LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/12010 01.12.2020 Datum des Originals: 01.12.2020/Ausgegeben: 07.12.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4663 vom 9. November 2020 des Abgeordneten Norwich Rüße BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Drucksache 17/11732 Pestizidabdrift von Nachbarflächen – Was unternimmt die Landesregierung, um pestizidfrei bewirtschaftete Nutzflächen zu schützen? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Durch Abdrift gelangen Pestizide, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden, auch auf benachbarte Flächen.1 Die Menge der abgedrifteten Stoffe ist dabei abhängig von zahlreichen Faktoren wie der Windgeschwindigkeit, der Temperatur, der Fahrgeschwindigkeit der pestizidausbringenden Fahrzeuge, der technischen Beschaffenheit der Düsen und der Spritzhöhe. Eine niederländische Studie2, die das Vorkommen von Pestiziden in Naturschutzgebieten durch Abdrift untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass Pestizide in der Vegetation mit zunehmender Entfernung zu landwirtschaftlich genutzten Feldern – anders als angenommen - nicht abnehmen. Unter den nachgewiesenen Pestiziden befanden sich zudem fast ausschließlich Substanzen, die leicht verdampfen oder sublimieren und sich somit in der Landschaft ausbreiten können. Auch eine Studie3 zur Luftbelastung von Pestiziden im Bundesgebiet, bei der das Luftgüte-Rindenmonitoring eingesetzt wurde, konnte eine weite Verbreitung von Pestiziden in der Baumrinde von Bäumen in landwirtschaftlichen Regionen, Naturschutzgebieten und Großstädten nachweisen. Hier handelte es sich insbesondere um Wirkstoffe, die sich durch einen niedrigen Dampfdruck auszeichnen, was eine Verflüchtigung und Verfrachtung über die Luft begünstigt. Beide Studien legen somit nahe, dass bei der Aufbringung von Pflanzenschutzmitteln eine Abdrift in erheblichem Maße stattfindet. Pestizide belasten Gewässer und tragen in erheblichem Maße zum Artensterben in Flora und Fauna bei. Durch die Abdrift können aber auch landwirtschaftliche Betriebe beeinträchtigt werden, die auf Grundlage von bestimmten Qualitätsstandards innerhalb einer Erzeugergemeinschaft oder auf Grundlage der Vorschriften für den ökologischen Landbau auf den Einsatz von Pestiziden verzichten. Stellt sich heraus, dass Öko-Produkte mit Pestiziden 1 https://www.umweltbundesamt.de/daten/chemikalien/pflanzenschutzmittel-in-der-umwelt#prufen-derumweltwirkung -von-chemikalien. 2 Mantingh Environment and Pesticides: Onderzoek naar de aanwezigheid van bestrijdingsmiddelen in vier Natura 2000 gebieden in Drenthe en de mogelijke invloed van de afstand van natuurgebieden tot landbouwgebieden op de belasting met bestrijdingsmiddelen. Im Internet: https://res.cloudinary.com/natuurmonumenten/raw/upload/v1591109673/2020- 06/Onderzoek%20Natuurmonumenten%20bestrijdingsmiddelen%202020.pdf. 3 https://www.enkeltauglich.bio/wp-content/uploads/2019/02/Bericht-H18-Rinde-20190210-1518-1.pdf. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/12010 2 belastet sind, sind sie meist nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt vermarktungsfähig. Es entstehen so erhebliche finanzielle Einbußen und Folgekosten für die Betriebe. Darüber hinaus kann der Ökostatus der Fläche aberkannt werden - mit entsprechenden Folgen für die Agrarförderung. Die Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage 4663 mit Schreiben vom 1. Dezember 2020 namens der Landesregierung beantwortet. 