LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11269 05.10.2020 Datum des Originals: 05.10.2020/Ausgegeben: 09.10.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4285 vom 3. September 2020 der Abgeordneten Jochen Ott und Stefan Kämmerling SPD Drucksache 17/10816 Angedrohte Amokläufe an nordrhein-westfälischen Schulen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In Ihrer Antwort vom 28.05.2020 (Drs. 17/9142) zur Kleinen Anfrage 3553 des Abgeordneten Stefan Kämmerling MdL (SPD-Fraktion) berichtet die Landesregierung Folgendes: „Hinweise über eine angedrohte Amoktat werden in der Regel durch die Schulleitungen an die Polizei gemeldet. Grundlage hierfür sind oftmals Schmierereien auf Tischen, Wänden oder Türen, aber auch Hinweise durch Schülerinnen und Schüler sowie Drohschreiben oder anrufe. Die Vorgehensweise einer Schule bei der Androhung einer Amoktat ist standardisiert und richtet sich nach den Vorgaben des Notfallordners „Hinsehen und Handeln“, der allen Schulen als Printordner und als pdf-Datei vorliegt. Nach polizeilicher Überprüfung des Sachverhalts erstellt die zuständige Polizeibehörde eine Meldung über wichtige Ereignisse (sog. WE-Meldung). Diese wird über das Ministerium des Innern an den schulischen Krisenbeauftragten des Ministeriums für Schule und Bildung weitergeleitet. Er steuert die Meldung an die in den Bezirksregierungen zuständigen Dezernentinnen und Dezernenten mit der „Generale Krise“ unverzüglich weiter. Diese nehmen unmittelbar mit der Schule Kontakt auf, beraten und binden die örtlichen schulpsychologischen Beratungsstellen mit ein. Ziel ist es, die Krisensituation so schnell wie möglich aufzulösen und den betroffenen Personen pädagogisch und psychologisch zur Seite zu stehen. Die Grundsätze der schulpsychologischen Unterstützung beruhen auf einer Vereinbarung des Landes mit den Kommunalen Spitzenverbänden und der Unfallkasse NRW und sind in den gemeinsamen „Empfehlungen zu Strukturen, Aufgaben und Verfahrensweisen des Schulpsychologischen Krisenmanagements in Schulen in Nordrhein-Westfalen“ konkretisiert.“ Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 4285 mit Schreiben vom 5. Oktober 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister des Innern beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11269 2 1. In wie vielen Fällen erreichten den Schulischen Krisenbeauftragten im Ministerium für Schule und Bildung seit Mai 2017 Meldungen zu geplanten Amokläufen? (Bitte Fälle kommunenscharf nach dem Sitz der jeweiligen Schule aufführen) Zur Beantwortung der Frage liegen keine automatisierten Daten vor. Eine händische Auswertung aller Einzelsachverhalte ist in der für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit und mit vertretbarem Verwaltungsaufwand nicht möglich. Daher können nur die zur Verfügung stehenden Daten über angedrohte Amokfälle an Schulen auf Ebene der fünf Bezirksregierungen ohne Einzelauflistungen zur Verfügung gestellt werden. Nachfolgende Amokandrohungen, einschließlich technischen Fehlalarmen, wurden dem Schulischen Krisenbeauftragten des Ministeriums für Schule und Bildung bekannt: Bezirksregierung ab Mai 2017 2018 2019 bis Mai 2020 Arnsberg 2 3 2 3 davon technische Fehlalarme 0 1 2 1 Detmold 1 5 6 0 davon technische Fehlalarme 1 2 1 0 Düsseldorf 3 4 3 4 Davon technische Fehlalarme 1 1 0 0 Köln 9 8 6 3 Davon technische Fehlalarme 2 2 2 3 Münster 2 1 0 0 davon technische Fehlalarme 1 0 0 0 Weder durch technische Fehlalarme noch durch alle weiteren Alarmierungen ergaben sich konkrete Gefährdungen. 2. Daten zur Anzahl von Schulverweisen oder anderen Ordnungsmaßnahmen seitens Schulen (bzw. dem zuständigen Gremium der Schule) gegenüber einem Schüler bzw. einer Schülerin, welche auf der Einschätzung beruhten, dass dieser bzw. diese sich dahingehend geäußert habe, eine Amoktat oder einen Amoklauf an der Schule durchführen zu wollen oder zu planen, liegen laut der Drs. 17/9142 nicht vor. Hat die Landesregierung bzw. haben die vier Bezirksregierungen in Einzelfällen aber Kenntnisse über Ereignisse an Schulen und daraus resultierenden Ordnungsmaßnahmen erhalten und daraufhin eingegriffen? (Bitte kommunenscharf nach dem jeweiligen