LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/11875 18.11.2020 Datum des Originals: 18.11.2020/Ausgegeben: 24.11.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4631 vom 23. Oktober 2020 der Abgeordneten Markus Wagner und Nic Vogel AfD Drucksache 17/11605 Linksextreme Musik in Nordrhein-Westfalen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Kapitel „Subkulturell geprägter Rechtsextremismus“ berichtet der Verfassungsschutz NRW im Jahresbericht 2019 ausführlich über rechtsextreme Musikgenres, eine entsprechende Musikindustrie, Konzertveranstaltungen und deren Bedeutung für Subkulturen und Lebensstile.1 Im Kapitel „Autonome Linksextremisten“ ist bezüglich der Szenefinanzierung zwar dokumentiert, dass dies unter anderem durch „Solidaritätskonzerte“ erfolge2, von der konkreten Gestalt einer linksextremen Musikszene erfährt man hingegen nichts. Vor diesem Hintergrund hat die AfD-Landtagsfraktion am 9. September 2020 einen entsprechenden Tagesordnungspunkt mit der Bitte um einen schriftlichen Bericht der Landesregierung für die 66. Sitzung des Innenausschusses beantragt. Die Beantragung beinhaltete Fragen nach linksextremen und nicht als linksextrem eingestuften Musikgruppen, die auf den erwähnten Solidaritätskonzerten auftreten und damit die Szenefinanzierung unterstützen, nach einer Auflistung der Konzerte der vergangenen Jahre und schließlich auch nach den Plattenlabels im Hintergrund. Die Antwort der Landesregierung in Vorlage 17/3874 A09 gestaltete sich allerdings wie folgt: „Eine spezifische Musikszene, wie sie aus dem Rechtsextremismus bekannt ist, existiert im Linksextremismus nicht. Musik kommt im Linksextremismus weder für den Einstieg in die Szene noch für die Radikalisierung eine Bedeutung zu. Musikgruppen, die nicht dem extremistischen Spektrum zugehörig sind, unterliegen nicht dem Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes“ (S. 2). Bereits aus dem unmittelbaren Vergleich der amtlichen Mitteilungen in der Vorlage 17/3874 A09 auf Seite 2 und in dem Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2019 auf Seite 171 ergeben sich zahlreiche Anschlussfragen: Es erscheint skurril, dass die Verfassungsschutzbehörde zu einem feststellt, dass sich die Szene der autonomen Linksextremisten auch durch „Solidaritätskonzerte“ finanziert, zum anderen jedoch 1 Vgl. Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2020): Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 2019, Düsseldorf, S. 126ff.. 2 Vgl. ebd., S. 171. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11875 2 behauptete, es gäbe keine Musikszene. Wie sollen Konzerte, die laut Aussage der Landesregierung einen Finanzierungspfeiler darstellen, ohne Veranstalter, Lokalitäten, Musikgruppen mit Szeneakzeptanz, Hörer der Musik, Liedtexte, beabsichtigte und organisierte Spendenflüsse in die Szene hinein, Musikproduktionsstrukturen oder Absatzwege von Alben und Singles geplant und durchgeführt werden? Auch die Aussage, wonach Musikgruppen, die nicht dem extremistischen Spektrum zugehörig sind, nicht dem Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes unterlägen, ist hochgradig problematisch. Die AfD-Landtagsfraktion fragte nämlich konkret nach jenen nicht-linksextremen Musikgruppen, die sich für etwaige „Solidaritätskonzerte“ der linksextremen Szene haben gewinnen lassen. Dadurch finanzierten diese - isoliert betrachtet womöglich nicht-linksextremen - Musikgruppen immerhin diejenige Teilmenge der nordrhein-westfälischen Linksextremisten, der laut Jahresbericht 2019 „der ganz überwiegende Teil der Gewaltstraftaten im Linksextremismus“ zuzurechnen ist.3 Eine solche Finanzierungsfunktion linksextremer Musik sieht auch die Extremismusforscherin U. M. in einem Aufsatz für die Hanns-Seidel-Stiftung: „Im Jahre 2011 geschah dies zum Beispiel für die linksextremistische Gefangenenhilfsorganisation „Rote Hilfe“. Der Erlös aus einem CD-Sampler kam laut eigener Aussage zu 100 % der „Roten Hilfe“ zugute. Wenn keine konkreten Organisationen und Projekte mit dem Erlös durch den Musikverkauf unterstützt werden sollen, lehnen Musiker mit Bezügen zum Linksextremismus in der Regel den kommerziellen Handel ab. Aufgrund ihrer antikapitalistischen Haltung stellen sie ihre Musik zumeist kostenlos im Internet zur Verfügung oder sie bieten den Erwerb ihrer CD für einen geringen Preis an.“4 Allerdings erkennt M. auch die Funktionen der Ideologievermittlung, der Rekrutierung neuer Anhänger und auch der Mobilisierung von Personenpotenzial: „Darüber hinaus eignet sich linksextremistische Musik auch dazu, die eigenen Anhänger zu mobilisieren, wie zum Beispiel vor einem Neonazi-Aufmarsch (Mobilisierungsfunktion). Dafür werden im Vorfeld nicht selten auch sogenannte „Mobi-Clips“ für Videoplattformen im Internet angefertigt, die zumeist mit einem entsprechenden Lied unterlegt sind.