LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/1259 Datum des Originals: 17.11.2017/Ausgegeben: 22.11.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 437 vom 18. Oktober 2017 der Abgeordneten Jürgen Berghahn, Christian Dahm, Dr. Dennis Maelzer und Ellen Stock SPD Drucksache 17/981 Keine tarifgerechte Entlohnung von Beschäftigten in den Zentralen Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes? Was tut die Landesregierung? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage In der aktuellen Medienberichterstattung (WDR Lokalzeit OWL vom 10.10.2017, Neue Westfälische vom 11.10.2017 sowie Lippische Landeszeitung vom 12.10.2017) wird darüber berichtet, dass der Betreiber der Zentralen Unterbringungseinrichtung des Landes NRW in Oerlinghausen, die DRK Betreuungsdienste Westfalen-Lippe gGmbH, trotz anders lautender Zusagen nun die Verträge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter doch nicht vom DEHOGA-Tarif auf den DRK-Reformtarif umstellen will. Seit kurzem sei, so kann man der Berichterstattung entnehmen, die Anwendung des DRK- Reformtarifvertrages von der Betreuungsgesellschaft nicht mehr gewollt. „Stattdessen sollen lediglich die Gehälter an die Werte des Reformtarifvertrages angeglichen werden (…). Zuschläge, Zulagen, Altersversorgung und andere Leistungen aus dem Reformtarifvertrag sollen (…) explizit nicht eingeführt werden.“ (Neue Westfälische, Onlineausgabe 11.10.2017) Im April 2017 hat es mit der ehemaligen Landesregierung, Abgeordneten aus der Region und den zuständigen VERDI-Vertretern intensive Gespräche gegeben. In der Folge einigten sich, auch unter Mitwirkung des Ministeriums, die DRK und Verdi darauf, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Einrichtung zukünftig ihrer Qualifikation und ihren Aufgaben angemessen vergütet werden sollten. Ein entsprechendes Ergebnis vermeldete das DRK in einer Pressemitteilung Anfang Mai 2017: "Das Deutsche Rote Kreuz Westfalen-Lippe freut sich, mitteilen zu können, dass aufgrund der wesentlich veränderten Anforderungen in der Flüchtlingsarbeit nunmehr vom DEHOGA-Tarif LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1259 2 auf den DRK-Tarif (ähnlich TVöD) umgestellt wird. Nach Gesprächen mit dem Betriebsrat des DRK und unter enger Einbindung des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen haben sich alle Beteiligten konstruktiv und zielführend in den Umstellungsprozess eingebunden“. Erst nach dem Regierungswechsel im Mai d.J. scheint sich sowohl das DRK, als auch die neue Landesregierung an die bisher getroffenen Absprachen nicht mehr halten zu wollen. Das Arbeitsgericht Detmold hat mittlerweile am 11.10.2017 festgestellt, dass es sich bei der Übernahme des Betriebs durch das DRK von den Johannitern zum 01.02.2017 um einen Betriebsübergang nach § 613 a BGB handelt und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter deshalb nach den bisherigen Bedingungen beschäftigt werden müssten. Der Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration hat die Kleine Anfrage 437 mit Schreiben vom 17. November 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales beantwortet. Vorbemerkung der Landesregierung Das Land Nordrhein-Westfalen ist als öffentlicher Auftraggeber nach dem Vergaberecht verpflichtet, Leistungen in regelmäßigen Intervallen auszuschreiben. Die Betreuungsdienstleistungen in den Landeseinrichtungen werden grundsätzlich durch die Bezirksregierungen aufgrund des Auftragswertes in einem europaweit bekanntgemachten, transparenten und gerichtlich nachprüfbaren Verfahren vergeben. Vorrangiges Ziel des Vergaberechts ist es, durch die wirtschaftliche Verwendung von Haushaltsmitteln den Beschaffungsbedarf der öffentlichen Hand zu decken. Die Auswahl des Betreuungsdienstleisters