Sitz der Schule auflisten und Art der Maßnahmen mit rechtlicher Begründung benennen)? LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11269 3 Wie bereits bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage 3553 dargelegt, ist die Vorgehensweise einer Schule bei der Androhung einer Amoktat standardisiert und richtet sich nach den Vorgaben des Notfallordners „Hinsehen und Handeln“, der allen Schulen als Printordner und als pdf-Datei vorliegt. Nach polizeilicher Überprüfung des Sachverhalts erstellt die zuständige Polizeibehörde eine Meldung über wichtige Ereignisse (sog. WE-Meldung). Diese wird über das Ministerium des Innern an den schulischen Krisenbeauftragten des Ministeriums für Schule und Bildung weitergeleitet. Er steuert die Meldung an die in den Bezirksregierungen zuständigen Dezernentinnen und Dezernenten mit der „Generale Krise“ unverzüglich weiter. Diese nehmen unmittelbar mit der Schule Kontakt auf, beraten und binden die örtlichen schulpsychologischen Beratungsstellen mit ein. Ziel ist es, die Krisensituation so schnell wie möglich aufzulösen und den betroffenen Personen pädagogisch und psychologisch zur Seite zu stehen. Die Grundsätze der schulpsychologischen Unterstützung beruhen auf einer Vereinbarung des Landes mit den Kommunalen Spitzenverbänden und der Unfallkasse NRW und sind in den gemeinsamen „Empfehlungen zu Strukturen, Aufgaben und Verfahrensweisen des Schulpsychologischen Krisenmanagements in Schulen in Nordrhein-Westfalen“ konkretisiert. Daher haben die Bezirksregierungen Kenntnisse über die einzelnen Fälle, da sie in das Unterstützungsverfahren mit eingebunden sind. Daraus resultierende Ordnungsmaßnahmen werden durch die obere Schulaufsichtsbehörde nur in den Fällen des § 53 Abs. 3 Nr. 5, 6 und 7 SchulG NRW bestätigt oder erteilt. Eine darüber hinaus bestehende Mitteilungspflicht besteht nicht, sodass hierüber keine Daten erhoben werden können. Nach Rückmeldungen der Dezernentinnen und Dezernenten m.d.G. Krise der fünf Bezirksregierungen liegen ihnen keine Kenntnisse über Ordnungsmaßnahmen im Zusammenhang mit angedrohten Amokläufen vor, an denen die Obere Schulaufsicht zu beteiligen war. 3. Plant das Ministerium für Schule und Bildung durch Fortbildungen die Schulleitungen und Lehrkräfte proaktiv auf mögliche Amoklaufszenarien vorzubereiten? (Bitte bestehende und ggf. geplante Fortbildungsangebote auflisten) Entsprechend der „Empfehlungen zu Strukturen, Aufgaben und Verfahrensweisen des Schulpsychologischen Krisenmanagements in Schulen in Nordrhein-Westfalen“ können sich Schulleitungen und Lehrkräfte jederzeit an die Schulpsychologische Beratungseinrichtung ihres Kreises bzw. ihrer kreisfreien Stadt wenden, um sich in dem Ausbildungsgang „Schulische Teams für Beratung, Gewaltprävention und Krisenintervention“ u.a. im Bereich der Amokprävention bis hin zur -intervention fortzubilden. Diese Fortbildungs- und Qualifizierungsangebote werden in NRW flächendeckend seitens der Schulpsychologischen Beratungseinrichtungen in allen Kreisen bzw. kreisfreien Städten vorgehalten und i.d.R. in dem o.g. Bereich in Kooperation mit der Polizei angeboten und regelmäßig an Schulen durchgeführt. Darüber hinaus können sich Schulleitungen und Lehrkräfte bei Bedarf von den für sie zuständigen Dezernentinnen und Dezernenten m.d.G. Krise ihrer Bezirksregierung, der zuständigen Schulpsychologischen Beratungseinrichtung, durch die Landesstelle LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11269 4 Schulpsychologisches Krisenmanagement oder den schulischen Krisenbeauftragten des Ministeriums für Schule und Bildung unterstützen und beraten lassen. Zur Vorbereitung auf das o.g. Krisenszenario und viele Krisensituationen mehr sowie gezielte innerschulische Gewaltpräventionsmaßnahmen stehen Schulleitungen und Lehrkräften zudem der Notfallordner für die Schulen in Nordrhein-Westfalen des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen – Hinsehen und Handeln – fachlich orientierend zur Verfügung. Dieser soll Grundlage für die schulinterne Auseinandersetzung der „Krisenteams“ mit einzelnen Themen der schulischen Krise sein. Im Kapitel „Schulteams für Gewaltprävention und Krisenintervention – Struktur und Aufgaben“ gibt der Notfallordner auf den Seiten 17 bis 21 detailliert vor, welcher Thematik und wie sich die o.g. Teams bereits im Vorfeld mit Krisensituationen auseinanderzusetzen haben und gibt Hinweise zu weiteren u.a. oben beschriebenen Fortbildungsmöglichkeiten. 