LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11758 10.11.2020 Datum des Originals: 09.11.2020/Ausgegeben: 16.11.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4627 vom 23. Oktober 2020 des Abgeordneten Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/11600 Verabschiedet sich die Landesregierung von einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Auswirkungen des Klimawandels im Wald zeigten sich im vergangenen Jahr besonders deutlich. Auch in diesem Jahr haben Wetterextreme wie Stürme, Hitze und geringe Niederschläge zu einer weiteren Ausbreitung des Borkenkäfers beigetragen und die ohnehin schon dramatische Situation im Wald weiter verschärft. Der Landesbetrieb Wald und Holz NRW und auch das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz haben im Zuge der Kalamitätsbekämpfung bislang einen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln im Wald abgelehnt. Dies spiegelte sich unter anderem auch in der Förderrichtlinie zur Unterstützung der betroffenen Waldbesitzer zur Bewältigung der Kalamitäten wider, wo Maßnahmen, die den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln beinhalten, ausdrücklich nicht gefördert werden. Der Einsatz von Insektiziden auf gelagerten Stämmen (Holzpolter) wird seitens des Landesbetriebs Wald und Holz NRW stets als letztes Mittel der Wahl, als „Ultima Ratio“, erklärt. Die Bekämpfung von Borkenkäfern mit Pflanzenschutzmitteln erfolgt, um lebende Exemplare abzutöten und eine Neubesiedlung zu verhindern. Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln birgt allerdings große Gefahren hinsichtlich einer nachhaltigen Beeinflussung des Ökosystems Wald und sollte daher prinzipiell vermieden werden. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4627 mit Schreiben vom 9. November 2020 namens der Landesregierung beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Die Waldbesitzenden in Nordrhein-Westfalen stehen in Folge des Klimawandels vor großen Herausforderungen. In mehreren Regionen des Landes NRW sind Waldbestände durch starken Borkenkäferbefall oder Dürreschäden schwer geschädigt. Die Waldbesitzenden versuchen in einer großen Kraftanstrengung, diese Kalamität zu stoppen. Dies geschieht in Verantwortung für den Wald unter Wahrung der Prinzipien der nachhaltigen LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11758 2 Waldbewirtschaftung. Gleichzeitig soll eine unkontrollierte Massenvermehrung des Borkenkäfers möglichst verhindert werden. Auch der Staatswald des Landes ist von dieser Kalamität betroffen. Vor diesem Hintergrund hat sich das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz schon 2019 entschlossen, die Massenvermehrung von Borkenkäfern auch durch den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln (PSM) im Staatswald als eine der Maßnahmen des integrierten Pflanzenschutzes soweit wie möglich zu mindern und hat den PSM-Einsatz als „Ultima Ratio“ in den nach PEFC und FSC zertifizierten staatlichen Wäldern angeordnet. Folgende Erwägungen leiteten diese Entscheidung: - Schäden am Privat-, Kommunal- und Landesvermögen durch Borkenkäferbefall zu begrenzen, - prioritär benachbarte Waldbestände im Sinne von § 48 Landesforstgesetz (LFoG) NRW zu schützen und - Vermeidung von Kahlflächen, um möglichst viele Altholzschirme als wichtige waldbauliche Elemente zur Entwicklung klimastabiler Wälder zu erhalten. Grundsätzlich werden im Rahmen des integrierten Pflanzenschutzes zunächst alle Maßnahmen ergriffen, die keine Verwendung von Pflanzenschutzmitteln beinhalten. Hierzu zählen: - eine zeitnahe Abfuhr des vom Borkenkäfer befallenen Holzes vor Ausflug derselben in die Holzindustrie, - eine Lagerung des Holzes auf Lagerplätzen in über 3 km Entfernung zum nächsten Fichtenbestand, wenn keine aktuelle Vermarktungsmöglichkeit besteht sowie - die Entrindung des Rundholzes im Wald. Da der Holzmarkt nicht sämtliche bereitgestellten Holzmengen aufnehmen kann und die Holzabfuhren den logistischen oder betrieblichen Notwendigkeiten der Holzindustrie folgen, kann es im Wald zu forstschutzrelevanten Verzögerungen bei der Holzabfuhr kommen. Um in dieser Situation den Ausflug adulter Käfer und damit den Befallsdruck auf gesunde Fichtenbestände zu mindern, ist als letztes Mittel im Sinne einer „Ultima Ratio“ der Einsatz von PSM zur Polterbehandlung möglich. Aufgrund der beschränkten Zulassungslage von PSM im Forst ist dies nur bei liegendem Fichtenholz, nicht aber bei stehendem Holz zulässig. Alle Maßnahmen des integrierten Pflanzenschutzes entsprechen den Regeln von FSC und PEFC. 1. Wie hat sich der Absatz von forstbaulich genutzten Pflanzenschutzmitteln in den letzten fünf Jahren in Nordrhein-Westfalen entwickelt? (Bitte Zahlen für den jährlichen Absatz je Mittel und Landkreis aufführen) 2. Falls keine gesamtheitlichen Daten vorliegen: Wie hat sich der Absatz von forstbaulich genutzten Pflanzenschutzmitteln über den Agrarfachhandel allein im Kreis Olpe, im Hochsauerlandkreis und im Oberbergischen Kreis in den letzten fünf Jahren entwickelt? Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 1 und 2 zusammen beantwortet. Zur Beantwortung dieser Fragestellungen stehen der Landesregierung keine Daten zur Verfügung. Gemäß § 64 des Pflanzenschutzgesetzes sind Hersteller, Vertreiber und Importeure von Pflanzenschutzmitteln verpflichtet, dem Bundesamt für Verbraucherschutz und LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11758 3 Lebensmittelsicherheit (BVL) die Mengen der PSM und Wirkstoffe zu melden, die im Inland abgegeben oder ausgeführt wurden. Das BVL veröffentlicht die zusammengefassten Daten zusammen mit weiteren Statistiken über PSM in jährlichen Berichten (https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/04_Pflanzenschutzmittel/01_Aufgaben/02_Zula ssungPSM/03_PSMInlandsabsatzAusfuhr/psm_PSMInlandsabsatzAusfuhr_node.html). 3. Wie definiert die Landesregierung den Ausdruck "liegendes Holz", auf das im Zuge der Kalamitätsbekämpfung Pflanzenschutzmittel aufgebracht werden: Handelt es sich dabei ausschließlich um Holz in Poltern oder gegebenenfalls auch um Holz, das noch in der Fläche liegt? Liegendes Holz ist in der forstlichen Nomenklatur Holz, das gefällt, gezopft und entastet worden ist. Unerheblich ist es, ob es schon gerückt und gepoltert wurde. Der Einsatz von PSM am Holz erfolgt in der Regel an Holzpoltern. 4. Wie schätzt die Landesregierung das komplette Abräumen und Mulchen (Ganzbaumentnahme bzw. Vorkonzentration auf Gassen und dortiges Zerkleinern des Holzes/Äste) einer Waldfläche in ökologischer Hinsicht, einschließlich der Auswirkungen auf den Boden, ein? 5. Aus welchen Gründen empfiehlt die Landesregierung das komplette Freiräumen und Mulchen neu zu bepflanzender Waldflächen? Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 4 und 5 zusammen beantwortet. Die Ganzbaumentnahme (Wurzelstock plus gesamte oberirdische Biomasse) ist nach § 10 Abs. 1 Satz 2, 3 LFoG verboten. Die Landesregierung empfiehlt nicht das komplette Freiräumen und Mulchen neu zu bepflanzender Waldflächen. In der Förderrichtlinie Extremwetterfolgen wird zwischen forstschutzrelevantem (Holz ist noch von Borkenkäfern in den verschiedenen Entwicklungsstadien besiedelt) und nicht mehr forstschutzrelevantem Holz (=alle Borkenkäfer sind ausgeflogen oder abgestorben) unterschieden. Handelt es sich um forstschutzrelevantes Holz, so wird die Räumung des Bestandes von bruttauglichem Material von der Rückegasse aus, z.B. mittels Forwarder sowie das Mulchen des Materials auf der Rückegasse gefördert, um die Bruttauglichkeit des Holzes und die Larvenentwicklung zu reduzieren. Dadurch soll die weitere Dynamik des Borkenkäferbefalls ohne Einsatz von PSM gemindert werden. Sofern es sich um nicht mehr forstschutzrelevantes, somit abgestorbenes Holz handelt, so wird die Aufarbeitung und Räumung in erforderlichem Umfang gefördert. Der erforderliche Umfang bezieht sich immer auch auf die geplante Intensität der Begründung des Folgebestandes. Eine vollständige Räumung von jeglicher oberirdischen oder sogar unterirdischen Biomasse (Wurzelstockrodung) ist nicht im Sinne der Förderung und auch forstrechtlich gem. § 10 Abs. 1 Satz 2, 3 LFoG untersagt. Weiter sieht die Extremwetter-Richtlinie das maschinelle Mulchen der Pflanzflächen als Fördertatbestand nicht vor. Denkbare Maßnahmen gemäß Nr. 2.4.2 Bodenschonende Flächenvorbereitung der Richtlinie sind z.B. die kleinflächige Bodenverwundung mittels LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11758 4 Streifenpflug zur Beseitigung von Konkurrenzvegetation oder zur Vorbereitung von Saatplätzen bzw. -streifen. Alle forstwirtschaftlichen Maßnahmen sind unter Beachtung der jeweiligen naturschutzrechtlichen Vorschriften durchzuführen. Der Einsatz von PSM erfolgt nicht in Naturschutzgebieten, FFH Gebieten, Natura 2000 Gebieten, Wildnisentwicklungsgebieten, Naturwaldzellen oder in der Nähe von Oberflächengewässern. Weitere forstfachliche Informationen sind für die Waldbesitzenden in den Schriften des Landesbetriebs Wald und Holz NRW (Download www.wald-und-holz.nrw.de) aufbereitet: • Praxisleitfaden Walderneuerung nach Schadereignissen, 2019, • Praxisleitfaden Fichten-Dürrständer, 2020.