LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10836 07.09.2020 Datum des Originals: 07.09.2020/Ausgegeben: 11.09.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4218 vom 12. August 2020 des Abgeordneten Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/10536 Wie will die Landesregierung sicherstellen, dass die kommunalen Ordnungsbehörden jederzeit informiert sind, wo Gifttiere gehalten werden? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 24. Juni 2020 hat der Landtag Nordrhein-Westfalen mit der Mehrheit der Regierungsfraktionen von CDU und FDP das neue Gifttiergesetz (GiftTierG NRW) beschlossen. Anstoß für diesen Gesetzgebungsprozess waren die Ereignisse von Herne, wo im Sommer 2019 das Entweichen einer Monokelkobra aus unsachgemäßer Haltung eine aufwendige tagelange Suche auslöste. Das neue Gesetz soll primär dem Bevölkerungsschutz dienen. Wie bereits in ihrer Plenarrede am 24. Juni betonte die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz, Ursula Heinen-Esser, in einer Presseerklärung am Tag danach, die im Gesetz verankerte Meldepflicht führe zu mehr Sicherheit für die Bevölkerung.1 Dies setzt allerdings voraus, dass den kommunalen Ordnungsbehörden vor Ort bekannt ist, wo genau in ihrem Zuständigkeitsbereich giftige Tiere gehalten werden. Nur so kann eine entsprechende Einsatzplanung vor Eintreten eines Notfalls erfolgen und in Gefahrensituationen schnell und effektiv gehandelt werden. Gemäß § 4 Absatz 1 Satz 1 GiftTierG NRW ist die Haltung und der Haltungsort eines giftigen Tieres dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) anzuzeigen. Das LANUV wiederum informiert die für den jeweiligen Haltungsort örtlich zuständigen Kreisordnungsbehörden und die örtlichen Ordnungsbehörden über Haltungsanzeigen gemäß § 4 Absatz 1 Satz 1, Mitteilungen über das Abhandenkommen von Tieren, Anzeigen über den Wechsel des Haltungsortes und über den Tod sowie jede Abgabe von Tieren (§ 5 Absatz 3 Satz 1) und darüber, ob gegen eine Haltungsperson eine Untersagungsanordnung ergangen ist (§ 5 Absatz 3 Satz 2). Diese Informationen und Mitteilungen können auch auf dem Wege eines automatisierten Abrufverfahrens auf der Grundlage einer gemäß § 6 Absatz 2 des Datenschutzgesetzes NRW erlassenen Rechtsverordnung bereitgestellt werden (§ 5 Absatz 3 Satz 3). 1 Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen: Landtag beschließt Gifttiergesetz. Pressemittelung vom 25.06.2020. Im Internet: https://www.umwelt.nrw.de/presse/detail/landtag-beschliesst-gifttiergesetz-1593068204 (Stand: 12.08.2020). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10836 2 Zum Schutz der Bevölkerung und insbesondere auch der Einsatzkräfte ist es außerdem essentiell, dass im Ernstfall, wenn es zu einem Kontakt mit einem Gifttier gekommen ist, weiterhin Antiseren in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4218 mit Schreiben vom 7. September 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet. 1. Wie beabsichtigt die Landesregierung sicherzustellen, dass die jeweilig zuständigen Kreisordnungsbehörden und die örtlichen Ordnungsbehörden jederzeit informiert sind, wo welche Gifttiere gehalten werden (§ 5 Absatz 3 Satz 1 GiftTierG NRW)? Gemäß § 5 Absatz 3 Satz 1 GiftTierG NRW informiert das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz die für den jeweiligen Haltungsort örtlich zuständigen Kreisordnungsbehörden und die örtlichen Ordnungsbehörden unverzüglich über Haltungsanzeigen gemäß § 4 Absatz 1 Satz 1, Mitteilungen über das Abhandenkommen von Tieren gemäß § 3 Absatz 3 sowie Anzeigen über den Wechsel des Haltungsortes und über den Tod sowie jede Abgabe von Tieren gemäß § 4 Absatz 5 und 6 GiftTierG NRW. Das Landesamt wird ab Inkrafttreten des Gifttiergesetzes am 01.01.2021 eingehende Informationen unverzüglich auf elektronischem Weg an die jeweils zuständige Behörde übermitteln. Innerhalb der ersten sechs Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes wird dies insbesondere die Weitergabe von Informationen über bestehende Haltungen gemäß § 4 Absatz 1 Satz 1 GifttierG NRW betreffen, die dem Landesamt bis spätestens zum 30.06.2021 anzuzeigen sind. Danach wird es möglich sein, aus den eingegangenen und weitergeleiteten Haltungsanzeigen Rückschlüsse auf die Zahl der in Nordrhein-Westfalen gehaltenen Gifttiere zu ziehen. 