“5 Als Beispiele linksextremer Musiker nennt M. „Holger Burner“, der mit Liedtexten wie „Ich will Uzis verteilen von Hamburg bis München mit dem Aufruf die Chefs aller Banken zu lynchen“ arbeitet, „WIZO“, „Crument“, „Slime“, „Die Zusamm-Rottung“ ,„Boykott“, „Kurzer Prozess“ oder die Punk-Band „SPN-X“6, von der das nachfolgende Szenario besungen worden ist: „Mollis und Dynamit nehm ich in meinem Beutel mit und mach mich damit auf zum Revier. Bullen brennen lichterloh. Alle feiern und sind froh.“7 Die Bestrebungen von Musikern, wie „Holger Burner“ oder „DieVisitor“, alarmierten den Brandenburgischen Verfassungsschutz bereits vor einem Jahrzehnt. Diese Behörde scheute sich auch nicht explizit zu benennen, in welchen Einrichtungen linksextreme Musiker auftreten durften, welche Träger hinter diesen Einrichtungen stehen und in welchen Städten diese beheimatet sind.8 3 Ebd., S. 146. 4 M., U. (2014): Linksextremistische Musik; in: Hirscher, Gerhard (Hrsg.): Linksextremismus in Deutschland. Bestandsaufnahme und Perspektiven, (Hanns-Seidel-Stiftung e.V. (Hrsg.): Argumente und Materialien zum Zeitgeschehen, Band 95), München, S. 35-42, hier: S. 40. 5 Ebd., S. 40f.. 6 Ebd., S. 37ff.. 7 Ebd., S. 40. 8 Vgl. https://verfassungsschutz.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.206743.de. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11875 3 In einer Broschüre des Bundesamts für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2016 heißt es zu linksextremer Musik überdies: „Im Rahmen ihrer vielfältigen Aktivitäten nutzen Linksextremisten auch Musik, um über Liedtexte ihre politischen Vorstellungen zu verbreiten und zugleich Gesinnungsgenossen zu Unternehmungen zu mobilisieren. Musik wird aber auch eingesetzt, um Gelder für eigene Aktivitäten zu erwirtschaften und neue Sympathisanten anzuwerben, indem z.B. Partys oder Konzertabende in den als „Freiräumen“ genutzten Einrichtungen veranstaltet werden. Der Einsatz von Musik als Mittel zur Mobilisierung zeigt sich gelegentlich auch vor größeren Veranstaltungen. In Videos, die über das Internet verbreitet werden, dienen Musik und gewaltverherrlichende Bilder dazu, z.B. für Angriffe auf rechtsextremistische Demonstranten zu werben und die eigene Gewaltbereitschaft gegenüber mutmaßlichen „Nazis“ zu schüren.“9 Diese Einschätzungen bestätigt schließlich auch die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus: „Auch für die linksextremistische Szene hat Musik eine identitätsstiftende Funktion. Sie trägt dazu bei, jugendliche Unterstützer zu gewinnen und die Anhänger weiter zu radikalisieren. Häufig wird Musik im Rahmen der Vorbereitungen bzw. im Verlauf größerer Demonstrationen eingesetzt. Musikunterlegte „Mobilisierungsvideos“ im Internet transportieren ideologische Positionen und sollen damit vor allem jüngere Menschen ansprechen.“10 Die Verlautbarungen des NRW-Verfassungsschutzes stehen demnach in einem diametralen Widerspruch zu Forschung und Beobachtungen anderer Sicherheitsbehörden. Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4631 mit Schreiben vom 18. November 2020 namens der Landesregierung beantwortet. 1. Welche linksextremen Musikgruppen mit Bezug zu Nordrhein-Westfalen werden vom Verfassungsschutz beobachtet? 2. Welche Plattenlabels beziehungsweise Musikproduktionsstrukturen stehen hinter den unter Ziffer 1. erfragten linksextremen Musikgruppen? 3. Welche Konzerte sind in den Jahren 2014 bis 2019 in NRW durchgeführt worden, die auch der Finanzierung der Szene der autonomen Linksextremisten gedient haben? (Bitte einzeln aufschlüsseln und namentlich benennen.) 4. Welche nicht-linksextremen und linksextremen Musikgruppen haben sich in den Jahren 2014 bis 2019 für die unter Ziffer 3. erfragten „Solidaritätskonzerte“, die auch der Finanzierung der Szene der autonomen Linksextremisten gedient haben, gewinnen lassen? (Bitte umfassend und jeweils konkret benennen.) 9 Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.) (2016): Linksextremismus. Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale, Köln, S. 43. 10 Diese Einschätzung bestätigt auch die Bayerische Informationsstelle gegen Extremismus (Hrsg.): Linksextremistische Musik; online im Internet: https://www.bige.bayern.de/infos_zu_extremismus/linksextremismus/medien/musik/index.html. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/11875 4 5. Welcher Akteur ist jeweils als Organisator der unter Ziffer 3. erfragten Konzerte aufgetreten? Die Fragen werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Anders als im Rechtsextremismus ist eine eingrenz- und damit beobachtbare linksextremistische Musikszene nicht existent. Im Übrigen wird auf die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Anton Friesen und der Fraktion der AfD (Drucksache 19/4281) zu den Fragen 1 bis 3 verwiesen.