LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11075 18.09.2020 Datum des Originals: 18.09.2020/Ausgegeben: 24.09.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4232 vom 20. August 2020 der Abgeordneten Gabriele Walger-Demolsky und Markus Wagner AfD Drucksache 17/10702 Kindesmissbrauch in Dortmund – Hat die Justiz versagt? – Gilt die Ankündigung des Ministers für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration auch für zahlreiche ähnliche Fälle? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Jahre 2018 gab es in NRW 968 deutsche Opfer von Sexualdelikten, die unter Beteiligung mindestens eines tatverdächtigen Zuwanderers begangen wurden. Im Jahre 2019 waren es 836 entsprechende Straftaten. Zusätzlich gab es zahlreiche gleichartige Delikte, deren ausländische Opfer nicht der Gruppe der Zuwanderer angehörten.1 In all diesen Fällen erlitten die Opfer teils schwere körperliche und seelische Qualen. Vom Integrationsminister vernahm man zu diesem beunruhigenden Themenkomplex bisher allerdings kaum eine Stellungnahme. Insbesondere im Integrationsausschuss wurde diese Problematik bisher nicht thematisiert. Erst kurz vor den Kommunalwahlen entdeckte der Integrationsminister plötzlich dieses Thema. „Dieser widerwärtige Täter muss nicht nur verurteilt, sondern nach der Haft direkt nach Afghanistan abgeschoben werden. Er darf in Deutschland nie mehr frei herumlaufen.“2 So äußerte sich Integrationsminister Dr. Joachim Stamp gegenüber der BILD zu den schrecklichen Vergewaltigungen junger Mädchen durch einen angeblich afghanischen „Flüchtling“ in Dortmund. In der WAZ vom 31.07.2020 wird diese Aussage wie folgt kommentiert: „Stamps Äußerungen wurden mit Blick darauf, dass gegen den 23-Jährigen, der in Untersuchungshaft sitzt, derzeit noch ermittelt wird, unter Juristen mit Befremden registriert.“ So sehr man sich ein hartes Vorgehen der Justiz wünschen mag, so ist diese auch im vorliegenden Fall unabhängig. 1 Vgl. Lt.-Drucksache 17/8694 2 Vgl. https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/dortmund-fdp-politiker-fordert-abschiebung-vonvergewaltiger -72127452.bild.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11075 2 Nach Informationen der BILD3 „kam der mutmaßliche Tatverdächtige, Zubyr S., am 25. Oktober 2015 als angeblich 18-Jähriger (Geburtstag: 1.1.1997) nach Deutschland. Drei Monate später beantragte er Asyl. Als Herkunftsland gibt er Afghanistan an.“ Sein Bekannter Safi G. (21, Afghane) habe allerdings erklärt: „Er hat das gesagt, um seine Chancen auf Asyl zu verbessern. Zubyr kommt aus dem Iran, seine Familie lebt dort!“ Berichtet wird auch von einer umfangreichen Polizeiakte, die schwere Straftaten enthält – unter anderem gefährliche Körperverletzung und Drogendelikte. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins FOCUS4 war der Tatverdächtige bereits über ein elfjähriges Mädchen hergefallen, kam nach kurzer U-Haft wieder frei und schlug dann erneut zu. „Der Mann war bereits wegen mehrfacher Betäubungsmitteldelikte polizeibekannt“, erläutert Staatsanwalt K. gegenüber FOCUS Online. Der Tatverdächtige soll auch Drogen an Kinder abgegeben haben. Die weiteren Vorgänge nach der ersten Vergewaltigung werden wie folgt geschildert: „Als Folge der ersten Vergewaltigung musste der Tatverdächtige ins Untersuchungsgefängnis. Zwölf Tage später fand auf Betreiben seines Anwalts ein Haftprüfungstermin statt. „Da der Beschuldigte über einen festen Wohnsitz verfügte“, so der Justizsprecher, seien sich der Richter, die Staatsanwaltschaft als auch der Verteidiger darüber einig gewesen, ihn wieder freizulassen. „Der Haftgrund der Fluchtgefahr war nicht mehr gegeben, bisher hat sich der Mann stets den Verfahren gestellt“, argumentiert K. Wiederholungsgefahr als weiterer Haftgrund sei hier nicht in Frage gekommen, da der 23-Jährige bislang nicht wegen Sexualdelikten in Erscheinung getreten sei, hieß es. K. [Sprecher der