LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11292 07.10.2020 Datum des Originals: 07.10.2020/Ausgegeben: 13.10.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4308 vom 10. September 2020 der Abgeordneten Angela Lück und Christina Weng SPD Drucksache 17/10942 Verpatzter Start des Hebammen-Studiums in NRW: Geburten auf dem Land in Zukunft ohne Hebammenbegleitung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In ganz Ostwestfalen-Lippe besteht – genau wie in anderen ländlichen Gebieten NRWs auch – ein eklatanter Hebammenmangel. Die praktizierenden Hebammen sind überlastet und können Schwangere nicht mehr komplett begleiten. Die Akademisierung der Hebammenausbildung soll das Problem entschärfen. Am 18. August 2020 hat das NRW-Kabinett die Einrichtung von jährlich 300 Studienplätzen für die Hebammenkunde an Hochschulen in Nordrhein-Westfalen beschlossen1. Das widerspricht den Forderungen des Landesverbands der Hebammen NRW, der davon ausgeht, dass diese Anzahl bei weitem nicht ausreicht, um die Versorgung decken zu können2. In der Pressemitteilung der Landesregierung heißt es, dass die Auswahl der geeigneten Hochschulen unter Haushaltsvorbehalt zum Herbst im Einvernehmen zwischen dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales vorgenommen werden solle. Dabei, so weiter, werde auf eine ausgewogene räumliche Verteilung der Studienplätze Wert gelegt, um auch in Zukunft eine flächendeckende Versorgung mit geburtshilflichen Leistungen sicherzustellen. Die Verteilung der Studienplätze hat eine unmittelbare Auswirkung auf die Verteilung der Hebammen im Land, da davon auszugehen ist, dass die meisten Geburtshelferinnen in ihrer Ausbildungsregion bleiben. Vor allem aber werden qualifizierte Hochschulen dort benötigt, wohin Studienplätze vergeben werden sollen. Bislang sind in OWL lediglich zehn Studienplätze gesichert, die der Kreis Herford mit der Fachhochschule des Mittelstandes als private Initiative anbietet. Im Haushalt 2020 hat die Landesregierung keine Mittel für die Überführung der Hebammenausbildung an Hochschulen eingeplant, während in anderen Bundesländern bereits im Vorfeld Studienstandorte eingerichtet wurden. Dort sind vielerorts die Planungen schon viel weiter fortgeschritten. 1 Pressemitteilung vom 19.08.2020: https://www.mkw.nrw/presse/Studium_Hebammenkunde 2 Stellungnahme 17/2589 Landesverband der Hebammen Nordrhein-Westfalen 04.05.2020: https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST17-2589.pdf LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11292 2 In NRW ist die Akademisierung der Hebammenausbildung völlig in Verzug geraten. Die Nachfrage nach den Studienplätzen ist immens und es besteht die Gefahr, dass viele Interessierte in die Nachbarländer abwandern. Außerdem werden die Regionen außerhalb des Rheinlands massiv benachteiligt, wenn es nicht bald klare Worte zur Einrichtung von Studienplätzen auch in OWL gibt. Konkrete Pläne, einen Standort in Bielefeld einzurichten, scheitern bislang an der verschleppten Haushaltsverabschiedung. Die Ministerin für Kultur und Wissenschaft hat die Kleine Anfrage 4308 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen und dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet. 1. Auf der Grundlage welcher Bedarfsermittlung hat die Landesregierung – entgegen der Meinung von Sachverständigen – die Einrichtung von lediglich 300 Hebammen-Studienplätzen beschlossen? Die Bedarfsermittlung wurde von Seiten der Landesregierung wie folgt durchgeführt: Der Landesstatistik für die Schulen im Gesundheitswesen folgend waren zum Stichtag 1. Oktober 2019 593 Ausbildungsplätze an Hebammenschulen (über alle 3 Ausbildungsjahre) belegt. Die im Rahmen der Landesberichterstattung Gesundheitsberufe erhobenen Daten aus den letzten Jahre zeigen zudem eine Abbruchquote in der Ausbildung, die bei etwa 25 % liegt. Darüber hinaus ist ein steigender Bedarf anzunehmen, dem ebenfalls Rechnung getragen werden sollte. Insofern ergab sich die Zusammensetzung der Kalkulation der neuen Studienplatzbedarfe: 200 Studienplätze pro Jahr zur Fortschreibung des bestehenden Ausbildungsniveaus an Hebammenschulen, zusätzliche 50 Plätze zur Kompensation eventueller Studienabbrüche und weitere 50 Plätze zur Deckung des steigenden Bedarfs. Die bereits bestehenden Studienplätze in der Hebammenkunde sind zu dieser Zahl entsprechend hinzuzurechnen. Insgesamt stellt die Einrichtung von 300 zusätzlichen Hebammenstudienplätzen nicht nur eine Fortschreibung der bisherigen Ausbildungskapazitäten unter Berücksichtigung möglicher Abbruchquoten dar, sondern trägt zudem einem gestiegenen Bedarf an Hebammen durch eine deutliche Erhöhung der bisherigen Ausbildungskapazitäten Rechnung. 