LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11083 21.09.2020 Datum des Originals: 21.09.2020/Ausgegeben: 30.09.2020 (25.09.2020) Neudruck Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4270 vom 28. August 2020 der Abgeordneten Alexander Langguth und Marcus Pretzell FRAKTIONSLOS Drucksache 17/10784 Nicht-verwendbare Tiere in der Forschung Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Gesamttierzahl in Laboren umfasst einerseits die Tiere, die nach § 7 TierSchG in Tierversuchen eingesetzt werden oder nach § 4 TierSchG zur Entnahme von Organen und Geweben zu wissenschaftlichen Zwecken getötet werden sowie andererseits diejenigen Tiere, die nicht für Versuche verwendet werden konnten. Letztere entstehen unter anderem dadurch, dass je nach Versuchsvorhaben nur ein bestimmter Genotyp oder nur ein bestimmtes Geschlecht verwendet werden kann. Die Verfütterung der zu viel geborenen Tiere ist dann zugelassen, sofern die Tiere nicht genetisch verändert sind.1 Gemäß Prof. Dr. S. Treue entstammen die Tiere jedoch überwiegend von genetisch veränderten Elterntieren.2 2017 wurden in deutschen wissenschaftlichen Einrichtungen 3,2 Mio. Tiere geboren, welche nicht in Tierversuchen eingesetzt oder für wissenschaftliche Zwecke getötet wurden.3 Nach EU- Vorschrift wird die Gesamtzahl der Versuchs-, Zucht- und Haltungstiere ab 2018 alle fünf Jahre veröffentlicht. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4270 mit Schreiben vom 21. September 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Nach Artikel 54 Absatz 1 der Richtlinie 2010/63/EU zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (RL 2010/63/EU) müssen die EU-Mitgliedstaaten der Europäischen Kommission bis zum 10. November 2018 und danach alle fünf Jahre Informationen über die Durchführung dieser Richtlinie und insbesondere des Artikels 10 Absatz 1 sowie der Artikel 26, 28, 34, 38, 39, 43 und 46 übermitteln. 1 Vgl. https://www.tierversuche-verstehen.de/wp-content/uploads/2020/01/tvv_factsheet.pdf (abgerufen am 14.02.2020) 2 Vgl. https://youtu.be/UhVveIMGbxU (abgerufen am 14.02.2020) 3 Vgl. https://www.tierversuche-verstehen.de/erstmals-zahlen-fuer-nicht-verwendbare-tiere-in-derforschung (abgerufen am 14.02.2020) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11083 2 Aus dem Durchführungsbeschluss der Kommission 2012/707/EU zur Festlegung eines gemeinsamen Formats für die Vorlage der Informationen gemäß der Richtlinie 2010/63/EU ergibt sich, in welcher Form und in welchem Umfang die o.g. Informationen zu erheben bzw. zu übermitteln sind. Darüber hinaus sind auch Angaben nach Artikel 10 der Richtlinie 2010/63/EU (Informationen über Tiere, die gezüchtet, getötet und nicht in Verfahren verwendet werden, einschließlich genetisch veränderter Tiere, die nicht unter die Jahresstatistiken fallen, vgl. Durchführungsbeschluss der Kommission 2012/707/EU) an die Europäische Kommission zu übermitteln. Gemäß Erlass des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft „Berichtspflicht nach Artikel 54 Absatz 1 der RL 2010/63/EU“ vom 2. November 2017 sind die Angaben nach Artikel 10 der Richtlinie 2010/63/EU für das dem Jahr der Vorlage des Berichtes an die Europäische Kommission (2018) vorangehende Kalenderjahr vorzulegen. Der nächste Bericht an die Europäische Kommission erfolgt im Jahr 2023. In der Beantwortung der Kleinen Anfrage können derzeit insofern nur Zahlen des Jahres 2017 berichtet werden. Darüber hinausgehende Jahre wurden im Rahmen der Berichterstattung auf der Grundlage des Artikels 54 Abs. 1 der RL 2010/63/EU gemäß oben genanntem Erlass noch nicht erfasst. 1. Wie viele Tiere wurden nach Kenntnis der Landesregierung 2017, 2018 und 2019 in nordrhein-westfälischen Einrichtungen für Versuchszwecke geboren, jedoch nicht nach § 4 oder § 7 TierSchG verwendet? Bezugnehmend auf die Vorbemerkungen wurde in 2018 die Anzahl gezüchteter und getöteter Tiere, die nicht in Verfahren verwendet wurden, für das Jahr 2017 (Artikel 10, 28 und 30 der Richtlinie 2010/63/EU) erfasst. Es wurden in Nordrhein-Westfalen für das Jahr 2017 insgesamt 680.735 Tiere, die gezüchtet, nicht in Verfahren verwendet und getötet wurden, erfasst. Die moderne Gentechnik versetzt die Wissenschaft in die Lage, nahezu unbegrenzt Modellorganismen zur Erforschung biologischer und medizinischer Probleme zu entwickeln. Wegen ihrer hohen genetischen Ähnlichkeit zum Menschen ist die Maus hierfür das am häufigsten verwendete Tier. Zur Schaffung einer neuen Linie mit den gewünschten genetischen Eigenschaften wird eine wesentlich größere Anzahl an Tieren benötigt, als später in Tierversuchsvorhaben tatsächlich verwendet werden kann, da der größere Teil der eigens für den Versuch gezüchteten Tiere nicht dem für das Versuchsvorhaben benötigten Genotyp entspricht. Daneben entstehen überzählige Tiere auch bei der sog. Erhaltungszucht einer genetischen Linie. Diese Zucht dient dem Zweck, der Wissenschaft eine bestimmte