LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 17. Wahlperiode Drucksache 17/1315 27.11.2017 Datum des Originals: 27.11.2017/Ausgegeben: 30.11.2017 Die Veröffentlichungen des Landtags Nordrhein-Westfalen sind einzeln gegen eine Schutzgebühr beim Archiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, 40002 Düsseldorf, Postfach 10 11 43, Telefon (0211) 884 - 2439, zu beziehen. Der kostenfreie Abruf ist auch möglich über das Internet-Angebot des Landtags Nordrhein-Westfalen unter www.landtag.nrw.de Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage 477 vom 26. Oktober 2017 des Abgeordneten Guido van den Berg SPD Drucksache 17/1049 Welche Konsequenzen zieht die Landesregierung aus dem Verfassungsschutzbericht 2016 zur Gewalt- und Extremismus-Entwicklung im Hambacher Forst? Vorbemerkung der Kleinen Anfrage Im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen 2016 wird mit einem besonderen Augenmerk auf Gewalt und Extremismus im Hambacher Forst eingegangen. Hier heißt es: „Die Hemmschwelle, Gewalt auch in Form von schweren Körperverletzungsdelikten anzuwenden, ist bei linksautonomen Aktivitäten in den letzten Jahren erkennbar gesunken“ (Seite 129). „Während bei den mittlerweile etablierten Großveranstaltungen gegen den Braunkohleabbau keine Gewaltaktionen stattfanden, verschärfte sich der gewaltsame Protest der Waldbesetzer gegen den Tagebau Hambach nochmals erheblich.“ Und es wird dargestellt, dass eine „Besitzund Kontrollanspruch durch immer wieder erneuerte Barrikaden und zum Teil lebensgefährdenden Installationen im Waldgebiet und insbesondere auf den Waldwegen deutlich“ werde. „Neben der bereits 2015 beobachteten Steigerung tätlicher Angriffe auf Polizeikräfte und auf das Werkspersonal der RWE als Betreiberin des Tagebaus sowie erhebliche Sachbeschädigungen, zum Teil mit Anschlagscharakter, stellten diese fallenartige Vorrichtungen gefährliche Hindernisse für Besucher des Waldes dar und mussten regelmäßig unter Polizeischutz geräumt werden. Bereits im Vorjahr beschriebene Beispiele für Sachbeschädigungen, Störungen des Bahnverkehrs und Angriffe mittels waffenähnlichen Werkzeugen haben sich im Berichtszeitraum wiederholt und in ihrer Intensität nochmals erhöht“ (Seite 145). Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 4778 mit Schreiben vom 27. November 2017 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie beantwortet. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1315 2 1. Kann die pauschale Aussage, dass es bei Großveranstaltungen gegen den Braunkohleabbau im Berichtszeitraum keine Gewaltaktionen gab, aufrecht erhalten werden, da das Klimacamp Ende Gelände bekanntlich in diesem Jahr vom 13.-15.05.2016 in der Lausitz stattfand und Tagebaueinrichtungen sowie Kraftwerk Schwarze Pumpe gestürmt wurden? Diese Aussage kann aufrechterhalten werden, da sich die Ausführungen im Verfassungsschutzbericht auf das Land Nordrhein-Westfalen beziehen. 2. Durch welche konkreten Daten kann die gesunkene Hemmschwelle bei Gewalt auch in Bezug auf schwere Körperverletzungsdelikten sowie der „verschärfte gewaltsame Protest der Waldbesetzer“ untermauert werden (bitte Angaben für das Berichtsjahr und für Vorgängererhebungen)? Von den im Rahmen des „Kriminalpolizeilichen Meldedienstes Politisch motivierter Kriminalität“ (KPMD-PMK) erfassten 129 Gewaltdelikten entfielen 49 auf das Jahr 2015 und 80 auf das Jahr 2016, was einer Steigerungsrate von 63 Prozent entspricht. 