LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11692 04.11.2020 Datum des Originals: 04.11.2020/Ausgegeben: 10.11.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4446 vom 25. September 2020 der Abgeordneten Mehrdad Mostofizadeh, Johannes Remmel und Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/11155 Wie stellt die Landesregierung den hygienisch einwandfreien Betrieb raumlufttechnischer Anlagen sicher? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Am 19. August 2017 ist die Novellierung der 42. Bundesimmissionsschutzverordnung (BImSchV) in Kraft getreten. Auslöser waren Erkenntnisse, die die zuständigen Behörden im Rahmen des Legionellen-Ausbruchs in Warstein im Jahr 2013 und weiterer lokaler Immissionsmessungen gewonnen haben. Es zeigte sich seinerzeit, dass Rückkühlanlagen legionellenhaltige Aerosole in die Außenluft freisetzen können, was eine erhöhte technische Anforderung an und eine regelmäßige mikrobiologische Untersuchung dieser Anlagen notwendig macht. Nun besteht der begründete Verdacht, dass sich auch Corona-Viren unter bestimmten Bedingungen über raumlufttechnische Anlagen in der Innenraumluft verteilen können. Im Zusammenhang mit der Untersuchung von Prof. Exner anlässlich des Infektionsgeschehens in der Firma Tönnies im Kreis Gütersloh ist dies deutlich geworden. Der Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat die Kleine Anfrage 4446 mit Schreiben vom 4. November 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie, der Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung und der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Naturschutz und Verbraucherschutz beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die am 19.08.2017 in Kraft getretene Verordnung über Verdunstungskühlanlagen, Kühltürme und Nassabscheider (42. BImSchV) wurde im Nachgang zu den Ereignissen in Warstein im Jahr 2013 nach einer Initiative von NRW durch den Bund erlassen. Diese Anlagen können bei schlechtem hygienischen Zustand legionellenhaltige Aerosole in die Umgebung emittieren, was wiederum zu Erkrankungen führen kann. Laut Angaben des Umweltbundesamtes ist ein Austrag von Coronaviren aus Verdunstungskühlanlagen nicht zu erwarten (https://www.umweltbundesamt.de/coronaviren-umwelt#kann-das-sars-cov-2-uberverdunstungskuhlanlagen -verbreitet-werden). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11692 2 Von diesen Anlagen zu unterscheiden sind die in der Vorbemerkung der Anfragenden genannten raumlufttechnischen Anlagen (RLT-Anlagen), die ihre Luft in Innenräume abgeben. Befeuchtungseinrichtungen in raumlufttechnischen Anlagen, die integrierter Bestandteil der luftführenden Bereiche dieser Anlagen sind, sind gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 3 der 42. BImSchV vom Anwendungsbereich ausgenommen. Die Betriebsweise von RLT-Anlagen spielt eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von SARS- CoV-2 in Innenräumen. Hilfestellung u. a. bzgl. des infektionsschutzgerechten Betreibens einer RLT-Anlage hat die Bundesregierung in ihrer Empfehlung „Infektionsschutzgerechtes Lüften“ (Stand 16.09.2020) veröffentlicht. Nach Einschätzung des BMAS ist „das Übertragungsrisiko über RLT[-Anlagen] insgesamt als gering einzustufen, wenn sie über geeignete Filter verfügen oder einen hohen Außenluftanteil zuführen (SARS-CoV-2- Arbeitsschutzregel des BMAS, Stand 20.08.2020). Das Infektionsgeschehen bei der Firma Tönnies in Gütersloh ist auf mehrere ungünstige Faktoren zurückzuführen und lässt sich nicht auf den Betrieb einer RLT-Anlage an sich reduzieren. So begünstigten die niedrige Temperatur sowie die geringe Luftfeuchtigkeit und die hohe Beschäftigtenzahl in dem für das Infektionsgeschehen ursächlichen Betriebsteil eine Übertragung von SARS-CoV-2. Da die RLT-Anlage ohne Filtereinsatz im Umluftbetrieb betrieben wurde, konnte die Viruslast in dem betreffenden Betriebsteil nicht reduziert werden. 