LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10821 04.09.2020 Datum des Originals: 04.09.2020/Ausgegeben: 10.09.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4207 vom 7. August 2020 der Abgeordneten Verena Schäffer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/10480 Antisemitische Straftaten im ersten Halbjahr 2020 Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der antisemitische Anschlag im Oktober 2019 in Halle, bei dem zwei Menschen grausam ermordet wurden, hat alle Demokratinnen und Demokraten tief erschüttert. Die jüdische Gemeinde in Halle steht verständlicherweise bis heute unter dem Eindruck dieses schrecklichen Angriffs. Aus den jüdischen Gemeinden wird schon seit Jahren auf antisemitische Vorfälle und diskursive Grenzüberschreitungen aufmerksam gemacht. Antisemitismus ist nach wie vor im Kern rechtsextremer Ideologie verankert und die rechtsextreme Szene versucht seit einiger Zeit stärker mit dem Thema zu mobilisieren, was z.B. die Agitation von „Die Rechte“ im vergangenen Europawahlkampf zeigt. Aber auch im Zuge der Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen wurden immer wieder antisemitische Ressentiments sichtbar, wenn beispielsweise Verschwörungsmythen vorgebracht werden, die einen deutlichen antisemitischen Ursprung haben. Das Phänomen Antisemitismus hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Neben dem „klassischen“ Antisemitismus sind immer wieder auch „sekundärer“ und „israelbezogener“ Antisemitismus sichtbar. Die beiden letzteren finden derzeit eine größere Verbreitung. Den unterschiedlichen Formen des Antisemitismus liegen jeweils andere Motivationen und Strategien zugrunde. Diese – in der Gesellschaft verbreiteten – antisemitischen Einstellungen führen immer wieder zu antisemitischem Handeln auch in Form von Straf- und Gewalttaten. In den Jahren 2017 und 2018 ist die Zahl antisemitischer Straftaten in Nordrhein-Westfalen deutlich gestiegen von 324 auf 350 Fällen. Auch im Halbjahresvergleich 2018 und 2019 zeigte sich ein Anstieg von 86 auf 96 Fälle. Im gesamten Jahr 2019 sank die Anzahl antisemitischer Straftaten auf 315 Fälle in Nordrhein-Westfalen. Im gesamten Bundesgebiet stieg die Zahl jedoch auf 2.000 Fälle an und erreichte damit den höchsten Wert seit der Einführung des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes der politisch motivierten Kriminalität. Sowohl bei den bundesweiten Zahlen, als auch in Nordrhein-Westfalen hatte der Großteil der antisemitischen Straftaten einen Hintergrund der politisch motivierten Kriminalität – Rechts (PMK – Rechts). Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4207 mit Schreiben vom 4. September 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10821 2 Vorbemerkung der Landesregierung Die statistische Erfassung „Politisch motivierter Kriminalität" (PMK) erfolgt bundesweit einheitlich auf der Grundlage des im Jahr 2001 von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder beschlossenen Definitionssystems „Politisch motivierte Kriminalität“. Der PMK werden demnach Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie • den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten. • sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben. • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. • gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht bzw. sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. Darüber hinaus gehören Straftaten gemäß §§ 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105- 108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB als Staatsschutzdelikte zur PMK, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann. Politisch motivierte Straftaten werden hinsichtlich des Begründungszusammenhangs (Motiv) einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet. Datenquelle zur Beantwortung der Fragen ist der Kriminalpolizeiliche Meldedienst in Fällen der Politisch motivierten Kriminalität (KPMD-PMK). 1. Wie viele Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wurden im ersten Halbjahr 2020 verübt? (Bitte nach Ort und Deliktsgruppe auflisten.) Im ersten Halbjahr 2020 wurden im KPMD-PMK in Nordrhein-Westfalen 103 Straftaten dem Unterbegriff "antisemitisch" zugeordnet. Weitergehende Daten bitte ich der Anlage zu entnehmen. 2. In welche Phänomenbereiche der politisch motivierten Kriminalität fallen die unter Frage 1 erfragten Straftaten? Im ersten Halbjahr 2020 wurden antisemitische Straftaten folgenden Phänomenbereichen zugeordnet: • PMK-Rechts: 101 Straftaten • PMK-Religiöse Ideologie: 1 Straftat • PMK-Ausländische Ideologie: 1 Straftat. