LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11614 27.10.2020 Datum des Originals: 27.10.2020/Ausgegeben: 02.11.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4433 vom 24. September 2020 des Abgeordneten Herbert Strotebeck AfD Drucksache 17/11125 Cum-Ex Geschäfte und die Feststellungen des Minister Biesenbach Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Seit dem 1. Juli 2020 gilt eine Neuregelung der Abgabenordnung, die vorsieht, dass künftig die Einziehung von Taterträgen (Steuervorteilen) gem. § 73 ff. StGB und Wertersatz selbst dann noch angeordnet werden kann, wenn der steuerrechtliche Anspruch bereits durch Verjährung erloschen und nicht mehr durchsetzbar ist (§ 375a AO). Steuereintreibung durch die Justizorgane ist daher trotz steuerlicher Festsetzungs- oder Zahlungsverjährung noch möglich . Die Neuregelung des § 375a AO gilt für alle Steueransprüche, die am Tag nach der Gesetzesverkündung noch nicht steuerlich verjährt sind (Art. 97 § 33 Einführungsgesetz AO – EGAO). Diese neue Einziehungsregelung ist im Zusammenhang mit der verjährungsrechtlichen Neuregelung in § 376 Abs. 1 und 3 AO (neue Fassung) zu sehen. In § 376 Abs. 1 AO stellt der Gesetzgeber klar, dass bei der Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen (also z.B. bei einer Hinterziehung von mehr als EUR 50.000 pro Tat) die strafrechtliche Verjährung gem. § 78b Abs. 4 StGB ruht, wenn das strafrechtliche Hauptverfahren vor dem Landgericht eröffnet worden ist. Außerdem wird in den Fällen einer besonders schweren Hinterziehung die Grenze der absoluten Verjährung vom Doppelten nun auf das Zweieinhalbfache ausgedehnt (§ 376 Abs. 3 AO). Eine Hinterziehung von mehr als EUR 50.000 pro Tat verjährt strafrechtlich somit spätestens in 25 statt bisher 20 Jahren. Hinzu kommen kann die bis zu fünfjährige Regelung betreffend die Verjährungsruhe. Diese Neureglungen sind auch auf die Fälle sogenannter Cum-Ex-Geschäfte anzuwenden, mit denen es in der Vergangenheit in großem Umfang zu bewusst herbeigeführter mehrfacher Erstattung von nur einmal abgeführter Kapitalertragsteuer kam. Allerdings gilt der neue Paragraf 375a gerade nicht für Altfälle, die steuerlich bereits verjährt sind. NRW-Justizminister Biesenbach hat bereits angedeutet, dass er drohende Einnahmeverluste wegen der Nichterstreckung auf verjährte Forderungen aus Cum-Ex-Geschäften so nicht hinnehmen will. Er wird wie folgt zitiert: „Ich halte es für unerträglich, wenn wir sagen, wir verurteilen zwar möglicherweise Personen zu Haftstrafen, aber das Geld ist weg, an das kommen wir nicht mehr ran. Hier muss eine LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11614 2 Regelung gefunden werden, das können wir niemandem sonst erklären.“1 Laut den Aussagen von Herrn Minister Biesenbach geht es um Milliardenbeträge, die dem Land Nordrhein-Westfalen so entgehen. Der Minister der Justiz hat die Kleine Anfrage 4433 mit Schreiben vom 27. Oktober 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Finanzen beantwortet. 1. Welche Einnahmeausfälle meint der NRW-Justizminister Biesenbach? Gemeint sind Steuervorteile, die aus Cum-Ex-Geschäften zu Unrecht erlangt wurden und die ggfs. nicht zurückgefordert werden können. 2. Auf welcher Grundlage kommt der Minister zum Schluss, dass dem Land Nordrhein -Westfalen Milliardenbeträge entgehen? Problematisch sind nach wie vor diejenigen Fälle, in denen bereits vor Kenntniserlangung durch die Strafverfolgungsbehörden die sogenannte relative Verjährung eingetreten ist. In solchen Fallkonstellationen besteht auch nach den Neuregelungen der Abgabenordnung zum 1. Juli 2020 keine Möglichkeit einer Abschöpfung der rechtswidrig erlangten Steuern. Die darüber hinaus mit jedem Cum-Ex-Geschäft auf Seiten der einzelnen beteiligten Akteure erlangten Tatanteile kämen im Falle ihrer Einziehung dem Land NRW zu. 3. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um diese zu Unrecht gezahlten Gelder trotzdem für die öffentliche Hand zurückzugewinnen? Zu Maßnahmen der Landesregierung wird auf den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der besonders schweren Steuerhinterziehung (BR-Drs. 590/20) verwiesen, den die Landesregierung am 9. Oktober 2020 in den Bundesrat eingebracht hat, um unter anderem auf eine umfassende gesetzliche Grundlage für eine strafrechtliche Abschöpfung der insbesondere aus Cum-Ex-Geschäften zu Unrecht erlangten Steuervorteile hinzuwirken. 4. Wie beurteilt die Landesregierung die Möglichkeit, auch Gelder im Rahmen der Cum-Ex Geschäfte trotz steuerrechtlicher Verjährung, insbesondere mit Blick auf das im Grundgesetz verankerte Rückwirkungsverbot, zurückzufordern? Die Möglichkeit einer Vermögensabschöpfung wird aus strafrechtlicher und fiskalischer Sicht grundsätzlich begrüßt. Die Landesregierung vertritt den rechtlichen Standpunkt, dass eine Einziehung der Tatvorteile mit Blick auf das Rückwirkungsverbot im Fall der sogenannten Cum-Ex-Geschäfte regelmäßig zulässig ist. Insoweit wird auf den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der besonders schweren Steuerhinterziehung verwiesen. 1 https://www.tagesschau.de/cum-ex-139.html LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11614 3 5. Welche Kenntnisse hat die Landesregierung von Initiativen des Bundes und anderer Länder, zu Unrecht gezahlte Gelder aus Cum-Ex Geschäften z.B. durch neue Gesetze zurückzufordern, selbst wenn diese steuerrechtlich bereits vor dem 01.07.2020 verjährt sind? In der Sitzung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestags am 18.09.2020 hat die Fraktion der SPD erklärt, dass man derzeit mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz „eine rechtssichere Lösung“ für die vor dem 1. Juli 2020 steuerrechtlich bereits verjährten Fälle erarbeite (BT-Drs. 19/22680). Ein abgestimmter Gesetzentwurf liegt der Landesregierung bislang nicht vor. Gesetzesinitiativen anderer Länder sind nicht bekannt.