1. In wie vielen Fällen in den letzten 10 Jahren wurden in den Erzeugnissen von Landwirtinnen und Landwirten, die ihr Land pestizidfrei bewirtschaften, dennoch Pestizide nachgewiesen? (Antwort bitte aufschlüsseln nach Jahr, Kreisen und kreisfreien Städten und unter Nennung der nachgewiesenen Wirkstoffe) 2. Welche Art von Schäden sind infolgedessen für die unter 1 genannten Betriebe entstanden? Die Fragen 1 und 2 werden zusammen beantwortet. Für eine vollständige Beantwortung der Fragen 1 und 2 liegen der Landesregierung jedoch keine ausreichenden Datengrundlagen vor. Im Rahmen des Kontrollverfahrens zum ökologischen Landbau erfasst das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV) Abdriftfälle, sofern diese von den betroffenen ökologisch wirtschaftenden Betrieben gemeldet oder im Rahmen von Kontrollen festgestellt werden. Eine Meldung von Abdrift erfolgt nach den Erfahrungen des LANUV bei sichtbaren Auswirkungen auf ökologisch bewirtschafteten Flächen, um auf der Grundlage einer behördlichen Aberkennung des Ernteguts und Pflicht zur Neuumstellung der Flächen einen Schadensersatz gegenüber den Verursachern einfordern zu können. Es ist davon auszugehen, dass jährlich eine nicht bestimmbare Zahl von Abdriftfällen nicht gemeldet wird, wenn der Schaden nicht eindeutig visuell erkennbar ist, der Verursacher unbekannt oder das nachbarschaftliche Verhältnis nicht belastet werden soll. Seit dem Jahr 2015 bis heute wurde von betroffenen Betrieben mit Lage in Nordrhein- Westfalen in 25 Fällen ein Abdriftschaden durch Pflanzenschutzmittel gemeldet. In zwei Fällen wurde die Abdrift als Ursache für Rückstände im Erntegut ermittelt. Ältere Daten liegen nicht mehr vor. Jahr Kreis/kreisfreie Stadt Produkt Folgen Wirkstoff 2020 Kreis Wesel Kartoffeln Neuumstellung – Erntevernichtung Unbekannt 2020 Rhein-Sieg-Kreis Johannisbeeren konventionelle Vermarktung Unbekannt 2020 Kreis Paderborn Luzerne betroffene Teilfläche nicht geerntet sondern umgefräst, Zaun gesetzt Unbekannt 2020 Kreis Gütersloh Sommergerste keine weitere Veranlassung Unbekannt 2020 Rhein-Sieg-Kreis Streuobst in Bearbeitung – Analyseergebnisse stehen aus Unbekannt 2020 Kreis Düren Weizen Neuumstellung Unbekannt LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/12010 3 Erläuterung: In vielen der oben aufgeführten Fälle war der betreffende abgedriftete Wirkstoff nicht bekannt, weil hier kein Analyseergebnis vorlag, sondern der betroffene Öko-Landwirt eine herbizide Auswirkung auf seine Flächen bzw. oftmals auf kleinen Teilflächen davon bemerkt und gemeldet hat. „Keine weitere Veranlassung“ wurde in Fällen entschieden, wenn • der nachgewiesene Wirkstoff im Erntegut unter der Bestimmungsgrenze von 0,01% lag, • die betroffene Fläche brach lag und aktuell nicht bewirtschaftet wurde oder • die betroffene Teilfläche nicht direkt die Öko-Kultur betraf (z.B. Obstwiese Kreis Düren 2018). Da die Thematik der Verfrachtung von Pflanzenschutzmittelwirkstoffen aus behandelten Flächen in nicht behandelte Kulturen in der Vergangenheit verschiedentlich berichtet wurde, hat das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) als zuständige Behörde für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln im Dezember 2017 in Abstimmung mit 2020 Kreis Coesfeld Weizen betroffene Teilfläche nicht geerntet sondern umgefräst unbekannt 2020 Kreis Wesel Kartoffeln Neuumstellung – Erntevernichtung unbekannt 2020 Rhein-Sieg-Kreis Johannisbeeren konventionelle Vermarktung unbekannt 2019 Kreis Paderborn Luzerne keine weitere Veranlassung unbekannt 2019 Kreis Viersen Himbeeren/ Brombeeren Bio-Status bleibt erhalten Anthrachinon + 8- Hydroxychinolin 2019 Kreis Heinsberg Stauden keine weitere Veranlassung Fluroxipyr 2018 Kreis Viersen Grünland betroffene Teilfläche nicht geerntet, sondern umgefräst unbekannt 2018 Kreis Borken Erbsen keine weitere Veranlassung unbekannt 2018 Kreis Düren Obstwiese keine weitere Veranlassung unbekannt 2018 Kreis Paderborn Getreide betroffene Teilfläche nicht geerntet sondern umgefräst unbekannt 2017 Kreis Lippe Johannisbeersträucher Neuumstellung unbekannt 2017 Rhein-Kreis Neuss Kleegras Neuumstellung unbekannt 2017 Kreis Gütersloh Getreide Neuumstellung - konventionelle Vermarktung unbekannt 2017 Kreis Arnsberg Ackerbohnen/- Hafer betroffene Teilfläche nicht geerntet, sondern umgefräst, Neuaussaat Kleegras unbekannt 2016 Rhein-Sieg-Kreis Kräuter zukünftig vermehrte Analysen - Bio-Status bleibt erhalten Cyprodinil 2016 Kreis Gütersloh Grünfutter Neuumstellung - konventionelle Vermarktung unbekannt 