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10821 3 3. Wie viele Tatverdächtige wurden wegen antisemitischer Straftaten im ersten Halbjahr 2020 festgenommen? (Bitte nach Ort, Alter und Geschlecht auflisten.) Im KPMD-PMK werden als Festnahme statistisch alle bekanntgewordenen polizeilichen Maßnahmen gemäß §§ 127, 127b StPO gezählt (keine Ingewahrsamnahmen nach dem Polizeigesetz NRW). Im ersten Halbjahr 2020 wurden in Nordrhein-Westfalen keine Festnahmen wegen einer antisemitischen Straftat erfasst. 4. Wie viele Ermittlungsverfahren wurden im ersten Halbjahr 2020 wegen antisemitischer Straftaten eingeleitet? Durch die Polizei des Landes Nordrhein-Westfalen wurde in allen in der Antwort zu Frage 1 aufgezählten Fällen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im ersten Halbjahr 2020 wurden bei nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaften in 255 Fällen Ermittlungsverfahren wegen antisemitischer Straftaten eingeleitet. Die Differenz zu den polizeilich eingeleiteten Ermittlungsverfahren erklärt sich durch ein anderes Erfassungssystem der Landesjustiz. 5. In wie vielen Fällen kam es im ersten Halbjahr 2020 zur Erhebung einer Anklage, Verurteilung oder Einstellung der Ermittlungen? (Bitte auch Grund für die Einstellung des Verfahrens angeben.) Im ersten Halbjahr 2020 kam es in Nordrhein-Westfalen in 46 Fällen zur Erhebung der öffentlichen Klage bzw. Beantragung eines Strafbefehls wegen antisemitischer Straftaten, in 18 Fällen zu einer Verurteilung und in 205 Fällen zur Einstellung der Ermittlungen. Grund für die Einstellung des Verfahrens war in 53 Fällen, dass ein Täter nicht ermittelt werden konnte. Kleine Anfrage 4207 Anlage 1 Politisch motivierte Kriminalität - Antisemitische Straftaten 1. Halbjahr 2020 Tatort/Feststellort Körperverletzungs - delikte Zwischensumme Gewaltdelikte Bedrohungen / Nötigungen Sachbeschädi - gungen Verstöße gegen §§ 86, 86a StGB Volksverhetzungen Beleidigungen sonstige Straftaten Gesamt Gesamt NRW 1 1 2 8 19 60 11 2 103 Alfter 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Arnsberg 0 0 0 0 0 2 0 0 2 Attendorn 0 0 0 1 0 0 0 0 1 Bad Oeynhausen 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Bergisch Gladbach 0 0 0 0 0 0 1 0 1 Bielefeld 0 0 0 0 0 2 0 0 2 Bocholt 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Bochum 0 0 0 1 1 3 0 0 5 Bonn 0 0 0 1 0 1 0 0 2 Bottrop 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Brakel 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Brühl 0 0 0 0 0 0 0 1 1 Bünde 0 0 0 1 0 0 0 0 1 Dortmund 0 0 0 0 2 5 0 0 7 Duisburg 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Düsseldorf 0 0 0 0 1 2 0 1 4 Essen 0 0 1 1 1 6 0 0 9 Gelsenkirchen 0 0 0 0 0 0 1 0 1 Goch 0 0 0 1 0 0 0 0 1 Gummersbach 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Hamm 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Hamminkeln 0 0 0 1 0 0 0 0 1 Harsewinkel 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Hattingen 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Herford 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Herne 0 0 0 0 1 2 0 0 3 Herten 0 0 0 0 0 0 1 0 1 Hopsten 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Hürth 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Kevelaer 0 0 0 0 0 0 1 0 1 Kirchhundem 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Köln 0 0 1 1 3 7 1 0 13 Lippstadt 0 0 0 0 0 1 0 0 1 1 von 2 Kleine Anfrage 4207 Anlage 1 Politisch motivierte Kriminalität - Antisemitische Straftaten 1. Halbjahr 2020 Tatort/Feststellort Körperverletzungs - delikte Zwischensumme Gewaltdelikte Bedrohungen / Nötigungen Sachbeschädi - gungen Verstöße gegen §§ 86, 86a StGB Volksverhetzungen Beleidigungen sonstige Straftaten Gesamt Lünen 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Marl 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Mettmann 0 0 0 0 0 1 1 0 2 Mönchengladbach 0 0 0 0 1 1 0 0 2 Monheim 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Mülheim 0 0 0 0 0 2 0 0 2 Neunkirchen-Seelscheid 0 0 0 0 0 0 1 0 1 Nideggen 0 0 0 0 0 0 1 0 1 Oberhausen 0 0 0 0 2 2 0 0 4 Recklinghausen 1 1 0 0 1 2 0 0 4 Siegen 0 0 0 0 0 2 0 0 2 Sprockhövel 0 0 0 0 0 0 1 0 1 Wachtberg 0 0 0 0 1 0 0 0 1 Warburg 0 0 0 0 0 2 0 0 2 Wesel 0 0 0 0 0 0 1 0 1 Wülfrath 0 0 0 0 0 1 0 0 1 Wuppertal 0 0 0 0 2 2 1 0 5 2 von 2 Leere Seite