3. Welche Konsequenzen sind für Verkehrssicherungspflichten aus der Feststellung zu ziehen, dass es „lebensgefährdenden Installationen im Waldgebiet und insbesondere auf den Waldwegen“ gebe? Der Hambacher Forst steht im Eigentum der RWE Power AG. In dem der Öffentlichkeit grundsätzlich noch zugänglichen Bereich liegt die originäre Zuständigkeit zur Abwehr von Gefahren beim Landesbetrieb Wald und Holz NRW bzw. den kommunalen Gefahrenabwehrbehörden. Ausgenommen hiervon sind die Bereiche, die in der jeweiligen Rodungssaison zum Betriebsgelände umgewidmet und als solche ausgewiesen sind. In diesen Arealen obliegt der RWE Power AG die Verkehrssicherungspflicht. Nachdem es am 30.11.2016 zu Angriffen auf Mitarbeiter der RWE Power AG im Rahmen der Rodungsarbeiten gekommen war, schützt die Polizei die durch das Unternehmen durchgeführte Räumung der Waldwege von Hindernissen und Barrikaden. Darüber hinaus veranlasst die Polizei in eigener Zuständigkeit zur Sicherung der eigenen Funktionsfähigkeit das Räumen und Freihalten von Einsatz- und Rettungswegen, wenn diese durch Hindernisse nicht mehr befahrbar sind. Des Weiteren unterstützt die Polizei die Ordnungs- und Landschaftsschutzbehörden sowie Gerichtsvollzieher anlassbezogen durch die Gewährung von Amts-/Vollzugshilfe bei deren Aufgaben. Barrikaden und sonstige bestehende Hindernisse auf den als Einsatz- und Rettungswegen ertüchtigten Waldwegen werden anlassbezogen und wiederkehrend in unregelmäßigem Turnus geräumt. Dabei setzt die Polizei zur Sicherung der eigenen Funktionsfähigkeit auch einzelfallbezogen eigene Räumfahrzeuge ein. LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN - 17. Wahlperiode Drucksache 17/1315 3 4. Wie sah sie „beobachtete Steigerung tätlicher Angriffe auf Polizeikräfte“ im Hambacher Forst im Berichtsjahr und im Vorjahr aus? Die Einschätzung einer „beobachteten Steigerung tätlicher Angriffe auf Polizeikräfte“ lässt sich aus einer Vielzahl von Einzelerkenntnissen ableiten, die dem Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen vorliegen. So wurden im Jahre 2015 Polizeivollzugskräfte vornehmlich im Rahmen von Strafverfolgungs- bzw. Gefahrenabwehrmaßnahmen durch Tagebaugegner verletzt, etwa bei Widerstandshandlungen. Im Jahre 2016 richteten sich die Körperverletzungshandlungen dagegen auch direkt gegen Polizeibeamte. In einem Fall führten Steinbewürfe zu einer Kopfverletzung, welche stationär behandelt werden musste. Die detaillierte Beantwortung erfordert eine händische Einzelauswertung der 129 in Frage kommenden Sachverhalte (siehe Antwort zu Frage 2). In der zur Bearbeitung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit ist die Erhebung dieser Daten durch eine händische Einzelauswertung nicht möglich. 5. Welche Vorkommnisse werden als Ereignisse „zum Teil mit Anschlagscharakter“ gewertet (bitte konkret angeben)? Die Begrifflichkeit „Anschlagscharakter“ unterliegt keiner einheitlichen Definition im Rahmen des KPMD-PMK. Vielmehr basiert die Begrifflichkeit „Anschlagscharakter“ auf einer qualitativen Einschätzung des Verfassungsschutzes des Landes Nordrhein-Westfalen. Dabei wird auf Ereignisse, wie der gezielte Zwillenbeschuss auf Polizeikräfte und Mitarbeiter der RWE Power AG oder die Errichtung von Fallen, Bezug genommen.