transgene Linie über einen langen Zeitraum zur Verfügung stellen zu können. Unabhängig von der tatsächlichen Zahl der Tiere stellt sich immer die Frage nach dem Verbleib der Tiere, die nicht in Versuchen verwendet werden. Keine Forschungseinrichtung verfügt über die Möglichkeiten, alle überzähligen Tiere bis zu ihrem natürlichen Tod zu halten. Soweit eine Tötung dieser Tiere erfolgen soll, muss dafür ein vernünftiger Grund nach dem Tierschutzgesetz (TierschG) für eine eventuelle Tötung vorliegen. Bei der Zucht genetisch veränderter Tiere muss unterschieden werden, ob bei den Nachkommen aufgrund ihrer genetischen Modifikation Schmerzen, Leiden oder Schäden LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11083 3 auftreten können oder nicht. Eine Tötung zum Zwecke des Ersparens weiterer Schmerzen, Leiden oder Schäden ist tierschutzrechtlich als vernünftiger Grund anerkannt, was auch in § 28 Abs. 2 Tierschutz-Versuchstierverordnung (TierSchVersV) seinen Niederschlag findet. Laut BGH handelt es sich bei der Tötung zur Verhinderung weiterer Schmerzen, Leiden oder Schäden um ein „sittliches Gebot richtig verstandenen Tierschutzes“ (BGH, Urteil vom 19.01.1982, Az. VI ZR 281/79). Weiterhin besteht die Möglichkeit der Verwendung überzähliger Tiere als Futtertiere in Zoos oder ähnlichen Einrichtungen. Es ist allgemein anerkannt, dass die Gewinnung von Fleisch für die menschliche Ernährung einen vernünftigen Grund darstellt, auch wenn der Mensch für seine Ernährung nicht zwingend auf Fleisch angewiesen ist (vgl. Lorz/Metzger, Kommentar zum Tierschutzgesetz, § 1 Anh., Rn. 21.; Caspar, Der vernünftige Grund im Tierschutzgesetz, NuR 1997, 577, 582). Es ist nicht ersichtlich, warum für die Ernährung von Tieren andere Maßstäbe anzulegen sind (Lorz/Metzger, Kommentar zum Tierschutzgesetz, § 1 Anh., Rn. 22). Zum einen ist hier das Leben des Futtertieres, zum anderen die Gesundheit und das Wohlbefinden des Tieres, an welches das Futtertier verfüttert werden soll, betroffen. Zu beachten ist, dass viele Tiere auf eine bestimmte Art von Beutetier angewiesen sind. Wenn also Tiere als arttypisches Beutetier eines anderen Tieres anzusehen sind, kann ein vernünftiger Grund bejaht werden. Zur Vorgehensweise bei der Prüfung der Verwendungsmöglichkeit für gezüchtete, aber nicht im Versuch eingesetzte Tiere, sieht das Protokoll der Bund-Länder- Tierschutzreferentensitzung vom 7. Mai 2014 vor, dass kranke Tiere nicht abgegeben werden dürfen, eine Verwertung als Futtertier grundsätzlich zulässig ist, andere Verwendungsmöglichkeiten, wie z.B. in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, möglich sind und ein Konzept zur Minimierung der Anzahl nicht in Tierversuchen verwendeter Tiere als Nebenbestimmung in die jeweiligen § 11-Erlaubnissen für Zuchtbetriebe aufgenommen werden sollte. Die Einschränkung des Tierschutzes ist in der Abwägung mit der zu erwartenden Einschränkung der grundgesetzlich garantierten Wissenschaftsfreiheit als angemessen einzustufen. Die Entstehung überzähliger Tiere ist gegenwärtig eine unvermeidbare Folge der für die biomedizinische Forschung notwendigen Tierzuchten. Müssten alle für die Forschung gezüchteten Tiere bis zu ihrem natürlichen Tod gehalten werden, würden die Einrichtungen ihren Forschungscharakter verlieren und einen bedeutenden Teil ihrer Ressourcen nicht für die Durchführung von Forschungsvorhaben aufwenden, sondern für die Unterbringung von überzähligen Tieren. Die Durchführung von Tierversuchen wäre aus Kapazitätsgründen stark eingeschränkt. Die gesetzliche Erlaubnis, unter bestimmten Bedingungen, Tierversuche durchführen zu können, impliziert eine Einschränkung des Tierschutzes im Namen des wissenschaftlichen Fortschritts, die so vom Gesetzgeber gewollt ist. Voraussetzung ist jedoch, dass zuerst mildere, andere Mittel im Vergleich zur Tötung geprüft werden müssen und dass die Zucht der Tiere vorher so sorgsam wie möglich geplant wird, um die Zahl der überzähligen Tiere zu verringern (vgl. OLG Naumburg, Beschluss vom 28.06.2011, Az. 2 Ss 82/11, Rn. 14 ff.). Dennoch wird dem Tierschutz dadurch Rechnung getragen, dass die Einrichtungen im Vorfeld alle zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen, um die Entstehung überzähliger Tiere zu vermeiden. Korrespondierend damit, sollen im Nachgang ebenfalls alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, die eine Tötung überzähliger Tiere verhindern können. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11083 4 2. Für welche Zwecke wurden die Tiere aus Frage 1 verwendet? Sofern entsprechende Daten verfügbar sind, bitte bei den unterschiedlichen Verwendungszwecken die jeweilige Anzahl der Tiere angeben. Bei der in der Beantwortung der Frage 1 genannten Gesamtzahl handelt es sich um Tiere zur Zucht, zur Generierung und zur Erhaltung transgener Linien: Zucht: 271.471 Tiere Generierung transgener Linien: 26.271 Tiere Erhaltung transgener Linien: 382.993 Tiere.