LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11498 13.10.2020 Datum des Originals: 13.10.2020/Ausgegeben: 19.10.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4408 vom 17. September 2020 des Abgeordneten Marcus Pretzell FRAKTIONSLOS Drucksache 17/11071 Wie viele Top-Juristen kann das Land NRW noch für sich gewinnen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Schon lange warnt der Deutsche Richterbund vor einem dramatischen Personalmangel in der Justiz.1 Bis 2030 müssen bundesweit nahezu 40 Prozent aller Stellen von Richtern und Staatsanwälten neu besetzt werden – rund 10.000 Stellen.2 Geeigneten Nachwuchs zu gewinnen, fällt den Bundesländern jedoch schwer. Ein wesentlicher Faktor ist die relativ geringe Bezahlung im Vergleich zur Privatwirtschaft. Ein weiterer erschwerender Faktor bei der Suche nach geeigneten Juristen ist die abnehmende Zahl von Absolventen, welche die Zweite juristische Staatsprüfung in Nordrhein-Westfalen ablegen. Laut Landesregierung sank die Zahl von 2.535 (1999) auf 1496 (2017) jährliche Absolventen. Eingestellt werden vom Land Nordrhein-Westfalen in der Regel Juristen, welche die Zweite Staatsprüfung mit Prädikat (mindestens 9,0 Punkte) abgelegt haben. 2018 erzielten in Nordrhein-Westfalen 408 Absolventen ein Prädikatsexamen – bundesweit waren es 1753.3 Bewerber ohne Prädikatsexamen, die jedoch mindestens 7,76 Punkte erreicht haben, werden in Nordrhein- Westfalen ebenfalls eingestellt, wenn sie sich durch besondere persönliche Eigenschaften auszeichnen.4 Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 4408 mit Schreiben vom 13. Oktober 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen beantwortet. 1 Vgl. https://www.lto.de/recht/justiz/j/drb-warnung-justiz-gerichte-richter-staatsanwaeltepersonalmangel -pensionierungen/ (abgerufen am 08.09.2020) 2 Vgl. https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/der-justiz-gehen-die-top-juristen-aus-16938240.html (abgerufen am 08.09.2020) 3 Vgl. Statistik zur Juristenausbildung 2018 des Bundesamts für Justiz, abrufbar unter https://www.bundesjustizamt.de/DE/SharedDocs/Publikationen/Justizstatistik/Juristenausbildung_201 8.pdf;jsessionid=1160E3C9F2A1EC49FED92627D87603DB.2_cid393?__blob=publicationFile&v=2 (abgerufen am 08.09.2020) 4 Vgl. https://www.justiz.nrw.de/Karriere_neu/03_new_berufseinstieg/02_new_richter/index.php#:~:text=bes ondere%20Leistungen%20im%20Abitur%2C%20im,pr%C3%A4gen%20und%20den%20Bewerber%2 0herausheben. (abgerufen am 08.09.2020) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11498 2 1. Wie viele Juristen scheiden jährlich bis 2030 nach aktueller Erwartung aus dem Landesdienst aus? Bitte gesonderte Werte für die fünf Gerichtbarkeiten und drei Generalstaatsanwaltschaftsbezirke ausweisen. Ausgangspunkt für die aktuelle Erwartung der jährlich bis 2030 ausscheidenden Richterinnen und Richtern sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind die durch das Datenauswertungszentrum der Justiz Nordrhein-Westfalen (DAZ) ermittelten regulären Altersabgänge von Richterinnen und Richtern sowie Staatanwältinnen und Staatsanwälten. Danach stellen sich die Altersabgänge der fünf Gerichtsbarkeiten und der drei Generalstaatsanwaltschaftsbezirke wie folgt dar: 2020 2021 2022 2023 2024 2025 2026 2027 2029 2030 Ordentliche Gerichtsbarkeit 29 46 60 74 71 76 104 110 136 107 Verwaltungsgerichtsbarkeit 14 13 11 8 10 19 21 17 20 28 Finanzgerichtsbarkeit 5 6 12 8 5 4 8 4 7 4 Arbeitsgerichtsbarkeit 3 8 5 9 7 2 7 6 8 6 Sozialgerichtsbarkeit 7 10 13 15 10 9 10 13 11 6 GStA-Bezirk Düsseldorf 5 3 2 3 8 9 12 10 9 8 GStA-Bezirk Hamm 4 6 11 10 9 9 11 21 15 11 GStA-Bezirk Köln 2 3 3 4 5 3 8 8 9 4 Zur Erläuterung der Tabelle wird angemerkt, dass die angegebenen Zahlen ausschließlich auf Vorausberechnungen der regulären Altersabgänge – Stand 2018 – basieren. Aktuellere Daten stehen dem DAZ noch nicht zur Verfügung. Das Jahr 2028 wurde in der Tabelle nicht dargestellt. Das DAZ hat dabei dem Umstand Rechnung tragen müssen, dass deren Berechnung ausgehend von Geburtsjahren in Einklang zu bringen war mit der in Monatsschritten erfolgten Erhöhung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre. Die Tabellendaten zeigen daher lediglich eine tendenzielle Entwicklung auf. Darüber hinaus ist mit außerordentlichen Abgängen (z. B. durch Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand, Entlassung auf eigenen Antrag, Abgabe an Gerichte oder Verwaltungen anderer Länder oder des Bundes) zu rechnen. Die Zahl der außerordentlichen Abgänge unterliegt über die Jahre starken Schwankungen und lässt sich daher nicht genau prognostizieren. Im Durchschnitt der Jahre 2010 bis 2019 stellte sich die Differenz zwischen der Summe aller ordentlichen und außerordentlichen Abgänge und den vom DAZ vorausberechneten Zahlen wie folgt dar: LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11498 3 Differenz Ordentliche Gerichtsbarkeit +49 Verwaltungsgerichtsbarkeit +8 Finanzgerichtsbarkeit +3 Arbeitsgerichtsbarkeit +3 Sozialgerichtsbarkeit +4 GStA-Bezirk Düsseldorf +7 GStA-Bezirk Hamm +9 GStA-Bezirk Köln +7 2. Wie viele Juristen schieden jährlich in den vergangenen zehn Jahren aus dem Landesdienst aus? Bitte gesonderte Werte für die fünf Gerichtbarkeiten und drei Generalstaatsanwaltschaftsbezirke ausweisen. Die Daten für den richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst des Landes ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle. 