LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/12216 22.12.2020 Datum des Originals: 22.12.2020/Ausgegeben: 29.12.2020 Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 4690 vom 25. November 2020 der Abgeordneten Thomas Röckemann und Markus Wagner AfD Drucksache 17/11966 Umstrittener Polizeieinsatz in Gelsenkirchen Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Aktuell kursiert im Internet ein privat aufgezeichnetes Video über den Einsatz von Polizeibeamten in einer Wohnung in Gelsenkirchen-Feldmark. Laut Pressemitteilungen sei dem Geschehen ein Polizeieinsatz wegen Ruhestörung vorausgegangen. Während dieses Einsatzes habe ein Beamter, als die Wohnungsinhaberin ihren Ausweis holen wollte, die Tür eingetreten. Anschließend habe die Polizei die anwesenden Schwiegereltern und den Bruder der Wohnungsinhaberin der Wohnung verwiesen. Die laufende Musik sei ausgeschaltet worden. Nachdem die Beamten die Wohnung verlassen hatten, habe man das durch den Einsatz unterbrochene Kartenspiel wieder aufgenommen. Bis zu diesem Zeitpunkt räumt die Wohnungsinhaberin den Sachverhalt weitestgehend ein, allerdings wirft der zweite Handlungskomplex Fragen auf.1 Dieser Handlungskomplex wurde von der Wohnungseigentümerin durch einen Videomitschnitt aufgezeichnet. Die Polizeibeamten stehen an der Türe und erläutern, dass sie zum zweiten Male wegen Ruhestörung zur Wohnung ausrücken. Vor allem der Ton und die Vehemenz des wortgebenden Polizisten fallen in diesem Video auf. Der Vater und der Freund der Wohnungsinhaberin werden daraufhin ebenfalls der Wohnung verwiesen. Es ist dann auf dem Video zu sehen, dass ein Kind anscheinend durch den Einsatz wach geworden ist und durch das Bild der Kamera läuft. Schließlich erklärt der wortführende Polizist, dass der Gewahrsam drohe, sollte noch einmal ein Einsatz der Polizei durch die Anwesenden in der Wohnung ausgelöst werden. Auch der Wohnungsinhaberin, welche offensichtlich die Mutter des Kindes ist, wird die Möglichkeit des Polizeigewahrsams vorgehalten. Gleichzeitig wird ihr erklärt, die Kinder betreue dann das Jugendamt. Dem Einwand der Wohnungsinhaberin, ihr Freund und Vater der Kinder würde in dieser Wohnung wohnen, wird begegnet, dass dieser am nächsten Morgen zurückkehren könnte. 1 https://www.waz.de/staedte/gelsenkirchen/video-gelsenkirchener-polizist-bruellt-ruede-auf-familieein -id230760358.html#community-anchor (abgerufen am 06.11.2020). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/12216 2 Dieses Video wurde schon über 1.600 mal im Internet auf Facebook geteilt und wurde kontrovers aufgenommen.2 Bzgl. des aufgezeichneten Videos soll eine strafrechtliche Überprüfung gemäß § 33 Kunsturhebergesetz und § 201 Strafgesetzbuch durchgeführt werden.3 Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4690 mit Schreiben vom 22. Dezember 2020 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet. 1. Wie ergab sich der Sachverhalt aus polizeilicher Sicht? (Bitte den ersten, nicht aufgezeichneten Handlungskomplex sowie die weiteren Hintergründe zum zweiten, aufgezeichneten Handlungskomplex darstellen). Am 24.10.2020, um 23:57 Uhr, wurde durch die Kreispolizeibehörde Gelsenkirchen aufgrund von Beschwerden der Anwohner über eine Ruhestörung eine Funkstreifenwagenbesatzung zur Einsatzörtlichkeit entsandt. Die vermeintliche Ruhestörung konnte von den vor Ort eingesetzten Beamten bestätigt werden. Als Ausgangspunkt wurde eine Wohnung im ersten Obergeschoss ausgemacht. Anders als in der Kleinen Anfrage dargestellt, wurde die Wohnungstür auf Klingeln durch die Wohnungsinhaberin geöffnet. Ein gewaltsames Eindringen lag nicht vor. Die eingesetzten Beamten stellten sich vor und teilten den Grund des Einschreitens mit. Die Wohnungsinhaberin wurde aufgefordert sich auszuweisen. Die Wohnung wurde durch die Beamten zu diesem Zeitpunkt betreten und es konnten insgesamt sieben erwachsene, zum Teil erheblich alkoholisierte Personen angetroffen werden. Während der Personalienfeststellung bei allen angetroffenen Personen verhielten sich diese verbal aggressiv und beleidigten die eingesetzten Beamten. Aus diesem Grund wurden zwei weitere Funkstreifenwagen zur Einsatzörtlichkeit entsandt. Im Anschluss an die Personalienfeststellungen wurden vier Personen der Wohnung verwiesen. Zu diesem Zeitpunkt hielten sich von den angegebenen sieben Personen noch die Wohnungsinhaberin, ihr Ehemann sowie ein weiterer Gast in der Wohnung auf. Die verbliebenen Personen wurden zur Ruhe ermahnt. Für den Fall einer erneuten Ruhestörung wurden weitere Maßnahmen, unter anderem die Ingewahrsamnahme, angedroht. Der Einsatz wurde um 00:14 Uhr beendet. Es wurde eine Strafanzeige wegen Beleidigung sowie eine Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen Ruhestörung gefertigt. Am 25.10.2020, um 00:54 Uhr, wurden erneut Beschwerden von Anwohnern auf Grund einer Ruhestörung