1. Ist ein potentieller Zusammenhang von Corona-Infektionen und dem Betrieb sowie dem hygienischen Zustand von raumluft-technischen Anlagen bereits zum Beginn der Pandemie aus Sicht des Arbeitsschutzes und des Immissionsschutzes auf der zuständigen Ebene der Arbeitsschutzverwaltung und der zuständigen Ministerien diskutiert worden? Ein schlechter hygienischer Zustand einer raumlufttechnischen Anlage (RLT-Anlage) ist generell, unabhängig von dem Auftreten einer Pandemie, zu vermeiden. Zum Schutz von Beschäftigten vor Gesundheitsgefährdungen durch RLT-Anlagen, sind Arbeitsstätten gemäß § 4 (2) Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) den hygienischen Erfordernissen entsprechend durch den Arbeitgeber reinigen zu lassen. RLT-Anlagen sind nach § 2 (2) S. 1 Ziff. 3 ArbStättV Teil einer Arbeitsstätte. Die Kontrolle der Einhaltung der Vorgaben der ArbStättV und der diese konkretisierenden Technischen Regel für Arbeitsstätten (ASR) A3.6 „Lüftung“ ist generell Teil der Revision von Betrieben durch die Arbeitsschutzverwaltung NRW. Ein potentieller Zusammenhang von Corona-Infektionen und dem Betrieb von RLT-Anlagen wurde, auch vor dem Hintergrund des SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard des BMAS (Stand 16.04.2020), bereits zu Beginn der Covid-19-Pandemie in der Arbeitsschutzverwaltung Nordrhein-Westfalen diskutiert. Zu Beginn der Pandemie war nach Einschätzung des BMAS „das Übertragungsrisiko über RLT[-Anlagen] insgesamt als gering einzustufen (SARS-CoV-2- Arbeitsschutzstandard des BMAS, Stand 16.04.2020). Diese Einschätzung wurde mit Veröffentlichung der aktuellen Fassung der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel des BMAS, Stand 20.08.2020, dahingehend verändert, dass ein geringes Übertragungsrisiko über RLT- Anlagen geknüpft ist an den Einsatz geeigneter Filter oder die Zuführung eines hohen Außenluftanteils. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11692 3 2. Welche Maßnahmen hat die Landesregierung ergriffen, um raumlufttechnische Anlagen genau untersuchen zu lassen und entsprechende Überprüfungsvorgaben einzuleiten? Aufgrund der Vorschriften der Landesbauordnung 2018 – BauO NRW 2018 – sind Lüftungsanlagen unter Beachtung der allgemein anerkannten Regeln der Technik zu planen, zu errichten und instand zu halten. Gerüche und Stäube dürfen über eine Lüftungsanlage nicht in andere Räume übertragen werden. Zur Instandhaltung zählen auch alle Maßnahmen, die für den ordnungsgemäßen Betrieb einer Lüftungsanlage erforderlich sind. Insbesondere für die Durchführung der regelmäßigen Wartungen und Inspektionen liegt die Verantwortung beim Betreiber der Lüftungsanlagen, der die Herstellerangaben und die Regeln der Technik zu berücksichtigen hat. Prüfungen durch Prüfsachverständige sind nur an Lüftungsanlagen in den der Prüfverordnung NRW benannten Sonderbauten vorgeschrieben. In diesen Gebäuden muss sichergestellt werden, dass die brandschutztechnischen Anforderungen erfüllt sind. Weitergehende Prüfungen in anderen Gebäuden sind über die ohnehin vom Betreiber einzuhaltenden Verpflichtungen nur in besonders gelagerten Einzelfällen erforderlich. In der Fleischindustrie wurden direkt nach der Ursachenanalyse von Herrn Prof. Dr. Exner von der Universität Bonn die neuesten Erkennt-nisse durch die Arbeitsschutzverwaltung den betroffenen Firmen mit-geteilt. Dabei sind die Unternehmen darüber informiert worden, dass sie ihre raumlufttechnischen Anlagen mit den nachfolgenden Grundsätzen bis auf Weiteres auszurichten haben: a) Die Frischluftzufuhr ist zu maximieren, b) die Luftwechselrate ist anzupassen und c) Filteraggregate von raumlufttechnischen Anlagen sind mit der Maßgabe der Reduzierung möglicher Virenlasten zu betreiben. Die Arbeitsschutzverwaltung hat zwischenzeitlich berichtet, dass sich die Firmen des Themas angenommen haben und die Einhaltung im Rahmen der Überwachungsmaßnahmen kontrollieren. 