LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11569 20.10.2020 Datum des Originals: 20.10.2020/Ausgegeben: 26.10.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4409 vom 18. September 2020 der Abgeordneten Alexander Langguth und Marcus Pretzell FRAKTIONSLOS Drucksache 17/11072 Grundlegende Defizite – Immer mehr Krankenhäusern droht Insolvenz Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Der „Krankenhaus Rating Report 2020“ zieht eine ernüchternde Bilanz: Der wirtschaftliche Abwärtstrend deutscher Krankenhäuser halte weiter an. Die Zahl der insolvenzgefährdeten Kliniken habe im Jahr 2018 bei 13 Prozent gelegen.1 Zwar könnten dieses Jahr die Maßnahmen aus dem COVID19-Krankenhausentlastungsgesetz zu einem „positiven Netto- Effekt für die Kliniken“2 führen. Nächstes Jahr entfalle dieser voraussichtlich aber wieder. Der Report sieht die schlechtere wirtschaftliche Lage unter anderem im Rückgang stationärer Fallzahlen begründet. Als Erklärung hierfür komme der zunehmende Fachkräftemangel sowie die fortschreitende Ambulantisierung der Medizin in Betracht.3 Aktuell legt der Bundesrechnungshof in einem Bericht dar, dass 40 Prozent der Krankenhäuser Verluste verzeichnen würden und für jedes zehnte erhöhte Insolvenzgefahr bestehe. Aufgrund „grundlegende[r] Defizite bei der Krankenhausplanung in Deutschland“4 fordere der Bundesrechnungshof eine Grundgesetzänderung, die die Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern neu regelt. Für die Planung von Klinikkapazitäten und Investitionen sind in Deutschland die Länder zuständig. Der Bundesrechnungshof moniert indes, dass die Länder „ihrer Investitionsverpflichtung bei der Krankenhausfinanzierung seit Jahren nur unzureichend“5 nachkommen würden. Laut Bericht liege der jährliche Investitionsbedarf bei 7 Milliarden Euro; die Förderung bewege sich jedoch „auf gleichbleibend niedrigem Niveau“6 zwischen 2,6 und 3 Milliarden Euro. Infolgedessen würden die Kliniken im großen Maße Erlöse aus den 1 Vgl. https://www.hcm-magazin.de/krankenhaus-rating-report-2020-immer-mehr-kliniken-drohtinsolvenz /150/25612/403337 (abgerufen am 17.09.2020) 2 https://www.hcm-magazin.de/krankenhaus-rating-report-2020-immer-mehr-kliniken-drohtinsolvenz /150/25612/403337 (abgerufen am 17.09.2020) 3 Vgl. https://www.hcm-magazin.de/krankenhaus-rating-report-2020-immer-mehr-kliniken-drohtinsolvenz /150/25612/403337 (abgerufen am 17.09.2020) 4 https://rp-online.de/politik/deutschland/bundesrechnungshof-kritisiert-krankenhausplanung-undfordert -grundgesetzaenderung_aid-53386317 (abgerufen am 17.09.2020) 5 RP ONLINE (ebd.) 6 https://rp-online.de/politik/deutschland/bundesrechnungshof-kritisiert-krankenhausplanung-undfordert -grundgesetzaenderung_aid-53386317 (abgerufen am 17.09.2020) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11569 2 Fallpauschalen für ihre Investitionen aufwenden. Die Fallpauschalen seien aber eigentlich als Finanzierung für die Behandlung der Patienten vorgesehen.7 Ein ehemaliger Arbeitsdirektor am Klinikum Dortmund und Mitverfasser der Broschüre „Krankenhaus statt Fabrik“ bemängelt am Finanzierungssystem über Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG), dass dieses das Geld nach falschen Kriterien verteile. Aufgrund der unzureichenden Investitionsförderung der Länder müssten Krankenhäuser ihre Investitionen zunehmend aus DRG-Erlösen finanzieren. Dies verstärke die Effekte des DRG- Systems, „medizinisch-pflegerische Entscheidungen nach Rentabilitätskriterien zu fällen“8. Es schade den kranken Menschen, wenn nicht die medizinische Entscheidung der wichtigste Maßstab ist.9 Um der defizitären Lage zu begegnen, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn über das Krankenhauszukunftsgesetz zwei Fonds eingerichtet, durch die eine Reform des Krankenhauswesens finanziert werden soll. Laut einem Beitrag von „Rheinische Post“ sei der Bundesrechnungshof von diesen Plänen allerdings nicht überzeugt. Aus seiner Sicht gebe es nicht genug Anreize für wirksame strukturelle Verbesserung. Ferner sei die Kofinanzierung durch Länder und Krankenhausträger zu niedrig: „Die Länder werden hierdurch unverhältnismäßig von ihrer Verantwortung entbunden“10. Der Rechnungshof fordert daher, die „Finanzierungs- und Planungsverantwortung“ für die Kliniken wieder zusammenzuführen.11 Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 4409 mit Schreiben vom 20. Oktober 2020 namens der Landeregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen und der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet. 1. Wie viele Krankenhäuser in NRW sind aktuell von der Insolvenz bedroht? (Bitte nach Trägerschaft aufschlüsseln: öffentlich, freigemeinnützig, privat) 3. Wie hoch waren jährlich in den vergangenen zehn Jahren die Fördermittel, die das Land NRW bereitgestellt hat und von den Krankenhäusern abgerufen wurden? 4. Auf welche Summen belaufen sich nach Kenntnis der Landesregierung die Investitionsbedarfe der Krankenhäuser in den kommenden fünf Jahren? Die Fragen 1, 3 und 4 werden aufgrund des engen Sachzusammenhangs zusammen beantwortet . Der Investitionsstau in den Krankenhäusern in Nordrhein-Westfalen und bundesweit ist seit langem bekannt. Vor diesem Hintergrund hat die jetzige Landesregierung bereits zahlreiche Maßnahmen ergriffen. Die Aufstockung der pauschalen Krankenhausförderung im Nachtragshaushalt 2017 um 250 Millionen Euro und die Einführung der Einzelförderung im Jahr 2018 sind erste Schritte gewesen, um den bestehenden Investitionsstau aufzulösen. 7 RP ONLINE (ebd.) 8 https://gesundheit-soziales.verdi.de/mein-arbeitsplatz/krankenhaus/++co++9979671c-63bd-11e7- bbf9-525400afa9cc (abgerufen am 17.09.2020) 9 ver.di Gesundheit & Soziales (ebd.) 10 RP ONLINE (ebd.) 11 RP ONLINE (ebd.) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11569 3 In der Hochphase der COVID-19-Pandemie hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen zusätzlich verschiedene Instrumente geschaffen, um wirtschaftliche Notlagen der Krankenhäuser abzuwenden. Dazu gehörte unter anderem die Vorabauszahlung der Pauschalfördermittel. Den Krankenhausträgern ist es zudem ermöglicht worden, die Pauschalfördermittel zur Zwischenfinanzierung bei Liquiditätsengpässen während der Corona-Pandemie einzusetzen. Zur Unterstützung der Aufstockung von zusätzlichen Beatmungsplatzkapazitäten ist die „Soforthilfe “ schnell und unbürokratisch zur Verfügung gestellt worden. Damit können zusätzlich angeschaffte Beatmungsgeräte pauschal mit 50.000 Euro pro Gerät gefördert werden. Im Jahr 2020 sind aus dem NRW Rettungsschirm u.a. – neben den rund 100 Millionen Euro für zusätzlich angeschaffte Beatmungsgeräte – zudem im Rahmen des Sonderinvestitionsprogramms Krankenhäusern 750 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden. Auch auf Bundesebene sind Finanzierungsinstrumente zum Ausgleich von Erlösrückgängen während der Corona-Pandemie geschaffen worden. Krankenhausträger haben unter anderem Ausgleichszahlungen für jedes – im Vergleich zu 2019 – nicht belegte Bett erhalten. Mit dem Krankenhauszukunftsgesetz wird die Bundesregierung eine gesetzliche Grundlage schaffen, die weitere Regelungen zum Ausgleich von Erlösausfällen von Krankenhäusern nach dem 30. September 2020 enthalten soll. Dem derzeitigen Gesetzentwurf ist zu entnehmen, dass auf Ortsebene Krankenhäuser mit den Kostenträgern – auf der Grundlage der tatsächlichen Erlösrückgänge – krankenhausindividuelle Ausgleiche vereinbaren können. Der Bundesgesetzgeber hat neben den bisherigen Förderinstrumenten, wie z.B. dem Krankenhausstrukturfonds , weitere wichtige Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie geschaffen . Hierzu zählt insbesondere der Krankenhauszukunftsfonds. Die Rechtsgrundlage für den Krankenhauszukunftsfonds wird aktuell auf Bundesebene geschaffen. Insgesamt stellt der Bund drei Milliarden Euro bereit. Die Bundesförderung wird durch eine Landeskofinanzierung in Höhe von 30 Prozent ergänzt. Auf Nordrhein-Westfalen entfallen von den Gesamtfördervolumen von bis zu 4,3 Milliarden Euro voraussichtlich 900 Millionen Euro. Die Landesregierung begrüßt die Zielsetzung des Krankenhauszukunftsfonds ausdrücklich. Die erforderlichen Kofinanzierungsmittel stehen zur Verfügung. Die durch das Land Nordrhein-Westfalen bereitgestellten und durch die Krankenhäuser abgerufenen Fördermittel können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden. Die finanziellen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Krankenhäuser in Nordrhein- Westfalen sind aktuell nicht konkret einschätzbar. Finanziellen Ausfällen standen zum Teil Kompensationszahlungen gegenüber. Soweit ein Krankenhausträger die Insolvenz anmeldet und das Insolvenzverfahren eröffnet wird, stehen diese Informationen öffentlich zur Verfügung. Aktuell befindet sich ein freigemeinnütziger Krankenhausträger in einem laufenden Insolvenzverfahren . Insolvenzen, die allein auf die aktuellen Geschehnisse der Corona-Pandemie zurückzuführen wären, sind derzeit nicht bekannt. 