Dortmunder Staatsanwaltschaft] zufolge sei es häufig eine Ermessensentscheidung, ob ein Tatverdächtiger in Untersuchungshaft bleibe oder freikomme. Dass es sich bei der Vergewaltigung eines Kindes um ein Kapitalverbrechen handelt, spielte bei der Entscheidungsfindung der Dortmunder Justiz keine Rolle. Denn nach FOCUS-Online-Recherchen hegte man bei jenem Haftprüfungstermin noch erhebliche Zweifel an den Vorwürfen der elfjährigen Schülerin. Somit kam ihr Peiniger wieder frei. Am 24. Juli soll Zubyr S. nahe seinem Wohnort erneut zugeschlagen haben. Somit bestätigten sich im Nachgang auf tragische Weise die Angaben des ersten Opfers. Die Geschehnisse wurden auf Geheiß der Dortmunder Staatsanwaltschaft bisher nicht über eine Pressemitteilung veröffentlicht, wie sonst bei Kapitaldelikten meist üblich. „Dies ist aus Opferschutzgründen geschehen“, betont Staatsanwalt K. Das Schweigen habe nichts damit zu tun, dass man um eine Stigmatisierung des afghanischen Beschuldigten gefürchtet habe.“ Sollten all diese Informationen zutreffend sein, wäre dieser Fall exemplarisch für das Versagen der Bundes- und Landesregierungen in der Flüchtlingspolitik. Auch bei der Justiz scheint es in diesem Fall erneut zu einer größeren Panne gekommen zu sein. Der AfD-Fraktionsvorsitzende im Dortmunder Stadtrat kommentierte die Ereignisse wie folgt: 3 Vgl. https://www.bild.de/bild-plus/news/inland/news-inland/strafakte-von-maedchen-vergewaltigerzubyr -s-allein-4-eintraege-wegen-koerperver-72149234.bild.html 4 Vgl. https://www.focus.de/panorama/welt/tatverdaechtiger-ist-polizeibekannt-mutmasslichervergewaltiger -schlaegt-wieder-zu-fall-zubyr-s-wird-zumjustizskandal _id_12261086.html?fbclid=IwAR17l0PFG7dd9QCXl4- HafjqWLNx8VEmcLTfgtXcyFiAWajIwiQbiFc3gEM LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11075 3 „Die Tat ist trauriges Symbol für eine verantwortungslose Migrationspolitik in der Stadt, die die Handschrift von Oberbürgermeister Sierau, Ordnungsdezernent D. und Polizeipräsident L. trägt. Die ständige Verklärung der Nordstadt zum „bunten Viertel“ hat eine konsequente Politik von Recht und Gesetz in diesem Problemviertel unmöglich gemacht – somit tragen die genannten Stadteliten die politische Verantwortung für diese grausame Tat des Afghanen.“5 Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 4232 mit Schreiben vom 18. September 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration beantwortet. 1. Welche gesicherten Informationen liegen der Landesregierung bezogen auf das Datum der Einreise, das Alter, die Nationalität sowie den aufenthalts- bzw. asylrechtlichen Status des Tatverdächtigen vor? (Bitte angeben, wenn Informationen auf der Eigenauskunft des Tatverdächtigen beruhen und bisher nicht durch geeignete Papiere oder aus anderen Quellen belegt werden konnten) Nach eigenen Angaben des Betroffenen ist er am 25. Oktober 2015 im Alter von 18 Jahren in das Bundesgebiet eingereist und afghanischer Staatsangehöriger. Er wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 8. Februar 2018 als Flüchtling anerkannt. Aktuell ist der Betroffene im Besitz einer sogenannten Fiktionsbescheinigung, da die Ausländerbehörde die Entscheidung über die beantragte Aufenthaltserlaubnis mit Blick auf anhängige Strafverfahren wiederholt ausgesetzt hat. 2. Welche Erkenntnisse zur kriminellen Vergangenheit und zum Vorstrafenregister des Tatverdächtigen liegen der Landesregierung vor? Der Leitende Oberstaatsanwalt in Dortmund hat dem Ministerium der Justiz unter dem 28. August 2020 berichtet, dass der Beschuldigte bislang wegen Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen Erschleichens von Leistungen jeweils zu einer Geldstrafe im untersten Bereich verurteilt worden sei. Ergänzend wird auf die vertrauliche Vorlage 17/127 Bezug genommen. 