LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11082 21.09.2020 Datum des Originals: 21.09.2020/Ausgegeben: 25.09.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4244 vom 27. August 2020 der Abgeordneten Alexander Langguth und Marcus Pretzell FRAKTIONSLOS Drucksache 17/10754 Recht auf Home-Office?! Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit dem Beginn der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie in Deutschland wird verstärkt diskutiert, ob man Arbeitnehmern ein Recht auf „Home-Office“ einräumen sollte. Natürlich ist dies in manchen Branchen gar nicht oder nur eingeschränkt möglich. Außerdem müssten klare Kriterien festgelegt werden, wann ein Arbeitgeber verpflichtet wäre, die Heimarbeit zu ermöglichen. Hierbei müssten die rein betrieblichen Rahmenbedingungen sowie auch die sozio-kulturellen Folgen berücksichtigt werden. Nichtsdestotrotz bietet diese Idee auch zahlreiche Vorteile. Bestünde vermehrt die Möglichkeit, remote (ganz oder teilweise) zu arbeiten, würden weniger Pendler die Straßen sowie Autobahnen verstopfen und die Parkplatzsituation in den Innenstädten würde entlastet. Der Treibstoffverbrauch würde reduziert, ebenso der Energieverbrauch der Unternehmen. Es müsste weniger Bürofläche vorgehalten werden, so dass der Flächenverbrauch in den Städten sinken könnte, alternativ würde die Notwendigkeit, in die Höhe zu bauen, sinken. Ein weiterer wichtiger Punkt wäre eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dies gilt insbesondere für Frauen. Statistisch gesehen sind es nach wie vor überwiegend Frauen, die nach der Geburt ihrer Kinder für eine gewisse Zeit aus ihrem Beruf aussteigen. Je länger dies dauert, desto schlechter die Chancen, wieder in einer adäquaten Position eingestellt zu werden. Hierdurch entsteht der Druck, Kinder möglichst früh fremdbetreuen zu lassen. Häufig ist es gerade die fehlende Flexibilität eines Bürojobs am Unternehmensstandort (Hin- und Rückfahrt zur Schule oder zum Kindergarten, spontaner Arztbesuch), der nur einen sehr geringen Beschäftigungsumfang zulässt. Dies gilt auch und insbesondere für Alleinerziehende. Ob ein verstärkter Umstieg auf die Heimarbeit nun per Gesetz durchgesetzt werden muss oder doch eher durch geeignete Anreize gefördert werden sollte, möchte der Anfragensteller an dieser Stelle außen vor lassen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11082 2 Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 4244 mit Schreiben vom 21. September 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Ministerpräsidenten, dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, dem Minister für Verkehr sowie der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. 1. Wie viele Arbeitsplätze in NRW sind, geschätzt, ganz oder teilweise geeignet, auf Heimarbeit umgestellt zu werden? Die Möglichkeit, seiner beruflichen Tätigkeit von Zuhause aus nachzugehen, hängt von der jeweiligen Art der Beschäftigung ab. Hierbei ist entscheidend, dass bei Tätigkeiten, die nicht ortsunabhängig durchgeführt werden können, wie beispielsweise im produzierenden Gewerbe, Heimarbeit keine Option darstellt, da entsprechendes Equipment/Ausstattung zur Ausübung der beruflichen Tätigkeit von Nöten sind. In vielen anderen Wirtschaftsbereichen ist Homeoffice möglich. Dies hängt hierbei von mehreren Faktoren ab. Bei Tätigkeiten, die sich prinzipiell für Homeoffice eignen, weil sie beispielsweise überwiegend am Computer stattfinden, müssen technische sowie arbeitsschutzrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Unternehmen müssten ihren Beschäftigten eine entsprechende Ausstattung mit Hard- und Software zur Verfügung stellen, sodass eine Umstellung auf Heimarbeit umsetzbar wird. Auch aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht müssen festgelegte Voraussetzung am Heimarbeitsplatz vorliegen, damit das Zuhause zu einem vollwertigen Arbeitsplatz umfunktioniert werden kann. Eine belastbare Schätzung, wie viele Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen zur Umstellung auf Heimarbeit geeignet sind, kann daher nicht erfolgen. Der Lockdown während der Corona-Pandemie hat aber gezeigt, dass Homeoffice in weitaus mehr Unternehmen und Verwaltungen und in höherem Umfang praktiziert werden kann als bisher. Es kann damit gerechnet werden, dass diese Arbeitsform eine dauerhafte Stärkung erfahren wird. 2. Wie bewertet die Landesregierung die Umstellung auf Heimarbeit mit Blick auf die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, insbesondere auf die berufliche Gleichstellung von Frauen? Homeoffice kann Erwerbstätige mit Sorgeaufgaben deutlich entlasten und zu einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie beitragen. Hauptgründe sind die Einsparung von Wegezeiten und oftmals auch erweiterte Möglichkeiten zur Arbeitszeitflexibilisierung, die