2. Plant die Landesregierung, den örtlich zuständigen Kreisordnungsbehörden und den örtlichen Ordnungsbehörden Informationen über die Haltung von Gifttieren in ihrem Zuständigkeitsbereich über die Einrichtung eines automatisierten Abrufverfahrens zur Verfügung zu stellen? (Bitte benennen, bis wann diese Datenbank gemäß § 5 Absatz 3 Satz 3 GiftTierG NRW die Tätigkeit aufnehmen wird) Ja, die Landesregierung plant die Einrichtung eines automatisierten Abrufverfahrens. Als rechtliche Grundlage hierfür bedarf es einer gemäß § 6 Absatz 2 des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen erlassenen Rechtsverordnung. Nach dieser Vorschrift sind die obersten Landesbehörden ermächtigt, für die Behörden und Einrichtungen ihres Geschäftsbereichs die Einrichtung automatisierter Abrufverfahren durch Rechtsverordnung zuzulassen. Das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz plant, eine entsprechende Regelung zu erlassen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10836 3 3. Wie beabsichtigt die Landesregierung sicherzustellen, dass die Datenbank (s. Frage 2) seitens der Feuerwehren und Rettungsdienste vor jedem Einsatz abgerufen werden kann? Bei den Kreisordnungsbehörden sind einheitliche Leitstellen für den Brandschutz, die Hilfeleistung, den Katastrophenschutz und den Rettungsdienst angesiedelt. Im Rahmen der Erarbeitung der in der Antwort zu Frage 2 angeführten Verordnung wird geprüft, wie diese Stellen in geeigneter Weise in das Abrufverfahren eingebunden werden können. 4. Plant die Landesregierung, eine rund um die Uhr erreichbare Gifttier-Expertise auf Landesebene vorzuhalten, die sowohl für die zuständigen Ordnungsbehörden als auch für die Feuerwehren telefonisch erreichbar ist, um vor Ort tätig zu werden? (Antwort bitte begründen) Am Zentrum für Kinderheilkunde des Universitätsklinikums Bonn befindet sich die Informationszentrale gegen Vergiftungen (Giftinformationszentrale Bonn, GIZ). Die GIZ bietet als Giftnotruf bereits heute eine 24-stündige Beratung für Laien und medizinisches Fachpersonal bei akuten oder chronischen Vergiftungen durch Medikamente, Pflanzen, Drogen, Tiere, Pilze, Haushaltsmittel oder Chemikalien an. Die Beratung erfolgt durch speziell ausgebildete Ärztinnen und Ärzte, die das Risiko von Fall zu Fall einschätzen, um sachgerecht Auskunft geben zu können. 5. Wie will die Landesregierung in Zukunft sicherstellen, dass in NRW weiterhin Antiseren in ausreichenden Mengen zur Verfügung stehen? Das Gift jedes Gifttieres unterscheidet sich in der Regel in Beschaffenheit und Zusammensetzung von dem Gift eines anderen Gifttieres. Die Vergiftungserscheinungen nach einem Schlangenbiss unterscheiden sich nach der jeweiligen Schlangenart und damit der Giftzusammensetzung. Unter den therapeutischen Erstmaßnahmen stehen die Aufrechterhaltung der Vitalfunktionen sowie die Ruhigstellung der betroffenen Gliedmaßen im Vordergrund. Die flächendeckende Versorgung mit Antivenin zur Behandlung von Vergiftungen durch europäische Giftschlangen ist bundesrechtlich ausreichend geregelt (§ 15 Absatz 2 Nr. 3 Apothekenbetriebsordnung). Hiernach muss der Apothekenleiter sicherstellen, dass das Arzneimittel mit dem Wirkstoff ‚Schlangengift-Immunserum, polyvalent, Europa‘ entweder in der Apotheke vorrätig gehalten wird oder kurzfristig beschafft werden kann (Notfalldepot). Hierbei handelt es sich um ein polyvalentes Immunserum zur Behandlung von Vergiftungen durch verschiedene europäische Giftschlangen. Zur Verfügbarkeit von Antiveninen gegen Vergiftungen durch andere Gifttiere kann in der frei zugänglichen online-Datenbank "MAVIN" (http://www.antivenoms.toxinfo.med.tum.de/) des Giftnotrufs München (Abteilung für Klinische Toxikologie und Giftnotruf München des Klinikums rechts der Isar der Technischen Universität München) für jedes einzelne Tier nachgesehen werden, wo in Deutschland - und auch z. T. im Ausland - welches Arzneimittel bevorratet wird. Hier sind Informationen zu rund 3000 Gifttieren enthalten. Die Auswahl des geeigneten Arzneimittels hat durch den behandelnden Arzt zu erfolgen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10836 4 Hinsichtlich Vergiftungen durch in Nordrhein-Westfalen gehaltene Gifttiere, die nicht in Europa heimisch sind, liegen dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales keine Hinweise über eine nicht ausreichende Versorgung mit Gegengiften vor. Nach Angaben der GIZ sind Vergiftungen durch Tiere, die nicht in Europa beheimatet sind, seltene Vorkommnisse. Es wurden diesbezüglich in den Jahren 2018 und 2019 insgesamt vier Beratungen durchgeführt.