LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11085 22.09.2020 Datum des Originals: 22.09.2020/Ausgegeben: 28.09.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4236 vom 21. August 2020 des Abgeordneten Michael Hübner SPD Drucksache 17/10711 Femizide im Kreis Recklinghausen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 12. Oktober 2017 hat Deutschland die Istanbul-Konvention zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ratifiziert, die am 1. Februar 2019 in Kraft getreten ist. Mit diesem Übereinkommen verpflichtet sich Deutschland dazu, auf allen staatlichen Ebenen alles dafür zu tun, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. 2018 sind 122 Frauen in Deutschland von ihrem Partner oder Ex-Partner umgebracht worden.1 Rein rechnerisch wird also an jedem dritten Tag eine Frau Todesopfer ihrer (Ex-)Beziehung. Die Zahlen und Fälle offenbaren, dass Partnerschaftsmorde an Frauen ein Sicherheitsrisiko darstellen. Während in den Medien noch häufig bagatellisierend von „Familientragödie“ oder „Eifersuchtsdrama“ die Rede ist, hat sich in der Fachwelt mittlerweile der Begriff „Femizid“ durchgesetzt. Dies soll gerade auch der strukturellen Dimension und dem Ausmaß der Frauenmorde Rechnung tragen. Der Europäischen Agentur für Gleichstellungsfragen zufolge ist ein Femizid eine von privaten und öffentlichen Akteuren begangene oder tolerierte Tötung von Frauen und Mädchen wegen ihres Geschlechts. Der Begriff deckt u. a. den Mord bzw. Totschlag an einer Frau in der Partnerschaft ab. Mehr als 38.500 Opfer häuslicher Gewalt gab es allein im Jahr 2017 in Nordrhein-Westfalen.2 Das entspricht rein rechnerisch, dass im gleichen Jahr jede Woche eine Frau an den Folgen häuslicher Gewalt starb. So gab es in Nordrhein-Westfalen 72 Todesfälle aufgrund von Partnerschaftsgewalt, 56 der Opfer waren Frauen.3 1 Im statistischen Jahr 2018. https://www.zeit.de/2019/51/frauenmorde-gewalt-partnerschaftbundeskriminalamt , (abgerufen am 27.04.2020). 2 WAZ, „Diakonie in NRW: Häusliche Gewalt betrifft jedes Milieu“ (2018): https://www.waz.de/politik/landespolitik/diakonie-in-nrw-haeusliche-gewalt-betrifft-jedes-milieuid 215861089.html (abgerufen am 27.04.2020). 3 WR, „Jede Woche stirbt eine Frau durch häusliche Gewalt in NRW“ (2018): https://www.wr.de/politik/jede-woche-stirbt-eine-frau-durch-haeusliche-gewalt-in-nrwid 215859445.html (abgerufen am 27.04.2020). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11085 2 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4236 mit Schreiben vom 22. September 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung und dem Minister der Justiz beantwortet. 1. Wie viele Frauen wurden von ihren Ex-Partnern ermordet im Kreis Recklinghausen? (aufgeschlüsselt nach Städten, Alter, Anklage, Verurteilung) Die Generalstaatsanwältin in Hamm hat dem Ministerium der Justiz unter dem 1. September 2020 auf Grundlage von Berichten der Behördenleitungen der Staatsanwaltschaften Bochum, Dortmund und Essen dazu wie folgt berichtet: ‚Bei den Staatsanwaltschaften Bochum, Dortmund und Essen sind im Jahr 2019 keine Verfahren aus dem Kreis Recklinghausen geführt worden, die die Tötung einer Frau durch ihren Ex-Partner zum Gegenstand hatten.‘ Dem Ministerium der Justiz liegen Daten zur Beantwortung der Frage ebenfalls nicht vor. Die einschlägigen Justizgeschäftsstatistiken differenzieren nicht nach dem Geschlecht des Opfers und des Täters. Auch in der polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) wurden im Jahr 2019 keine Straftaten aus dem Kreis Recklinghausen erfasst, die den Verdacht der Tötung einer Frau durch ihren Ex-Partner zum Gegenstand hatten. 2. Wie viele Männer wurden 2019 im Kreis Recklinghausen wegen einer Gewalttat an einer Partnerin oder Ex-Partnerin angezeigt? (aufgeschlüsselt nach Städten, Art der Tat, Anklageerhebung (ja/nein), Vorstrafen der Täter (ja/nein), Verurteilungen) Zur Beantwortung der Frage wurde eine Auswertung der PKS durchgeführt. Dabei wurden sämtliche Delikte ausgewertet, die gemäß der Definition der PKS-Richtlinien 2020 unter dem Begriff Gewaltkriminalität zusammengefasst werden. Hierzu zählen • Mord • Totschlag und Tötung auf Verlangen • Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschl. mit Todesfolge • Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer • Körperverletzung mit Todesfolge • Gefährliche und schwere Körperverletzung, Verstümmelung weiblicher Genitalien • Erpresserischer Menschenraub • Geiselnahme und • Angriff auf den Luft- und Seeverkehr. Demnach wurden im Jahr 2019 insgesamt 206 männliche Tatverdächtige in mindestens einer der vorgenannten Straftaten zum Nachteil der Partnerin oder ehemaligen Partnerin erfasst. Eine detaillierte Darstellung, aufgeschlüsselt nach Städten, ist als Anlage beigefügt. Informationen zu Anklageerhebung, Vorstrafen und Verurteilungen werden in der PKS nicht erfasst. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11085 3 Die Generalstaatsanwältin in Hamm hat dem Ministerium der Justiz unter dem 1. September 2020 auf Grundlage von Berichten der Behördenleitungen der Staatsanwaltschaften Bochum, Dortmund und Essen dazu wie folgt berichtet: ‚Mangels statistischer Erfassung der abgefragten Verfahrenskriterien ist eine EDV-gestützte Auswertung zur Beantwortung der Frage 2 nicht möglich. Eine händische Auswertung ist mit vertretbarem Aufwand nicht zu leisten.