eine weitgehend kontinuierliche Erwerbstätigkeit ermöglichen. Dies kann gleichberechtigte Partnerschaften begünstigen und die Erwerbsbeteiligung von Frauen verbessern. In der Landesverwaltung ermöglichen daher spezielle „Dienstvereinbarungen zu Telearbeit und mobilem Arbeiten“ bereits ein hohes Maß an flexibler Arbeitsgestaltung. Die Weiterentwicklung dieser Angebote und Maßnahmen wird die Landesregierung insbesondere auch im Rahmen des Konzepts „Moderne Frauen- und Familienförderung in der Landesverwaltung“ verfolgen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11082 3 3. Wie bewertet die Landesregierung die Umstellung mit Blick auf das Optimierungspotential im Bereich Verkehr und Infrastruktur (Verkehr, Umweltbelastung, Flächenverbrauch, Parken etc.)? Im Rahmen der Beantwortung dieser Kleinen Anfrage können aus Zeitgründen lediglich stichprobenhafte Auswertungen von Datenquellen in originärer Zuständigkeit des Landes erfolgen, die ergänzt wurde um eine Datenabfrage bei der Stadt Essen. Hierfür wurden pro Fahrtrichtung vier Messquerschnitte auf den Autobahnen ausgewertet, mit denen sichergestellt wird, dass sowohl Fernverkehrs-, als auch Pendlerautobahnen erfasst werden: • A3 Höhe Leverkusen • A40 Höhe Essen • A57 Höhe Neuss • A59 Höhe Troisdorf Eine Ganglinienanalyse dieser Querschnitte ergibt kein einheitliches, sondern ein heterogenes, sogar hinsichtlich der Fahrtrichtungen deutlich unterschiedliches Bild. Auf der A 3 beträgt die aktuell ermittelte Verkehrsbelastung demnach zwischen 91 und 95 Prozent, auf der A 40 zwischen 90 und 100 Prozent, auf der A 57 in beiden Fahrtrichtungen 94 Prozent und auf der A 59 zwischen 79 und 82 Prozent, jeweils im Vergleich zum Vorjahreszeitraum eine Woche nach Ende der Sommerferien. Pauschaliert kann demnach davon ausgegangen werden, dass landesweit die aktuelle Verkehrsstärke bei rund 90 Prozent des Normalwertes liegt, wobei seit Anbeginn der Maßnahmenlockerung ein stetiger Anstieg bis auf das heutige Niveau zu verzeichnen ist. Ein ähnliches Bild ergibt sich in der Stadt Essen, in der die ermittelten Verkehrsbelastungen bei etwa 85 Prozent des Normalwertes liegen. Die Ergebnisse einer in diesem Zusammenhang ebenfalls veranlassten Stauauswertung sind folgender Tabelle zu entnehmen: 2019, KW 37 2020, KW 35 2020/2019 Anzahl 1555 809 52 % Länge [km] 2397,9 1171,3 49 % Dauer 2350,1 1089,3 46 % Zusammengefasst ist eine Halbierung der Stauereignisse und deren Auswirkungen erkennbar. Bezogen auf einzelne Strecken ergibt sich allerdings, wie schon bei den Verkehrsmengen beobachtet, ein heterogenes Bild. Innerstädtische Verkehrsstörungen sind in einem ähnlichen Umfang zurückgegangen. Die Messwertentwicklung beim Luftschadstoff Stickstoffdioxid korreliert grundsätzlich mit den detektierten geringeren Verkehrsmengen Grundsätzlich bleibt festzustellen, dass die Veränderungen des Verkehrsgeschehens nicht mono-kausal begründet werden können. Neben den Auswirkungen von Homeoffice- Regelungen im Sinne der Fragestellung sind hier auch weitere Faktoren (z. B. verstärkte Durchführung von Audio- und Videokonferenzen, Kurzarbeit, temporär geschlossene Betriebe, pandemiebedingter Rückgang der Wirtschaftsleistung) anzuführen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11082 4 Optimierungspotentiale hinsichtlich der Aspekte Flächenverbrauch und Parken im Sinne der Fragestellung sind derzeit noch nicht erkennbar. Hierzu bedarf es einer gesicherten und langfristig absehbaren Entwicklung des Verkehrs, sowohl hinsichtlich der Verkehrsmenge, als auch des Modal Split. 4. Wie bewertet die Landesregierung die Umstellung mit Blick auf das Optimierungspotenzial im Bereich Energieeinsparung (Kraftstoff, Stromverbrauch der Unternehmen etc.)? Nach den Zahlen des Ergebnisberichtes „Mobilität in Deutschland“ aus dem Jahr 2017 arbeiten in Deutschland insgesamt 13 Prozent der Beschäftigten teilweise im Homeoffice. 8 Prozent arbeiten zwei und mehr Tage im Homeoffice. Beschäftigte, die nicht im Homeoffice arbeiten, haben eine mittlere Wegelänge zum Arbeitsplatz von 15 km. Bei Beschäftigten, die teilweise im Homeoffice arbeiten, beträgt die mittlere Wegelänge zwischen 22-24 km. Die Arbeitsgruppe „Klimaschutz im Verkehr“ der Nationalen Plattform Zukunft der Mobilität ist von 12 Prozent der Beschäftigten im Homeoffice ausgegangen und hat hochgerechnet, falls weitere 18 Prozent der Beschäftigten einen Tag zu Hause arbeiten würden, etwa 0,8 Mio. Tonnen CO2 gegenüber 2015 eingespart werden könnten. Dieser Wert verdoppelt sich nahezu, wenn diese 18 Prozent zwei Tage im Homeoffice verbringen. Eine derartige Minderung der CO2-Emissionen bewertet die Landesregierung positiv. Eine entsprechende Entwicklung hält sie aufgrund der Erfahrungen der letzten Monate für möglich, ohne dass dies aktuell spezifiziert werden kann.