das LZG befasst sich in diesem Zusammenhang vor allem mit Fragen der Epidemiologie, Prävention und Gesundheitsförderung (u.a. als „Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit/KGC), der Bekämpfung übertragbarer Krankheiten, der Hygiene, Arzneimittelsicherheit und Sozialpharmazie, Gesundheitsbericht-erstattung und gesundheitsbezogener Analysen. Seit 2019 ist das LZG darüber hinaus zuständige Stelle für die Durchführung des Landarztgesetzes Nordrhein-Westfalen gemäß § 3 Landarztverordnung. Das LZG ist des Weiteren beauftragt mit der Entwicklung neuer Versorgungsstrukturen sowie der Förderung der nordrhein-westfälischen Gesundheitswirtschaft und übernimmt Beratungs- und Unterstützungsleistungen auch für pflegepolitische Aufgaben des Ministeriums. 5. Der Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 3839 ist zu entnehmen, dass es drei Meldungen von Engpässen beim Personal für die Kontaktnachverfolgung bei kommunalen Gesundheitsämtern gegeben habe, die durch interne Umschichtungen gedeckt werden konnten. Musste jemals auch auf die Möglichkeit der Entsendung freiwilliger Landesbediensteter oder Amtshilfeersuchen, z.B. durch die Bundeswehr, zurückgegriffen werden? (Bitte nach Zeitraum, Ort und Inhalt aufschlüsseln) Im Rahmen von Abordnungen oder Amtshilfeersuchen nach Art. 35 Abs. 1 GG waren in folgenden kommunalen Gesundheitsämtern freiwillige Landesbedienstete im Bereich der Kontaktnachverfolgung eingesetzt (Update der Angaben von der BR Detmold vom 29.07.2020 und von der BR Münster vom 30.07.2020): LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10719 4 Stadt/ Kreis Zeitraum Umfang Kreis Gütersloh 20.06.2020 - 19.07.2020 20 Beschäftigte der BR Detmold 20.07.2020 - 31.08.2020 12 Beschäftigte der BR Detmold sind bis zum angegebenen Datum voraussichtlich noch im Einsatz. Kreis Recklinghausen 02.06.2020 - 05.06.2020 1 Beschäftigte der RPA Münster 1 Beschäftigter der StA Kleve (Zwischenstelle Moers) 1 Beschäftigte des Kreises RE (Beschäftigungsbehörde) Alle drei Personen waren in der KW 23 lediglich zur Einarbeitung im Kreis Recklinghausen eingesetzt und sind danach in ihre Heimatbehörden zurückgekehrt. Sollte ein erneutes, nicht mit der vorhandenen Personaldichte beherrschbares Infektionsgeschehen im Kreis Recklinghausen aufkommen, ist geplant, diese Beschäftigten erneut abzuordnen. Amtshilfe der Bundeswehr in der Kontaktnachverfolgung Nach Rücksprache mit dem Bezirksverbindungskommando Detmold liegen der BR Detmold keine Informationen über einen Einsatz von Personal der Bundeswehr zur Kontaktnachverfolgung im Innendienst im Kreis Gütersloh vor. Im Rahmen von Amtshilfeersuchen nach Art. 35 Abs. 1 GG waren in folgenden kommunalen Gesundheitsämtern Soldaten/-innen der Bundeswehr im Bereich der Kontaktnachverfolgung eingesetzt (Stand 28.07.2020): Stadt/Kreis Zeitraum Umfang Städteregion Aachen 06.04.2020 - 13.04.2020 3 Soldaten-/innen 14.04.2020 - 15.05.2020 2 Soldaten-/innen Kreis Lippe 07.04.2020 - 30.04.2020 3 Soldaten-/innen Kreis Warendorf 20.06.2020 - 30.06.2020 3 Soldaten-/innen Kreis Wesel 29.06.2020 - 03.07.2020 3 Soldaten-/innen Seit dem 04.07.2020 sind keine Soldatinnen oder Soldaten mehr im kommunalen Einsatz für die Kontaktnachverfolgung.