3. Inwieweit erhalten kommunale Ausländerbehörden auf dem Wege einer „MiStra“ (Anordnung über Mitteilung in Strafsachen) oder auf anderem Wege durch die Staatsanwaltschaften Informationen über Ermittlungsverfahren der in der jeweiligen Kommune lebenden Ausländer und Asylberechtigten? Einschlägig sind die Nummern 42 und 42a der Anordnung über die Mitteilungen in Strafsachen (MiStra). Auf deren – im Internet unter www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de abrufbaren – Inhalt wird Bezug genommen. 5 Vgl. https://www.afd-do-fraktion.de/item/595-afghane-vergewaltigt-13-jaehrige-in-nordstadt-afdfraktion -sieht-direkte-mitverantwortung-bei-stadtverwaltung-undpolizeipraesident ?fbclid=IwAR3x7XJpkOwEhBJKuKheXrtT11EKeAW0N8RE1uvRrHQiABMgLJw_dPo xSCU LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11075 4 4. Welche Gesetzesinitiativen sind von der Landesregierung geplant, um - wie vom Integrationsminister in diesem Fall angeregt - die Anzahl der Abschiebungen bei schweren Straftaten, wie u.a. bei Sexualdelikten, deutlich zu erhöhen? Durch das Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht, das am 21. August 2019 in Kraft getreten ist, wurden aktuell bereits insbesondere Ausweisungsregelungen verschärft. So können etwa Personen, die wegen Sozialleistungsbetrugs oder Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr rechtskräftig verurteilt wurden, leichter ausgewiesen werden. Daneben wurden Überwachungsmaßnahmen gegen ausreisepflichtige schwere Straftäter, die nicht abgeschoben werden können, durch die Gesetzesänderung ausgeweitet. Ein weitergehender gesetzlicher Handlungsbedarf wird vor diesem Hintergrund derzeit nicht gesehen. Konsequente Abschiebungen von Straftätern sind auf Grundlage des geltenden Rechts möglich, sofern die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind. Es müssen also insbesondere eine vollziehbare Ausreisepflicht und auch faktische Rückführungsmöglichkeiten in den betreffenden Zielstaat vorliegen. Die Landesregierung verfolgt dabei mit großer Konsequenz das Ziel, ausländische Straftäter aus Nordrhein-Westfalen abzuschieben. Insoweit koordinieren und begleiten die in NRW im Jahr 2017 neu etablierten sog. Regionalen Rückkehrkoordinationsstellen (RRK) bei den fünf Bezirksregierungen seit dem 2. Halbjahr 2018 in bislang bereits über 1.800 Fällen in einem Fallmanagement gezielt aufenthaltsrechtliche Verfahren und ggf. aufenthaltsbeendende Maßnahmen bei ausländischen strafrechtlich auffälligen Personen, aber auch bei ausländischen Personen mit erheblich negativem Sozialverhalten. Hierzu zählt insbesondere die Initiierung, Koordination und Begleitung von Vor-Ort-Fallkonferenzen zur behördenübergreifenden Vernetzung der relevanten Akteure sowie zur Festlegung geeigneter Maßnahmen und ggf. zeitnahen Durchsetzung der Ausreisepflicht durch die zuständigen Behörden. Unter Begleitung des Fallmanagements NRW wurden mit Stand 31. Juli 2020 bislang 224 vollziehbar ausreisepflichtige Personen abgeschoben. Das Fallmanagement NRW soll insbesondere mit Fokus auf ausländische Mehrfach- und Intensivtäter sukzessive weiterentwickelt und ausgebaut werden. Aktiv unterstützt werden die RRK im Fallmanagement durch die Verbindungsstelle der Polizei zu den Bezirksregierungen in Flüchtlingsangelegenheiten beim Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste NRW sowie ihre dezentralen Vertretungen vor Ort bei den fünf Bezirksregierungen. 5. In welcher Form wird das Vorgehen der Justiz nach der ersten Vergewaltigung in diesem Fall aufgearbeitet? Die Vorbemerkungen der Kleinen Anfrage sowie die Frage nach einer Aufarbeitung zeichnen ein falsches Bild. Tatsächlich war die staatsanwaltschaftliche Sachbehandlung, soweit ersichtlich, aus den gegenüber dem Rechtsausschuss des Landtags dargelegten Gründen (zu vgl. Vorlage 17/3695, vertrauliche Vorlage 17/127 und Ausschussprotokoll APr 17/1081, Seite 29 bis 33) nicht zu beanstanden. Für die Entscheidung des Gerichts gilt im Übrigen der Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit (Artikel 97 des Grundgesetzes).