LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/10976 31.08.2020 Datum des Originals: 31.08.2020/Ausgegeben: 15.09.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4119 vom 22. Juli 2020 der Abgeordneten Johannes Remmel, Norwich Rüße und Mehrdad Mostofizadeh BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/10308 Arbeitsschutzkontrollen in der Firma Tönnies: Nach Recht und Gesetz oder nach „Kooperationsprinzip“? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Kurz nach dem Corona-Ausbruch auf dem Werksgelände der Firma Tönnies in Rheda- Wiedenbrück mit seinen weitreichenden Konsequenzen für die Beschäftigten und die beiden Kreise Gütersloh und Warendorf musste sich Gesundheitsminister Laumann den Fragen der Abgeordneten im Landtag stellen. In der Fragestunde1 am 24.06.2020 sagte er: „Ich habe bewusst nicht das Gespräch mit Tönnies gesucht. Ich habe mit Herrn Tönnies nach den Fleischproblemen in Coesfeld zweimal telefoniert; er hat mich angerufen. Einmal war er bei mir im Büro. Das war aber nach dieser großen Kontrollaktion im Jahre 2019. Ich habe das auch deswegen nicht gemacht – er hat darüber hinaus auch nicht versucht, mich anzurufen, um das auch zu sagen –, weil mir ganz wichtig ist, dass ich in diesem Zusammenhang nicht in einen engeren Zusammenhang mit den Unternehmensinhabern gebracht werde.“ Mit Blick auf den Arbeitsschutz erklärte Minister Laumann: „[…] ich möchte aus einem Bericht des Arbeitsschutzes der Bezirksregierung Detmold zitieren: ‚[…] In der gesamten Abteilung der Schlachtung tragen die Mitarbeiter keine Mund- und Nasenbedeckung. Der Bereich der Schlachtung umfasst die Untereinheiten Stallungen, Tötung, Vorbereitung, Ausnehmen, Fleischbeschau sowie Zerlegung der Schweine in Hälften. Hier sind insgesamt 460 Personen in mehreren Schichten beschäftigt. Der vorgeschriebene Mindestabstand wird während der Tätigkeit regelmäßig unterschritten.‘“ Und weiter: „Jetzt will ich noch einmal aus einem Bericht der Bezirksregierung Detmold vom 18. Mai 2020 vorlesen. Da steht Folgendes – es richtet sich an Tönnies –: ‚Ich bitte Sie, bis Freitag, den 22.05.2020, die oben aufgeführten Mängel abzustellen und die Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen. Insbesondere für den Bereich der Schlachtung muss kurzfristig eine tragfähige Lösung für den Gesundheitsschutz der Beschäftigten gefunden werden, die dem BMAS-COVID-Arbeitsschutz entspricht. Ich bitte, bis Freitag, den 22.05., ebenfalls um Mitteilung, ob diese Mängel beseitigt sind. Sollte keine Mitteilung 1 http://landtag/home/aktuelles-presse/parlaments-tv/video.html?kid=55ae203d-6379-453b-8a4bc 752dd58a605&t=24023 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10976 2 vorliegen, beabsichtige ich, die erforderlichen Maßnahmen unverzüglich mit den gebührenpflichtigen Ordnungsverfügungen nach § 22 Abs. 3 Arbeitsschutzgesetz anzuordnen.‘“ In dieser Fragestunde sowie in der Sondersitzung des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales am 26.06. war wiederholt ein Schreiben des Bürgermeisters der Stadt Rheda- Wiedenbrück Gegenstand der Diskussion, in dem es heißt „Der Kreis Gütersloh und das Land NRW haben in Abstimmung festgestellt, dass Tönnies einen Versorgungsauftrag als Unternehmen mit kritischer Infrastruktur hat, was dazu führt, dass nicht an allen Stellen der Mindestabstand gewährleistet werden kann, um die notwendige Produktion fortzusetzen. Der Schutz der Mitarbeitenden wird, so Tönnies, aber auch unter diesen Voraussetzungen bestmöglich gewährleistet.“2. Das Ministerium stufte den Inhalt des Schreiben als „Fehlinterpretation“ der Firma Tönnies ein. Hingegen betonte Ministerpräsident Laschet in der Pressekonferenz am 30.06.2020: „Die Zeit, dass man da kooperiert, da es möglicherweise in der Vergangenheit mal der Fall gewesen sein mag, ist vorbei. Hier wird jetzt streng nach Recht und Gesetz verfahren.“3 Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 4119 mit Schreiben vom 31. August 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie und der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Naturschutz und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Der Arbeitsschutzverwaltung sind hinsichtlich der Bekanntgabe von Informationen über Erkenntnisse, die sie über Betriebe im Rahmen ihrer Überwachungstätigkeit erlangt hat, rechtlich enge Grenzen gesetzt (§ 23 ArbSchG). Im Rahmen der Beantwortung sind die rechtlichen Möglichkeiten zur Bekanntgabe von Erkenntnissen der Arbeitsschutzverwaltung über Betriebsinformationen ausgeschöpft worden. Die im Zusammenhang mit dem Ausbruchsgeschehen bei der Firma Tönnies in den Antworten genannten Tatsachen, Umstände und Vorgänge sind jedoch bereits in der Öffentlichkeit bekannt, da das Ausbruchsgeschehen einem besonderen öffentlichen Interesse unterlag. 