LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11816 11.11.2020 Datum des Originals: 11.11.2020/Ausgegeben: 17.11.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4529 vom 7. Oktober 2020 der Abgeordneten Eva-Maria Voigt-Küppers und Jochen Ott SPD Drucksache 17/11422 Lese-Rechtschreib-Schwäche und Dyskalkulie an den Schulen in NRW Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Lese-Rechtschreib-Schwäche und Dyskalkulie sind Teilleistungsstörungen, die deutliche Schwierigkeiten im Lesen und Schreiben bzw. Rechnen bedeuten. Personen mit der Diagnose Lese-Rechtschreib-Schwäche weisen typische Merkmale, wie eine niedrige Lesegeschwindigkeit, eine unleserliche Handschrift, das Auslassen, Vertauschen oder Hinzufügen von Wörtern oder einzelnen Buchstaben auf. Bei einer Dyskalkulie bestehen Beeinträchtigungen im Umgang mit Zahlen und beim Verständnis von Rechenvorgängen. Auf die kognitiven Leistungen der Betroffenen hat dies keinerlei Auswirkungen. Wer von einer Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Dyskalkulie betroffen ist, ist aktuell oftmals erheblichen Benachteiligungen im schulischen Bildungssystem ausgesetzt. Ständige Misserfolge in der Schule können für die Schülerinnen und Schüler mit psychischen Folgen einhergehen, die ihre Lebensqualität massiv beeinträchtigen. Daher ist es wichtig, dass die Teilleistungsstörung möglichst früh erkannt und die Schülerinnen und Schüler entsprechend gefördert werden und Unterstützung erfahren. Neben individuellen Förderangeboten gehört auch die Gewährung von angemessenen individuellen Nachteilsausgleichen dazu. Der Nachteilsausgleich stellt dabei eine rechtlich abgesicherte Maßnahme zur Herstellung von Chancengleichheit dar. In Nordrhein-Westfalen ist eine diagnostizierte Dyskalkulie derzeit mit keinem Nachteilsausgleich verbunden. Schülerinnen und Schülern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche wird ein Nachteilsausgleich nur bis zur zehnten Klasse gewährt. Die Ministerin für Schule und Bildung hat die Kleine Anfrage 4529 mit Schreiben vom 11. November 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit der Ministerin für Kultur und Wissenschaft beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11816 2 Vorbemerkung der Landesregierung Der phänomenologische Begründungszusammenhang, der die fachliche Einordnung der Teilleistungsstörungen zugrunde legt, ist nach wie vor umstritten. Dies ist deshalb von Bedeutung, um einzuordnen, ob es sich um eine Behinderung handelt oder um eine Schwäche bzw. Störung, die durch eine geeignete individuelle Förderung bzw. durch besondere pädagogische und methodisch-(fach)didaktische Maßnahmen kompensiert werden kann. Schon die unterschiedlichen Bezeichnungen (Dyskalkulie, Arithmasthenie, Rechenschwäche, Rechenstörungen) sind bisher wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt; gleichwohl gibt es offensichtliche Präferenzen in unterschiedlichen fachwissenschaftlichen Domänen: Die Bezeichnungen „Legasthenie“, „Dyskalkulie“ und „Arithmastenie“ sind dem medizinischtherapeutischen Sektor zuzuordnen, während in der Pädagogik tendenziell eher die Begriffe „Lese-Rechtschreib-Schwäche“ bzw. „Lese-Rechtschreib-Störung“ und „Rechenschwäche“ bzw. „Rechenstörung“ benutzt werden. Nordrhein-Westfalen folgt – bereits über mehrere Legislaturperioden hinweg – für die Bereiche Lese-Rechtschreib-Schwäche und Rechenschwäche den Empfehlungen des Beschlusses der Kultusministerkonferenz vom 04.12.2003 in der Fassung vom 15.11.2007. Im Zusammenhang mit der Förderung der Lese-Rechtschreib- und Rechen-Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler wird die Landesregierung in den nächsten fünf Jahren schrittweise aufwachsend insgesamt 106 neue zusätzliche Stellen für die Fachkoordination in Deutsch und Mathematik einrichten. Hierfür werden bis 2025 rund 21 Millionen Euro bereitgestellt. 