4. Gibt es gezielte Angebote seitens des Ministeriums für Schule und Bildung, die Schülerinnen und Schülern einerseits helfen, selbst Gefahren zu erkennen, und anderseits vorbeugend wirken? (Bitte bestehende und ggf. geplante Angebote auflisten) Jede Schule ist aufgefordert, ein vertrauensvolles Schulklima auf Ebene der internen Kommunikationsstrukturen und -wege für eine innerschulische Präventionsarbeit zu schaffen. Schule soll auf jedwede individuelle Entwicklung achtsam reagieren und stabile Beziehungswie Unterstützungsangebote vorhalten. Dieses wird insbesondere durch den neuen Referenzrahmen Schulqualität NRW im Inhaltsbereich 3 der Schulkultur beschrieben. Zur Ausgestaltung einer solchen Schulkultur stehen allen Schulen in Nordrhein-Westfalen die Schulpsychologischen Beratungseinrichtungen unterstützend zur Seite. Zudem können sich alle Schulleitungen und Lehrkräfte bei der Ausgestaltung eines positiven Schulklimas an dem Präventionsteil des Notfallordners für die Schulen in Nordrhein-Westfalen des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen – Hinsehen und Handeln – fachlich orientieren. Gemeinsam mit der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen, der Freien Universität Berlin und der Landesstelle Schulpsychologisches Krisenmanagement hat das Ministerium für Schule und Bildung im letzten Jahr eine entsprechend wissenschaftlich evaluierte Multiplikatorenschulung für kommunale wie landesbedienstete Schulpsychologinnen und Schulpsychologen ermöglicht. Über diese Multiplikatorinnen- und Multiplikatorenschulung NETWASS / NETWAVE (Networks Against School Schootings / Indterdisciplinary Networks Against radicalisation and Violent Extremism) können Schulleitungen und Lehrkräfte diese erworbene Expertise im Bereich der Amokprävention jederzeit in den Schulpsychologischen Beratungseinrichtungen anfragen, bspw. für ihre Schulischen Teams, für die Beratungslehrkräfte und / oder Fachkräfte für Schulsozialarbeit, und somit in der gesamten Schulgemeinschaft implementieren. In der Folge stehen Schülerinnen und Schülern entsprechende systemimmanente Unterstützungsstrukturen, transparente Kommunikationswege etc. bei Bedarf zur Verfügung. Bei der Gewaltprävention in Schulen haben Beratungslehrkräfte eine wichtige Rolle. An fast allen Schulen der Sekundarstufe I und II gibt es jeweils mindestens eine Beratungslehrkraft. Diese berät Schülerinnen und Schüler, Erziehungsberechtige sowie Lehr- und Fachkräfte an Schulen. Beratungslehrkräfte sind zudem Teil der schulischen Teams für Beratung, LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11269 5 Gewaltprävention und Krisenintervention, das die Schulleitung bei der Beratungs-, Präventions- und Interventionsarbeit maßgeblich unterstützt. Der Runderlass des Ministeriums für Schule und Weiterbildung vom 02.05.2017 zu den „Beratungstätigkeiten von Lehrerinnen und Lehrern in der Schule“ (BASS 12-21 Nr. 4) legt fest, dass die in den Schulen tätigen Beratungslehrkräfte u.a. über Kenntnisse und Erfahrungen mit den Aspekten Grundlagen und Verfahren bei Kindeswohlgefährdung sowie zur Prävention und Intervention bei Gewalt und Krisensituationen und über Grundlagen und Verfahren einer präventiven Bildungs- und Sozialarbeit einschließlich sozialer Frühwarnsysteme und des Wirkungsgefüges kommunaler Präventionsketten verfügen. Einen besonderen Stellenwert hat die Schulsozialarbeit. Sie unterstützt Schulen u.a. in ihrem Bildungs- und Erziehungsauftrag und der Weiterentwicklung der schulischen Beratungskonzepte. Fachkräfte für Schulsozialarbeit sind neben den Beratungslehrkräften verlässliche Ansprechpartner für Schülerinnen und Schüler. Eine geprägte und an Schülerinnen und Schülern vermittelte Kultur der Achtsamkeit und des Vertrauens ermöglicht es, frühzeitig Gefahren zu erkennen und mit dem zur Verfügung stehenden Unterstützungssystem, gemeinsame Lösungen zu entwickeln.