LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10790 28.08.2020 Datum des Originals: 28.08.2020/Ausgegeben: 03.09.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4213 vom 11. August 2020 des Abgeordneten Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/10530 Welche Lehre zieht die Landesregierung aus den Untersuchungen über Pflanzenschutzmitteln im niederländischen Naturschutzgebiet Drente? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In einer niederländischen Studie1 wurde kürzlich das Vorkommen von Pestiziden in Naturschutzgebieten untersucht. Dabei sollte auch eine mögliche Abnahme der nachgewiesenen Pflanzenschutzmittel bei zunehmender Entfernung von landwirtschaftlich genutzten Flächen untersucht werden. Dazu wurden vier Natura 2000-Gebiete in Drenthe an siebzehn verschiedenen Stellen beprobt und zwar vom Rand bis hin zum Zentrum des Naturschutzgebiets. In allen genommenen Vegetationsproben wurden Pestizide festgestellt. Die meisten in Naturschutzgebieten vorkommenden Substanzen sind als Pestizide oder Biozide auf dem Markt. Doch es wurden auch Substanzen festgestellt, die nicht als Pflanzenschutzmittel zugelassen sind. Im Durchschnitt wurden in den untersuchten Naturschutzgebieten 2 bis 15 verschiedene Substanzen pro Probenpunkt gefunden. Zusätzlich wurden in allen untersuchten Naturgebieten Insektizide gefunden, die wahrscheinlich negative Auswirkungen auf die Insektenfauna haben. Laut den Angaben der Forscherinnen und Forscher unterscheiden sich die hier festgestellten Konzentrationen kaum voneinander. In keinem der untersuchten Naturschutzgebiete hat das Auftreten von Pestiziden in der Vegetation mit zunehmender Entfernung zu den landwirtschaftlichen Feldern abgenommen. Unter den nachgewiesenen Pestiziden befanden sich fast ausschließlich Substanzen wieder, die leicht verdampfen oder sublimieren und sich somit in der Landschaft und damit auch in Naturschutzgebieten ausbreiten konnten. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass die bestehenden Abstandsregelungen von landwirtschaftlichen Flächen zu Naturschutzgebieten offenkundig nicht ausreichen, um einen ausreichenden Schutz dieser Gebiete vor unerwünschten Pestizideinträgen sicherzustellen. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4213 mit Schreiben vom 28. August 2020 namens der Landesregierung beantwortet. 1 Mantingh Environment and Pesticides „Onderzoek naar de aanwezigheid van bestrijdingsmiddelen in vier Natura 2000 gebieden in Drenthe en de mogelijke invloed van de afstand van natuurgebieden tot landbouwgebieden op de belasting met bestrijdingsmiddelen“ LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10790 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die genannte Studie betrachtet nicht ausschließlich das Vorkommen von Pflanzenschutzmitteln in vier niederländischen Naturschutzgebieten. Es wurde ein hohe Zahl chemischer Substanzen untersucht, die verschiedenste Anwendungsgebiete haben, u.a. auch als Pflanzenschutzmittel. Von den 28 gefundenen Substanzen besitzen oder besaßen 15 Substanzen eine Zulassung als Pflanzenschutzmittel, bei 13 der gefundenen Substanzen handelt es sich um Chemikalien, die in außerlandwirtschaftlichen Bereichen, z.B. im Vorratsoder Materialschutz, in der Tiermedizin, als Insektenschutz oder Repellent für den Privatgebrauch eingesetzt werden. Detektiert wurden auch Substanzen, die nicht mehr in der EU, den Niederlanden oder Deutschland zugelassen sind. Dies trifft z.B. auf die Substanz zu (Biphenyl), die die mit Abstand höchsten gefundenen Gehalte und den höchsten Mengenanteil aufweist und für deren Vorkommen die Autoren keine Erklärung finden. Es ist davon auszugehen, dass es auf den beprobten Flächen selbst nicht zu einer Anwendung der untersuchten Substanzen kam. 1. Wie bewertet die Landesregierung die Ergebnisse der benannten Studie? Die Qualtität der Studie bzw. der Messergebnisse ist schwer einzuschätzen, da in dem Bericht z.B. lediglich dargelegt wird, dass die Analysen in einem akkreditierten Labor gemäß den dort etablierten Techniken und Methoden durchgeführt wurden. Ebenso fehlt eine Beschreibung der Probenahme der Vegetationsproben, die i.d.R. einen sehr sensitiven Schritt darstellt. Hinsichtlich der Messwerte fehlen Angaben zu Mittelwerten und Standardabweichungen, so dass die Variabilität der Ergebnisse nicht abschätzbar ist. Die in der Studie gemessenen Werte sind von der Größenordnung in etwa vergleichbar mit Werten, welche aus einer Studie zum Rindenmonitoring berichtet wurden. Es fehlen Informationen, ob und in welchem Umfang die gefundenen Stoffe in den Niederlanden bzw. in der Umgebung der Messpunkte eingesetzt werden bzw. wurden. Ein quantitativer Zusammenhang zwischen den Befunden und den in der Umgebung angewendeten Substanzen lässt sich daher nicht herstellen. Ebensowenig finden die Autoren eine signifikante Korrelation zwischen dem Abstand zu landwirtschaftlich genutzten Flächen und der Menge der gemessenen Substanzen. Insgesamt könnte die Studie Hinweise darauf geben, dass möglicherweise eine luft- oder staubgetragene Verfrachtung diverser chemischer Substanzen über weite Entfernungen stattfinden kann. Dies würde andere, bereits existierende Studien stützen, die vergleichbare Hinweise liefern. Als Grundlage für regulatorische Entscheidungen, z.B. im Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel oder zur möglichen Festlegung von Pufferzonen um Naturschutzgebiete, ist die Studie allein nicht ausreichend. 2. Welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus den in der Studie präsentierten Erkenntnissen? Die Studie deutet darauf hin, dass ein möglicher, luft- oder staubgetragener Ferntransport von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen oder anderer Chemikalien vertiefter Untersuchungen bedarf. Dies wurde auch in der Agrarministerkonferenz des Bundes und der Länder in den LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10790 3 vergangenen Jahren mehrfach thematisiert. Aktuell bereitet das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit als zuständige Behörde für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland ein bundesweites Monitoring zur Verfrachtung von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen über die Luft vor. Ziel soll sein, belastbare Informationen für die Berücksichtigung der Verfrachtung im Zulassungsverfahren zu erlangen und damit u.a. ein verbessertes und effizienteres Risikomanagement – z.B. durch Anwendungsauflagen - zu ermöglichen. Darüber hinaus wird der Bedarf gesehen, die möglichen ökotoxikologischen Wirkungen der gemessenen, durchgängig sehr niedrigen Gehalte an Wirkstoffen und Chemikalien, verstärkt zu untersuchen, da die hierzu vorliegenden Erkenntnisse derzeit nicht gesichert sind. 3. Welche möglicherweise vergleichbaren Erkenntnisse zur Belastung von NRW- Naturschutzgebieten durch Pestizide liegen der Landesregierung vor? Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse zur Belastung von Naturschutzgebieten in Nordrhein-Westfalen durch Pflanzenschutzmittel vor. Das Vorkommen von Spuren von Pflanzenschutzmitteln außerhalb ihrer Zielflächen scheint ein bundesweites Phänomen zu sein, dessen Auswirkungen auf Zielorganismen und Ökosysteme - auch in Schutzgebieten - noch nicht bekannt sind. Derzeit existiert bundesweit kein umweltanalytisches Monitoring zu Pflanzenschutzmitteln für den terrestrischen Bereich der Agrarlandschaft oder der Naturschutzgebiete. Bundesweit gibt es auch keine ausreichende Datengrundlage, um die Entwicklung der Biodiversität in der Agrarlandschaft wissenschaftlich belastbar bewerten zu können, sodass bislang kein kausaler Zusammenhang zwischen der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln und der Biodiversität systematisch gezeigt werden kann. Folglich ist auch eine wissenschaftlich fundierte Bewertung des Einflusses von Pflanzenschutzmitteln auf die Biodiversität im Komplex der multidimensionalen Wirkungen (Nährstoffe, Klima, Landnutzung, Habitatqualität etc.) bisher nicht bzw. nur sehr eingeschränkt möglich. Das Umweltbundesamt hat daher ein F+E-Vorhaben mit dem Titel: „Integriertes Monitoring in der Agrarlandschaft - Erfassung der ökologischen Auswirkungen des chemischen Pflanzenschutzes“ (Laufzeit 2018-2020) auf den Weg gebracht, das derzeit vom Forschungsinstitut gaiac und der RWTH Aachen bearbeitet wird. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) begleitet das Vorhaben in der projektbegleitenden Arbeitsgruppe. 4. Werden in NRW ähnliche Untersuchungen vorgenommen, die auf eine Überprüfung der Belastung von Naturschutzgebieten mit Pestiziden ausgelegt sind? (Antwort bitte begründen.) Das Land Nordrhein-Westfalen führt keine entsprechenden Untersuchungen durch. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 3 verwiesen. 5. Wie beabsichtigt die Landesregierung zukünftig Naturschutzgebiete aber auch andere Flächen (wie z.B. ökologisch bewirtschaftete Flächen) in NRW besser vor unerwünschten Pestizideinträgen aus der Landwirtschaft zu schützen? Die Erkenntnislage, ob und ggfs. in welchem Ausmaß es derzeit zu unerwünschten luft- oder staubgetragenen Einträgen von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen über größere Entfernungen in Naturschutzgebiete kommt und welche Wirkungen damit ggfs. verbunden sind, reicht nicht LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10790 4 aus, um die Notwendigkeit eines verbesserten Schutzes solcher Flächen oder die Wirksamkeit möglicher Maßnahmen sachgerecht zu beurteilen. Eine wirksame Maßnahme zum unmittelbaren Schutz von Flächen in Naturschutzgebieten ist die gezielte Umsetzung von Agrarumwelt- und Vertragsnaturschutzmaßnahmen. Die Wirkungen beziehen sich dabei in erster Linie auf die Flächen selbst, auf denen die Agrarumwelt- und Vertragsnaturschutzmaßnahmen umgesetzt werden; auf diesen Flächen ist der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Regel nicht zulässig. Viele Naturschutzgebiets-Verordnungen bzw. Landschaftspläne enthalten in Abhängigkeit vom jeweiligen Schutzzweck z.T. auch räumlich begrenzte Bewirtschaftungsauflagen, zu denen auch das Verbot der Anwendung bestimmter Pflanzenschutzmittel gehören kann. Aktuell wird außerdem geprüft, ob und ggfs. welche weiteren Vorgaben im Landesnaturschutzgesetz zur Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten gemacht werden müssen.