1. Wie viele Schülerinnen und Schüler fallen derzeit unter den LRS-Erlass? Bitte aufschlüsseln nach Städten und Schulformen. 2. Falls derzeit keine offizielle Statistik erhoben wird, warum wird diese nicht erhoben bzw. ist die Aufstellung einer solchen Statistik für die Zukunft geplant? Fragen 1 und 2 werden im Zusammenhang beantwortet. In Nordrhein-Westfalen obliegt die Analyse einer Lese-Rechtschreib-Schwäche den Lehrkräften der einzelnen Schule. Die Landesregierung hat den Anspruch, im Rahmen der individuellen Förderung (§1 SchulG) jedem Kind die ihm zustehende und notwendige Unterstützung zu gewähren. Auf dieser Grundlage wird die Förderung aller Schülerinnen und Schüler – auch derer mit Teilleistungsstörungen, die sich in vielen Fällen in einem dynamischen Lernentwicklungsprozess darstellt – im Zuge der zentralen Leitidee des seit 2006 in § 1 Schulgesetz NRW verankerten Rechts auf individuelle Förderung realisiert. Dem Ministerium für Schule und Bildung liegen keine landesweiten Daten zur Beantwortung der Fragen 1 und 2 vor. Die Aufstellung einer entsprechenden Statistik ist derzeit nicht geplant. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11816 3 3. Warum wird Schülerinnen und Schülern mit Dyskalkulie kein Nachteilsausgleich gewährt? 4. Falls Nachteilsausgleiche für Schülerinnen und Schüler mit Dyskalkulie geplant sind, wann sollen diese umgesetzt werden? Fragen 3 und 4 werden im Zusammenhang beantwortet. Eine Rechenschwäche wird in NRW in Übereinstimmung mit den o. g. KMK-Empfehlungen nicht als Behinderung bewertet, die mit Formen von Nachteilsausgleichen unterstützt wird, sondern als „besondere Schwierigkeit im Rechnen“. Sie wirkt sich auf die individuellen Lernleistungen unterschiedlich aus und benötigt daher differenzierte pädagogische Unterstützungsmaßnahmen. Lehrkräfte sind gehalten, Schülerinnen und Schüler mit Rechenschwäche individuell zu fördern und dabei umfassend ihre Gestaltungsspielräume zu nutzen, um diese Kinder und Jugendlichen auch in der Leistungsbewertung durch Formen der Anerkennung zu ermutigen. Dies wird auch in den „Arbeitshilfen zur Gewährung von Nachteilsausgleichen“ des Ministeriums für Schule und Bildung dargestellt. 5. Welche Bestandteile existieren in der Lehramtsausbildung zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit Lese-Rechtschreib-Schwäche und Dyskalkulie? Bitte aufschlüsseln nach Universitäten/Hochschulen. Alle angehenden Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen erwerben in den lehramtsbezogenen Bachelor- und Master-Studiengängen grundlegende Kompetenzen zum professionellen Umgang mit Heterogenität und Vielfalt bzw. Kompetenzen zur individuellen Förderung. Diese inhaltlichen Anforderungen für das Fachstudium werden durch Beschlüsse der Kultusministerkonferenz festgelegt. Die inhaltlichen Anforderungen an das fachwissenschaftliche und fachdidaktische Studium sind so ausgerichtet, dass Studienabsolventinnen und –absolventen über fundierte Kenntnisse über Merkmale von Schülerinnen und Schülern verfügen, die den Lernerfolg fördern oder hemmen können, und darüber, wie daraus folgernd Lernumgebungen differenziert zu gestalten sind. Die Universitäten konkretisieren diese spezifischen Anforderungen hinsichtlich der Stärken und Schwächen der Schülerinnen und Schüler, die von der KMK vorgeben sind, in eigener Verantwortung. Dieser Ausbildungsansatz wird durch die im Kerncurriculum des Vorbereitungsdienstes genannte Leitlinie „Vielfalt als Herausforderung annehmen und als Chance nutzen“ in vertiefender Weise fortgeführt. Das aktuelle Kerncurriculum bietet mit seinen dort aufgeführten Handlungssituationen im Handlungsfeld U – „Unterricht für heterogene Lerngruppen gestalten und Lernprozesse nachhaltig anlegen“ Anknüpfungspunkte zur Lese-Rechtschreib-Schwäche und Rechenschwäche.