1. Welche konkreten Vor-Ort-Kontrollen des Arbeitsschutzes der Bezirksregierung Detmold hat es in der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück in der Zeit vom 25.02.2020 bis zum 18.06.2020 gegeben? 2. Welche Verstöße sind jeweils festgestellt worden? (Bitte nach Datum der Kontrolle aufschlüsseln.) 3. Welche Konsequenzen sind jeweils gezogen worden? (Bitte nach Datum der Kontrolle und nach Art des festgestellten Verstoßes aufschlüsseln.) Die Fragen 1 – 3 werden gemeinsam wie folgt beantwortet: 2 https://gruene-rhedawiedenbrueck .de/userspace/NW/ov_rheda_wiedenbrueck/Presseartikel/20200504_Antwort_Frakt._B9 0_Die_Gruenen_Toennies_Schutzmassnahmen.pdf 3 https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/laschet-entkanzlert-100.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10976 3 Im Zeitraum vom 25.02.2020 bis 18.06.2020 haben risikoorientiert unter Berücksichtigung der Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 Arbeitsschutzkontrollen in der Firma stattgefunden. In der nachfolgenden Tabelle ist dargestellt, wann konkret Vor-Ort-Kontrollen auf dem Gelände der Firmengruppe Tönnies in Rheda-Wiedenbrück durch die Bezirksregierung Detmold erfolgt sind, welche Einzelverstöße festgestellt worden sind sowie die eingeleiteten Konsequenzen. Datum Verstöße Konsequenzen − fehlende aktuelle und fortgeschriebene Gefährdungsbeurteilung − gravierende Mängel im Hinblick auf die Vorgaben der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandards (u.a. Unterschreitung des Abstandes von 1,5 m; keine Mund-Nase-Bedeckung; unzureichende Desinfektionsmittel) Revisionsschreiben 18.05.2020 Nachkontrolle am 29.05.2020 29.05.2020 − fehlende aktuelle und fortgeschriebene Gefährdungsbeurteilung − einzelne Mängel vorhanden (u.a. unzureichende Desinfektionsmittel) Vermerk vom 29.05.2020, Kontrolle am 29.06.2020 Weitere Termine entnehmen Sie bitte der Antwort auf Frage 2 der Kleinen Anfrage 4120 "Welche Ergebnisse und Konsequenzen ergaben die Kontrollen in den fleischverarbeitenden Betrieben während der Corona-Krise?“ (LT-Drs. 17/10309). Für die Betriebsprüfungen im Unternehmen und die Nachverfolgung der Beseitigung von festgestellten Arbeitsschutzmängeln ist ein Bearbeitungsprozess für alle Unternehmen durch die Bezirksregierung Detmold erarbeitet worden. Hierdurch wird sichergestellt, dass unmittelbare verwaltungsrechtliche Maßnahmen nach einer Betriebsprüfung gewährleistet sind. 4. Welche Absprachen hinsichtlich der Einhaltung der Hygieneregeln am Arbeitsplatz sind zwischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arbeitsschutzes der Bezirksregierung Detmold, des Gesundheitsamtes Gütersloh und der Firma Tönnies getroffen worden? Absprachen zwischen der Firma Tönnies und der Bezirksregierung Detmold hinsichtlich der Einhaltung der Hygieneregeln sind nicht erfolgt. Gespräche sind über die Notwendigkeit der Erstellung eines Hygienekonzeptes geführt worden. Die Firma Tönnies hat mit dem Ziel der Wiederinbetriebnahme nach der Betriebsstilllegung ein Hygienekonzept erstellt, das nach fachlicher Prüfung durch das zuständige Gesundheitsamt Gütersloh ergänzt werden musste. Zur Ergänzung, Erweiterung und Anpassung des Hygienekonzeptes hat ein Abstimmungsprozess unter Einbindung der Abteilung „Arbeitsschutz und Aufsicht Sozialversicherungen“ des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales stattgefunden. An die Wiederaufnahme des Betriebs ist gegenüber der Firma Tönnies die Erarbeitung und Umsetzung eines Hygienekonzeptes, das dem LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/10976 4 Anspruch einer weitestgehend Sicherstellung des Infektionsschutzes genügt, als Bedingung gestellt worden. Darüber hinaus hat es auch zwischen dem Gesundheitsamt des Kreises Gütersloh und der Firma Tönnies keine bilaterale Abstimmung gegeben. 5. Auf welcher konkreten Grundlage oder Aussage der Landesregierung und des Kreises Gütersloh (z.B. Erlass, Telefonat, Schreiben etc.) konnte die Firma zu dieser Einschätzung kommen: „Der Kreis Gütersloh und das Land NRW haben in Abstimmung festgestellt, dass Tönnies einen Versorgungsauftrag als Unternehmen mit kritischer Infrastruktur hat, was dazu führt, dass nicht an allen Stellen der Mindestabstand gewährleistet werden kann, um die notwendige Produktion fortzusetzen“? Es wird auf die Antwort zu Frage 1 der Kleinen Anfrage 4019 „Trotz massivem Vertrauensbruch – wann übernimmt die Landesregierung die Verantwortung für die Tönnies- Belegschaft?“ (LT-Drs. 17/10489) verwiesen.