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Ordentliche Gerichtsbarkeit 172 140 162 159 150 147 107 78 86 89 Verwaltungsgerichtsbarkeit 25 15 16 19 14 31 17 16 20 24 Finanzgerichtsbarkeit 3 5 3 8 9 6 3 2 8 8 Arbeitsgerichtsbarkeit 6 10 10 11 9 6 9 3 8 5 Sozialgerichtsbarkeit 7 6 4 9 6 9 4 13 10 13 GStA-Bezirk Düsseldorf 8 9 11 12 11 10 6 17 16 11 GStA-Bezirk Hamm 15 20 15 27 19 13 24 18 13 18 GStA-Bezirk Köln 9 16 13 10 15 7 10 15 13 10 LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11498 4 3. Wie viele Juristen wurden jährlich in den vergangenen zehn Jahren neu eingestellt? Bitte gesonderte Werte für die fünf Gerichtbarkeiten und drei Generalstaatsanwaltschaftsbezirke ausweisen. Die Daten für den richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst des Landes ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle. Erfasst sind die im jeweiligen Jahr erteilten Einstellungszusagen. 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Ordentliche Gerichtsbarkeit 245 162 182 157 212 195 246 151 175 198 Verwaltungsgerichtsbarkeit 22 14 12 12 18 34 30 36 35 36 Finanzgerichtsbarkeit 4 5 5 9 6 1 1 3 9 7 Arbeitsgerichtsbarkeit 24 1 4 8 8 5 6 2 4 8 Sozialgerichtsbarkeit 10 18 6 11 14 14 11 31 13 14 GStA-Bezirk Düsseldorf 18 17 7 13 9 14 33 33 40 38 GStA-Bezirk Hamm 30 27 23 34 26 22 53 26 31 35 GStA-Bezirk Köln 17 15 14 6 16 17 38 21 24 26 4. Wie viele Juristen aus Frage 3 schlossen das Zweite juristische Staatsexamen mit Prädikat ab? Bitte gesonderte Werte für die fünf Gerichtbarkeiten und drei Generalstaatsanwaltschaftsbezirke ausweisen. Die Daten für den richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Dienst des Landes ergeben sich aus der nachfolgenden Tabelle. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11498 5 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Ordentliche Gerichtsbarkeit 195 158 172 145 170 143 150 112 120 131 Verwaltungsgerichtsbarkeit 22 13 12 12 18 29 27 31 34 30 Finanzgerichtsbarkeit * 5 5 9 6 * * * 9 7 Arbeitsgerichtsbarkeit 17 * * 8 8 3 5 * * 8 Sozialgerichtsbarkeit 4 12 6 10 7 6 8 11 7 1 GStA-Bezirk Düsseldorf 10 11 6 9 5 9 11 15 10 6 GStA-Bezirk Hamm 20 27 17 23 17 12 18 10 13 14 GStA-Bezirk Köln 13 12 12 4 11 11 18 10 9 10 * Keine Angabe, da Rückschlüsse auf Einzelpersonen nicht ausgeschlossen werden könnten. 5. Welche Maßnahmen unternimmt die Landesregierung, um mehr Absolventen mit Prädikatsexamen für den nordrhein-westfälischen Landesdienst zu motivieren? Die Nachwuchsgewinnung gehört zu den zentralen Zukunftsthemen der Justiz NRW. Eine zeitnahe Besetzung vakant gewordener oder neu geschaffener Stellen mit geeigneten Nachwuchskräften ist eine wichtige Voraussetzung, um den hohen Qualitätsstandard auch künftig wahren zu können. Wie sich aus der Beantwortung der Frage 4 ergibt, konnte die Justiz in den vergangenen zehn Jahren stets eine hohe Zahl von Juristinnen und Juristen mit Prädikatsexamen in der 2. juristischen Staatsprüfung für die Tätigkeit im richterlichen oder staatsanwaltlichen Dienst gewinnen. Bei der Gewinnung von Nachwuchskräften für den richterlichen und staatsanwaltlichen Dienst sowie von Juristinnen und Juristen für den Justizvollzugsdienst kommt dem Rechtsreferendariat eine besondere Bedeutung zu. Eine zeitgemäße und adressatengerechte Gestaltung der Arbeitsgemeinschaften ist ebenso wichtig wie eine die Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare fördernde, wertschätzende Einzelausbildung. Alle mit der Juristenausbildung befassten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Justiz NRW sind entsprechend sensibilisiert. Zudem wird analysiert, inwieweit die Chancen der Digitalisierung auch für die Referendarausbildung fruchtbar gemacht werden können und die Ausbildung in diesem Sinne – bei gleichbleibend hoher oder steigender Qualität – weiter modernisiert werden kann. Nachgefragt und gewinnbringend sind zudem die Veranstaltungsreihen „Wege in die Justiz“ und „Referendariat – Was nun?“. Sie sollen – ggf. in abgewandelter Form – wieder aufgegriffen werden, sobald die Pandemielage dies zulässt. Einen positiven Effekt hat schließlich das intensive Personalmarketing, das die Justiz NRW insbesondere seit Anfang 2019 betreibt.