2016 Kreis Lippe Johannisbeeren - Blätter keine weitere Veranlassung Terbuthylazin 2016 Kreis Düren Kartoffeln Neuumstellung - konventionelle Vermarktung Proparmocarb 2016 Rhein-Sieg-Kreis Apfelblätter keine weitere Veranlassung Cyprodinil 2015 Kreis Bielefeld Grünland Neuumstellung - konventionelle Vermarktung unbekannt 2015 Kreis Kleve Poree betroffene Teilfläche nicht geerntet sondern gemulcht Deiquat LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/12010 4 den Bundesländern ein Meldeblatt zur Fundaufklärung auf seiner Internetseite eingestellt. Mit Hilfe dieser freiwilligen Angaben sollte eine Einschätzung ermöglicht werden, ob es sich bei den berichteten Schäden um Einzelfälle handelt. Seither erfolgten auf diesem Weg jährlich weniger als zehn Meldungen für das Bundesgebiet. Eine Auswertung nach Bundesländern liegt nicht vor. 3. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung, pestizidfrei bewirtschaftete landwirtschaftliche Nutzflächen vor Abdriftschäden zu bewahren? Die Vermeidung von Abdriftschäden obliegt dem Anwender eines Pflanzenschutzmittels. Kommt es durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zu Abdriftschäden auf einer benachbarten Fläche, so ist der Verursacher für die aufgetretenen Schäden haftbar, der Nachweis obliegt dem Geschädigten. Gibt es darüber hinaus Hinweise, dass die Abdrift auf Grund eines Verstoßes gegen die Vorschriften für die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln gemäß § 12 Pflanzenschutzgesetz erfolgte, liegt ggfs. eine Ordnungswidrigkeit vor, die von der zuständigen Behörde geahndet werden kann. Die Vermeidung von Abdriftschäden liegt im Interesse der jeweiligen Flächenbewirtschafter. Der gegenseitigen Information über Flächen, die unter Verzicht auf die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln bewirtschaftet werden oder bei denen eine besondere Empfindlichkeit gegenüber Abdriftschäden vorliegt (z.B. Kulturen des Obst- und Gemüsebaus zum Frischverzehr, Babykost...), kommt daher eine hohe Bedeutung zu. Die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen informiert in diesem Kontext mittels einer Broschüre über Möglichkeiten der Vermeidung von Abdrift, der gegenseitigen Information von Flächenbewirtschaftern und das Verfahren der Regulierung ggfs. aufgetretener Abdriftschäden (https://www.landwirtschaftskammer.de/Landwirtschaft/pflanzenschutz/ackerbau/abdriftvermeiden .htm). 4. Was unternimmt die Landesregierung, um den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft messbar bzw. wirksam zu reduzieren? Die Landesregierung fördert seit vielen Jahren Agrarumwelt- und Vertragsnaturschutzmaßnahmen sowie den ökologischen Landbau. Dabei ist im Vertragsnaturschutz und den Agrarumweltmaßnahmen Extensive Grünlandnutzung, Anlage von Uferrand- und Erosionsschutzstreifen, Anbau von Zwischenfrüchten und Anlage von Blühund Schonstreifen sowie im ökologischen Landbau der Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel ein wesentliches Kriterium. 2019 wurden für die genannten Agrarumweltund Vertragsnaturschutzmaßnahmen auf rund 94.000 Hektar (Doppelzählungen bei einer Kombination der Maßnahmen Vertragsnaturschutz und Extensivierung möglich) ca. 33,7 Mio. Euro ausgezahlt. Im Rahmen der Förderung des ökologischen Landbaus wurden rund 66.500 ha mit öffentlichen Ausgaben von rund 20 Mio. Euro gefördert. Die Werte für 2020 liegen noch nicht vor, da die Auszahlungen nicht abgeschlossen sind. Darüber hinaus unternimmt der amtliche Pflanzenschutzdienst eine umfangreiche Reihe von Versuchen und Aktivitäten, um die Intensität des chemischen Pflanzenschutzes zu mindern und Risiken zu verringern. Diese Aktivitäten sind z.T. Bestandteil des „Nationalen Aktionsplans Pflanzenschutz“, der der Minderung von Risiken durch die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln dient. Informationen können dem Jahresbericht 2019 des Pflanzenschutzdienstes NRW entnommen werden (https://www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/pflanzenschutz/).