erfolgt durch eine Wertungskommission unter Berücksichtigung von Qualität und Preis im Verhältnis von 60 zu 40 Prozent. Nach dem nordrhein-westfälischen Tariftreue- und Vergabegesetz besteht die Verpflichtung, im Vergabeverfahren die Einhaltung des einschlägigen für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages zu fordern. Sofern kein für allgemeinverbindlich erklärter Tarifvertrag zur Anwendung kommt (wie beispielsweise für die in den Landeseinrichtungen tätigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter), kann lediglich die Zahlung des allgemeinen Mindestlohns nach dem Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (Mindestlohngesetz) sowie die Zahlung des sogenannten vergabespezifischen Mindestlohns im Sinne des Tariftreue- und Vergabegesetzes NRW gefordert werden. Diese Anforderungen wurden in die Vergabeunterlagen für die in 2016 und 2017 durchgeführten Ausschreibungen aufgenommen. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist es mit Blick auf das Gebot der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und im Hinblick auf die Bestimmungen der EU-Entsenderichtlinie darüber hinaus für einen öffentlichen Auftraggeber nicht möglich, die Einhaltung einer tarifspezifischen Lohnuntergrenze in einem Vergabeverfahren zu verlangen. Vor dem Hintergrund dieses engen vergaberechtlichen Rahmens, aber auch angesichts der verfassungsrechtlich geschützten Tarifautonomie besteht keine Möglichkeit, im Rahmen der Vergabe von Betreuungsdienstleistungen in den Unterbringungseinrichtungen des Landes vorzugeben, welche Tarifverträge einschlägig sind, bzw. für einzelne Beschäftigtengruppen ein Entgelt nach den Bedingungen eines bestimmten Tarifvertrages zu fordern. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1259 3 1. Wann hatte die Landesregierung Kenntnis davon, dass die Betreibergesellschaft „DRK Betreuungsdienste Westfalen-Lippe gGmbH“ die im Mai sowohl der Landesregierung als auch der Gewerkschaft zugesagte Umstellung auf den DRK- Tarif für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Landeseinrichtungen nun doch nicht durchführen will? 2. Welche Maßnahmen plant die neue Landesregierung, um bei der Betreibergesellschaft „DRK Betreuungsdienste Westfalen-Lippe gGmbH“ erneut auf eine leistungsgerechte Vergütung hinzuwirken? 3. Die zeitliche Abfolge legt nahe, dass die Umstellung des Tarifvertrages für das DRK erst seit dem Regierungswechsel kein Thema mehr ist. Welche Gespräche haben zu welchem Zeitpunkt nach Antritt der neuen Landesregierung mit der Betreibergesellschaft „DRK Betreuungsdienste Westfalen-Lippe gGmbH“ stattgefunden, die sich nun nicht mehr an die Absprachen mit der Vorgängerregierung gebunden sieht? Die Fragen 1, 2 und 3 werden aufgrund des Sachzusammenhangs zusammen beantwortet. Das Deutsche Rote Kreuz Westfalen-Lippe hatte am 4. Mai 2017 im Rahmen einer Pressemitteilung über seine Absicht informiert, vom DEHOGA-Tarif auf den DRK-Reformtarif, der dem TVöD ähnlich ist, umzustellen. Wie angekündigt, hat sich das DRK im Rahmen des in diesem Jahr durchgeführten Vergabeverfahrens (sog. zweite Vergabestaffel) als Bietergemeinschaft (DRK Betreuungsdienste Westfalen-Lippe gGmbH, DRK gemeinnützige Betreuungsgesellschaft für soziale Einrichtungen mbH und DRK Flüchtlingshilfe NRW gGmbH) mit dem Hinweis, sein Personal nach DRK-Reformtarif zu entlohnen, beworben und den Zuschlag für die Erstaufnahmeeinrichtung Bad Berleburg erhalten. Die Umstellung auf den DRK-Reformtarif soll für die DRK-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Einrichtung mit Vertragsbeginn im kommenden Jahr erfolgen. Das Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration wurde durch die DRK Betreuungsdienste Westfalen-Lippe gGmbH im Juli 2017 darüber informiert, dass die