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020*** SOLL Ansatz (TEuro) 493.210 496.932 496.682 493.182 492.300 515.000 533.300 819.500* 619.702 721.240 760.600 davon sächliche Verwaltungsausgaben 182.000 210.000 - - - - - - - - - IST Ansatz (TEuro) 481.209 494.536 483.598 485.741 486.830 509.423 531.834 817.830 721.363** 717.080 - Hinweis: Für 2020 sind noch keine IST Ansätze bekannt. *inkl. Nachtragshaushalt ** inkl. der Bundemittel für den Krankenhausstrukturfonds in Höhe von 104.181.000. Den Ausgaben stehen Einnahmen in gleicher Höhe gegenüber. *** Zusätzlich sind in 2020 im Rahmen des NRW Rettungsschirm 150 Mio. € für Beatmungsgeräte und 750 Mio. € als Sonderinvestitionsprogramm Krankenhäuser zur Verfügung gestellt worden. Darüber hinaus sind 270 Mio. € als Landeskofinanzierung für den Krankenhauszukunftsfonds vorgesehen. Diese Mittel sind nicht Bestandteil des Haushalts in Kapitel 11070. Tabelle 1: Bereitgestellte Landesinvestitionsmittel und Abrufung durch Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen (lt. Haushaltsplan Kapitel 11070 bzw. 15070) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11569 4 Über die genauen Investitionsbedarfe der Krankenhäuser in den kommenden fünf Jahren liegen der Landesregierung keine Kenntnisse vor. 2. Zu wie viel Prozent speisen sich die Krankenhausinvestitionen aus DRG-Erlösen, also Mitteln, die eigentlich für die Patienten-Behandlung vorgesehen wären? (Falls die Zahl im Rahmen der kleinen Anfrage nicht für Gesamt-NRW ermittelt werden kann, so bitte auf öffentliche Krankenhausträger der Städte Köln und Dortmund und den Märkischen Kreis beschränken) 5. Wie bewertet die Landesregierung den medizinisch-pflegerischen Nutzen des DRG-Finanzierungssystems vor dem Hintergrund, dass dessen Erlöse in Teilen zu Investitionszwecken genutzt werden, also nicht ausschließlich dem Patientenwohl zugutekommen? Die Fragen 2 und 5 werden aufgrund des engen Sachzusammenhangs zusammen beantwortet . Mit der Einführung des DRG-Systems wurde die Transparenz in der Versorgung und Vergütung deutlich erhöht. Dennoch sind einerseits eine zunehmende Komplexität des Finanzierungssystems erkennbar und andererseits Fehlsteuerungen, wie z. B. Fehlanreize zur Leistungsausweitung . Mit dem Pflegepersonalstärkungsgesetz ist ein wichtiger Schritt zur Entlastung des Pflegepersonals und zur Steigerung der Qualität in der Patientenversorgung umgesetzt worden. Seit dem Jahr 2020 werden die Pflegepersonalkosten aus den DRGs ausgegliedert. Die Reform des DRG-Systems wird durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales begrüßt. Über das sogenannte Pflegebudget erfolgt eine vollständige Refinanzierung der Pflegepersonalkosten auf bettenführenden Abteilungen. Anreize für Einsparungen zu Lasten des Pflegepersonals entfallen, da das Pflegebudget ausschließlich zur Refinanzierung der Pflegepersonalkosten bestimmt ist. Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales sieht allerdings weiteren Handlungsbedarf in der Weiterentwicklung des DRG-Systems. Im Jahr 2019 wurde von der Gesundheitsminister -Konferenz einstimmig die Errichtung einer Arbeitsgruppe der Länder unter Einbeziehung von Experten beschlossen. Diese Arbeitsgruppe erarbeitet derzeit Eckpunkte für eine Weiterentwicklung der Krankenhausfinanzierung. Nordrhein-Westfalen ist an dieser Arbeitsgruppe beteiligt. Die Frage, zu welchem Anteil DRG Erlöse in die Krankenhausinvestitionsförderung einfließen, bezieht sich auf eine interne betriebswirtschaftliche Entscheidung des einzelnen Krankenhausträgers , die auch unabhängig von den durch das Land zur Verfügung gestellten Fördermitteln erfolgen kann.