LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11515 16.10.2020 Datum des Originals: 16.10.2020/Ausgegeben: 22.10.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4369 vom 17. September 2020 der Abgeordneten Markus Wagner, Thomas Röckemann und Nic Vogel AfD Drucksache 17/11031 Geiselnahme in der JVA Geldern Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Dem Presseportal der Kreispolizeibehörde Kleve ist zu entnehmen, dass es im Innenhof der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Geldern am Dienstag, dem 2. September 2020, zu einer Geiselnahme gekommen ist, bei der ein 31-jähriger Türke, der wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung inhaftiert ist, einen Bediensteten unter Vorhalt eines Messers in seine Gewalt brachte. Gegen 17.15 Uhr konnte der Mann dann von mehreren Bediensteten der JVA überwältigt und entwaffnet werden, wobei zwei Bedienstete als auch der Geiselnehmer leichte Schnittverletzungen erlitten.1 Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 4369 mit Schreiben vom 16. Oktober 2020 namens der Landeregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration beantwortet. 1. Wie ist der physische und psychische Gesundheitszustand der Verletzten? (Bitte Angaben machen zu Dienstfähigkeit und professioneller, psychischer Nachbetreuung im Rahmen seelsorgerischer Maßnahmen.) Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Geldern hat hierzu am 29.09.2020 berichtet, dass nach den dortigen Erkenntnissen die physischen Verletzungen der leicht verletzten Bediensteten ausgeheilt seien. Zwei Bedienstete seien infolge der Geiselnahme weiter dienstunfähig erkrankt und befänden sich in fachärztlicher Behandlung. Zur Ausgestaltung der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) ist berichtet worden, dass noch am 02.09.2020 im unmittelbaren Anschluss an die Geiselnahme das anstaltseigene PSNV-Team vor Ort gewesen sei und mit den betroffenen Bediensteten gesprochen und entsprechende Hilfestellung angeboten habe. Es sei zudem eine Kraft des PSNV-Teams der JVA Kleve ebenfalls noch am 02.09.2020 zur Unterstützung hinzugezogen worden. In den Folgetagen hätten die Mitglieder des PSNV-Teams die betroffenen Bediensteten proaktiv wiederholt aufgesucht und weitere Hilfen angeboten. Inwieweit diese Hilfe im Einzelfall in Anspruch 1 Vgl. https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/65849/4696130. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11515 2 genommen worden sei, sei auf Grund der bestehenden Schweigepflicht nicht zu ermitteln. Weiter seien im Rahmen der Psychosozialen Notfallversorgung als Nachsorgeangebot zwei Mitarbeiter des Zentrums für Trauma- und Konfliktmanagement (ZTK) Köln engagiert worden, die am 09.10.2020 auf Wunsch der Bediensteten, zunächst im Rahmen einer Gruppenmaßnahme und im Anschluss auf Wunsch in Einzelgesprächen, zur Verfügung stehen würden. 2. Wie konnte der Geiselnehmer an die Tatwaffe gelangen und diese von der Zelle aus in einen Innenhof verbringen? Hierzu wird auf den Bericht der Landesregierung zum TOP „Geiselnahme in der JVA Geldern“ der 63. Sitzung des Rechtsausschusses des Landtags Nordrhein-Westfalen am 23. September 2020 (Landtagsvorlage 17/3885) Bezug genommen. 3. Inwieweit wird die Landesregierung alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen, um den Geiselnehmer zur Verbüßung auch der noch zu erwartenden neuen Haftstrafe zeitnah in sein Heimatland Türkei abzuschieben? Der Vollstreckungshilfeverkehr mit der Republik Türkei findet nach dem Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen (BGBl. 1991 II S. 1006, 1007; 1992 II S. 98) in Verbindung mit dem Zusatzprotokoll vom 18. Dezember 1997 zu dem vorbezeichneten Übereinkommen (BGBl. 2002 II S. 2866; 2016 II S. 728) statt. Sollte gegen den Beschuldigten eine dort genannte Sanktion verhängt werden und sollten die übrigen Voraussetzungen vorliegen, werden die erforderlichen Unterlagen dem Bundesamt für Justiz, welches über die Stellung von Vollstreckungshilfeersuchen an die Republik Türkei gemäß § 74 Absatz 1 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) in Verbindung mit dem Gesetz über die Errichtung des Bundesamtes für Justiz (BGBl. 2006 I S. 317) und dem Erlass des Bundesministeriums der Justiz vom 2. Januar 2007 (II B 6 - BfJ) im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und ggf. mit anderen Bundesministerien, deren Geschäftsbereich von der Rechtshilfe betroffen wird, zu entscheiden hat, von der zuständigen Vollstreckungsbehörde vorgelegt werden. 4. Inwiefern existiert für Justizvollzugsbeamte in NRW nach besonders belastenden Einsätzen, wie z.B. einer Geiselnahme oder einem Suizid eines Gefangenen, ebenfalls ein Hilfe- und Fürsorgeprogramm, wie es die Polizei in Nordrhein-Westfalen ihren Polizeibeamten in einer Ad-hoc-Betreuung rund um die Uhr anbietet? 5. Mit welcher Ausstattung existiert für von besonders belastenden Einsatzsituationen betroffene Justizvollzugsbedienstete eine medizinisch-psychologische Erstbetreuung , die von Teams aus Ärzten im Justizvollzug, Psychologen und erfahrenen Justizbeamten getragen wird? (Bitte nach dem Planstellen-Soll und -Ist je JVA aufschlüsseln). Die Fragen 4. und 5. werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Für Bedienstete, die aufgrund ihrer dienstlichen Tätigkeit besonders belastende berufliche Ereignisse erleben, stehen in den Justizvollzugsanstalten und Jugendarrestanstalten anstaltsinterne Teams der Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) zur Verfügung. Die Notfallversorgung erfolgt im Sinne einer Erstversorgung durch entsprechend qualifizierte kollegiale Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11515 3 Jegliche Intervention wird auf die spezifischen Bedürfnisse der oder des Einzelnen abgestimmt . Bei Bedarf erfolgen die Kontaktaufnahme zu externen Beratungs- und Therapieeinrichtungen sowie die Unterstützung bei der Vermittlung von Betroffenen an externe Einrichtungen . Die kollegialen Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner der anstaltsinternen PSNV-Teams üben ihre Tätigkeit während der Dienstzeit eigenständig und weisungsungebunden aus. Erforderlichenfalls werden sie auch außerhalb der Regelarbeitszeit tätig. Des Weiteren werden für Bedienstete aller Dienstzweige regelmäßige Einzel- oder Gruppensupervisionen durch speziell ausgebildete Fachkräfte angeboten. Ferner besteht die Möglichkeit , an Gruppengesprächen im Rahmen der kollegialen Beratung teilzunehmen. Auch besteht regelmäßig das Angebot, an Fortbildungsveranstaltungen zu den Themen „Bewältigung von Arbeitsdruck und Stress“, „ Resilienz“, „Stressbewältigung und Umgang mit psychischen Belastungen“ sowie aus dem Bereich des Gesundheitsmanagements teilzunehmen. Besondere Stellenkontingente werden den Justizvollzugsanstalten für diesen Zweck nicht zur Verfügung gestellt.