2. Welche Pläne verfolgt die Landesregierung, um die akademische Hebammenausbildung auch an Hochschulen in den ländlichen Regionen NRWs, z.B. OWL, Münsterland oder Sauerland, zu verorten? Acht staatlich getragene oder refinanzierte Hochschulen haben ihr Interesse an der Einrichtung von Studiengängen nach dem Hebammengesetz bekundet. Basierend auf dem Beschluss der Landesregierung vom 18. August 2020 zu den Studienplatzkapazitäten in der Hebammenkunde sind diese acht Hochschulen kürzlich informiert worden, dass das Ministerium für Kultur und Wissenschaft – unter dem Vorbehalt der Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers – beabsichtigt, die Einrichtung dieser Studiengänge ab dem Jahr 2021 dauerhaft finanziell zu unterstützen. Die betreffenden Hochschulen verteilen sich auf alle fünf Regierungsbezirke. Die Unterstützung wurde auch Hochschulen in Bielefeld und Münster zugesagt. Zusätzlich zur Verteilung der Studienplatzkapazitäten auf alle Regierungsbezirke in Nordrhein- Westfalen erfolgt ein regionaler Einbezug über eine Kooperation der Hochschulen mit entsprechenden Praxisstandorten (u. a. Geburtskliniken, Geburtshäuser, Hebammenpraxen). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11292 3 Die breite regionale Verteilung der Hochschulstandorte und die deutliche Erhöhung der Ausbildungskapazitäten für Hebammen gegenüber dem jetzigen Stand können es zukünftig weiteren Praxisstandorten auch in ländlichen Regionen ermöglichen, sich an der Hebammenausbildung zu beteiligen. 3. Welche Gründe sieht die Landesregierung für die zeitliche Verzögerung beim Start der akademischen Ausbildung für Hebammen? Die Landesregierung sieht keine zeitliche Verzögerung beim Start der akademischen Ausbildung für Hebammen. Das entsprechende Hebammengesetz wurde Ende 2019 verabschiedet, trat im Januar 2020 in Kraft und sieht bis Ende des Jahres 2022 eine Übergangsfrist vor, in der noch Ausbildungen nach altem Recht an Hebammenschulen begonnen werden können. Die Interessenbekundungen der Hochschulen zielen überwiegend auf einen Studienstart zum Wintersemester 2021/2022; dementsprechend wurden vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft zusätzliche Mittel für den Haushalt 2021 angemeldet. 4. Wie wird gewährleistet, dass bei der Umstellung auf das Studienmodell die Ausbildungsplätze für Hebammen an den Mühlenkreiskliniken in Minden erhalten bleiben? Die Mühlenkreiskliniken haben insgesamt 40 Ausbildungsplätze (über alle Ausbildungsjahre) genehmigt, von denen nach letztem Stand 37 Plätze besetzt sind. Die genehmigten Plätze bleiben vorerst bestehen. Die Hebammenausbildung kann daher noch bis Ende 2022 nach altem Recht an der Hebammenschule der Mühlenkreiskliniken in oben genanntem Umfang erfolgen. Das Hebammengesetz sieht vor, dass Hochschulen für einen Übergangszeitraum bis Ende 2030 die praktischen Lehrveranstaltungen des Studiums und die Praxisbegleitung von Hebammenschulen durchführen lassen können. Diese Möglichkeit steht grundsätzlich auch der Hebammenschule der Mühlenkreiskliniken offen, insofern ein wechselseitiges Interesse an der Kooperation mit einer Hochschule besteht. Nach 2030 gibt es für die staatliche Anerkennung von Hebammenschulen in Deutschland keine gesetzliche Grundlage mehr. Die Mühlenkreiskliniken können aber auch danach als verantwortliche Praxiseinrichtung mit einer Hochschule kooperieren und den berufspraktischen Teil des Studiums durchführen. Der Abschluss eines entsprechenden Kooperationsvertrags liegt in alleiniger Verantwortung der Hochschule und des Krankenhausträgers.