LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/12009 30.11.2020 Datum des Originals: 27.11.2020/Ausgegeben: 04.12.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4639 vom 29. Oktober 2020 des Abgeordneten Dr. Dennis Maelzer SPD Drucksache 17/11638 Sind Lootboxen in Handy- und Konsolenspielen aus Sicht der Landesregierung Verführung zum Gewinnspiel oder ein vorbildliches Geschäftsmodell? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Die Games-Welt ist für zahlreiche Betreiber inzwischen ein einträgliches Geschäft. In Handy- , Computer- und Konsolenspielen sind so genannte Lootboxen mittlerweile weit verbreitet. In diesen Belohnungsboxen gibt es Gegenstände oder Fähigkeiten, die dem Spielfortschritt dienen. Oftmals können sie von den Nutzern käuflich erworben werden. Was man erhält, gleicht dabei einem Glücksspiel. Ob das gewünschte „Item“ tatsächlich in der Box ist, erfahren die Nutzer erst nach dem Kauf. Dadurch wird ein Anreiz gesetzt, immer weitere Boxen zu erwerben, ohne die Sicherheit zu haben, tatsächlich das erhoffte zu erhalten. Der Mechanismus ist mit Gewinnspielen vergleichbar, für die es in den deutschen Bundesländern, gesetzliche Regulierungen gibt. Lootboxen gibt es auch in Spielen, die ausdrücklich für Kinder und Jugendliche angeboten werden. Damit sind auch Fragen des Jugendschutzes berührt. In Belgien sind Lootboxen seit 2019 verboten. Für den Gründerpreis NRW 2020 ist ein Unternehmen nominiert, dessen Geschäftsmodell im Wesentlichen auf solchen „Beute-Kisten“ basiert. Über die insgesamt zehn Nominierten sagte FDP-Wirtschaftsminister Prof. Pinkwart: „Diese guten Beispiele ermuntern gerade in schwierigen Zeiten dazu, den eigenen Ideen zu folgen und den Weg in die Selbstständigkeit zu gehen. Die Auszeichnung gibt uns die Gelegenheit, diesen Gründergeist zu feiern.“ Der Ministerpräsident hat die Kleine Anfrage 4639 mit Schreiben vom 27. November 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration, dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie und der Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/12009 2 Vorbemerkung der Landesregierung: Bei den der Anfrage zugrundeliegenden Lootboxen handelt es sich um einen Unterfall von Mikrotransaktionen, die überwiegend in digitalen Spielen verwendet werden. Mikrotransaktionen haben ihren Ursprung in sogenannten „Freemium Games“; grundsätzlich in einer Basisversion kostenloser Spiele, die jedoch für geringe Beträge kostenpflichtige Zusatzinhalte anbieten. Bei den Lootboxen erhalten Spielerinnen und Spieler entweder durch den Spielfortschritt oder mittels finanziellen Erwerbs eine Art virtuelle Box und bei deren Öffnen eine bestimmte Anzahl vorher unbekannter virtueller Gegenstände für das Spiel. Dabei kann es sich entweder um kosmetische Gegenstände, wie Kostüme (sog. Skins) handeln, oder aber Gegenstände, die auch Einfluss auf den Erfolg im Spiel haben, so z.B. besondere Werkzeuge oder Rüstungen. Anders als bei Losen auf dem Jahrmarkt enthalten Lootboxen keine „Nieten“. Der Spieler erhält stets einen oder auch mehrere Gegenstände aus der Box. Das vom Fragesteller angesprochene Projekt „LootBoy“, welches für den Gründerpreis NRW 2020 nominiert ist, stellt im Gegensatz zu den Lootboxen eine App mit kostenlosen und kostenpflichtigen Angeboten für Computer- und Videospiele dar. Nutzer können dabei Gratis- Inhalte für ihre Lieblingsspiele erhalten, Coupon-Codes oder Rabatte sammeln oder komplette Spiele erhalten. LootBoy ist demnach kein Spiel, sondern eine E-Commerce Plattform. 1. Inwieweit stellen aus Sicht der Landesregierung gewinnspiel-ähnliche Formen wie Lootboxen im Bereich Games ein beispielhaftes Geschäftsmodell dar? Lootboxen ermöglichen es Spieleentwicklerstudios, stetig neue Spielinhalte bereitzustellen und so die hieraus gewonnenen Einnahmen zur Weiterentwicklung der kostenlosen Basisversion eines entwickelten Spiels zu verwenden. Seit einiger Zeit gehen auch sehr bekannte Anbieter von Vollpreistiteln dazu über, ihre Spiele mit Mikrotransaktionen zu kombinieren, um die stark angestiegenen Entwicklungskosten auszugleichen, ohne den Kaufpreis zu erhöhen. Die Bewertung von Lootboxen hat aus unterschiedlichen Perspektiven heraus zu erfolgen, wie z.B. unter dem Aspekt des Jugendschutzes, des Verbraucherschutzes oder auch der Suchtprävention. Aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung von Lootboxen ist eine Bewertung im Einzelfall erforderlich. 2. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung, inwieweit Kosten in Zusammenhang mit Games einen Faktor beim Thema Überschuldung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen darstellen? Aus Sicht des Verbraucherschutzes ist die fehlende Transparenz der Höhe möglicherweise anfallender Kosten kritisch zu sehen, die zu Beginn des Spiels meist nicht ersichtlich ist. Aus der Beratungspraxis der Schuldnerberatung der Verbraucherzentrale NRW heraus lässt sich allerdings ein direkter, auf bestimmte Häufigkeit oder Umfang zurückführender Schluss zwischen Überschuldung und Kosten für Games nicht herleiten. Vereinzelt haben überschuldete Menschen davon berichtet, dass sie erhebliche Beträge für virtuelle Güter ausgeben. Wenn das der Fall ist, betrifft dies überwiegend jüngere Menschen. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/12009 3 Zahlungsforderungen im Zusammenhang mit Käufen aus PC- oder Mobilegames sind in der Praxis zum Teil im Nachgang nur schwer für Verbraucherinnen und Verbraucher wie auch Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen erkennbar. Typischerweise wird die Be-zahlung über Zahlungsdienste abgewickelt, welche dann als Gläubiger erfasst werden. Solche Forderungen, z.B. vom Anbieter Paypal, lassen meist keinen Rückschluss auf den In- Game-Kauf zu. In anderen Fällen werden die In-Game-Käufe sofort bezahlt, z.B. über im Handel erhältliche Prepaidgutscheine für Spiele. 3. Welche gesetzlichen Regulierungen des Geschäftsmodells „Lootboxen“ sind der Landesregierung in Ländern innerhalb der Europäischen Union bekannt? In einer Studie im Auftrag des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz des Europäischen Parlaments1 wurden die rechtlichen Rahmenbedingungen für Lootboxen in der Europäischen Union untersucht. Die Studie zeigt auf, dass es keine einheitliche Regulierung in den Mitgliedstaaten gibt, die spezifisch Lootboxen adressiert. Dabei wird darauf hingewiesen, dass die meisten Mitgliedstaaten der Europäischen Union die meisten Arten von Lootboxen nicht als verbotenes Glücksspiel betrachten. In den Niederlanden und Belgien wird eine erweiterte Definition des Glücksspiels angewendet, wodurch dort weitere Arten von Lootboxen als verbotenes Glücksspiel qualifiziert werden. In der Slowakei wird derzeit ein Verbot geprüft. 4. Sieht die Landesregierung einen Regulierungsbedarf bei gewinnspielähnlichen Formaten im Bereich Games? Ein akuter Handlungsbedarf ist derzeit nicht erkennbar. Es greifen die allgemeinen gesetzlichen Regelungen. Im Einzelfall kann es sich bei Lootboxen zudem um (unerlaubtes) Glücksspiel handeln, welches bereits nach dem geltenden Recht verboten ist. Die Einstufung als Glücksspiel hängt von mehreren Faktoren ab. Entscheidend ist beispielsweise, wie die „Lootboxen“ vom Spieler erworben werden, ob das Ergebnis tatsächlich zufallsabhängig ist und ob eine Gewinnchance im Sinne der Möglichkeit eines Totalverlusts bzw. eines für den Spieler verwertbaren Gewinns erworben wird. Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen enthält der Jugendmedien-schutz-Staatsvertrag (JMStV) Maßgaben, die auch das Anbieten von Lootboxen beschränken. Im Falle des Verstoßes ermöglichen sie ein Einschreiten der zuständigen Landesmedienanstalt. Hierzu gehören Vorgaben betreffend die Werbung, d.h. auch die Bewerbung von Lootboxen in Onlineund Mobilegames, wie auch die Altersbewertung von Online-Spielen, bei der die Wirkungsrisiken, bspw. auch die Förderung exzessiver Nutzung (vgl. auch Kriterien der Kommission für den Jugendmedienschutz, abrufbar unter: https://www.kjm-online .de/fileadmin/user_upload/KJM/Publikationen/Pruefkriterien/Kriterien_KJM.pdf), einbezogen werden. 1 Cerulli-Harms, A. et al., Loot boxes in online games and their effect on consumers, in particular young consumers, Publication for the committee on the Internal Market and Consumer Protection (IMCO), Policy Department for Economic, Scientific and Quality of Life Policies, European Parliament, Luxembourg, 2020; in englischer Sprache abrufbar unter: https://www.europarl.europa.eu/thinktank/en/document.html?reference=IPOL_STU%282020%29652727) LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/12009 4 Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Landesregierung Nordrhein-Westfalen in ihrer Funktion als federführende Stelle beim gesetzlichen Jugendschutz für digitale Spiele auf Trägermedien daran mitgewirkt hat, dass die Leitkriterien der Unterhaltungssoftware- Selbstkontrolle (USK) dahingehend geändert wurden, dass glücksspiel-ähnliche Elemente in Computerspielen stärker bei der Alterskennzeichnung berücksichtigt werden. Die neuen Leitkriterien gelten seit Juli dieses Jahres. Nicht-inhaltsbezogene Komponenten, wie z.B. Werbung, Kaufappelle oder In-Game-Käufe, sind hier nicht Teil der Alterseinstufung. 5. Wie will die Landesregierung eine Jugendgefährdung durch Spielsucht und Abzocke im Games-Bereich verhindern? Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen engagiert sich stark für die Förderung der Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen, der (medien-)pädagogischen Fachkräfte und der Eltern. Sie adressiert in vielen Projekten und Initiativen insbesondere auch die Thematiken des exzessiven Spielens und von Bezahlmodellen in Games. Beispielhaft seien hier die Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz NRW (AJS), die Fachstelle für Jugendmedienkultur mit dem erfolgreichen Projekt Spieleratgeber NRW sowie die Projekte und Aktivitäten der Landesanstalt für Medien NRW genannt. Im Rahmen der aktuellen Überlegungen zur Novellierung des Jugendschutzgesetzes aufseiten des Bundes und des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages aufseiten der Länder wird erörtert, ob bzw. inwieweit Interaktionsrisiken in den genannten Gesetzesgrundlagen unter Sicher-stellung eines kohärenten Ansatzes regulatorisch abgebildet werden sollen bzw. müssen, um auch Phänomene wie Lootboxen umfänglich zu erfassen.