aus der benannten Wohnung gemeldet. Vor Ort konnten mehrere Anwohner angetroffen werden, welche sich massiv über die Ruhestörung beschwerten. Auf Klingeln wurde erneut die Wohnungstür geöffnet. Ein gewaltsames Eindringen lag auch in diesem Fall nicht vor. Der verbliebene Gast sowie der Ehemann der Wohnungsinhaberin erhielten einen Platzverweis und wurden der Wohnung verwiesen sowie Ingewahrsamnahmen angedroht. Der Ehemann war nach den Erkenntnissen der eingesetzten Beamten an einer anderen Anschrift im Stadtgebiet wohnhaft. Die Wohnungsinhaberin wurde ebenfalls eindringlich zur Ruhe ermahnt. Für den Fall eines erneuten lärmbelästigenden Verhaltens wurde ihr ebenfalls die Ingewahrsamnahme angedroht. Die Konsequenzen für die Unterbringung des Kindes wurden ihr in diesem Zusammenhang auch aufgezeigt. Im Nachgang des Einsatzes wurde auch hier eine Ordnungswidrigkeitenanzeige wegen Ruhestörung gefertigt. 2 https://www.ruhr24.de/ruhrgebiet/gelsenkirchen-polizei-video-samstag-familie-kritik-facebookeinsatz -ruhestoerung-nrw-90081392.html (abgerufen am 06.11.2020). 3 https://www.express.de/nrw/gelsenkirchen/heimlich-gefilmt-massive-kritik-gegen-polizisten-ingelsenkirchen -37540726 (abgerufen am 06.11.2020). LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/12216 3 2. Welche Maßnahmen wurden von den Polizeibeamten auf Grund welcher Ermächtigungsgrundlage durchgeführt? Das Einschreiten der Polizei vor Ort erfolgte grundsätzlich aus gefahrenabwehrenden Gründen. Die Maßnahmen richten sich dementsprechend nach den einschlägigen Vorschriften des Polizeigesetzes: - Betreten der Wohnung gem. § 41 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW - Ermahnung zur Ruhe gem. § 8 Abs. 1 PolG NRW - Platzverweis gem. § 34 Abs. 1 PolG NRW - Gewahrsamsandrohung gem. § 35 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW Die Personalienfeststellungen erfolgten aus repressiven Gründen zur Fertigung von Strafbzw . Ordnungswidrigkeitenanzeigen gem. § 163b Abs. 1 StPO i. V. m. § 53 OwiG aufgrund der sich vor Ort ergebenden Feststellungen. 3. Wie beurteilt die Landesregierung die Vorgänge in dem aufgezeichneten Video? 5. Wurden strafrechtliche oder disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet? Fragen 3 und 5 werden aufgrund des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Der Sachverhalt wurde unmittelbar nach Bekanntwerden der zuständigen Staatsanwaltschaft (StA) Essen zur strafrechtlichen Bewertung zugeleitet. Das Ministerium der Justiz berichtet mit Stand 07.12.2020 wie folgt: „Der Leitende Oberstaatsanwalt in Essen hat dem Ministerium der Justiz des Landes Nordrhein-Westfalen unter dem 1. Dezember 2020 wie folgt berichtet: „Wegen des in der Kleinen Anfrage 4690 geschilderten Vorgangs ist durch das Polizeipräsidium Gelsenkirchen in Abstimmung mit der hiesigen Behörde ein Verfahren gegen die Wohnungsinhaberin wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen § 33 Kunsturhebergesetz sowie einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes eingeleitet worden. Das Verfahren befindet sich noch in Bearbeitung durch die Polizei Gelsenkirchen und ist bislang nicht bei der Staatsanwaltschaft Essen eingegangen. Aufgrund einer hier eingegangenen Strafanzeige eines an dem Einsatz unbeteiligten Bürgers ist zudem das Verfahren 305 Js 453/20 wegen des Verdachts der Nötigung u.a. gegen den hier namentlich bekannten Einsatzleiter eingeleitet worden und der gemäß § 2 Kriminalhauptstellenverordnung (KHSt-VO) NRW für die Bearbeitung von Verfahren gegen Polizeibeamte aus Gelsenkirchen zuständigen Polizeibehörde in Krefeld zur Aufnahme von Ermittlungen zugeleitet worden. Die Ermittlungen dauern an.“ Die Generalstaatsanwältin in Hamm hat mit Randbericht vom 4. Dezember 2020 mitgeteilt, gegen die staatsanwaltschaftliche Sachbehandlung keine Bedenken zu haben.“ Seitens des Ministeriums des Innern erscheinen die getroffenen Maßnahmen der eingesetzten Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten zum jetzigen Erkenntnisstand grundsätzlich als sachgerecht. Allerdings wirkt das im Video dokumentierte Einschreiten des im Fokus stehenden Polizeivollzugsbeamten zumindest während des Betretens der Wohnung kommunikativ verbesserungswürdig. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/12216 4 Eine abschließende Bewertung ist jedoch aufgrund des noch nicht abgeschlossenen Strafverfahrens nicht möglich. Disziplinarrechtliche Maßnahmen wurden bisher nicht eingeleitet. 4. Wurde den Anweisungen der Beamten vollumfänglich von den Betroffenen Folge geleistet oder gab es Widerstandshandlungen, welche durch das Video nicht aufgezeichnet wurden? Den Anweisungen der eingesetzten Beamten wurde erst nach mehrfacher Aufforderung Folge geleistet. Die polizeilichen Maßnahmen wurden mehrfach in Frage gestellt. Zu körperlichen Angriffen auf die eingesetzten Beamten kam es nicht.