‘ Dem Ministerium der Justiz liegen Daten zur Beantwortung der Frage ebenfalls nicht vor. Die einschlägigen Justizgeschäftsstatistiken differenzieren nicht nach dem Geschlecht des Opfers und des Täters. 3. Wie hoch schätzt die Landesregierung die Dunkelziffer von nicht angezeigten Gewalttaten gegen Frauen durch ihre Ex-Partner? Aktuell liegen der Polizei Nordrhein-Westfalen noch keine Daten vor, die eine valide Einschätzung der nachgefragten Dunkelfelder ermöglichen. Die Kriminalistisch- Kriminologische Forschungsstelle des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen führte seit 2019 im Auftrag des Ministeriums des Innern und des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen die Bevölkerungsbefragung „Sicherheit und Gewalt in Nordrhein-Westfalen“ durch. Im Rahmen dieser Befragung wurden rund 60.000 nordrheinwestfälische Bürgerinnen und Bürger ab 16 Jahren unter anderem nach ihren Erfahrungen mit Gewalt in (Ex-)Partnerschaften und ihrem diesbezüglichen Anzeigeverhalten befragt. Die Ergebnisse der Studie werden voraussichtlich im November 2020 vorliegen und veröffentlicht. 4. Hält es die Landesregierung für sinnvoll oder notwendig, „Femizid“ als eigenen Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen (bitte mit Begründung)? Die Landesregierung hält es weder für sinnvoll noch für notwendig, den sogenannten „Femizid“ als eigenen Straftatbestand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Bereits gegenwärtig ist die effektive Strafverfolgung und angemessene Bestrafung entsprechender Delikte regelmäßig gewährleistet, sofern unter den Begriff „Femizid“ - entsprechend der in der Kleinen Anfrage mitgeteilten Definition - Tötungsdelikte zum Nachteil von (Ex-)Partnerinnen gefasst werden. Unabhängig von der nur im Einzelfall zu beantwortenden Frage, ob Tötungen von (Ex- )Partnerinnen das Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ erfüllen, liegen der Landesregierung keine Anhaltspunkte dafür vor, dass solche Tötungsdelikte nicht regelmäßig schuldangemessen sanktioniert werden. 5. Ergibt sich aus Sicht der Landesregierung aus der Istanbul-Konvention Handlungsbedarf im Hinblick auf die Strafverfolgung von Tätern, die sich einer Gewalttat an Frauen bzw. explizit ihrer (Ex-)Partnerin schuldig gemacht haben? (bitte mit Begründung) Handlungsbedarf aus der Istanbul-Konvention im Hinblick auf die Strafverfolgung von Tätern, die sich einer Gewalttat an Frauen bzw. explizit ihrer (Ex-)Partnerin schuldig gemacht haben, ergibt sich aus Sicht der Landesregierung nicht. Die Regelungen der Konvention sind im Bund und in Nordrhein-Westfalen vollständig umgesetzt (vgl. Bundestags-Drucksache 19/15292 zum Stand der Umsetzung der Istanbul-Konvention). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11085 4 Es bleibt weiterhin Aufgabe aller staatlichen Ebenen, die Verpflichtungen der Istanbul- Konvention weiter umzusetzen. So enthält die Istanbul-Konvention umfassende Verpflichtungen zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder und damit auch der Weiterentwicklung der Hilfeinfrastruktur für gewaltbetroffene Personen. Aktuelle Partnerschaft, "Lebensgefährte" zur Zeit der Tat Bottrop Castrop Rauxel Datteln Dorsten Gladbeck Haltern Herten Marl Oer-Erkenschwick Recklinghausen Waltrop Mord 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Totschlag und Tötung auf Verlangen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschl. mit Todesfolge 3 0 2 1 1 0 2 2 0 7 1 Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 0 0 0 0 0 2 0 0 1 2 0 Körperverletzung mit Todesfolge 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gefährliche und schwere Körperverletzung, Verstümmelung weiblicher Genitalien 18 6 3 4 17 2 9 20 7 27 2 Erpresserischer Menschenraub 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Geiselnahme 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Angriff auf den Luft- und Seeverkehr 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Ehemalige Partnerschaften Bottrop Castrop Rauxel Datteln Dorsten Gladbeck Haltern Herten Marl Oer-Erkenschwick Recklinghausen Waltrop Mord 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Totschlag und Tötung auf Verlangen 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und sexueller Übergriff im besonders schweren Fall einschl. mit Todesfolge 0 4 2 0 1 1 0 1 1 2 0 Raub, räuberische Erpressung und räuberischer Angriff auf Kraftfahrer 1 1 0 0 1 0 0 1 0 1 1 Körperverletzung mit Todesfolge 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Gefährliche und schwere Körperverletzung, Verstümmelung weiblicher Genitalien 8 7 2 7 6 2 3 6 0 7 1 Erpresserischer Menschenraub 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Geiselnahme 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Angriff auf den Luft- und Seeverkehr 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 Anlage - Kleine Anfrage 4236 des Abgeordneten Michael Hübner der Fraktion der SPD „Femizide im Kreis Recklinghausen“, LT-Drs. 17/10711 Fraktion der SPD „Femizide im Kreis Recklinghausen“, LT-Drs. 17/10711 Anzahl Tatverdächtige