LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11611 27.10.2020 Datum des Originals: 27.10.2020/Ausgegeben: 02.11.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4269 vom 26. August 2020 der Abgeordneten Alexander Langguth und Marcus Pretzell FRAKTIONSLOS Drucksache 17/10783 Betrugsverdachtsfälle in Zusammenhang mit den Corona-Soforthilfen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Bereits kurz nach der Einführung der Corona-Soforthilfen berichtete die Presse über erste Betrugsfälle. Nachdem Daten durch gefälschte Internetseiten abgegriffen wurden, stoppte die Landesregierung im April vorübergehend die Auszahlung und Antragstellung.1 Um sicherzustellen, dass die Hilfen auch bei den Kleinbetrieben, Freiberuflern und Soloselbstständigen ankommen, wurde in der Folge Mitte April die Finanzverwaltung zur Unterstützung hinzugezogen und ein Datenabgleich in den Bearbeitungsprozess der Anträge integriert. Auch wenn dies einen gewissen Schutz bietet, ist es notwendig, bestehende Verdachtsfälle zu verfolgen und aufzuklären, ob es sich bei ihnen um einen Betrug handelt. Der Schätzung von Fahndern nach, kommen allein in NRW täglich bis zu 30 Fälle zu den bestehenden Verdachtsfällen hinzu.2 Doch während Staatsanwälte und Kriminalbeamte gerne durch Steuerfahnder unterstützt werden würden, gibt es Bedenken bei der Oberfinanzdirektion hinsichtlich der Amtshilfe der Steuerfahnder.3 Der Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie hat die Kleine Anfrage 4269 mit Schreiben vom 27. Oktober 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen, dem Minister des Innern und dem Minister der Justiz beantwortet. 1. Wie viele Verdachtsfälle hinsichtlich eines Betrugs im Zusammenhang mit den staatlichen Corona-Soforthilfen konnten bislang festgestellt werden? Im Zusammenhang mit den gefälschten Internetseiten zur Beantragung der NRW-Soforthilfe 2020 wurden mit Stand vom 13. August 2020 1.144 Verdachtsfälle bei der nordrheinwestfälischen Polizei registriert. Ein Großteil der Anzeigen hat sich nach den polizeilichen Ermittlungen als unbegründet herausgestellt. In nur 18 Fällen wurden hiernach mit Daten, die 1 Vgl. https://www.land.nrw/de/pressemitteilung/antraege-fuer-corona-soforthilfe-koennen-ab-17-aprilwieder -gestellt-werden (abgerufen am 15.05.2020) 2 Vgl. https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/corona-hilfen-nrw-steuerfahndung-1.4907506 (abgerufen am 15.05.2020) 3 Ebd. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11611 2 über die Fake-Webseiten abgegriffen wurden, Soforthilfeanträge gestellt und ausgezahlt. Aus diesen 18 Fällen ist ein polizeilich festgestellter Schaden von etwa 300.000 € entstanden. Dies entspricht 0,007 % des Gesamtauszahlungsvolumens. Im Hinblick auf weitere Informationen zu Verdachtsfällen und Ermittlungen im Zusammenhang mit der NRW-Soforthilfe 2020 wird auf den Sprechzettel des Ministers des Inneren zu TOP 25 der Sitzung des Innenausschusses am 20. August 2020 verwiesen (Vorlage 17/3778). Mit Stand 31. August 2020 hat sich die Anzahl der bei den nordrhein-westfälischen Staatsanwaltschaften wegen „Subventionsbetruges im Zusammenhang mit Corona- Soforthilfen“ statistisch erfassten Verfahren auf 4.345 (4.942 Beschuldigte) erhöht. 2. Wie erfolgte die Überprüfung der bei Antragstellung angegebenen Daten hinsichtlich ihrer Richtigkeit vor der Unterstützung durch die Finanzverwaltung ab Mitte April? Das Prüf- und Controllingkonzept der bewilligenden Bezirksregierungen sieht zunächst diverse in der Software-Programmierung implementierte Prüfroutinen vor. Zum Beispiel erkennt und verweist die Datenbank automatisiert auf Anträge mit gleichlautenden Daten, beispielsweise Steuernummer, IBAN und E-Mail-Adresse. Zudem prüft die Software automatisch die Existenz der angegebenen Anschrift sowie die Verortung der Steuernummer in Nordrhein-Westfalen. Die Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter in den Bezirksregierungen unterzogen jeden Antrag einem Plausibilitätscheck. Bei mindestens sechs Fällen je Stunde und Mitarbeiter war darüber hinaus eine tiefere Recherche zur Unternehmensexistenz anhand einer Internetpräsenz, Telefonnummernabfrage durch aktiven Anruf, der Gewerbeanmeldung oder einem Handelsregistereintrag durchzuführen. Dabei wurde auch das Insolvenzregister herangezogen. Auf eine IBAN konnte im automatisierten Kassenverfahren nur eine Auszahlung erfolgen. Auf ausländische Bankverbindungen konnte generell keine NRW-Soforthilfe ausgezahlt werden. In beiden Fällen war ausnahmsweise eine in jedem Einzelfall gesonderte Anordnung erforderlich. 