3. In seinem Informationsblatt zur 42. BImSchV vom 17.07.2018 gibt das MULNV an, auf Grundlage der Anzeigen von Bestands- und Neuanlagen ein Anlagenkataster aufbauen zu wollen. Ist dieses Anlagenkataster inzwischen soweit aufgebaut, dass es im Falle eines Infektionsvorkommens (Legionellen, Corona, etc.) zuverlässig zur Ermittlung möglicher Infektionsquellen genutzt werden kann? Die Anzeigen und Meldungen gemäß der 42. BImSchV werden im bundesweiten Anlagenkataster KaVKA-42.BV durch die Betreiber erfasst. In der Datenbank KaVKA-42.BV sind für NRW seit Programmstart am 19.07.2018 zum Stichtag 30.09.2020 insgesamt 5.623 Anlagen enthalten. Über die Verpflichtungen für Anlagenbetreiber gemäß 42. BImSchV sowie die Bereitstellung und Nutzung des Anlagenkatasters hat das MULNV durch Informationsschreiben alle bekannten Industrieverbände, in deren Mitgliedsunternehmen entsprechende Anlagen betrieben werden könnten, umfassend unterrichtet. Darüber hinaus sind die Umweltbehörden gebeten worden, im Rahmen ihrer laufenden Umweltinspektionen die 42. BImSchV zu berücksichtigen und Anlagenbetreiber entsprechend zu informieren. Im Falle eines Infektionsgeschehens mit Legionellen kann auf die im Anlagenkataster erfassten Daten zurückgegriffen werden, um kurzfristig und gezielt zu prüfen, ob LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11692 4 Verdunstungskühlanlagen, Kühltürme oder Nassabscheider in der Umgebung als Quelle in Frage kommen. Wie in der Vorbemerkung bereits dargestellt, ist ein Austrag von Coronaviren aus Verdunstungskühlanlagen nicht zu erwarten. Das Kataster enthält keine Informationen zu raumlufttechnischen Anlagen, da diese vom Anwendungsbereich der 42. BImSchV nicht erfasst sind. 4. Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus den gewonnenen Erkenntnissen hinsichtlich einer verpflichtenden technischen Nachrüstung von Raumluftanlagen im Hinblick auf Filter- und Aerosolreinigung (und ggf. einer Vorgabe für standardisierte Wärmerückgewinnung) in Bezug auf den Arbeitsschutz und den Immissionsschutz in öffentlichen Gebäuden? Die Anforderungen an die Errichtung und den ordnungsgemäßen Betrieb von Lüftungsanlagen sind in technischen Regeln festgelegt. Welches Maß bezogen auf die Filterung von Zu- und Abluft sowie die Wärmerückgewinnung erforderlich ist, hängt von der jeweiligen Nutzung ab. Für Nutzungen mit besonderen Anforderungen, wie z.B. in Krankenhäusern oder Reinräumen, gelten spezielle technische Regeln, die auch die arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften berücksichtigen. Der Landesregierung ist nicht bekannt, dass diese Regeln hinsichtlich des Erfordernisses der Luftfilterung ergänzungsbedürftig wären. 5. Welche Betriebszweige oder Gewerke neben den fleischverarbeitenden Betrieben sollten aufgrund des großflächigen Einsatzes raumlufttechnischer Anlagen in ihren Betrieben aus Sicht der Landesregierung einer besonderen Überprüfung unterzogen werden, um die Gefahr einer Ansteckung der Beschäftigten mit dem Corona-Virus zu minimieren? Es wird auf die Antwort auf Frage 4 verwiesen. Eine über das normale Maß hinausgehende besondere Überprüfung ist aus Sicht der Landesregierung nach derzeitigen Erkenntnissen nicht erforderlich.