Umstellung auf den DRK-Reformtarif in den übrigen Landeseinrichtungen, in denen die Betreuungsverträge mit der DRK Betreuungsdienste Westfalen-Lippe gGmbH vor 2017 abgeschlossen wurden, aufgrund der mit einer Umstellung verbundenen und nicht einkalkulierten finanziellen Belastungen nicht sofort und nicht in vollem Umfang erfolgen kann. Infolgedessen fand im Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration ein erneutes Gespräch, bei dem das Ministerium vermittelnd tätig war, mit dem DRK und der Gewerkschaft ver.di am 17. Juli 2017 statt. Weitere (auch telefonische) bilaterale Gespräche folgten in der Eigenschaft als Vermittler u.a. am 18., 20., 21. Juli 2017 sowie zuletzt am 10. Oktober 2017 unter Beteiligung der Landesschlichterin. Ein nächster gemeinsamer Gesprächstermin mit der Gewerkschaft ver.di und dem DRK soll noch in diesem Jahr mit dem Ziel erfolgen, eine Lösung im Sinne der in den Landeseinrichtungen tätigen Beschäftigten des Betreuungsdienstleisters zu finden, die sowohl seitens des DRK als auch von der Gewerkschaft ver.di akzeptiert werden kann und realisierbar ist. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1259 4 4. Welchen Einfluss kann die Landesregierung generell auf die Vergütung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in landeseigenen Flüchtlingseinrichtungen nehmen? Um dem nachvollziehbaren Anliegen nach einer leistungsgerechten Entlohnung der vom Auftragnehmer eingesetzten Kräfte Rechnung zu tragen, wurden in der Leistungsbeschreibung, die dem in diesem Jahr durchgeführten Vergabeverfahren der Bezirksregierung Arnsberg für neun Zentrale Unterbringungseinrichtungen und eine Erstaufnahmeeinrichtung in Nordrhein-Westfalen (sog. zweite Vergabestaffel) zugrunde lag, ausdrücklich Tätigkeitsmerkmale für die entsprechenden (sozial-) pädagogischen Fachkräfte aufgenommen und die geforderte Qualität des Personals konkretisiert. Gegenüber dem Bieter wurde zudem zum Ausdruck gebracht, dass der Auftraggeber die Berücksichtigung einer leistungsgerechten Vergütung in der Angebotskalkulation begrüßt. Die tatsächliche Ausgestaltung der Arbeitsverhältnisse eines Betreuungsdienstleisters mit seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern liegt allerdings nicht im Einflussbereich des Landes NRW als Auftraggeber. Selbiges gilt für eine etwaige Tarifumstellung, die ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Auftragnehmers und dessen alleinige Entscheidungskompetenz fällt. Insofern hat die Landesregierung gegenüber den Betreuungsdienstleistern keine durchgreifenden Einflussmöglichkeiten, um für das von diesen in den Landeseinrichtungen eingesetzte Betreuungspersonal einen bestimmten Tariflohn zu erwirken Insoweit sind die Möglichkeiten des Landes darauf beschränkt, – wie geschehen – entsprechende Empfehlungen auszusprechen und als Mittler zwischen dem Betreuungsdienstleister und der das Anliegen einer tariflichen Entlohnung entsprechend TVöD verfolgenden Gewerkschaft Ver.di aufzutreten. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung der Landesregierung verwiesen. 5. Wie beurteilt die Landesregierung dieses offensichtliche Lohndumping, also die Tatsache, dass hochqualifizierte Fachleute (Sozialarbeiter bzw. Sozialpädagogen) von den Betreibern landeseigener Einrichtungen nicht angemessen vergütet werden? Die Landesregierung schöpft die rechtlichen Möglichkeiten zur Sicherstellung einer leistungsgerechten Entlohnung des in den Landeseinrichtungen beschäftigten Personals aus und legt großen Wert darauf, dass für die Arbeitsbedingungen und das Entgelt die jeweils zugrunde zu legenden gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen maßgeblich sind. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung sowie die Antwort zur Frage 4 verwiesen.