3. Wurden auch die Anträge, welche vor der Unterstützung durch die Finanzverwaltung Mitte April gestellt wurden, nachträglich mit den Daten der Finanzverwaltung abgeglichen, um mögliche Betrugsfälle zu identifizieren? Der IBAN-Abgleich mit der Finanzverwaltung diente der Identifikation von betrügerisch auf falsche Konten ausgestellten Anträgen. Dies war in Folge des Datendiebstahls über Fake- Antragsseiten notwendig geworden. Da die Fake-Seiten erst im April bekannt wurden, wurden die Anträge aus März nicht nachträglich einem IBAN-Abgleich unterzogen. Der Abgleich des Namens der Antragstellerin / des Antragstellers mit dem Namen der Kontoinhaberin / des Kontoinhabers war jedoch Teil der kursorischen Plausibilitätsprüfung durch die Bezirksregierungen bei jedem eingegangenen Antrag. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11611 3 4. Weshalb wurde bei der Einführung der Corona-Soforthilfe zunächst auf einen Datenabgleich mit den der Finanzverwaltung bekannten Daten verzichtet? Ein Datenabgleich mit der Finanzverwaltung bedarf einer sorgfältigen Abwägung zwischen der Wahrung des Steuergeheimnisses und des öffentlichen Interesses an einer rechtmäßig gewährten Zuwendung bzw. Billigkeitsleistung. Deshalb wurde auf einen voraussetzungslosen Datenabgleich verzichtet. 5. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung unternommen, um die Zusammenarbeit zwischen Finanzverwaltung, Kriminalbeamten und Staatsanwälten zur Aufklärung von Verdachtsfällen zu optimieren? Über an die Finanzverwaltung gerichtete Anfragen der Strafverfolgungsbehörden in Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes auf Subventionsbetrug im Zusammenhang mit der Corona-Soforthilfe wird unter anderem auf der Grundlage des § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO entschieden. Die Verpflichtung zur Wahrung des Steuergeheimnisses erfordert eine differenzierte Betrachtungsweise für die Antwort auf die Frage, ob im konkreten Einzelfall personenbezogene Daten offenbart werden dürfen. Im Interesse einer einheitlichen Entscheidungspraxis sind hierzu Fallgruppen gebildet worden. Der beim Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung Hagen angesiedelten „Analyseeinheit für Risikoorientierte Ermittlungen im Bereich der Steueraufsicht“ (ARES) wurde die Aufgabe der Prüfung im Bewilligungsverfahren der Corona-Soforthilfen („Datencheck“) übertragen. Dieser Datencheck erfolgte auf Anfrage der Bewilligungsbehörde in denjenigen Fällen, in denen ein Missbrauch seitens der Bewilligungsbehörde vermutet wurde. In den Fällen, in denen der Abgleich der Daten aus den Anträgen mit denen der Finanzverwaltung zu nicht plausiblen Ergebnissen führte, erfolgte eine entsprechende Rückmeldung an die Bewilligungsbehörde auf Basis des § 31a AO. Insgesamt wurde der Datencheck in rund 150.000 Zweifelsfällen durchgeführt. Das Innen-, Finanz-, Justiz- und Wirtschaftsressort stellen einen intensiven Informationsaustausch im Zusammenhang mit den Betrugsfällen und Varianten im Kontext der Corona-Pandemie sicher. Bereits nach Bekanntwerden der ersten falschen Corona- Soforthilfe-Internetseiten am 7. April 2020 erfolgten Telefonkonferenzen zwischen den relevanten Behörden. So wurde unmittelbar die Ermittlungskommission KLON, unter Beteiligung von Finanzermittlern, Ermittlungsbeamten und IT-Spezialisten des Cybercrime- Kompetenzzentrums des LKA NRW, unter Sachleitung der Staatsanwaltschaft Köln (ZAC NRW) eingerichtet. Derzeit stimmen das LKA NRW, die Analyseeinheit für Risikoorientierte Ermittlungen der Steueraufsicht (ARES), die Bezirksregierung Arnsberg und die Task Force „Ressortübergreifende Bekämpfung der Finanzierungsquellen von Organisierter Kriminalität und Terrorismus“ Parameter und Indikatoren ab, die künftig die strafrechtliche Überprüfung der Bewilligungsfälle möglichst umfassend, automatisiert sowie systematisch ermöglichen sollen. Bereits jetzt können Polizeibehörden im Rahmen der Bearbeitung von Betrugsverdachtsfällen im Zusammenhang mit Corona-Soforthilfen mittels einer vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie bereitgestellten Abfragemöglichkeit prüfen, ob zu polizeilich abgefragten Daten ein Antrag auf Corona-Soforthilfe vorliegt.